Wie die Politik das Recht opfert

Jörg Arnold Deutschland hilft beim verbotenen Angriffskrieg gegen Irak.
Jörg Arnold bewertet die deutsche Beteiligung an Awacs-Aufklärungsflügen, den Einsatz der Fuchs-Spürpanzer in Kuwait und die Gewährung von Überflugrechten als Unterstützung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges. Der Autor ist Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg und Mitglied im RAV. Bundeskanzler Gerhard Schröder behauptet, dass sich Deutschland an dem Krieg gegen Irak nicht beteiligt. Die Bündnisverpflichtungen aber müssten erfüllt werden. Dies sei ein oberstes politisches Gebot, das keiner "Juristerei" (Originalton Schröder) unterliege. Diese Auffassung veranlasst, folgendes in Erinnerung zu rufen: Recht hat Politik zu begrenzen. Das ist das oberste Gebot des demokratischen Rechtsstaates. Das Recht des demokratischen Rechtsstaates kontrolliert die Staatspolitik und hat die Aufgabe darüber zu wachen, dass politisches Handeln den Menschenrechten verpflichtet ist. Die Bundesregierung hat alles getan, um einen Krieg gegen Irak zu verhindern, hat aktive Friedenspolitik betrieben und sich dabei von dem absoluten Gewaltverbot der UN-Charta leiten lassen. Das war ein wichtiger Beitrag zur Wahrung des Völkerrechts. Politisches und rechtliches Handeln der Bundesregierung bildeten hier eine Einheit und standen im Einklang mit dem Bekenntnis in Artikel 1 des Grundgesetzes, dass das deutsche Volk dem Frieden in der Welt verpflichtet ist.
Umso bedauerlicher ist es, feststellen zu müssen, dass sich Deutschland unter Berufung auf die Bündnisverpflichtungen an dem Krieg gegen Irak durch die Hintertür doch beteiligt. Das rechtmäßige außenpolitische Handeln der Bundesregierung zu Verhinderung des Krieges erlaubt es nicht, vor den juristischen Konsequenzen der Einhaltung der Bündnisverpflichtungen die Augen zu verschließen. Dabei soll die schwierige Situation der Bundesregierung keinesfalls übersehen werden. Bundeskanzler Schröder spricht von einem "Balanceakt zwischen Nichtbeteiligung am Krieg und Einhaltung der Bündnisverpflichtungen". In Wirklichkeit stellt sich die Frage, wie die Bundesregierung ihr Verhältnis zu Staaten zu gestalten hat, die den Rechtszustand aufgekündigt haben und den Zustand des "Krieges eines jeden gegen jeden" (Hobbes) wieder herstellen wollen. Es ist dies die völlige Abkehr von Immanuel Kant und die Durchsetzung eines reinen Machtrechts. Wie muss die Bundesregierung darauf reagieren? Die Antwort kann nur sein, konsequent am Rechtszustand festzuhalten, das rechtmäßige außenpolitische Handeln fortzusetzen und dabei auch das Verfassungsrecht und das Strafrecht strikt zu beachten. Diese Antwort mag manchen zu radikal und als Gefährdung der deutsch-amerikanischen - politischen wie ökonomischen - Beziehungen erscheinen. Man wird sich dem Vorwurf des Fundamentalismus oder der Prinzipienreiterei aussetzen, wird sich anhören müssen, im Besitz allzu einfacher Wahrheiten zu sein, und dennoch wird man auf der konsequenten Einhaltung des Rechtszustandes beharren. Denn dies ist die einzige Antwort, um zu verhindern, dass der Naturzustand zu einem Weltzustand wird. So dramatisch wie das klingt, so dramatisch ist es auch.
