Radical Lawyer und Anwalt der Bürgerrechtsbewegung - William M. Kunstler

Kurt Gronewold Anwälte der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung haben seit den 1960er Jahren des vorigen Jahrhunderts auch das Selbstbild und die Konzepte von Anwälten in Deutschland beeinflusst, die in politischen Strafsachen tätig gewesen sind z.B. für Studenten der Protestbewegung, für Vietnam-Kriegsgegner oder für ausländische Terrorismusverdächtige. Die amerikanischen Anwälte entwickelten Strategien der aktiven Verteidigung im Gerichtssaal, die auch ihr eigenes öffentliches Auftreten bestimmten. In den Auseinandersetzungen zeigten sie Standhaftigkeit, Mut und juristische Phantasie. Für sie galt der Satz von Oliver Wendell-Holmes, Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, der frei übersetzt lautet: „Wie das Leben Handeln und Leidenschaft ist, so ist die Anforderung an einen Anwalt, dass er die Leidenschaften seiner Zeit teilt, damit man ihm nicht nachsagt, er habe nicht gelebt.“ Das wichtigste Thema der Bürgerrechtsbewegung war die Rassentrennung. Am 17. Mai 1955 hatte der Oberste Gerichtshof in dem berühmten Fall Brown / Board of Education entschieden, dass der Grundsatz „getrennt aber gleich“ verfassungswidrig sei und damit die Rassentrennung an öffentlichen Schulen verboten (347 US 483, 1954). Das Gericht erweiterte in späteren Entscheidungen diesen Grundsatz auf Privatschulen und andere Bereiche. Dieses Urteil war das Startzeichen für die Bürgerrechtsbewegung. Noch ein halbes Jahrhundert zuvor hatte der Oberste Gerichtshof in der Sache Plessy / Ferguson (163 US 537, 1896) entschieden, dass die Rassentrennung unter diesem Gesichtspunkt „getrennt aber gleich“ erlaubt sei.

Die Entscheidung führte nicht zu einer sofortigen Änderung der Gesetze und der Praxis. Bürgermeister und Gouverneure taten wenig, das Schulsystem zu ändern. Das Verbot für schwarze Amerikaner, auf Parkbänken oder in Bussen Sitzplätze einzunehmen, die weißen Amerikanern vorbehalten waren, war noch Anfang der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts in Kraft. So kam es am 1. Dezember 1955 in Montgomery/Alabama zu einem Zwischenfall mit weitreichenden Folgen: Rosa Parks, eine farbige Hausfrau, weigerte sich, ihren Sitzplatz im Bus für einen Weißen zu räumen. Sie wurde verhaftet und kam ins Gefängnis und wurde so zur „Mutter der Bürgerrechtsbewegung“. Als im September 1957 in Little Rock/Arkansas die Leitung einer bis dahin nur von Weißen besuchten Schule plante, neun schwarze Schüler zuzulassen, forderte der Gouverneur die Nationalgarde an, um das zu verhindern. Im Oktober schickte Präsident Eisenhower tatsächlich die Nationalgarde, allerdings um die Integration der Schüler durchzusetzen. Die Nationalgarde blieb dort ein ganzes Jahr. Anfang 1958 beantragte die Schulbehörde, die Zulassung für Farbige zurückzuziehen und die Rassenintegration zu verschieben. Der Oberste Gerichtshof blieb bei dem Verbot der Rassentrennung, da die Integration den öffentlichen Frieden befördere und Konflikte verhindere (349 US 294,1958). Einer der prominenten Anwälte der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung war William M. Kunstler (1919-1995). Kunstler stammte aus einer jüdischen Familie. Er bezeichnete sich als einen Mann, der das amerikanische Rechtssystem liebte und stolz war, Amerikaner zu sein. Im Zweiten Weltkrieg hatte er als Major an den Kämpfen im Pazifik teilgenommen. Als im Jahr 1951 das Ehepaar Rosenberg wegen angeblichen Verrats von Atomgeheimnissen an die Sowjetunion in den USA hingerichtet worden war, hatte ihn das noch wenig berührt. In seiner Familie war man sogar der Meinung, es habe den Juden geschadet, dass die Rosenbergs diese Tat begangen hätten. Als Kunstler später in einer Fernsehdiskussion gegen die Todesstrafe sprach, das Urteil gegen das Ehepaar Rosenberg und den Mitangeklagten Morton Sobell jedoch ausdrücklich billigte, erhielt er einen Brief von dessen Ehefrau Helen Sobell. Es war dieser Brief, der Kunstlers Sicht auf die amerikanische Rechtspraxis nachhaltig änderte und sein Verständnis der Zusammenhänge von Justiz und Politik von nun an bestimmte. Sobell war zu einer Freiheitsstrafe von 30 Jahren verurteilt worden. Kunstler unterstützte Helen Sobell bei den Bemühungen um eine Wiederaufnahme des Verfahrens, in deren Folge Morton Sobell 1969, nachdem er 19 Jahre in Alcatraz verbracht hatte, davon vier Jahre angekettet in Isolationshaft, durch einen Gnadenerlass in Freiheit kam. Freedom Riders
Zu den ersten Fällen, die Kunstler im Zusammenhang mit den Rassenkonflikten übernahm, zählte die Verteidigung der so genannten Freedom Riders im Jahre 1961. Die Freedom Riders waren vom Congress for Racial Equality (CORE) gegründet worden, um gegen die Rassentrennung in den amerikanischen Südstaaten an allen öffentlichen Plätzen kämpfen: in Bussen, auf Bahnhöfen und Flughäfen, an Trinkbrunnen und in öffentlichen Toiletten. Die Freedom Riders begannen ihre historische Busreise am 4. Mai 1961. Überall, wie sie auftraten, wurden sie schikaniert, verfolgt und festgenommen. In Alabama wurde einer ihrer Busse in Brand gesetzt und die Insassen tätlich angegriffen. Als Kunstler in Alabama eintraf, waren bereits mehr als 400 Personen verhaftet. Um die Lage dort zu charakterisieren, erzählte Kunstler gern von einem Gespräch mit dem Gouverneur von Mississippi, Ross Barnett, der sich wunderte, dass er, Kunstler, sich mit solchen „Unruhestiftern“ gemein machte und der, als er hörte, er sei Vater von zwei Töchtern, fragte: „Was würden Sie sagen, wenn Ihre Tochter einen schmutzigen, krausköpfigen Feldnigger heiraten würde?“

