EU-Terrorliste – Raum ohne Rechtsschutz?

Wolfgang Kaleck Dieser Text basiert auf einer von Sönke Hilbrans überarbeiteten Fassung eines Vortrages von Wolfgang Kaleck – „Zum Stand der Klage der Volksmujahedin Iran gegen den Ministerrat der EU vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg“ im Rahmen der von RAV, Berliner Rechtsanwaltskammer und Gesellschaft für Vereinte Nationen gemeinsam veranstalteten Diskussion in Berlin am 5. Mai 2004, „Das Humanitäre Kriegsvölkerrecht im internationalen Räderwerk“ – zur Situation der iranischen Flüchtlinge im Lager Camp Ashraf/ Irak.
I. Seit der Anti-Terrorismus-UN-Sicherheitsrats-Resolution 1267/1999 vom 15. 10.1999 werden auf UN-Ebene Listen von Individuen und Körperschaften veröffentlicht, deren Konten einzufrieren sind und die weiteren Beschränkungen im Geschäftsverkehr unterliegen sollen. Mit der Anti-Terror-Resolution der UN 1390/2002 wurden die Beschränkungen verschärft. Seitdem wird von einem speziellen Komitee 1267 des UN-Sicherheitsrates eine ständig aktualisierte Liste von Individuen und Körperschaften aufgestellt, die zu den Taliban- und Al-Quaida-Organisationen gehören oder mit ihnen verbunden sind.
Die Liste ist im Internet unter www. un.org/ docs/sc/committees/1267/1267 listeng.htm einsehbar. Im letzten Abschnitt sind die Personen und Organisationen genannt, die zwischenzeitlich von dem Komitee von der Liste gestrichen wurden. Die UN hatte sich laut UN-Pressemitteilung vom 16.08.2002 (SC/7487, Afg/203) ein Verfahren gegeben, nach dem Personen und Organisationen nach einer Überprüfung von der Liste gestrichen werden können.
In Anlehnung an die UN-Resolution hat die EG nach dem 11.09.2001 durch die Verordnung (EG) Nummer 2580/ 2001 vom 27.12.2001 (Amtsblatt EG L 344 vom 28.12.2001) das zur Verfügung stellen von Geldern und Finanzmitteln an Terroristen und deren Organisationen und andere Handlungen verboten. Aufgrund Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung werden durch Beschlüsse des Europäischen Rates Listen terroristischer Personen und Organisationen erstellt und regelmäßig im Amtsblatt veröffentlicht. Laut gemeinsamen Standpunktes des Rates vom 27.12.2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (2001/931/ GASP) sind Personen, Vereinigungen und Körperschaften, die an terroristischen Handlungen beteiligt sind – ganz im Sinne des späteren Rahmenbeschlusses der EU – ,
- solche Personen, die terroristische Handlungen begehen, zu begehen versuchen oder sich an deren Begehen beteiligen oder diese erleichtern;
- Vereinigungen oder Körperschaften, die unmittelbar oder mittelbar Eigentum dieser Personen sind oder unter deren Kontrolle stehen; ferner Personen, Vereinigungen und Körperschaften, die im Namen oder auf Weisung dieser Personen, Vereinigungen und Körperschaften handeln, einschließlich der Gelder, die aus Vermögen stammen oder hervor gehen, das unmittelbar oder mittelbar Eigentum dieser Personen ist und mit ihnen assoziierter Personen, Vereinigungen und Körperschaften ist oder unter deren Kontrolle steht.
Terroristische Handlungen im Sinne des Standpunktes sollen vorsätzliche Handlungen sein, die durch ihre Art oder durch ihren Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen können und im innerstaatlichen Strafrecht als Straftat definiert sind, wenn sie mit bestimmten Zielen begangen werden.
