Ein klagbares Recht auf Nichtdiskriminierung - auch ohne Antidiskriminierungsgesetz!

Frauke Steuber, Moritz v. Unger

Der EuGH korrigiert die mangelnde Umsetzungsbereitschaft Deutschlands

Der politische Streit um ein Antidiskriminierungsgesetz beginnt mit der Einbringung des letzten Gesetzentwurfs durch die Grünen in den Bundestag am 20. Januar 2006 erneut. Nachdem Deutschland auf EU-Ebene das Schlusslicht im Kampf gegen Diskriminierung darstellt und bereits vom Europäischen Gerichtshof wegen der verspäteten Umsetzung der Antirassismus-Richtlinie1 verurteilt wurde 2- ein Verfahren wegen der verspäteten Umsetzung der Rahmenrichtlinie Beschäftigung3 ist anhängig -, ist jetzt wieder mit einer mühsamen Verhandlungsphase zu rechnen, bei der die Opfer von Diskriminierung nur verlieren können. Die CDU favorisiert die behauptete "1:1-Umsetzung", was vor allem einen Angriff auf den im Gesetzesentwurf sowieso nur für Massengeschäfte vorgesehenen zivilrechtlichen Schutz vor Diskriminierung aus Gründen der sexuellen Identität, der Religion und Weltanschauung, des Alters und der Behinderung bedeutet.
Anwälte und Anwältinnen sollten sich hierdurch nicht davon abhalten lassen, Verfahren im Antidiskriminierungsrecht zu führen. Auch ohne Umsetzung bietet das Europarecht Möglichkeiten, Rechte aus der Richtlinie herzuleiten. Zugleich wird mit jedem Prozess mehr die politische Ebene betreten, nämlich Druck auf den Gesetzgeber ausgeübt, seiner Pflicht zur Umsetzung nachzukommen. Da die Umsetzungsfrist für die Antirassismusrichtlinie bereits seit dem 19. Juli 2003, die für die Rahmenrichtlinie Beschäftigung bereits seit dem 2. Dezember 2003 abgelaufen ist4, müssen die Gerichte bei einem Rechtsstreit zwischen Privaten mindestens die geltenden nationalen Gesetze richtlinienkonform auslegen und im Falle drohender Kollision von nationalem mit Europarecht bzw. bei Fragen der entscheidungserheblichen Auslegung der Richtlinien das Vorabentscheidungsverfahren durch den EuGH einleiten.

Im Fall Mangold/Helm, Urteil des EuGH vom 22. November 2005, C-144/ 045, hat der EuGH die bisher begrenzte Wirkung der Richtlinien (als Auslegungsmaxime) zum Schutz vor Diskriminierung im nationalen Recht entscheidend erweitert. Wenn auch noch vieles offen ist - die bisher recht konturreiche Differenzierung: unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien nur gegenüber dem Staat, nicht gegenüber Privaten, ist mit dem jetzt etablierten, auch gegen Private wirkenden Grundrecht auf Nichtdiskriminierung nicht mehr haltbar.

Nach dem Urteil des EuGH ist die Richtlinie 2000/78/EG vor allem Ausdruck eines allgemeinen EG-Grundrechts der Gleichbehandlung, welches seinen Ursprung in den Verfassungstraditionen der Mitgliedsstaaten und im Völkerrecht habe. Soweit eine nationale Regelung in den Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt, könne sich der Einzelne auf den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz berufen. Es obliege dem nationalen Gericht, bei einem Rechtsstreit "den rechtlichen Schutz, der sich für den Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht ergibt, zu gewährleisten und die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu garantieren, indem es jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lässt."6 Es spricht viel dafür, dass diese unmittelbare Wirkung des allgemeinen Gleichheitssatzes sich auf sämtliche Richtlinien zum Schutz vor Diskriminierung übertragen lässt. Wenn bei Mangold der Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts u.a. über ein ältere bereits umgesetzte Richtlinie eröffnet war, dürfte sich im Rahmen der Antidiskriminierungsrichtlinien Gleiches aus dem Umstand ergeben, dass die Frist für ihre Umsetzung abgelaufen ist.

Mangold bedeutet wohl keine völlige Abkehr von dem Horizontalverbot für Richtlinien. Schließlich konstruiert der EuGH die Schutzwirkung für den Einzelnen nur als Reflex der Unanwendbarkeit einer staatlichen Regelung. Aber das lässt sich doch generalisieren: Im Geltungsbereich diskriminierungssanktionierender Richtlinien sind alle staatlichen Normen, die eine Diskriminierung erlauben, nicht anzuwenden. Ein deutsches Zivilgericht, dass also etwa einen Schmerzensgeldanspruch wegen diskriminierender Verweigerung des Zutritts zu einer öffentlichen Party mit dem Argument der zivilrechtlich verbürgten Privatautonomie versagt (AG Tempelhof-Kreuzberg)7, muss sich auf eine neue Rechtsprechung einlassen: Die §§ 133, 241 BGB müssten unangewendet bleiben, soweit sie eine europarechtlich verbotene Diskriminierung rechtfertigen. Mindestens aber müsste hier bei der Auslegung zivilrechtlicher Normen wie §§ 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. 280, 823 BGB die Privatautonomie hinter dem Grundrecht auf Nichtdiskriminierung zurückstehen.

Der EuGH hat mit dem Urteil Mangold den Weg gewiesen: Wenn Mitgliedsstaaten die Richtlinien nicht umsetzen, liegt der Spielball bei den Anwälten und Anwältinnen.

Fussnoten

1 2000/43/EG
2 Az. C-329/04
3 2000/78/EG
4 Ausnahme: Im Hinblick auf Diskriminierung wegen des Alters hat die Bundesrepublik eine Fristverlängerung von weiteren drei Jahren erhalten, so dass diesbezüglich die Umsetzungsfrist erst Ende 2006 abläuft.
5 NJW 2005, 3695: Der EuGH erklärt § 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG im privaten Arbeitsverhältnis für unanwendbar, da die Vorschrift pauschal die erleichterte Befristung von Arbeitsverhältnissen mit über 52 Jahre alten Arbeitnehmern ohne weiteren sachlichen Grund ermöglicht. Die Vorschrift war nach Erlass der Rahmenrichtlinie Beschäftigung 2000/78/EG, aber vor Ablauf der Umsetzungsfrist erlassen worden.
6 NJW 2005, 3695, 3698 Nr. 77.
7 AG Tempelhof-Kreuzberg 16. Dezember .2004, 8 C 267/ 004, InfAuslR 2005, 112-116.