Vorwort zu dem Tonbandmitschnitt

Anlässlich des 40. Jahrestages des 1. Frankfurter Auschwitzprozesses drucken wir einen Ausschnitt aus dem transkribierten Tonbandmitschnitten der Vernehmung des Zeugen Konrad Morgen, ehemaliger Obersturmbannführer und SS-Richter vom 25. Verhandlungstag am 9. März 1964 ab. Konrad Morgen, der nach 1945 als Rechtsanwalt in Frankfurt/Main tätig war, war schon im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess Zeuge. Damals, 1946 wurde er als Entlastungszeuge der Verteidigung zu der Frage vernommen, ob es sich bei der SS um eine verbrecherische Organisation gehandelt habe. Morgen hatte die SS von der Vernichtung reinwaschende These vertreten, der mit dem Aufbau der Vernichtungslager Sobibor, Treblinka und Belsec, SS-Angehörige Christian Wirth, sei hierzu nicht von Himmler, sondern von Hitler beauftragt worden.
Morgen, der in zahlreichen Vernichtungslagern ermittelte, der nach eigener Darstellung "Spezialist für Konzentrationslagerverbrechen" war, hatte schon früh Kontakt zu Wirth im Reichssicherheitshauptamt gehabt und war unmittelbar mit der Vernichtungspolitik vertraut.
Der Abdruck des Tonbandausschnitts verlangt zwei weitere Vorbemerkungen:
Bei der Aussage Morgens muss beachtet werden, dass er selbst die Motivation seiner Ermittlungen mit der Verhinderung des Mordens beschreibt. Ob dies je seine Motivation war, wird sich nicht klären lassen. Dann ist aber vor allem auffällig, dass Morgen, im Gegensatz zu vielen anderen, die behaupteten, man habe nichts tun können, sehr wohl etwas tun konnte. Morgens Ermittlungen führten zur kurzzeitigen Verbesserungen der Situation der Häftlinge; Morgen behauptet sogar, dass sie zu einer zeitweiligen Unterbrechung der Vergasungen geführt habe. Der Sanitätsdienstgrad, von dem sogleich die Rede sein wird, wurde durch ein SS-Gericht zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. (HH)

25. Verhandlungstag, 9.3.1964 - Die Vernehmung von Konrad Morgen

[...]
Vorsitzender Richter: Herr Doktor Morgen, Sie sind hier jetzt wiederholt genannt worden, und zwar als Richter bei der SS, als SS-Richter, der verschiedene Untersuchungen vorgenommen hat, und zwar Untersuchungen nicht nur in Auschwitz, sondern auch in anderen Lagern. Vielleicht können Sie uns mit einigen Worten sagen, wieso es zu diesen Untersuchungen gekommen ist, aber dann in erster Linie Ihr Interesse richten auf die Untersuchungen im Lager Auschwitz, die uns ja hier hauptsächlich von Bedeutung sind, uns dann sagen, was Sie dort an Mißständen gesehen haben und was Sie veranlaßt haben. Zeuge Konrad Morgen: Ich war als SS-Richter der Reserve etwa im Mai 1943 zum Reichskriminalpolizeiamt, Gruppe B, zur Bekämpfung von Kapitalverbrechen abkommandiert worden [...]