Die Organisatoren der Bürgerrechtsbewegung hatten sich 1963 entschlossen, in Birmingham/Alabama die Konfrontation zu suchen. Ihr führender Sprecher, Martin Luther King, kündigte ab Januar 1963 öffentlich Proteste gegen die Rassentrennung an. Sie begannen am 3. April 1963. Zwanzig Farbige, die in ein Kaufhaus eingedrungen waren, wurden wegen Hausfriedensbruch festgenommen, 42 Teilnehmer eines Protestmarsches wegen Landfriedensbruch. Am Ende waren mehr als 125 Demonstranten in Haft, nur 24 von ihnen wurde überhaupt der Prozess gemacht. Sie wurden zu je sechs Monaten Haft verurteilt. Die Stadt erlangte außerdem ein Urteil des Distriktgerichts, das Bürgerrechtsdemonstrationen generell verbot. Bei den Demonstrationen gegen diese Gerichtsentscheidung wurden auch Martin Luther King und sein Stellvertreter, Rev. Ralph Abernathy, festgenommen. Diese Festnahmen lenkten die Aufmerksamkeit der gesamten Nation auf die Ereignisse. Viele sammelten für die Kautionen, darunter der berühmte Sänger Harry Belafonte. Martin Luther King und Rev. Abernathy wurden gegen Kaution von je 3.000 Dollar freigelassen.
Die Demonstrationen in Birmingham veränderten das Denken der Kennedy-Administration, insbesondere des damaligen Justizministers Robert Kennedy, der von nun an alles daran setzte, die Bürgerrechte auch für farbige Amerikaner durchzusetzen, oft unter Einsatz der Nationalgarde. Chicago Conspiracy Trial
Berühmt wurde Kunstler als Verteidiger im so genannten Chicago Conspiracy Trial von 1969. Anlass war der Parteitag der Demokratischen Partei im August 1968. Das war das Jahr, in dem Martin Luther King und Robert Kennedy ermordet wurden. In diesem Jahr war die Protestbewegung gegen den Vietnam-Krieg und gegen den damaligen Präsidenten Lyndon B. Johnson zu einem Höhepunkt gelangt. Johnson hatte auf eine Wiederwahl verzichtet, der neue Präsident hieß Richard Nixon. Er trat sein Amt vor Beginn des Prozesses im Januar 1969 an. Seine Regierung, voran Vizepräsident Agnew und Justizminister Mitchell, sah in dem Prozess eine Möglichkeit, die Protestgeneration insgesamt, damit auch die Vietnam-Anti-Kriegsbewegung und die Black Panther Party legal aus dem Weg zu räumen.

