Rede zur Verleihung des Holtfort-Preises

Ulrike Donat Mein Einsatz wäre nicht möglich ohne den Rückhalt und die Unterstützung der vielen engagierten Menschen aus dem Wendland, nicht ohne die Unterstützung durch meine Kollegen und die meiner Tochter Lena, die schon als kleines Kind immer zurückgesteckt hat, wenn es "gegen den Castor" ging.
Mein spezieller Dank gilt zu allererst den Frauen vom Ermittlungsausschuss und ihrer häufig unsichtbaren Arbeit, außerdem all den Aktiven aus der Bürgerinitiative der Bäuerlichen Notgemeinschaft, den Ortsgruppen usw. für ihren 25-jähren Einsatz und ihren nie erlahmenden Mut.
Für die kollegiale und menschliche Unterstützung danke ich all den Anwälten aus dem Gorleben-Arbeitskreis, insbesondere Thomas Hauswaldt, Dieter Magsam und Willi Achelpöhler. Ich habe in letzer Zeit oft keine Lust mehr auf die frustrierenden Aktenberge der Gorleben-Akten und die sinnlosen Gespräche mit jungen Polizeibeamten auf der Straße, die mich über gesetzliche Vorschriften belehren wollen. Dann denke ich an all die engagierten Menschen hier, die zu Freunden geworden sind und die jedes Mal wieder ihren Kopf auf der Straße hinhalten für die Zukunft unserer Kinder und gegen diese wahnsinnige Technik. Ich denke an all die Kinder, die hier aufgewachsen sind mit dem inzwischen regelmäßigen Ausnahmezustand. Kinder, die schon als Erstklässler fragen mussten: "warum ist hier so viel Polizei, warum ist der Castor gefährlich" - und die jetzt als Jugendliche Bespitzelung auf dem Schulweg und Besetzung ihrer Schule erfahren müssen und all die, die dennoch fröhlich, gewaltfrei und entschieden schon mit 14, 15 Jahren eigenständig demonstrieren gehen. So viele wurden stundenlang rechtswidrig eingesperrt, eingeschüchtert und manche auch misshandelt (zuletzt bei den Ereignissen in der Freien Schule Hitzacker) - diese Jugend verdient nicht nur unseren Respekt, sondern auch unser Engagement, auch wenn wir manchmal müde sind, nach all den Jahren. Diese Preisverleihung kommt zu einer Zeit, in der ich zunehmend am Sinn meiner anwaltlichen Tätigkeit im Polizei- und Versammlungsrecht zweifele. Anders als Dieter Magsam kann ich nicht auf all die Freisprüche verweisen, sondern nur auf eine lange Liste ablehnender und vieler verzögerter und unerledigter Gerichtsentscheidungen. Jeder Millimeter Rechtsstaatlichkeit im Versammlungsrecht oder bei polizeilichen Freiheitsentziehungen wird uns erst gewährt, nachdem Berge von Akten produziert wurden - erhalten wir in Verfahrensfragen Recht, werden dennoch unsere Anträge aus anderen Gründen abgewiesen. Positive Gerichtsentscheidungen der Verwaltungsgerichte gab es nur bei den ersten Castor-Transporten, 1994 bis 1996, obwohl doch seitdem die Gründe für die Ablehnung der Transporte und der Atomtechnik wegen undichter Behälter und Terrorgefahr viel gewichtiger geworden sind. Die "kleinen" Erfolge sind unsichtbar versteckt im veränderten Umgang mit Menschen und Akten aber nicht plakativ zu finden in klaren Richterentscheidungen.
Statt Offenheit für die Besorgnis der Bevölkerung und Lust an ungebärdiger Demokratie zur Korrektur offensichtlich verfehlter Politikentscheidungen erlebe ich eine Entwicklung hin zum Verschwinden des Rechtsstaates, zum Verschwinden der bürgerlichen Freiheitsrechte und selbst eine Aufhebung der Gewaltenteilung. Diese Entwicklung hat trotz der Diskussion um die Europäische Grundrechtscharta Parallelen in der globalen Entwicklung, die von Wirtschaftsinteressen und Militär auch gegen die Interessen der Bevölkerung weltweit beherrscht wird. Schöne neue globalisierte Welt. Die Polizei versucht hier das Geschehen auf der Straße und in den Gerichten zu beherrschen, indem sie allgemeine und individuelle sog. Gefahrenprognosen durch ihre sehr eingeschränkte repressive Brille produziert. Kaum ein Gericht in den letzten Jahren setzt dem irgendwelche Grenzen. Anders als die Rechtsradikalen waren wir selbst beim Bundesverfassungsgericht erfolglos.
Auch jede polizeiliche Freiheitsentziehung ist nach Gesetz und Verfassung von einem Richter zu überprüfen. Jeder Castor-Transport ist mit Massenfestnahmen aus nichtigem Anlass verbunden. Während die höchstrichterliche Rechtsprechung seit 1996 einen umfassenden Grundrechtsschutz durch die Gerichte propagiert und die konstitutive Bedeutung der Richterentscheidung bei Freiheitsentziehungen betont, zeigen die örtlichen Gerichte ein "dickes Fell" und beziehen keine Position gegen Polizeiübergriffe. Nach meiner Kenntnis blieben hier alle nachträglich angestrengten Gerichtsverfahren auf Überprüfung dieser Massenfreiheitsentziehungen und gegen die Missachtung des Richtervorbehaltes bisher erfolglos. Akten verschwinden im Keller, die Verfahren werden verzögert, selten bekommen wir in Verfahrensfragen Recht, nicht aber in der Sache.
Selbst die Verhandlungen mit Polizisten auf der Straße, die früher lebendig waren und manchen Konflikt beilegen konnten, sind heute nur noch frustrierend. Jeder Polizist, der eigentlich etwas zu entscheiden hätte, läuft heute zum Bulli und fragt über Funk die Anweisungen der obersten Einsatzleiter ab. Die Polizei versucht auch, die Information in den Medien zu verzerren und zu beherrschen - leider ist dies zu oft erfolgreich. Meine Motivation wird immer wieder neu gespeist aus der Lebendigkeit der Bewegung auf der Straße, der Erfahrung von Zusammenhalt und Solidarität und der Verantwortung für all meine Lieben und die nachfolgenden Generationen. Ich danke Euch allen, Euch Mutigen, Unermüdlichen und Friedfertigen.
Recht haben - Recht bekommen: das war schon immer zweierlei. In der schönen neuen globalisierten Welt rangieren Profitinteressen vor allen anderen Werten. Dies sehen wie wir nicht zuletzt an der aktuellen Kriegsgefahr. Recht, Freiheit und Demokratie gab es noch nie von oben - Recht und Demokratie werden immer auf der Straße erobert. Nehmen wir uns die Freiheit. Das Land und die Welt gehören den Lebendigen.