Was bringen Delegationsreisen?
Reflektion über eine RAV-Fahrt in die kurdischen Gebiete der Türkei
Miriam Frieding
Anfang 2023 besuchten einige RAV-Mitglieder die kurdischen Gebiete in der Türkei. Sie informierten sich über die Lage der Gefangenen, sprachen mit Angehörigen Abdullah Öcalans und vielen Anwält*innen. Neben dem herzlichen Willkommen der Gastgeber*innen, Neugier und Respekt prägten die Reise auch Zweifel und Frust.
Ständig surren Militärhubschrauber über unseren Köpfen – beim Frühstück, während unserer Gespräche, beim Mittagessen, abends beim Wein, selbst mitten in der Nacht. Es hört nicht auf. »Sie wollen uns daran erinnern, dass unsere Geschwister und Kinder dort draußen sind und von ihnen beschossen werden«, erklärt Bünyamin Şeker von der Anwaltsvereinigung für die Freiheit (Özgürlükçü Hukukçular Derneği, kurz ÖHD). Mit »sie« meint Şeker das türkische Militär, das nicht nur die kurdischwe Bewegung, sondern auch die Zivilbevölkerung seit Langem terrorisiert.
Wir befinden uns in Amed, der inoffiziellen kurdischen Hauptstadt im Südosten der Türkei. Auf Türkisch heißt sie Diyarbakır. Es ist Januar 2023. Wir, das sind: Anya Lean, Martin Milan und ich, Miriam Frieding, die Autorin dieses Beitrags. Mit insgesamt 36 Personen reisen wir auf der »Internationalen Delegation gegen Isolation« in die Türkei. Unsere Gastgeber*innen der ÖHD stehen jederzeit für unsere Anliegen und Fragen bereit. Sie kümmern sich rührend um uns.
Neben uns RAV-Mitgliedern und anderen Jurist*innen auf der Delegationsreise mit dabei sind Journalist*innen und Aktivist*innen. Zwölf von uns sind in Amed unterwegs, zwölf in Istanbul und zwölf in Ankara. Wir treffen uns mit verschiedenen Organisationen und Einzelpersonen, um etwas über die Lage kurdischer Gefangener und die Isolationshaft von Abdullah Öcalan, dem Vorsitzenden der kurdischen Arbeiterpartei PKK, zu erfahren.
»Keine Erwartungen mehr«: Wir treffen Angehörige von Abdullah Öcalan
Am ersten Morgen, den 25. Januar 2023, treffen wir uns mit nahen Verwandten und einem der Rechtsanwälte von Öcalan im Konferenzraum eines Hotels in Amed. Öcalans Bruder Mehmet berichtet uns, dass sich sein Bruder bereits seit 24 Jahren im Inselgefängnis İmralı in Isolationshaft befindet. Jeglicher Kontakt zu ihm werde unterbunden.
Das letzte Lebenszeichen von seinem Bruder habe er bei einem kurzen Telefonat erhalten. Das sei am 25. März 2021 gewesen. Das Gespräch sei nach wenigen Minuten abgebrochen worden. Auch Öcalans Anwält*innen hätten seit mehr als vier Jahren keinen Kontakt mehr zu ihrem Mandanten und seinen drei Mitgefangenen Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş. Ob Öcalan überhaupt noch lebt, ist unklar. »Wir sind in großer Sorge um ihn«, sagt Mehmet Öcalan. Und: »Politisch habe ich keine Erwartungen mehr.«
»Ich weiß, wie wichtig dieses Treffen mit Eurer Delegation ist. Aber ich weiß auch, dass das nicht reicht«, so Mehmet Öcalan. Natürlich reicht das nicht. Wir werden bestürzt zurück nach Hause fahren, Berichte wie diesen schreiben und überall darauf aufmerksam machen, dass die Haftbedingungen gegen die UN-Antifolterkonvention und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen.
Mehmet Öcalan wird weiteren Delegationsgruppen aus Europa von seinem Bruder berichten. Was also können wir mit dieser Reise erreichen? Die UN oder der Europarat werden nicht allein aufgrund unserer Berichte Druck auf die türkische Regierung ausüben und die Einhaltung internationalen Rechts verlangen. Traurig und frustriert schweife ich während dieses Gesprächs mit meinen Gedanken ab.