Auf der ersten Liste befinden sich als Individuen fast ausschließlich sogenannte ETA-Aktivisten, darüber hinaus einige Einzelpersonen arabischer Herkunft. Als Organisationen sind die ETA und angeblich zu ihr gehörende Unterorganisationen, die Hamas, die IRA und andere genannt. Die Liste hat seitdem zahlreiche Veränderungen erfahren. Mittlerweile befinden sich auf ihr neben arabischen Einzelpersonen und genannten ETA-Aktivisten die Al-Aqsa-Brigaden, die AUM-Sekte, die PKK bzw. die Kadek und Kongra-Gel, die PFLP, sowie die kolumbianische FARC und ihr militärisches Gegenüber die paramilitärischen Selbstverteidigungseinheiten AUC.
Seit dem Ratsbeschluss 460/2002 vom 17.06.2002 bis zur aktuellen Version vom 03.04.2004 befinden sich auch die iranischen Volksmujahedin auf der Liste.
Rechtsschutzmöglichkeiten für die auf der Liste befindlichen Personen und Organisationen sahen die beiden EG-Verordnungen nicht vor. Allerdings heißt es in der Verordnung (EG) Nummer 881/ 2002 des Rates vom 27.05.2002, dass aus Gründen der Zweckmäßigkeit die Kommission ermächtigt werden sollte, die Liste zu dieser Verordnung auf der Grundlage einschlägiger Mitteilungen und Informationen seitens des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, des VN-Sanktionenausschusses und der Mitgliedstaaten gegebenenfalls zu ändern.
II. Die grundsätzliche Kritik an Ausnahmeregelungen und Grundrechtsbeschränkungen bei der Terrorismusbekämpfung soll an dieser Stelle nicht vertieft werden. Ein grundsätzlicher Einwand ergibt sich aus dem Fehlen einer gemeinsamen verbindlichen Definition von Terrorismus auf UN-Ebene. Nicht von ungefähr befürchten zahlreiche Staaten, dass - wie in der Vergangenheit oft genug geschehen - die Großmächte nach politischem Kalkül bestimmen, ob eine aufständische Bewegung oder Organisation als legitimer Widerstand, so zuletzt die Kosovo-Albaner, unbestraft zu bestimmten Mitteln des Kampfes greifen können oder als terroristisch eingestuft werden. Letzteres führt - wie zuletzt am Afghanistan-Einsatz und der Bekämpfung von Al Quaida seit 2001 zu besichtigen ist - nicht nur zur Gefahr weltweiter strafrechtlicher Verfolgung, was für sich alleine genommen in der Vergangenheit die Bemühung zahlreicher antikolonialer Befreiungsbewegungen um Anerkennung unmöglich gemacht hätte. Es besteht nunmehr auch die Gefahr als militärisches Ziel angegriffen zu werden, wie die Taliban, als irreguläre Kämpfer allen rechtlichen Schutzes, inklusive des Schutzes vor Folter, verlustig zu gehen oder gezielt getötet zu werden.
Vor dem Hintergrund dieser Kritik scheint es daher bemerkenswert, dass auf EU-Ebene die Stimmung nach dem 11.September 2001 ausgenutzt und nicht primär gegen arabische Terroristen vorgegangen wird, sondern weit über die UN-Listen hinaus politisch missliebige Individuen und Organisationen aufgeführt werden, wobei nicht von ungefähr seit der ersten Auflage der Liste baskische Personen und Organisationen dominieren.
Kritik wurde deswegen vor allem aus den Reihen der betroffenen Organisationen geäußert. So wurde zu einigen der baskischen Organisationen ausgeführt, dass selbst spanische Gerichte beispielsweise verneint haben, dass die Organisationen XAKI und EKIN Unterorganisationen der ETA darstellen. Beim Europäischen Gerichtshof sind Klagen der Organisationen des Modjahedine Peuple D’Iran (OMPI) eingereicht am 26.07.2002 (Aktenzeichen 2002/C 247/31) und von Osman Öcalan und dem kurdischen Nationalkongress vom 31.07.2002 (Aktenzeichen 2002/C 233/56) anhängig. Zusammenfassungen der Klagen sind im Amtsblatt der europäischen Gemeinschaften vom 28.09.2002 sowie vom 12.10.2002 veröffentlicht. Eine Entscheidung ist in beiden Fällen noch nicht ergangen. Daneben gab es vor allem Kritik an der Aufnahme palästinensischer Organisationen. Mehrere EU-Staaten, u.a. Schweden, und das EU-Parlament forderten u.a. klarere Kriterien und eine rechtstaatliche Ausgestaltung des Verfahrens zur Aufnahme auf die und Überprüfung der Liste.
