Editorial

Der RAV wird 2004 25 Jahre alt. Wir wollen dieses Datum angemessen würdigen mit einer Kombination aus Diskussion brennender Themen und einer anschließenden kleinen Feier. Am Freitag, den 8. Oktober 2004 wird diese Festveranstaltung ab 14.00 Uhr im Theater am Festungsgraben in Berlin stattfinden. Die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft des RAV werden in verschiedenen Beiträgen betrachtet. Prof. Dr. Ingo Müller berichtet über die Gründungsgeschichte des Vereins. Christian Bommarius befasst sich mit neuen Konzepten der Inneren Sicherheit und dem – drohenden - permanenten Ausnahmezustand. Prof. Dr. Klaus Günther (angefragt) befasst sich mit den Auswirkungen der Globalisierung für AnwältInnen - „Neue Anwälte – Neues Recht“. Zu den beiden letztgenannten Referenten wird auf deren Veröffentlichungen im Kursbuch 155 „Neue Rechtsordnungen“, März 2004 hingewiesen.1 Gegen 18.00 Uhr soll bei Büffet und Getränken die Gelegenheit zum Gespräch in kleineren oder größeren Gruppen geboten werden. Wir bitten Euch/ Sie, das Datum schon jetzt zu notieren und hoffen, die Anreise durch die Terminierung auf Nachmittag und Abend auch für Auswärtige ermöglicht zu haben. Wer schon weiß, dass er oder sie kommt, möge der Geschäftsstelle kurz Bescheid geben. Am 26./ 27. März und am 14./15. Mai 2004 fanden in Köln und Wiesbaden - das Jubiläum schon im Blick - offene, durch Vorträge eingeleitete, Vorstandssitzungen statt. Der Vorstand wollte damit den Mitgliedern außerhalb von Hamburg und Berlin ermöglichen, an den vereinsinternen Diskussionen teilzunehmen. Wir werden auch zukünftig die Vorstandssitzungen durch Diskussionsbeiträge in Form von Referaten anreichern und wünschen uns Anregungen zu Themen (und Orten!). In Wiesbaden und im März sprach der Kollege Bernd Häusler über anwaltliches Berufsrecht im Zeitalter der Globalisierung. In Köln referierten der Kollege Michael Rosenthal vor etwa 35 Kolleginnen und Kollegen über Terrorismus-Verfahren nach dem 11. September 2001 sowie Martin Hantke über die Entwürfe zur EU-Verfassung. Die ersten Arbeitsergebnisse finden sich in diesem Info. Die kommende Vorstandssitzung am 27. und 28. August 2004 in Berlin wird sich mit der EU-Verfassung und Vorbereitung der 25-Jahrfeier befassen. Im März trafen sich in Köln Bürgerrechtsorganisationen, um die Zukunft der gemeinsamen Zusammenarbeit nach der Folterdebatte (2003), Krieg und Antiterror­ge­setzen (2001-2002) zu diskutieren. An diesem Treffen nahmen das Komitee für Grundrechte und Demokratie, die Humanistische Union, die Internationale Liga für Menschenrechte, die Gustav- Heinemann- Initiative, Vorgänge e.V. und Aktion Courage sowie für den RAV der Kollege Hilbrans teil. Geringe personelle Ressourcen und fehlendes professionelles Fundraising sind die Probleme aller Organisationen. Gemeinsame Presseerklärungen sind sicherlich nicht die schärfste Waffe in der politischen Auseinandersetzung. Gleichwohl bietet diese Form der Zusammenarbeit die Möglichkeit, innerhalb kurzer Zeit trotz begrenzter Mittel kompetent zu rechtspolitischen Entwicklungen Stellung zu nehmen. Wir hoffen, dass die Stellungnahmen, die wir regelmäßig als Presseerklärung versenden, den Mitgliedern per Email zur Verfügung stellen und auch auf unsere Homepage www.rav.de setzen, wahrgenommen werden und weisen darauf hin, dass wir den Informationsbrief nicht mehr zum Abdruck lediglich kurzzeitig