Die Bundesregierung ist verpflichtet, den Krieg als das zu bezeichnen, was er ist, nämlich ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Darüber besteht unter den deutschen Völkerrechtlern weitgehende Übereinstimmung. War es beim Kosovo-Krieg und beim Krieg gegen Afghanistan noch umstritten, ob die Militäreinsätze der Nato vom Völkerrecht gedeckt waren, so bestehen bei dem Krieg gegen Irak keine Zweifel, dass er völkerrechtlich nicht gerechtfertig ist und es sich um einen eindeutigen Fall von Aggression handelt. Aufgrund dieses klaren Befundes ist es auch nicht möglich, sich einer solchen Einschätzung deswegen zu verweigern, weil es völkerrechtlich noch keine verbindliche Definition der Aggression gibt. Maßgebend ist hier der verfassungsrechtliche Begriff des Angriffskrieges, mit dem die Lehren aus der Aggression Nazi-Deutschlands gezogen wurden. So ist die Bundesregierung bei einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg nach der deutschen Verfassung verpflichtet, alles zu unterlassen, was einer Duldung und Unterstützung der Aggression gleichkommt und sich als Beihilfe zum Angriffskrieg erweist. Die Bündnisverpflichtungen stehen nicht über der Verfassung. Das allgemeine Friedensgebot und absolute Gewaltverbot der Verfassung geht Verpflichtungen aus internationalen Verträgen vor.
Hilfe zum Angriffskrieg ist bereits die Bereitstellung von AWACS-Aufklärungsflugzeugen mit deutschen Soldaten in der Türkei und zwar unabhängig davon, ob die Türkei aktive Kriegspartei ist oder nicht. Selbst wenn die Türkei als nicht aktive Kriegspartei geschützt werden soll, wird die Schutzmaßnahme durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg überhaupt erst ausgelöst. Der Schutz der Türkei aufgrund des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges ist in Wirklichkeit eine Unterstützung für die angreifenden Nato-Staaten durch die Bundesrepublik und nach dem Grundgesetz verboten. Denn diese Schutzmaßnahme bewegt sich nicht im Rahmen der Zweckbestimmung der Nato zur Friedenswahrung und Verteidigung, sondern im Rahmen der Aggression. Ähnlich verhält es sich mit dem Einsatz der Fuchs-Spürpanzer in Kuweit, der nicht mehr mit der ursprünglichen Zielstellung des Anti-Terrorkampfes in Übereinstimmung steht, sondern sich im Kontext des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges bewegt.
Erst recht ist die Gewährleistung von Überflugrechten und der Nutzung der Militärstützpunkte in Deutschland eine Duldung und Unterstützung des völkerrechtswidrigen Angriffs. Sie ist ein Verstoß gegen das innerstaatliche Friedensgebot des Grundgesetzes. Nach dem Zusatzabkommen zum Truppenstatut bestehen Überflugrechte und territoriale Bewegungsfreiheit nur im Einklang mit der deutschen Rechtsordnung. Da die Wahrnehmung dieser Rechte für einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg eine klare Verletzung von Artikel 26 des Grundgesetzes darstellt, ist die Bundesregierung sogar verpflichtet, die Überflugrechte und Nutzung der Militärstützpunkte zu verbieten.
Artikel 26 des Grundgesetzes fordert, friedenstörende Handlungen unter Strafe zu stellen. Dieser Auftrag des Grundgesetzes wurde bislang völlig unzureichend umgesetzt, weshalb es der Bundesregierung erleichtert wird, ihre Beteiligung an dem Krieg durch die Berufung auf die Bündnisverpflichtungen zu kaschieren. Strafbar sind nur die Vorbereitung eines Angriffskrieges (§ 80 StGB) sowie das Aufstacheln zum Angriffskrieg (§ 80a StGB). § 80 StGB ist eine Vorschrift der Straflosigkeit der Führung eines Angriffskrieges und der Beihilfe zum Angriffskrieg. Deswegen konnte der Generalbundesanwalt auf die Anzeigen nach § 80 StGB gegen Bundeskanzler Schröder und weitere Regierungsmitglieder auch gar nicht anders reagieren, als von der Einleitung von Ermittlungsverfahren abzusehen. Obwohl der Generalbundesanwalt sich nicht damit befasst hat, ob der Angriffskrieg gegen Irak völkerrechtswidrig ist, spricht er davon, dass bloße Duldungs- oder Unterlassungshandlungen nicht zu dem Begriff der Kriegsbeteiligung gehören würden. Diese Einschränkungen gelten jedoch nur für den höchst unzureichenden Friedensschutz im Strafrecht, nicht aber für die in Artikel 26 des Grundgesetzes untersagten Duldungen und Unterlassungen friedenstörender Maßnahmen. Trotz der Reaktion des Generalbundesanwaltes bleibt es dabei: Die Unterstützungen und Duldungen der Bundesregierung sind verfassungswidrig.
