Polizeirechtliche Probleme

Karen Ullmann In einem Beschluss des Landgerichts Lüneburg vom 30. Mai diesen Jahres heißt es (Az.: 10 T 47/05): "Auf dieser Grundlage ist eine Durchsuchung festgehaltener Personen auch ohne Hinzutreten weiterer Verdachtsmomente grundsätzlich zur Eigensicherung der handelnden Polizisten sowie zur Verhinderung der Verletzung dritter Personen zulässig. Dem Sicherheitsinteresse wird aber in aller Regel durch ein schlichtes Abtasten der Personen unter Ablegung der äußeren Kleidungsstücke genüge getan werden können. Dass Personen darüber hinaus zielgerichtet kleinere, von außen nicht zu ertastende Gegenstände am Körper in der Unterwäsche führen, um andere zu verletzen, kann ohne Untersuchung des Einzelnen zwar nie mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Allein die allgemeine Erkenntnis, dass sich in einer großen Gruppe von Personen grundsätzlich immer auch unerkannt gewaltbereite Personen befinden, die es sich zum Ziel gemacht haben, andere zu verletzen, reicht jedoch nicht aus, um in jedem Fall der Freiheitsentziehung aus allgemeinen Schutzgesichtspunkten heraus den mit dem Ausziehen verbundenen tiefgreifenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht aller festgehaltenen Personen zu rechtfertigen. Der mit dem Ausziehen verbundene besondere Grundrechtseingriff bedarf vielmehr einer besonderen Rechtfertigung gegenüber der Einzelperson, die sich etwa aus entsprechenden Vorerkenntnissen zur Gewaltbereitschaft der Person oder auch der Gruppe, der er angehört, ergeben kann.[...] Dass hierbei keine 100-prozentige Sicherheit erzielt werden kann, ist aus Sicht der Kammer aus verfassungsrechtlichen Gründen hinzunehmen.“ Allein dieser Teil des Beschlusses gibt umfassender Auskunft als manches Lehrbuch zum Polizeigewahrsam. Dort findet man unter dem Titel "Standardmaßnahmen" - wenige und kaum praxistaugliche Hinweise, die sich zumeist darin erschöpfen, dass Ingewahrsamnahmen zur Abwehr einer Gefahr zulässig sind und unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeigeführt werden muss. Zur Lösung der praktischen Probleme helfen diese Hinweise nicht. Das Versammlungsrecht und das Recht der polizeilichen Freiheitsentziehung spielt jedoch nicht nur in Lehrbüchern, sondern auch in universitären Stundenplänen oder in Fachzeitschriften eine eher untergeordnete Rolle. Dabei ist das Recht der polizeilichen Freiheitsentziehung – obwohl von gravierendem verfassungsrechtlichem Belang – zumeist ausschließlich von polizeilicher Praktikabiliät bestimmt. Dabei stellen sich im Verlaufe von Demonstrationen bedeutsame – oft rechtlich unbearbeitete Fragen, etwa: Was heißt bei Festnahmen, dass unverzüglich richterliche Entscheidungen herbeigeführt werden sollen, ganz konkret und etwa in Stunden ausgedrückt? Können die Betroffenen einen Antrag bei Gericht stellen, wenn es "zu lange" dauert? An welches Gericht können Sie sich überhaupt wenden, und was bedeutet das 'Unverzüglichkeitsgebot' beispielsweise für die Organisation eines oftmals überhaupt erst einzurichtenden richterlichen Eildienstes? Was ist eine 'erhebliche' Gefahr? Wie individuell muss die Gefahrenprognosen sein, und dürfen (gescheiterte repressive) Festnahmen in (präventive) Gewahrsamnahmen umgewandelt werden? Es gibt keine juristische Fachzeitschrift, die sich explizit polizeirechtlicher Probleme annimmt. Das liegt sicherlich auch daran, dass hier verschiedene Rechtsgebiete aufeinander prallen: Der Verstoß gegen eine Auflage anlässlich einer Demonstration ist nur strafbar, wenn die Auflage rechtmäßig war. Aber die verwaltungsgerichtliche Entscheidung bezüglich der Auflagen findet ihren Weg nicht in die NStZ. Und welcher Strafrechtler kümmert sich um die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Festnahme seines Mandanten, wenn schon unklar ist, ob sich das nachträgliche Feststellungsverfahren nach § 98 II StPO oder doch eher nach §§ 23 EGGVG richtet und welche Verfahrensordnung für diese eigentlich öffentlich-rechtlichen Probleme anwendbar ist? Die Lücke wird die Webseite des RAV zum Polizei- und Versammlungsrecht füllen und kann unter www.rav-polizeirecht.de besichtigt werden. Denn schließlich ist das Wendland nicht das Ende der Welt, und auch in anderen Bundesländern gibt es ähnliche polizeilich "begleitete" Veranstaltungen wie die "Fünfte Jahreszeit" im Wendischen: G-8-Gipfel, Sicherheitskonferenzen, Nazi-Aufmärsche, Bush-Besuche und Chaostage, um nur einige zu nennen. Die Webseite lebt von der Einsendung von Urteilen und Beschlüssen zum Polizeirecht, zu der ich hiermit auffordern möchte – sei es im Zusammenhang mit Demonstrationen, Festnahmen, Ausreiseverboten oder ähnlichem. Die Redaktion sammelt sie, veröffentlicht sie, wenn möglich kommentiert, und will so, auf lange Sicht gesehen, eine Art elektronischer Kommentar zu den Entwicklungen des Polizeirechts entwickeln. Auf der zu jedem noch so kleinen Problem, wenn schon keine Antwort, dann zumindest ein Denkanstoß gefunden wird. In diesem Sinne: "Erfolg hat der Antrag, soweit die Antragstellerin sich gegen die Beschränkung der Länge von Transparentstangen auf 1,50 m und die Beschränkung der Transparentbreite auf höchstens 2,00 m [...] wendet. Für die mit einer Versammlung verfolgte Öffentlichkeitswirksamkeit sind Größe und Anzahl der mitgeführten Transparente von besonderer Bedeutung. Es handelt sich dabei um besonders geeignete Mittel, um das Anliegen der Versammlungsteilnehmer der Öffentlichkeit mitzuteilen. Eine Beschränkung dieser Mittel muss daher zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit zwingend geboten sein. [...] Der Hinweis, diese Auflagen seien üblich und sollten verhindern, dass die Transparente, Trageschilder und -stangen als Gewaltinstrumente verwendet werden, überzeugt nicht. Insoweit ist bereits nicht ersichtlich, was dies mit der Transparentbreite zu tun hat. Ein berechtigtes Anliegen ist zwar, zu verhindern, dass Tragestangen bei gewalttätigen Auseinandersetzungen zweckentfremdet verwendet werden, zumal wenn dies so in der Vergangenheit bei Demonstrationen geschehen ist, jedoch dürfte die Beschränkung der Länge der hölzernen Tragestangen und Trageschilder auf maximal 1,50 m insoweit kein geeignetes Mittel sein. Als Schlagwerkzeug mögen kürzere Tragestangen durchaus sogar geeigneter sein als längere." (VG Schleswig, Beschluss vom 25.01.2005, 3 B 17/05, Fundstelle: rav-polizeirecht.de).