aktueller Presseerklärungen nutzen. Auch in diesem Jahr tritt der RAV als Mitherausgeber zweier Neuerscheinungen auf. Zunächst ist auf die Neuauflage Hubert Heinholds Buch "Abschiebungshaft in Deutschland" hinzuweisen. Heinhold hat sein zuerst im Jahre 1996 veröffentlichtes Buch komplett überarbeitet und vermittelt einen Überblick über das Abschiebungshaft-Recht. Das Buch liefert neben dem Abdruck der Länder-Verwaltungsvorschriften und -Richtlinien, den „Soll-Bestand“, dem die Praxis nicht immer gerecht wird. Besondere Berücksichtigung finden Minderjährige und Frauen in der Abschiebungshaft sowie die Themen Tod in der Abschiebungshaft, Beendigung der Haft und Ausreisezentren. Das Buch ist über die Geschäftsstelle erhältlich, hat 350 Seiten, ist ein Paperback und kostet 19,90 EUR. Zudem sind wir einmal mehr stolz auf die Veröffentlichung des neuen Grundrechtereport 2004, der vor wenigen Wochen verschickt wurde. Wir sind seit 2002 Mitherausgeber des traditionsreichen Reports, der mittlerweile im Fischer-Verlag erscheint. Der Herausgeberkreis setzt sich aus der Humanistischen Union, der Gustav-Heinemann-Initiative, dem Bundesarbeitskreis kritischer Juragruppen, Pro Asyl, VDJ und RAV zusammen. Auch dies drückt die enge Zusammenarbeit mit den anderen Bürgerrechtsorganisationen aus. Unter den Autoren befinden sich die RAV-Mitglieder Martin Lemke, Sönke Hilbrans, Wolfgang Kaleck, Wolf Dieter Narr und Volker Eick hin. Volker Eick sitzt für den RAV in der Redaktion und Wolfgang Kaleck im Herausgeberkreis. Vorschläge für Themen des neuen Reports sind stets willkommen. Sodann verweisen wir auf das Werk Heiner Buschs und Wolf Dieter Narrs, "Die europäische Konstition des Neoliberalismus - Für eine demokratische europäische Verfassungsbewegung". Die Autoren halten eine Verfassung der EU für unbedingt erforderlich, kritisieren jedoch den Entwurf der Verfassung fundamental. Als Hauptziele der Verfassung machen sie die Freiheit des Kapitals, der Waren, der Dienstleistung und der Arbeit sowie ihren Schutz durch eine gemeinsame Militärpolitik und eine Zusammenarbeit der Polizeien sichtbar. Die Kritik hat durch die Verabschiedung der Verfassung nichts an Aktualität verloren. Die Broschüre ist über die Geschäftsstelle des RAV gegen eine Schutzgebühr von 10,- EUR erhältlich. Auf der Sitzung der Europäischen Demokratischen Anwälte am 23. Januar 2004 in Barcelona wurde die Gründung eines ständigen EDA- Sekretariates beschlossen. Die Regionalgruppe des RAV Berlin hatte hierzu den Vorschlag eingebracht, dem Präsidenten ein starkes, mehrsprachiges Sekretariat und einen Generalsekretär an die Seite zu stellen, damit die inhaltliche Auseinandersetzung in Absprache mit mehreren nationalen Anwaltsorganisationen intensiver vorbereitet und geführt werden kann. Der RAV verfügt mit der EDA über hervorragende europäische Kontakte, die in der Vergangenheit nicht dieser einzigartigen Organisationsstruktur entsprechend genutzt wurden. Durch die Wahl des neuen Präsidenten Gil Matamala aus Barcelona zum Präsidenten, Wolfgang Kaleck aus Berlin zum Generalsekretär und Bertrand Sayns aus Paris zum Geschäftsführer und der vielsprachigen Kollegin Maria Portugal zur Leiterin des Sekretariats in den Räumen des RAV in Berlin wird die Arbeit der EDA nun besser vermittelt und soll auf der europäischen Bühne gewichtiger wahrgenommen werden. Das Sekretariat ist jeweils Freitags von 9.00 – 14.00 Uhr