Dann berichtet Mehmet Öcalan Genaueres über die Gefängnis-Insel. Ich horche auf. »Auf İmralı gilt kein Recht, alles, was dort geschieht, ist allein politisch (…) Und was auf İmralı beginnt, breitet sich nach und nach auf das ganze Land aus.« Damit meint Mehmet Öcalan, dass insbesondere seit dem gescheiterten Putschversuch im Jahr 2016, politische Gefangene in der Türkei unter menschen- und völkerrechtswidrigen Haftbedingungen eingesperrt sind. Kontakt zu Verwandten und Anwält*innen wird erschwert, eingeschränkt oder ganz verhindert. Eine Praxis, von der wir in den nächsten Tagen immer wieder hören.
Mehmet Öcalan hofft auf die europäischen Institutionen
Mehmet Öcalan sagt, seine letzte Hoffnung gelte den europäischen Institutionen. 2019 rügte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die fehlenden Kontaktmöglichkeiten der İmralı-Gefangenen zur Außenwelt. Daraufhin wurden immerhin für kurze Zeit Besuche ermöglicht. Beispiele wie dieses ermutigen mich. Über eine Beschwerde beim EGMR vom Juli 2020 des in Istanbul ansässigen Anwaltsbüros Asrın über die fehlenden Kontaktmöglichkeiten für Gefangene auf İmralı steht noch eine Entscheidung aus.
Das Antifolterkomitee des Europarats (CPT) hat die Gefängnisinsel İmralı bereits im Herbst 2022 besucht, doch bis heute macht es keine Angaben zum Zustand von Öcalan und seinen drei Mitgefangenen. Die Aufgabe des CPT besteht darin, europaweit Haftanstalten besuchen, Berichte zu verfassen sowie konkrete Empfehlungen und Verbesserungsvorschläge abzugeben. Der besuchte Staat erhält vorab Gelegenheit zur Stellungnahme. Veröffentlicht werden die Berichte allerdings grundsätzlich nur mit der Zustimmung des überprüften Staates. Ziel der Untersuchungen und Veröffentlichungen ist die Identifizierung »riskanter Situationen«.
Weil das Komitee zu İmralı noch nichts veröffentlicht hat, ist davon auszugehen, dass die Türkei dem nicht zugestimmt hat. Bemerkenswert daran ist: Das bleibt folgenlos. Es hat keine Konsequenzen, weder weitere Untersuchungen noch anderweitige Stellungnahmen des Europarats.
Sowohl Mehmet Öcalan als auch wir von der Delegation wissen, dass wir das nicht ändern können. Wir werden ein paar Menschen in Europa erreichen, die für solche Themen ohnehin offen sind. Angesichts dessen fühlt es sich sinnlos an, die Zeit dieser Menschen mit unserer Anwesenheit zu vergeuden. Und doch, denke ich, verfügen die Menschen, die uns eingeladen haben, über viele Erfahrungen. Sie dürften keine Illusionen haben über das, was wir mit unseren Berichten (nicht) erreichen können. Sie haben sich entschieden, uns trotzdem einzuladen, sie müssen es für wichtig erachten.
»Ich habe meinen Sohn seit acht Jahren nicht gesehen«
Als nächstes lernen wir Faika Aktaş kennen, die Mutter von Veysi Aktaş. Er arbeitete eng mit Öcalan zusammen und wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er »einen Teil des unter Staatshoheit stehenden Territoriums von der Staatsverwaltung abgetrennt« haben soll. Die 81-Jährige erklärt, dass ihr Kind seit 28 Jahren eingesperrt sei. Und seit 2015 auf İmralı. Vorher saß er in Haftanstalten in Adıyaman, Burdur, Elbistan, Istanbul und Kırıkkale. Zwanzig Jahre lang war die Kommunikation mit ihm wohl recht problemlos möglich.
Jetzt hat Aktaş ihren Sohn seit acht Jahren nicht mehr gesehen und auch sonst keinen Kontakt zu ihm. »Ich weiß nicht, ob er lebt. Es gelangt ja kein einziges Wort der Gefangenen von dieser Insel. Selbst, dass sein Vater vor zwei Monaten gestorben ist, konnte ich ihm nicht mitteilen«, so die Witwe. Das Treffen dauert lange und ist sichtlich anstrengend für die betagte Frau. Es fällt ihr schwer, so lange zu sitzen. Als wir über das CPT sprechen, bringt sie Ärger und Enttäuschung zum Ausdruck. »Das CPT ist gekommen, aber es ist nichts passiert«.
Sie beendet ihren Bericht mit den Worten: »Das Wichtigste ist, dass Frieden kommt. Auch wenn ich ihn aufgrund meines Alters wohl nicht mehr erleben werde.« Den Frauen aus der Delegation schenkt sie nach der Veranstaltung Wollsocken, die sie selbst gestrickt hat. Sie sagt, wie froh und dankbar sie sei, dass wir gekommen seien, das sei so wichtig und sie wünsche uns nur das Beste. Ich frage mich, wie ich ihrer Hoffnung und ihrem Vertrauen in uns gerecht werden kann. Und gleichzeitig gibt sie uns das Gefühl, als hätten wir das bereits getan.