Nun zum Komplex Auschwitz: Meine Untersuchungen im Konzentrationslager Auschwitz wurden ausgelöst durch ein Feldpostpäckchen. Es war ein etwas kleineres, mehr langes als schmales Paket, gewöhnlicher Karton, das wahrscheinlich wegen seines ungeheuren Gewichtes bei der Feldpost aufgefallen war, und wegen seines Inhalts hatte ihn die Zollfahndung beschlagnahmt. Es enthielt nämlich drei Klumpen mit Gold. Gold war eine Devise, ablieferungspflichtig, und so ergab sich die Beschlagnahme durch die Zollfahndung. Absender war ein SDG, das heißt ein Sanitätsdienstgrad des Konzentrationslagers Auschwitz, und adressiert war dieses Paket an seine Frau. Er unterstand damit der SS- und Polizeigerichtsbarkeit, und mir wurde diese beschlagnahmte Sendung mit einem kurzen Anschreiben -- "zur weiteren Veranlassung", glaube ich, hieß es -- zugeleitet. Bei dem Gold handelte es sich um hochkarätiges Zahngold, das in einer primitiven Weise zusammengeschmolzen war. Es war ein sehr großer Klumpen, vielleicht in der Größe von zwei Fäusten, der andere war wesentlich kleiner, der dritte mehr unbedeutend. Aber immerhin, es war eine ganze Anzahl von Kilos. Ehe ich nun weiter etwas veranlaßte, überlegte ich mir die Sache. Zunächst war die Dreistigkeit, mit der hier der mir bis dahin unbekannte Täter vorgegangen war, verblüffend. Und es schien sich hier um eine ausgemachte Dummheit zu handeln. Aber je länger ich über die Sache nachdachte, glaubte ich, daß eine solche Auffassung den Täter unterschätzte. Denn immerhin: Bei Hunderttausenden von Feldpostpäckchen war die Chance sehr gering, daß nun ausgerechnet diese gefährliche Sendung beschlagnahmt und entdeckt werden würde. Sondern hier schien mir ein Zug einer raffinierten Primitivität und einer skrupellosen Rücksichtslosigkeit bei dem Täter vorzuwalten, ein Zug, der sich dann bei meinen späteren Ermittlungen im Konzentrationslager Auschwitz als richtig erweisen sollte. Denn nach dieser Methode wurde da eigentlich durchweg gearbeitet. Meine weitere Überlegung, die jagte mir allerdings einen nicht geringen Schauder den Rücken herunter, denn ein Kilogramm Gold besteht ja aus 1.000 Gramm. Ich wußte, daß die Zahnstationen der Konzentrationslager beauftragt waren, in den Krematorien das dort anfallende Gold der Leichenverbrennung zu sammeln und an die Reichsbank abzuführen. Und eine Goldplombe, das sind ja nur wenige Gramm. 1.000 Gramm oder mehrere Tausend Gramm bedeuteten also den Tod von mehreren Tausend Menschen. Aber es trägt ja nicht jeder Goldplomben, sondern in der damaligen, doch sehr armen Zeit nur ein gewisser Bruchteil. Und je nachdem, wie man schätzte, ob jeder Zwanzigste oder Fünfzigste oder Hundertste Gold im Mund trug, mußte man diese Zahl damit multiplizieren, und so stellte eigentlich diese beschlagnahmte Sendung sozusagen den Gegenwert von Zwanzig-oder Fünfzig- oder Hunderttausenden von Leichen dar. -- Ein erschütternder Gedanke. Aber das geradezu Unfaßbare daran war, daß der Täter unbemerkt derartig bedeutende Mengen beiseite bringen konnte. Und so wenig die Tat des Angeklagten aufgefallen war, so schloß ich weiter, so wenig konnte es da auffallen, daß da 50.000 oder 100.000 Menschen verschwunden und verascht worden waren. Eine natürliche Todesursache konnte hier ja nicht obwalten, sondern die Menschen, die mußten hier ermordet worden sein. Unter diesem Gesichtspunkt erfaßte ich erstmals, daß dieses damals kaum bekannte Auschwitz, dessen geographische Lage ich mit einigen Schwierigkeiten auf der Karte suchen mußte, eine der größten Menschenvernichtungsstätten sein mußte, die überhaupt die Welt gesehen