Die Staatsanwaltschaft hatte aus den Führern der verschiedenen Gruppierungen und Bewegungen eine einheitliche Führungsgruppe konstruiert: zu dieser gehörten angeblich Bobby Seale als Vertreter der Black Panther, Dave Dellinger, ein Einzelgänger, der sich für die sozial Schwachen und Unterprivilegierten einsetzte, sowie Tom Hayden, der spätere Senator von Kalifornien und Ehemann der Schauspielerin und Aktivistin Jane Fonda, weiter Jerry Rubin und Abby Hoffmann als Repräsentanten der Hippie-Bewegung. Die Anklage lautete auf Verschwörung zu Aufruhr, Landfriedensbruch und Körperverletzung. Die Diskussionen in der amerikanischen Öffentlichkeit wurden mit großer Heftigkeit und Feindschaft geführt, wie später die Diskussionen in Deutschland um die Verteidigung der RAF-Mitglieder Baader, Meinhof und Ensslin im Stuttgarter Stammheim-Prozess 1975.

Die Beschuldigten versuchten, den Prozess als Forum zu nutzen, ihre Sicht einer gerechteren Gesellschaft öffentlich darzustellen. Auch Kunstler ging es um grundsätzliche Fragen, er kämpfte gegen die Vorverurteilung der Angeklagten und gegen die politischen Kampagnen des FBI und der Regierung.

Der Hauptstreitpunkt des Prozesses betraf das Verfahren selbst. Der Anwalt des farbigen Angeklagten Bobby Seale, Charles Garry, der bei vielen Gelegenheiten die Führer der Black Panther verteidigt hatte, war im Krankenhaus und nicht verfügbar. Das Gericht hatte den Antrag abgelehnt, das Verfahren auszusetzen, und Bobby Seale hatte daraufhin erklärt, er werde sich selbst verteidigen. Nach amerikanischem Recht kann ein Beschuldigter, der durch einen Anwalt vertreten ist, nicht selbst in das Verfahren eingreifen. Er hat nur die Möglichkeit, als Zeuge in eigener Sache Erklärungen abzugeben. Da Bobby Seale darauf bestand, sich selbst zu verteidigen und da er tatsächlich Erklärungen abgab, entzog ihm der Richter immer wieder das Wort. Schließlich ließ er ihn sogar knebeln und an den Stuhl fesseln.

Zur Begründung hatte der Richter darauf verwiesen, dass Kunstler in einem Vorverfahren außerhalb der Hauptverhandlung in Vertretung von Garry aufgetreten war und daher in diesem Fall als Verteidiger von Bobby Seale anzusehen sei. Sowohl Kunstler als auch Bobby Seale selbst wiesen dies zurück. Kunstler vertrat, zusammen mit seinem Kollegen Leon Weinglass, die anderen Angeklagten. Die Verfahrensführung bezeichnete er als Schande für die amerikanische Justiz und für die amerikanischen Richter insgesamt, worauf der Richter seinerseits mit Bestrafung wegen Missachtung des Gerichts drohte. In den Auseinandersetzungen zwischen Verteidigern und Richter ging es auch um die Zulässigkeit von Fragen. Themenkomplexe, die mit dem Verhalten der Polizei oder mit den politischen Absichten der Regierung zu tun hatten, lehnte der Richter immer wieder ab. Als z.B. die Verteidigung Ramsey Clark, den früheren Justizminister, der bis 1968 Mitglied der Regierung Johnson gewesen war, sowie Rev. Abernathy als sachverständige Zeugen zur Sicherheitslage und zu den politischen Absichten der Polizei und des FBI vorladen wollte, lehnte der Richter deren Erscheinen als irrelevant ab. Die Verteidigung organisierte deshalb eine Pressekonferenz und machte auf diese Weise nicht nur die Ansichten von Clark und Abernathy in der Öffentlichkeit bekannt, sondern auch die Vorgehensweise des Gerichts.