Die Verordnung will vor allem die finanzielle Beweglichkeit terroristischer Organisationen einschränken, droht aber allen an wirtschaftlichen und finanziellen Transaktionen Beteiligten erhebliche Sanktionen an. Eine interessante Kritik findet sich daher in einem Informationsbrief der Industrie- und Handelskammer Ost-Württemberg, in dem versucht wird, Unternehmen und Banken auf die Probleme und Risiken der Verordnung aufmerksam zu machen. In der Zusammenfassung heißt es unter anderem: „Besonders wichtig bei der Bekämpfung des Terrorismus mit gesetzgeberischen Maßnahmen ist es aber, dass Gesetze, die dieses sensible Umfeld regeln, klar formuliert sind, die Anforderungen präzise beschreiben und die Verbote erkennbar und deutlich bezeichnen. Hier gibt es deshalb dringenden Nachholbedarf, um die Rechtssicherheit für die Wirtschaft zu erhöhen. (…) Man kann den Eindruck gewinnen, dass bei der Umsetzung der UN-Resolution 1390/2002 durch die EU in Form der sogenannten EG-Anti-Terrorismusverordnung (EG) Nummer 881/ 2002 leider der Formulierung des politischen Willens Vorrang vor Rechtssicherheit und einer praktischen praxisnahen Regelung mit praktikabeln Umsetzungsmöglichkeiten gegeben wurde.“
III. Beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg sind Klagen der Volksmujahedin (OMPI) – Klage vom 26.07.2002/ AZ 2002/ C 247/31- sowie gegen die Erwähnung von PKK bzw. Kadek durch Osman Öcalan und den Kurdischen Nationalkongress – Klage vom 31.07.2002 AZ 2002/C 233/56 – anhängig gemacht worden. Zusammenfassungen der Klagen sind im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 28.09.2002 und 12.10.2002 veröffentlicht. Entscheidungen sind noch nicht ergangen.
Die am 26.07.2002 von der Organisation der Volksmujahedin am Europäischen Gerichtshof eingereichte Nichtigkeitsklage stützt sich auf §§ 230 und 231 des EG-Vertrages. Danach können natürliche und juristische Personen gegen diverse europäische Institutionen Klage erheben, wenn „gegen die an sie ergangenen Entscheidungen sowie gegen diejenigen Entscheidungen …, die, obwohl sie als Verordnung oder als eine an eine andere Person gerichtete Entscheidung ergangen sind, sie unmittelbar und individuell betreffen“.
Die Kläger beantragen, den Beschluss 2002/460 EG des Rates vom 17.06.2002 zur Durchführung von Artikel 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nummer 2580/ 2001, des gemeinsamen Standpunktes 2002/462 GASP vom 17.06.2002 sowie den gemeinsamen Standpunkt 2002/340 GASP vom 02.05.2002 teilweise für nichtig zu erklären bzw. all die Texte in Bezug auf die Klägerin für unanwendbar zu erklären und den Rat der Europäischen Union zu verurteilen, 1,00 EUR als Schadensersatz zu bezahlen. Rechtsverletzung liegt nach Auffassung der Kläger in der Sanktion, die durch die Aufführung der OMPI auf den Listen verursacht wird, weil sie dort mit terroristischen Organisationen gleichgestellt werde. Ihr Recht dann auf Verteidigung sei verletzt worden, weil sie vorher in keiner Weise angehört worden seien. Dabei beruft sie sich insbesondere auf eine Entscheidung des Distrikt Cord of Kalifornia vom 21.06.2002, in dem in einem gleich gelagerten Fall ausdrücklich vom Gericht festgestellt wurde, dass das fundamentale Recht auf Verteidigung auch in solchen Fällen gewahrt werden muss.