hatte. -- Ich hätte diesen Vorgang der beschlagnahmten Goldsendung sehr einfach erledigen können. Die Beweisstücke waren ja nun überzeugend. Ich hätte den Täter verhaften lassen können und anklagen, und damit war der Sachverhalt erledigt. Aber nach meinen Überlegungen, die ich Ihnen kurz geschildert habe, mußte ich unbedingt mir das ansehen. Und ich fuhr deshalb, so schnell ich konnte, nach Auschwitz, um die Untersuchungen an Ort und Stelle zu führen. So stand ich dann an einem Vormittag auf dem Bahnhof in Auschwitz. Man erwartet unwillkürlich von einer Stätte, in der sich Ungeheuerliches, Unsagbares, Unvorstellbares vollzieht, daß irgendwie da Spuren sichtbar sein müßten, eine besondere Atmosphäre. Ich blieb deshalb längere Zeit auf dem Bahnhof stehen, um da irgend etwas zu sehen. Aber Auschwitz war eine kleine Stadt mit einem sehr großen Durchgangs- und Verschiebebahnhof, etwa wie Bebra. Es gingen dauernd Züge durch, Truppentransporte nach dem Osten, Verwundetentransporte kamen zurück, Kohlenzüge, Erzzüge, Güterzüge, auch Personenzüge. Die Menschen, die stiegen da aus, die jungen lustig, die älteren mürrisch, abgearbeitet, als wäre es die alltäglichste Sache von der Welt. Ich sah auch Häftlingstransporte in gestreiften Anzügen. Aber die gingen von Auschwitz weg, es kam keiner an. Nun, das Konzent-rationslager war nicht zu übersehen, aber von außen bot es auch nur den Anblick, den man von Kriegsgefangenenlagern oder anderen Konzentrationslagern gewohnt war: hohe Mauern, Stacheldraht, Wachtürme, Posten, die auf und ab gingen. Ein Tor, ein geschäftiges Treiben der Häftlinge, aber sonst nichts Auffälliges. Ich meldete mich bei dem Kommandanten, dem Obersturmbannführer Höß, ein etwas untersetzter, sehr wortkarger, einsilbiger Mann mit einem steinernen Gesicht. Ich hatte ihm meine Ankunft bereits durch Fernschreiben mitgeteilt und eröffnete ihm, daß ich hier Untersuchungen zu führen hätte. Er sagte etwa dem Sinne nach, daß ihnen eine ungeheuer harte Aufgabe übertragen sei, und dieser Aufgabe seien charakterlich nicht alle gewachsen. Er fragte dann kurz, wie ich beginnen wolle. Ich sagte ihm, ich müßte zunächst mal das ganze Lager besichtigen. Ehe ich eine Untersuchung in einem Konzentrationslager begann, habe ich mir das Lager allgemein und insbesondere seine Schwerpunkte da angesehen. Er sah kurz auf den Dienstplan, telefonierte, und es kam dann ein Hauptsturmführer. Und den wies er an, mich mit einem Wagen durch das Gelände zu fahren und mir alles zu zeigen, was ich sehen wollte. Ich fing mit dem Anfang vom Ende an, nämlich der Rampe in Birkenau. -- Die Rampe sah aus wie jede andere Rampe auf einem Güterbahnhof auch. Es war nichts besonderes daran festzustellen, und es waren auch gar keine besonderen Vorkehrungen irgendwie getroffen. Ich fragte deshalb meinen Führer, wie das nun vor sich ginge. Er erklärte mir, daß ein Transport, meistens Juden, vom Bahnhof, kurz vor der Ankunft, vorm Einlaufen in Auschwitz, dem Lager gemeldet wird. Darauf rückte eine Wachmannschaft aus, sperrte die Gleise und die Rampe ab. Dann wurden die Türen der Waggons geöffnet, die Ankömmlinge mußten aussteigen und ihr Gepäck absetzen. Männer und Frauen mußten sich getrennt aufstellen, und dann, erklärte er mir, würde zunächst nach Rabbinern gefragt. Rabbiner und sonstige bedeutende jüdische Persönlichkeiten wurden sofort ausgesondert, ins Lager gebracht, in eine Baracke, die sie für sich hatten. Ich habe sie später gesehen, es stimmte. Gut gehalten, sie brauchten nicht zu arbeiten, es wurde erwartet, daß sie möglichst viele Briefe und Postkartengrüße in