telefonisch unter 030 42 71 35 56 sowie unter eda-aed@t-online.de erreichbar. Über die Arbeit der EDA und des Sekretariats werden wir regelmäßig unter www.rav.de berichten. Schwerpunkte der Arbeit des Sekretariats sind nach der Einarbeitungszeit die EU-Verfassung, der Krieg im Irak und der Europäische Haftbefehl. Die 92. Ausgabe des Informationsbriefs beginnt mit einer Bilanz Martin Hantkes zur EU-Verfassung. Hantke hielt diesen Artikel als Vortrag auf der Vorstandssitzung des RAV am 15. Mai in Köln. Er skizziert darin den Streit um den Verfassungsvertrag und macht deutlich, dass die Frage der Stimmgewichtung nur vordergründig und nur eines der Probleme sein wird, das wir mit dem Vertrag haben werden. Hantkes Bilanz befasst sich mit der Entstehungsgeschichte des Verfassungsvertrages, problematisiert die Proklamation von Grundsätzen und das Fehlen sozialer Grundrechte, die Militarisierung in der Dritten Säule sowie die neoliberale Wirtschaft und Sozialpolitik. Seine Bilanz schließt mit einem gemeinsamen Aufruf der Europäischen Demokratischen Anwälte. Wolfgang Kaleck befasst sich mit der EU-Terrorliste und mit der Frage, wie von der Aufnahme in diese Liste Betroffene gegen den Ministerrat vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorgehen. Kaleck wendet das Fehlen einer gemeinsamen verbindlichen Definition von Terrorismus auf UN-Ebene und das Kalkül bestimmter Staaten ein, aufständische Bewegungen oder Organisationen als terroristisch einzustufen. Die anhängigen Klagen vor dem EUGH verdeutlichen dieses Dilemma. Am 18. März 2004 ging nach fast dreijähriger Verhandlungsdauer der Berliner Prozess in Sachen "Revolutionäre Zellen" zu Ende. Das Kammergericht sah nach 174 Verhandlungstagen die Anklage der Bundesanwaltschaft in allen Punkten bestätigt. Von Zweifeln an der Glaubwürdigkeit und nachgewiesenen Falschaussagen des Kronzeugen Tarek Mousli wollte der Senat nicht wissen. Am Ende verhängt er mehrjährige Haftstrafen gegen die fünf Angeklagten. Hierzu berichten Martin Beck und Volker Eick. Der Hamburger Kriminologe Prof. Dr. Sebastian Scheerer hat noch immer etwas gegen die Prohibition einzuwenden. Scheerer plädiert für eine freiheitliche Drogenkultur und erkennt in der Prohibition das Reptil der Planwirtschaft. Sodann schreibt Ulrich v. Klinggräff über das § 129a Verfahren gegen die „RAF von der Elbe“ vor dem OLG Naumburg und einer „nicht restriktiven“ Anwendung des persönlichen Strafaufhebungsgrundes des § 129a Abs. 6 StGB. Dr. Helmut Kramer führt eine Auseinandersetzung mit dem bayerischen Strafvollzug und dem OLG Nürnberg („Rechtlos in Bayern“). Das OLG Nürnberg hat eine unter Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz eingelegte Beschwerde eines Strafgefangenen als unzulässig zurückgewiesen. In der Maiausgabe 2004 des Strafverteidigers Seite 277 f. machte das Bundesverfassungsgericht diesem Spuk ein Ende. Schließlich rezensiert Wolfgang Kaleck das von Kai Ambos und Jörg Arnold herausgegebene Buch ‚Der Irak-Krieg und das Völkerrecht’, ein Werk, das sich neben juristischer auch mit der philosophischen und politischen Legitimation des letztjährigen Irak-Krieges befasst. Viel Vergnügen bei der Lektüre des Informationsbriefs 92 wünschen Wolfgang Kaleck und Hannes Honecker

Fussnoten

1 Zu den beiden Referenten Günter und Bommarius wird auf deren Veröffentlichungen im Kursbuch 155 „Neue Rechtsordnungen“, März 2004 hingewiesen.