Damit das verfassungsrechtliche Verbot derartiger Handlungen künftig auch strafrechtlich abgesichert wird, muss eine Anpassung des Strafrechts an das Verfassungsrecht erfolgen, die auch den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Beteiligungsbegriffs genügt. Das Strafrecht selbst kennt bereits einen weitgehenden allgemeinen Begriff der Beihilfe, dessen Kern in der Förderung der rechtswidrigen Tat besteht. Schon wenn die Durchführung der Tat durch die Hilfe erleichtert wird, liegt strafbare Beihilfe vor. Auch dies ist bei einer neuen Strafvorschrift, die das allgemeine Friedensgebot des Grundgesetzes umfassend berücksichtigen muss, zu beachten. Wie von Anzeigeerstattern als Reaktion auf die Entscheidung des Generalbundesanwalts zu hören war, hatte man die Erwartung, dass § 80 des Strafgesetzbuches in dem Sinne von Artikel 26 des Grundgesetzes ausgelegt werden würde. Dem steht jedoch der eindeutige Wortlaut und die Entstehungsgeschichte der Strafvorschrift als eine Vorschrift der Straflosigkeit der Führung eines Angriffskrieges und der Beihilfe dazu entgegen. Bemerkenswert ist der Hinweis des Generalbundesanwaltes, dass mit der restriktiven unterhalb des Verfassungsauftrages bleibenden Auslegung des Artikel 26 Grundgesetz im Jahre 1968 auch verhindert werden sollte, dass der Präsident der USA wegen des Vietnamkrieges vor einem deutschen Gericht wegen "Friedensverrats" angeklagt werden kann. Das mag für erfolgversprechende Gesetzgebungsinitiativen nicht gerade ermutigend sein. Dennoch ist zu sehen, dass die Entwicklung eines menschenrechtsschützenden Strafrechts, sei es völkerstrafrechtlich etwa durch die Gründung des Völkerstrafgerichtshofes, sei es national durch den Erlass eines deutschen Völkerstrafgesetzbuches, seitdem weitergegangen ist, auch wenn das Aggressionsverbot der internationalen Strafgerichtsbarkeit noch nicht unterliegt. Wenn während des Krieges gegen Irak Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden, dann kann sich Präsident Bush zwar darauf berufen, dass er vor dem Internationalen Strafgerichtshof nicht zur Verantwortung gezogen werden darf, weil die USA das entsprechende Statut nicht ratifiziert haben. Nach Wegfall seiner Immunität könnte George Bush aber vor ein deutsches Gericht gestellt werden. Sollte sich die Duldung und Unterstützung des Angriffskrieges durch die deutsche Regierung gar als Beihilfe zu Kriegsverbrechen erweisen, dann bestünde insoweit schon im nationalen Recht dafür eine ausreichende Strafbarkeitsgrundlage. Sich dann mit den Bündnisverpflichtungen rechtfertigen zu wollen, ginge fehl. Insoweit sei an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes wegen der Todesschüsse an der Grenze der DDR zur Bundesrepublik erinnert. Die Mitglieder der DDR-Führung haben sich zu ihrer Verteidigung nicht zuletzt auf ihre Bündnisverpflichtungen berufen: Sie hätten aufgrund ihrer Einbindung in den Warschauer Pakt und ihrer Abhängigkeit von der Sowjetunion keine Möglichkeit gehabt, die Todesschüsse zu verhindern. Der Bundesgerichtshof hat dem entgegen gehalten, dass die Bündnisverpflichtungen nicht über das Menschenrecht auf Leben gestellt werden durften. Dies ist die konsequente strafrechtliche Umsetzung des Grundsatzes, dass das Recht der Politik nicht geopfert werden darf. Allerdings gilt dabei auch der Grundsatz, dass sehr genau geprüft werden muss, ob es sich um ein vorwerfbares Verhalten handelt, ob individuelle strafrechtliche Schuld festgestellt werden kann. An dieser Stelle müssen auch politische Zwänge berücksichtigt werden.