alle Welt von Auschwitz schickten, um damit von vornherein jeden Verdacht, daß hier irgend so etwas Greuliches vor sich gehe, zu zerstreuen. Danach fragte man nach Spezialisten, die das Lager brauchte -- das Lager war ja mit großen Industriebetrieben verbunden --, die suchte man dann vorher aus. Und der Rest, der wurde dann nach arbeitsfähig, arbeitsunfähig getrennt. Die Arbeitsfähigen marschierten zu Fuß in das Lager Auschwitz, wurden dort regulär als Häftlinge aufgenommen, einge-kleidet, eingeteilt. Die andere Gruppe mußte auf Lastwagen Platz nehmen und ging sofort, ohne daß eine namentliche Feststellung erfolgte, in die Gaskammern nach Birkenau. Als schwarzen Witz erzählte mir mein Begleiter, daß, wenn man keine Zeit habe oder kein Arzt da sei, zu viele Ankömmlinge da seien, daß man dann auch gelegentlich ein Verfahren abkürze, man den Ankömmlingen dann sagte, in höflichen Worten, das Lager wäre doch einige Kilometer entfernt, und wer sich zu krank oder zu schwach fühle oder wem das Gehen zu unbequem sei, der könne auch hier von der Fahrgelegenheit, die das Lager bereitgestellt habe, Gebrauch machen. Darauf setzte dann ein Massenansturm auf die Fahrzeuge ein. Und nur diejenigen, die nicht mitkamen, die konnten dann in das Lager marschieren, während die anderen unbewußt den Tod gewählt hatten. --Von der Rampe folgten wir der Spur der Todesfrachten zum La-ger Birkenau, es lag einige Kilometer entfernt. Äußerlich war da auch nichts Auffälliges zu sehen: großer Maschendrahtzaun, etwas windschief, mit einem Posten. Dahinter lag das sogenannte Lager "Kanada", wo die Effekten der Opfer durchsucht, geordnet, weiterverwandt wurden. Man sah von den letzten Transporten noch einen Haufen aufgebrochener Koffer, Wäschestücke, Aktentaschen, aber auch ganze Zahnarzteinrichtungen, Schustereinrichtungen, Medikamententaschen liegen. Offensichtlich waren die sogenannten Evakuierten wirklich der Auffassung, sie würden im Osten, wie man es ihnen gesagt hatte, angesiedelt und fänden dort eine neue Existenz, und hatten dann das Notwendige dazu mitgebracht. -- Und dahinter lagen dann die Krematorien. Es waren einstöckige Hallen mit Satteldächern, die genausogut Werkschuppen oder kleine Werkstätten hätten sein können. Selbst die sehr breiten und massiven Schornsteine brauchten dem Laien nicht weiter aufzufallen, denn sie waren sehr niedrig, sie endeten kurz über dem Dach. Auf der Seite, wo die Lkws anfuhren, war der Boden schräg vertieft, etwa in Schulhofgröße, mit Schlacke bestreut und kurz abgestellt. Da fuhren die rein, so daß also ein Außenstehender, der diese Lastwagenkolonne sah, dann plötzlich nur feststellte, daß die in einer Bodensenkung verschwunden waren, ohne daß er aber nun feststellen konnte, wo die Transportierten abgeblieben waren -- auch wieder eine dieser raffinierten, im Grunde aber primitiven Vorsichtsmaßnahmen, die man als roten Faden durch die ganze Organisation immer wieder feststellen konnte. -- In dem Hof war ein Rudel, muß man sagen, jüdischer Häftlinge mit gelbem Stern, mit ihrem Kapo, der einen langen Knüppel trug, und die uns sofort umkreisten. Sie liefen dauernd so im Kreise da herum, gegenwärtig jeden Befehls und nach jedem Blick haschend. Und es schoß mir so durch den Kopf: Die verhalten sich ja genauso wie ein Rudel Schäferhunde. Und das sagte ich dann auch da meinem Begleiter, der darüber lachte und sagte, ja, das wäre auch die Aufgabe. Die Todesopfer, die sollten zunächst mal, indem sie also ihre Glaubensgenossen da sahen, Vertrauen haben. Und dieses Kommando hatte auch Anweisung, ja nicht die Ankömmlinge zu schlagen. Es