Das Urteil, ein Freispruch der Angeklagten in der Hauptsache, überraschte alle. Es wurde als Erfolg der Strategien der Verteidiger im Prozess selber und in der Öffentlichkeit gewertet. Der Zorn des Richters traf dagegen die Anwälte: Kunstler wurde wegen Missachtung des Gerichts in 24 Fällen zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt – ein Urteil, das in der Öffentlichkeit Proteststürme auslöste und später aufgehoben wurde. So hatte Kunstler erklärt, es erfülle ihn mit Scham und es sei für einen amerikanischen Anwalt eine Schande, vor einem Gericht wie diesem auftreten zu müssen, das nicht davor zurückschrecke, einen Angeklagten durch Knebelung und Fesselung zum Schweigen zu bringen und die Jury zu beeinflussen. Zuvor hatte Kunstler in leidenschaftlicher Weise seine Haltung begründet. Er hatte darauf hingewiesen, dass er in seiner bis dahin über 20jährigen Anwaltstätigkeit noch niemals wegen Missachtung getadelt worden war. Er habe die Verteidigung mit ganzem Herzen geführt, mit Respekt und Vertrauen für seine Mandanten und dies vor einem Gericht, das ungerecht und voreingenommen gewesen sei. Er hoffe, dass sein Schicksal andere Anwälte nicht davon abhalten werde, ihre Pflicht zu tun. Für ihn und seinen Kollegen Weinglass sei es eine Ehre gewesen, an dieser Stelle für die Rechte der Verteidigung einzustehen.

Kunstler hat für diese aufrechte Haltung große Anerkennung erhalten. Viele Anwälte der Bürgerrechtsbewegung haben sich von seinem Vorgehen inspirieren lassen und sein Mut war für sie vorbildhaft. Zu den grundlegenden Rechten der Verteidigung gehörte nach Auffassung Kunstlers, dass der Angeklagte nicht nur als Zeuge auftritt und seinen Standpunkt in der Schlusserklärung darstellt, sondern dass er während des Prozessverlaufes, d.h. im Verfahren selbst Einfluss auf die Meinungsbildung nehmen kann. Die freie Rede, sowohl die des Anwalt als auch die des Angeklagten, ist deshalb ein wesentliches Instrument der Verteidigung und ein Gut der politischen Kultur überhaupt.

American Indian Movement

Auch in einem weiteren Prozess, den ich erwähnen will, ging es um freie ungehinderte Rede: in dem Prozess um die indianische Bürgerrechtsbewegung American Indian Movement (AIM). Diese hatte sich 1968 gegründet und fast von Anbeginn an mit der Feindschaft von Polizei und FBI zu kämpfen. Im Jahre 1974 kam es zu dem, was Kunstler später als den „längsten Prozess in der amerikanischen Geschichte“ geißeln würde: das so genannte Leadership Trial gegen Russell Means und Dennis Banks.

Unter ihrer Führung hatten sich Mitglieder des AIM im Jahr zuvor, 1973, am Wounded Knee in Dakota versammelt, um an das Massaker der amerikanischen Armee an Sioux-Indianern im Jahre 1890 zu erinnern und gleichzeitig gegen die amerikanische Politik zu protestieren, die den Indianern eigenes Land verweigerte, das ihnen durch Vertrag von 1868 zugesichert war und zwar „as long as the rivers shall flow… as long as the grass shall grow“, d.h. auf ewig. Wounded Knee war seit dem Massaker ein Symbol für den indianischen Freiheitskampf gewesen.

Von Anfang an war das AIM von Polizei und FBI mit Argwohn beobachtet und verfolgt worden, wobei weder falsche Anschuldigungen noch illegale Verhaftungen nicht einmal Mord ausgelassen wurden.

In diesem Prozess lautete die Anklage auf kriminelle Verschwörung (wie es 30 Jahre später, 1993, im Waco-Fall wieder geschah, um die Sekte der Davidians auszuschalten). Die Verteidigung erklärte die Angeklagten zu politischen Tätern und zeigte die historischen Zusammenhänge auf, wobei einer ihrer Hauptzeugen der Schriftsteller Dan Brown mit seinem Buch „Bury my Heart at Wounded Knee“ war.

Dieser Fall, schreibt Kunstler in seiner Autobiographie „My Life as a Radical Lawyer“ (1994), hatte genau das, was ein politischer Prozess haben soll: Dramatik und große Gefühle. Und er scheute sich nicht, solche Gefühle einzusetzen. Sein Plädoyer endete er mit den berühmten Zeilen aus einem Gedicht von Stephen Vincent Benét:

I shall not be there. I shall rise and pass.
Bury my heart at Wounded Knee.

In seiner Autobiographie schreibt er: „Als ich endete, weinte ich und im Saal war nicht das leiseste Geräusch zu hören. Dann erhob sich schüchterner Applaus, den der Richter sofort zum Schweigen brachte, […] and that was it.“ Der Prozess endete mit einem Sieg der Verteidigung, auch deshalb, weil der Richter, erbost darüber, dass die offiziellen Stellen sich während der gesamten Dauer des Prozesses von knapp neun Monaten geweigert hatten, etwas zur Aufklärung des Falles beizutragen, das Verfahren kurzerhand einstellte. „The waters of justice have been polluted, and dismissal, I believe, is the appropriate cure for the pollution in this case“. Kunstler hatte erreicht, dass ein amerikanischer Richter im Laufe der Anhörungen zu der Überzeugung gelangt war, den Angeklagten sei Unrecht geschehen – oder, wie Kunstler selbst es formulierte: in einem Gerichtssaal hatte die Gerechtigkeit gesiegt.

