»Wissen was ist, um zu wissen, was man tun muss«
Wie wir das Informationsfreiheitsgesetz anwaltlich nutzen können(1)
Anna Gilsbach, Vivian Kube, Hannah Vos, Philipp Schönberger
Dank des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) können wir wichtige Akten und wertvolle Erkenntnisse aus Behördenarchiven zu Tage fördern. Zum Beispiel Belege dafür, dass eine Behörde rechtswidrig gehandelt hat. Wann ein Antrag sinnvoll ist, worauf es dabei zu achten gilt und auch, wie das Ganze beschleunigt werden kann, erklären wir Euch in diesem Text. Er fasst unseren Workshop vom Kongress in Leipzig zusammen.
Man braucht nur einmal »Franziska Giffey« sagen, und viele erinnern sich sofort: Die ehemalige Bundesfamilienministerin hat weite Teile ihrer Doktorarbeit gefälscht. Als dies Anfang 2019 bekannt wurde, passierte: nicht viel. Die Freie Universität Berlin (FU) gab sich mit einer folgenlosen Rüge zufrieden, Giffey übte ihr Amt weiter aus.
Erst als der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der FU Ende 2020 den Bericht des Prüfgremiums veröffentlichte(2), wurde der Druck so groß, dass man ihre Arbeit erneut prüfte, ihr den Doktorgrad aberkannte und sie als Ministerin zurücktreten musste. Wie haben die Studierenden das geschafft? Sie haben eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) gestellt. Und rund elf Monate später hielten sie das kompromittierende Material in den Händen.
Geltung, Anwendung und Sinn des Gesetzes
Seit dem Jahr 2006 gewährt das Informationsfreiheitsgesetz jeder*jedem einen voraussetzungslosen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen des Bundes. Abgesehen von Bayern und Niedersachsen haben alle Bundesländer vergleichbare Gesetze, die Zugang zu Informationen der Landesbehörden ermöglichen. Das IFG soll laut der Gesetzesbegründung vor allem der Stärkung der demokratischen Meinungs- und Willensbildung dienen.(3)
In der Praxis können Informationsfreiheitsgesetze als Werkzeug zur Verfolgung verschiedenster Interessen eingesetzt werden. Zum Beispiel können sie zur Vorbereitung von Gerichtsverfahren genutzt werden; das ist durchaus verbreitet.(4) Oft sind das zivilrechtliche Verfahren gegen den Staat oder etwaige Konkurrent*innen, wie etwa im Fall von Maskenlieferungen während der Pandemie.(5)
Abgesehen vom Umweltrecht, in dem das Informationsfreiheitsrecht bei der Vertretung von Umweltverbänden bereits gut etabliert ist, nutzen das IFG bisher vor allem auf Wirtschaftsrecht ausgerichtete Kanzleien. Dabei bietet das IFG sehr großes Potential, auch die anwaltliche Arbeit etwa im Migrations-, Polizei- und Ordnungs- oder Versammlungsrecht zu unterstützen. Dieser Beitrag soll Inspirationen dafür liefern.
Welche Informationen kann ich durch das IFG bekommen?
Der Begriff der amtlichen Informationen ist weit. Grundsätzlich können alle bei Behörden vorhandenen und amtlichen Zwecken dienenden Aufzeichnungen mittels IFG-Antrag erlangt werden. Für die anwaltliche Tätigkeit können dabei beispielsweise Dienstanweisungen relevant sein, die Aufschluss über eine bestimmte Behördenpraxis geben. So kann die Rechtswidrigkeit staatlicher Handlungen im Einzelfall untermauert werden.
Oder aber die Unterlagen können Aufschluss darüber geben, ob in einem konkreten Fall gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen und von der üblichen Behördenpraxis abgewichen wurde.(6) Aber auch extern eingeholte Gutachten, die die Rechtmäßigkeit von Behördenhandeln beleuchten, oder Dokumente, die Behörden zu ihrer Entscheidungsgrundlage machen, können relevant sein.(7) Die Möglichkeiten sind endlos. Besonders lohnt sich eine IFG-Anfrage, wenn die Ergebnisse, unabhängig von einzelnen Fällen, von öffentlichem Interesse sind.
Wofür eignet sich das IFG nicht?
Wenig geeignet ist das IFG hingegen, um während einer laufenden Klagefrist im Zusammenhang mit der Bewertung der Erfolgsaussichten einer Klage Unterlagen zu erhalten. Dem steht die häufig lange Bearbeitungsdauer von IFG-Anträgen entgegen (hierzu später mehr). Vor der Beantragung gilt es also, vorausschauend zu denken und Dokumente zu identifizieren, die für eine Vielzahl von Verfahren von Interesse sein können.
Wie finde ich heraus, ob und wo es Informationen gibt, die für meine Arbeit relevant sind?
Häufig ergibt sich aus Medienberichten, ob und bei welcher Behörde Unterlagen zu bestimmten Themenkomplexen vorliegen. Im Übrigen ist es hilfreich zu wissen, dass Behörden gemäß § 11 Abs. 2 IFG ihre Pläne zur Strukturierung und Verwaltung der Akten veröffentlichen müssen. Zur Orientierung kann ein Blick in diese Aktenpläne helfen, ebenso können Antragsteller*innen in einem ersten Schritt eine Übersicht über vorhandene Dokumente zu einem bestimmten Themenkomplex beantragen. Über FragDenStaat wurden außerdem bereits circa 260.000 Anfragen gestellt, von denen die Mehrzahl öffentlich einsehbar und nach Schlagworten durchsuchbar ist.