sollte alles vermieden werden, damit keine Panik ausbricht. Sondern man sollte denen ein bißchen Angst und Respekt machen, im übrigen aber eben nur dasein und die da hinleiten und -führen, wo man sie haben wollte. Hinter dem Hof war ein großes Tor, das in die sogenannten Umkleidungsräume führte, ähnlich wie die Auskleidehalle von einer Turnhalle. Einfache Holzbänke standen da, mit Kleiderrechen, und auffälligerweise war jeder Platz numeriert, trug auch eine Garderobenmarke. Und man schärfte noch den Opfern ein, ja acht auf ihre Garderobe zu geben, die Garderobenmarke festzuhalten -- alles, um bis zur buchstäblich letzten Sekunde nicht den geringsten Verdacht aufkommen zu lassen und die Todesopfer ahnungslos in die ge-stellte Falle zu bringen. Dann an der Wand war ein großer Pfeil, der in einen Gang wies, und darauf stand kurz und bündig: "Zu den Duschräumen", und das wurde in sechs oder sieben Sprachen wiederholt. Man sagte denen also: Ihr kleidet euch aus und werdet geduscht und desinfiziert. Und an diesem Gang lagen dann verschiedene Kammern ohne jede Einrichtung, kahl, nackt, Zementfußboden. Auffällig und zunächst unerklärlich war nur, daß in der Mitte ein vergitterter Schacht stand, der bis zur Decke führte. Ich hatte zunächst dafür keine Erklärung, bis man mir sagte, daß durch eine Öffnung vom Dach aus Gas, und zwar in kristalliner Form, das Zyklon B, in diese Todeskammern gegossen würde. Bis zu diesem Moment war also der Häftling ahnungslos, und dann war es natürlich zu spät. Gegenüber den Gaskammern lagen die Leichenaufzüge, und diese führten dann nun in den ersten Stock oder, von der anderen Seite aus gesehen, in das ebenerdige Geschoß. -- Das eigentliche Krematorium war ein riesiger Saal, an dessen einer Seite in langer Reihe die Krematoriumsöfen standen, mit geplättetem Fußboden, alles atmete eine sachliche, neutrale, technische, wertfreie Atmosphäre aus. Es war alles spiegelblank, geleckt, und einige Häftlinge in Monteuranzügen, die polierten da ihre Armaturen, machten sich da künstlich Bewegung. Sonst war alles still und leer. Nachdem ich diese äußeren Einrichtungen gesehen hatte und irgendwie SS gar nicht in Erscheinung getreten war, interessierte mich natürlich, nun mal die SS Leute zu sehen und kennenzulernen, die diesen ganzen Apparat da verwalteten und in Betrieb hielten. Es wurde mir dann ein kurzer Blick in die sogenannte Wachstube des Lagers Birkenau gestattet, und hier habe ich dann zum ersten Mal einen wirklichen Schock erlitten. Sie wissen, eine militärische Wachstube, die zeichnet sich bei sämtlichen Armeen der Welt durch eine spartanische Einfachheit aus. Es steht da ein Schreibtisch, es hängen Anschläge, es sind da einige Pritschen da für diejenigen, die da abgelöst werden, Schreibtisch und Telefon. Aber das hier war anders. Es war ein niedriger, etwas schummriger Raum, und da standen bunt zusammengewürfelte Couchen herum. Und auf diesen Couchen, da lagen malerisch einige SS Leute, meistens untere Führerdienstgrade, und dösten da mit glasigen Augen vor sich hin. Ich hatte den Eindruck, daß sie die Nacht vorher ziemlich viel Alkohol genossen haben mußten. Statt eines Schreibtisches stand ein riesiger Hotelherd da, und auf diesem buken vier, fünf junge Mädchen Kartoffelpuffer. Es waren offensichtlich Jüdinnen, sehr schöne, orientalische Schönheiten, vollbusig, feurige Augen, trugen auch keine Häftlingskleider, sondern normales, ganz kokettes Zivil. Und die brachten nun ihren Paschas, die auf den Couchen da rumlagen und dösten, die Kartoffelpuffer und fragten besorgt, ob auch genügend Zucker darauf war, und