Hilfsweise wird die Verletzung höherrangigen Rechts gerügt, nämlich das Recht auf Widerstand gegen die Tyrannei und Unterdrückung. Der Iran sei ein Regime, das permanent die Menschenrechte verletze und keine demokratischen Rechte anerkenne. Zur Glaubhaftmachung berufen sich die Kläger unter anderem auf UN-Resolutionen und Beschlüsse internationaler Institutionen, wonach ein Recht auf Widerstand bestehe.
Darüber hinaus respektiert die OMPI als Teil des nationalen Widerstandsrates des Iran bei ihrem Widerstand die Grundprinzipien der Demokratie und die Menschenrechte.
Letztlich verdeutlichen diese Argumente noch einmal das politische und juristische Dilemma von Terrorismusdefinitionen: während der Staat Iran bis vor kurzem als sogenannter Schurkenstaat eindeutig nicht nur als Menschenrechtsverletzer und Gefahr für die Region verurteilt wurde, sondern auch Gefahr lief, militärisch bedroht und angegriffen zu werden, sollen die Volksmujahedin, die diesen Staat seit über zwanzig Jahren bekämpfen, nunmehr bei veränderter politischer Situation zwischen dem Iran und den westlichen Staaten als Terroristen verfolgt werden.
Der Europäische Rat wendet in seiner Erwiderung ein, dass Maßnahmen im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik (GASP, sog. zweite Säule der EU) nicht der Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs unterlägen. Die angefochtenen Entscheidungen würden darüber hinaus die Kläger nicht unmittelbar treffen, da Vollzugsakte erforderlich seien. Damit sind zugleich die formellen Probleme der Klagen beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg benannt: der justizfreie Aktionsraum der europäischen Außenpolitik und der für die Betroffenen im Regelfall nur über ein Vorlageverfahren zugängliche Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof. Dabei ist die Konzeption der Verordnung nicht zwingend: während der normative Teil ausschließlich Gemeinschaftsrecht ist, überlässt es die EG dem Rat, im Verfahren der zweiten Säule den Kreis der Betroffenen festzulegen. Das mag aus politischen Gründen nahe liegen, aber auch die EG verfügt über Außenbeziehungen und in gewissem Rahmen auch über eine Kompetenz im Sicherheitsbereich. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Verknüpfung mit der zweiten Säule gewählt wurde, um die damit verbundenen Privilegien für die im Rat versammelten Mitgliedstaaten zu erhalten. Im Ergebnis läuft damit unmittelbarer Rechtsschutz leer.
Da funktionierender Rechtsschutz gegen die Aufnahme auf die Liste nicht geregelt ist, mussten die Kläger auf die allgemein nach dem EG-Vertrag vorgesehenen Klageverfahren zurückgreifen. Diese sind nur durch eine beherzte richterrechtliche Rechtsfortbildung an die besondere Konstruktion der Verordnung anzupassen. In der Sache haben die Anliegen der Kläger voraussichtlich keine verlässliche Konjunktur. Es ist daher – auch angesichts der Dauer des Verfahrens - fraglich, ob eine inhaltliche Überprüfung erreicht werden kann. Dabei ist die Befürchtung durchaus begründet, dass eine Aufnahme auf die Liste auch andere, rechtlich erhebliche Entscheidungen auf europäischer oder innerstaatlicher Ebene (etwa im Straf-, Asyl-, Ausländer- und Vereinsrecht) beeinflusst, ohne dass dies in der EU-Terrorismusverordnung vorgesehen wäre. Im Ergebnis scheint es angezeigt, auf politischem Wege direkt in Brüssel oder über einen Mitgliedsstaat die Streichung von der Liste anzustreben. Sonst bliebe nur die Anfechtung einer Handlung der Nationalstaaten bei der Umsetzung der EG-Terrorismusverordnung in nationalen Gerichtsverfahren, in denen sich eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zwar anregen, aber nicht effektiv erzwingen lässt. Die Verfahrensdauer ist erheblich, zumal wenn schließlich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg einzuschalten wäre.