Wie formuliere ich meinen Antrag?
Der Antrag sollte möglichst konkret formuliert sein und auf Informationen abzielen, über die die jeweilige Behörde tatsächlich verfügt. Die Beantwortung offen formulierter Fragen, die Bewertung von Sachverhalten sowie grundsätzlich die Generierung neuer, zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht existierender Informationen schulden Behörden nach dem IFG nicht. Werden die begehrten Informationen in Medienberichten erwähnt, empfiehlt es sich, im Antrag darauf Bezug zu nehmen.
Wie lange dauert das? Kann ich den Prozess beschleunigen?
Das IFG sieht vor, dass die Informationen unverzüglich zugänglich zu machen sind. Der Informationszugang soll innerhalb eines Monats erfolgen (§ 7 Abs. 5 Satz 1 und 2 IFG). Behörden halten dies in der Praxis jedoch nicht immer ein.
Außerdem können sich die Fristen verlängern, sofern Belange Dritter betroffen sind und diese in einem Drittbeteiligungsverfahren angehört werden müssen. Sind die Informationen mit Drittbezug (etwa personenbezogene Daten) ohnehin nicht von Interesse, können Antragsteller*innen das Verfahren beschleunigen, indem sie sich schon bei der Antragstellung damit einverstanden erklären, dass diese Teile der Unterlagen anonymisiert werden.
Auch wenn auf die Einhaltung der Bearbeitungsfristen kein subjektiver Anspruch besteht, hilft es, die Behörde auf die Fristen sowie nach Ablauf von drei Monaten, vgl. § 75 Satz 2 VwGO, auf die Möglichkeit der Erhebung einer Untätigkeitsklage hinzuweisen.
Wie umgehen mit einer Ablehnung meines Antrags?
Das IFG normiert einige grundsätzlich restriktiv auszulegende Ablehnungsgründe, die privaten oder öffentlichen Belangen dienen und aufgrund derer IFG-Anträge abgelehnt werden dürfen. Die Darlegungslast für das Vorliegen dieser Ablehnungsgründe liegt bei der Behörde.
Auch wenn das IFG mittlerweile kein neues Gesetz mehr ist, lässt die Bearbeitung der IFG-Anträge in Bundesbehörden zum Teil noch zu wünschen übrig. Ein Widerspruch und insbesondere der Gang vors Gericht sind insofern im Bereich der Informationsfreiheit gerade im Vergleich zu anderen Gebieten des öffentlichen Rechts verhältnismäßig häufig von Erfolg gekrönt und beeinflussen zudem die künftige Bearbeitung vergleichbarer IFG-Anträge.
Weitere Infos hier:
Handbuch Informationsfreiheitsrecht, herausgegeben von Maximilian Petras und Hannah Vos, Kiel University Publishing, 2023. Abrufbar unter: https://fragdenstaat.de/recht/handbuch-informationsfreiheit/
Anna Gilsbach, Rechtsanwältin in Berlin und RAV-Vorstand
Vivian Kube, Rechtsanwältin, FragDenStaat, Mitglied im RAV
Philipp Schönberger, FragDenStaat und Green Legal Impact, Mitglied im RAV
Hannah Vos, Rechtsanwältin, Head of Legal bei FragDenStaat
Endnoten
(1) In Erinnerung an das Konzert »Little Steven«, 1988 in Ostberlin.
(2) Mehr dazu findet ihr auf FragDenStaat:
https://fragdenstaat.de/anfrage/anfrage-zum-bericht-des-prufungsgremiums-zur-doktorarbeit-von-franziska-giffey/#nachricht-432773. Arne Semsrott von FragDenStaat erhielt später nach einer Klage auch das Gutachten, dass Franziska Giffey in Auftrag gegeben hatte, um die Vorwürfe zu entkräften. Mehr dazu hier: https://fragdenstaat.de/blog/2022/01/28/nach-gerichtsurteil-hier-ist-das-giffey-gutachten/
(3) BT-Drs. 15/4493, S. 6.
(4) Ziekow, Debus, Musch, Evaluation des IFG, S. 110, abrufbar unter: https://www.dgif.de/fileadmin/user_upload/2012/pdf/17_4_522_B_Evaluation_IFG_Bund.pdf.
(5) Vgl. zur rechtlichen Bewertung von IFG-Anträgen in diesem Zusammenhang VG Köln, Urteil vom 19. Januar 2023 - 13 K 2382/21.
(6) Etwa Dienstanweisungen für den Einsatz von Elektrotasern durch die Polizei in NRW, vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 24.August 2023 – 29 K 5628/21, https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/vg-duesseldorf-29k562821-taser-elektro-schocker-tod-gefahr-herzinfarkt-einsatz-dienst-polizei-nrw-reul/; Dienstanweisung für den Einsatz von Schmerzgriffen durch die Polizei Berlin, https://fragdenstaat.de/blog/2023/08/31/so-lernt-die-berliner-polizei-schmerzgriffe/; Dienstanweisungen des BAMF, https://www.asyl.net/recht/gesetzestexte/weisungen/dienstanweisung-asyl-da-asyl.
(7) Bspw. Lageberichte des Auswärtigen Amts, https://fragdenstaat.de/kampagnen/lageberichte/