fütterten die. -- Keiner nahm von mir und meinem Begleiter -- immerhin also doch einem Hauptmann -- Notiz. Es wurde keine Meldung gemacht, es ließ sich keiner stören. Und ich glaubte, meinen Ohren nicht zu trauen: Diese weiblichen Häftlinge und die SS, die duzten sich gegenseitig. Ich muß also wohl ziemlich entgeistert meinen Begleiter angeschaut haben. Der zuckte nur die Achseln und sagte: "Die Männer haben eine schwere Nacht hinter sich. Sie hatten einige Transporte abzufertigen." Ich glaube, so drückte er sich aus. Das bedeutete also, daß in der Nacht, während ich da im Zuge stehend nach Auschwitz fuhr, einige Tausend Menschen, einige Zugladungen voll hier vergast und verascht worden waren. Und von diesen Tausenden von Menschen, da war auch nicht das Stäubchen auf einer Ofenarmatur übriggeblieben. --- Nachdem ich also in Birkenau alles gesehen hatte, was es zu sehen gab, habe ich dann einen Rundgang durch das Lager gemacht. Was man da so auf die Schnelle gezeigt bekommt: irgendeine gut ausgesuchte Häftlingsstube oder -baracke, Kultureinrichtungen des Lagers, die es auch gab, -- der Krankenbau. Und dann ließ ich mich natürlich in den sogenannten Bunker unter anderem auch führen, und dabei wurde mir ganz offen und mit größter Bereitwilligkeit die sogenannte Schwarze Wand gezeigt, wo die Erschießungen stattfanden. --Nachdem ich das Lager besichtigt hatte -- es war mittlerweile Spätnachmittag geworden --, da schritt ich nun zur Aktion und ließ das ganze SS Krematoriumskommando in seiner Unterkunft vor den Spinden antreten und nahm eine Durchsuchung vor. Und wie ich mir es gedacht hatte, kam dann da einiges zum Vorschein: goldene Ringe, Münzen, Ketten, Kettchen, Perlen, so ziemlich sämtliche Währungen der Welt. Bei dem einen wenig "Souvenirs", wie der Betreffende sagte, bei dem anderen ein kleines Vermögen. Was ich aber nicht erwartet hatte, war, daß aus einem der zwei Spinde mir die Geschlechtsteile frisch ge-schlachteter Bullen entgegenfielen. Ich war zunächst völlig entgeistert und konnte mir also den Verwendungszweck nicht vorstellen. Bis mir der betreffende Spindinhaber errötend = tatsächlich, das gab es =, dann gestand, daß man sich das besorge zur Auffrischung der eigenen sexuellen Potenz. --- Nachdem ich also diese Durchsuchung vorgenommen und damit ziemlich das ganze Krematoriumskommando da festgenagelt, kurz vernommen hatte, war der Tag zu Ende. Und ich begab mich dann in meine Unterkunft. --
Verständlicherweise konnte ich in dieser Nacht kein Auge schließen, obwohl ich da schon einiges in Konzentrationslagern gesehen hatte, aber so etwas nun doch noch nicht. Und ich überlegte mir, was nun dagegen unternommen werden könnte. Der Laie neigt ja nun angesichts der scheinbaren Machtfülle eines Richters, eines Staatsanwaltes dazu, die Frage zu stellen: Warum hast du denn die Verantwortlichen, und zwar an höchster Stelle befindlichen, nicht sofort verhaftet und denen dieser entsetzlichen Verbrechen wegen den Prozeß gemacht? Ich darf die Laienbeisitzer zunächst daran erinnern, daß ja kein Richter außerhalb der Hauptverhandlung einer Strafsache die Macht hat, eine Verhaftung vorzunehmen. Sondern er ist darauf angewiesen, daß der zuständige Staatsanwalt einen Haftantrag stellt. Der Staatsanwalt muß in wichtigen Sachen seinem Vorgesetzten, dem Oberstaatsanwalt, dem Generalstaatsanwalt oder dem Bundesanwalt oder dem Justizminister berichten. Die Staatsanwaltschaft ist eine bürokratische Behörde, die weisungsgebunden ist, und es kann nicht irgendein Hilfsarbeiter einer Staatsanwaltschaft einfach den Antrag stellen, irgendwie eine