Erkämpftes Recht

Die Lehren aus den politischen Verfahren, die Kunstler geführt hat, sind heute noch gültig. Sie haben in erster Linie mit dem Selbstbild des Anwalts als Verfechter von Bürgerfreiheit und Bürgerrechten gegen die Übergriffe staatlicher Institutionen zu tun. Sie kommen auch im Widerstand gegen den so genannten Patriot Act zum Ausdruck, dem Gesetzeskonvolut, das nach dem Anschlag auf das World Trade Center 2001 etabliert wurde und das sich gegen die Bürger des eigenen Landes richtet und sie zu potentiellen „Staatsfeinden“ macht. Zu deren „Bekämpfung“, so der Patriot Act, darf die Regierung auch illegale Mittel einsetzen, wie z.B. das illegale Abhören, allein mit Erlaubnis des in dieser Sache nicht befugten Präsidenten, die unbefristete Inhaftierung von Verdächtigen ohne gerichtliche Anordnung, den Bruch des Briefgeheimnisses oder die „Gesinnungsschnüffelei“ durch Überwachung der Ausleihpraxis der öffentlichen Bibliotheken.
Die Radical Lawyers haben es sich zur Aufgabe gemacht, solche Vorgehensweisen vor das Verfassungsgericht zu bringen und verbieten zu lassen.

Zu den Besonderheiten der amerikanischen Rechtsgemeinschaft gehört es, die Gerichtsentscheidungen aus vielen Jahrzehnten, ja sogar Jahrhunderten im Gedächtnis zu halten und als Präzedenzfälle zu zitieren. So sind es also Gerichtsurteile und Verteidigereinlassungen, die neben der Verfassung die Rechte des Einzelnen schützen. Anwälte wie William Kunstler sind dabei in buchstäblicher Weise Leuchttürme.

Während der Beruf des Anwalts in den USA nicht von der Regierung abgeleitet wird, ist er in Deutschland das Ergebnis eines historischen Prozesses, nämlich des aufgeklärten Absolutismus und der konstitutionellen Monarchie. In den USA ist die Verfassung die Grenzlinie zwischen dem Staat, der nur auf der Grundlage der Gesetze handeln darf, und der Gesellschaft. Der Anwalt steht auf Seiten der Gesellschaft und des einzelnen Bürgers. Deutlich zeigt sich das darin, dass in den USA ein Anwalt keine Robe trägt. Er ist kein Staatsbeamter und gehört nicht zum staatlichen System der Justiz. Seine Rolle ist parteilich im Rahmen der Gesetze. In Deutschland dagegen war es zuerst der Staat, der die Rolle – und damit die Rechte – des Anwalts definierte. Erst aus dem Grundgesetz von 1949 läßt sich das Recht auf Verteidigung und der Anspruch des Einzelnen auf ein faires Verfahren in heutiger Sicht begründen. Mit dem Begriff „faires Verfahren“ ist die Definition aus dem Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention gemeint, aber zugleich auch ein wesentliches Gut amerikanischer Verteidigungstradition, denn er schließt selbstverständlich das Recht der Verteidigung ein, die Öffentlichkeit zu informieren und auf staatliche Kampagnen öffentlich zu reagieren.

Dass dieses Recht nicht naturgegeben ist, sondern erkämpft werden musste, zeigt das Beispiel Kunstler – aber auch das Beispiel politischer Prozesse in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Kenntnis amerikanischer Prozesskultur, wie sie sich im Wirken von Anwälten wie William Kunstler zeigt, sollte deshalb auch zum intellektuellen Rüstzeug deutscher Anwälte gehören, nicht anders als die der eigenen Rechtsgeschichte.

Rosa Parks, jene Farbige, die im Jahre 1955 auf ihrem Bürgerrecht bestanden hatte, wurde als 86jährige im Jahre 1999 von Präsident Clinton empfangen und erhielt die höchste zivile Auszeichnung, die Amerika zu vergeben hat, die Goldene Ehrenmedaille des Kongresses. Als sie im Jahre 2005 starb, wurde sie nach einstimmigem Beschluss des Senats im Capitol öffentlich aufgebahrt. Sie ist die erste Frau in den Vereinigten Staaten, der diese Ehrung zu Teil wurde.