bedeutende Persönlichkeit zu verhaften. Bei der SS- und Polizeigerichtsbarkeit lagen nun die Dinge ganz anders. Die SS- und Polizeigerichtsbarkeit war ja Kriegsgerichtsbarkeit, neben der Kriegsgerichtsbarkeit des Heeres, der Marine, der Luftwaffe, die Kriegsgerichtsbarkeit des vierten Wehrmachtsteiles, nämlich der Waffen SS und der Polizei in besonderem Einsatz. Die Kriegsgerichtsbarkeit ist ein Ausfluß der militärischen Kommandogewalt, von dieser abgeleitet und abhängig. Alle wichtigen Funktionen, die sonst das Gericht, mit unabhängigen Richtern besetzt, ausübt, liegen in den Händen des sogenannten Gerichtsherrn, das heißt des kommandierenden Generals. Und über ihm der Korps-, der Armeegeneral und als oberster Gerichtsherr der Oberbefehlshaber der Wehrmacht, damals Hitler. Der Gerichtsherr fertigt, unterschreibt einen Haftbefehl. Der Gerichtsherr ordnet die Eröffnung eines Verfahrens an. Der Gerichtsherr besetzt das Kriegsgericht. Er bestätigt oder verwirft Urteile, er ordnet die Vollstreckung an. Um also nun gegen Himmler oder Hitler, die Urheber dieser Verbrechen, vorgehen zu können, gerichtlich vorgehen zu können, hätte ich also bei Hitler selbst oder bei Himmler selbst einen Haftbefehl gegen sie selber beantragen müssen. Und selbst wenn er gegen sich selbst ein Verfahren eröffnet hätte, wäre es unmöglich gewesen, ein Gericht zusammenzustellen. Denn das Gericht mußte so besetzt sein: mit einem Beisitzer als Laienbeisitzer im Range des Angeklagten und mit einem Diensthöheren. Man hätte also einen Hitler als Beisitzer, einen Über-Hitler als zweiten Beisitzer gebraucht. Also, Sie sehen daraus, das war absolut unmöglich. Man mußte feststellen, daß Hitler sich in einem rechtsfreien Raum bewegte, in dem sämtliche Schranken der Gewaltenteilung aufgehoben waren, und er Reichskanzler, Reichspräsident, Oberbefehlshaber der Wehrmacht, oberster Gesetzgeber, oberstes Vollzugsor-gan, oberster Gerichtsherr, alles in einer Person darstellte. Vorsitzender Richter: Wir wollen an dieser Stelle unterbrechen, Herr Rechtsanwalt Doktor Morgen, und wollen um zwei Uhr wieder fortfahren. Ich bitte Sie, pünktlich wieder hier zu sein. Die Sitzung wird unterbrochen (---) [...]

Spendenaufruf

Der Auschwitz-Prozess in Frankfurt am Main, 20. Dezember 1963 bis 20. August 1965 Im Rahmen eines Forschungsprojekts zum 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess ("Strafsache gegen Mulka u. a.") wird das Fritz Bauer Institut, Frankfurt am Main, zusammen mit dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau den transkribierten und durch eine Inhaltserschließung (Verschlagwortung) zugänglich gemachten Tonbandmitschnitt der Hauptverhandlung des bedeutendsten NS-Prozesses vor einem deutschen Gericht in einer digitalen Edition (DVD) herausgeben.
Die Publikation umfasst die Aussagen von 319 Zeugen (430 Stunden Tonbandmitschnitt), die Schlussworte der 20 Angeklagten, die Plädoyers sowie die mündliche Urteilsbegründung. Hinzu kommen einführende Studien zur Geschichte des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau sowie zur Geschichte des Prozesses, Materialien zur Vor- und Nachgeschichte des Verfahrens aus den Hauptakten, Fotos, Faksimiles von Beweisurkunden, Karten, Lagerplänen, Audiofiles etc.
Die DVD wird im Frühjahr 2004 beim Verlag "Directmedia. Digitale Bibliothek" (Berlin) erscheinen. Für die Realisierung des Projekts ist das Fritz Bauer Institut auf Drittmittel angewiesen.
Das Fritz Bauer Institut bittet herzlich um Unterstützung des Projekts.

Spendenkonto:

Fritz Bauer Institut
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