Die Türkei hält 10.000 kurdische politische Gefangene
Am Nachmittag sitzen wir in den Räumen von Med-Tuhad-Fed im Kreis. Der Verein setzt sich für die Rechte von Gefangenen ein und unterstützt deren Familien. Eigentlich hätte uns die damalige Co-Vorsitzende Emine Kaya empfangen sollen. Doch sie sitzt inzwischen selbst in Untersuchungshaft. So empfängt uns Safiye Akdağ. Nach unserer Abreise wird sie zur neuen Co-Vorsitzenden von Med-Tuahd-Fed gewählt. »Wir stehen mal wieder unter Druck der Regierung«, sagt Akdağ und berichtet uns, wie der Verein nach dem Putsch 2016 geschlossen und dann in sieben Städten wiederaufgebaut wurde.
Ihr Verein geht von etwa 10.000 kurdischen politischen Gefangenen in der Türkei aus. Insgesamt soll es im Land mehr als 300.000 Gefangene geben. Die Gefängnisse sind überbelegt. In Deutschland, mit einer grob vergleichbaren Einwohnerzahl, waren 2022 insgesamt 42.492 Menschen inhaftiert.
Akdağ stellt uns weitere Vereinsmitglieder vor. Hanifi Eser und Rojbin Perişan. Sie sind gerade aus 30-jähriger Haft entlassen worden. Sie wurden unter anderem für Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Ich glaube, die lange Haftzeit in ihren Gesichtern und ihrer Körperhaltung lesen zu können, und dass sie die Freiheit vielleicht noch nicht richtig realisiert haben.
Freuen sie sich gar nicht über ihre Entlassung?
Freudestrahlend wirken sie auf mich nicht gerade. Die ganze Welt hat sich in den letzten 30 Jahren verändert. Nur die Situation der Kurden nicht. Ich habe keine Vorstellung davon, wie sich eine Entlassung nach so langer Zeit anfühlt, ich frage es aber auch nicht. Es erscheint mir unangebracht, vor so vielen Menschen, so kurz nach der Entlassung, eine solch persönliche und sensible Frage zu stellen.
Eser und Perişan saßen in unzähligen Gefängnissen. »Die Situation ist in anderen Anstalten sehr ähnlich wie auf İmralı«, bestätigt Eser das, was Mehmet Öcalan uns bereits gesagt hat. »Auch in den Hochsicherheitsgefängnissen, genannt ›Typ F‹, in die politische Gefangene gebracht werden, verweigert man ihnen den Kontakt zu ihren Angehörigen und Rechtsanwält*innen sowie auch den Kontakt untereinander«, sagt der frisch Entlassene.
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International kritisieren die zum Teil isolationshaftähnlichen Bedingungen. Auch das CPT veröffentlichte dazu 2005 einen Bericht. Dieser besagt, dass isolationsähnliche Haft in den Typ-F-Gefängnissen eine unmenschliche Behandlung darstellt, die sehr schädliche Auswirkungen auf die betroffene Person haben könne.
»Alle diese Gefängnisse liegen weit entfernt von den kurdischen Gebieten«, führt Akdağ aus. »Das macht es den Verwandten schwer, ihr Besuchsrecht wahrzunehmen. Die weiten Reisen sind teuer und dauern lange. Nicht jede*r kann für einen einzigen Besuchstermin drei Tage der Arbeit fernbleiben oder die Kinder so lange allein lassen.«
Eser sagt, dass neben der psychischen Folter in Form von Isolationshaft dem Verein auch immer wieder von Fällen physischer Folter berichtet werde. Zudem würden die Gefangenen mangelhaft medizinisch versorgt. »Die Haftbedingungen machen Gefangene krank, physisch und psychisch«, so Eser. »Sie können nicht ausreichend an die frische Luft. Selbst Schwerstkranke werden oft nicht ins Krankenhaus gebracht und werden erst kurz vor ihrem Tod entlassen. Med-Tuhad-Fed listet rund 200 Gefangene, die aktuell auf wichtige Behandlung warten und diese nicht erhalten.«
Die Türkei behandelt Anwält*innen wie Terroristen
Am nächsten Tag besuchen wir unsere Kolleg*innen vom ÖHD in deren Vereinsräumen. Die Kollegin Özüm Vurgun erzählt, dass auch sie aufgrund ihrer Arbeit als Anwältin, so wie die meisten bei der ÖHD, schon in Haft war. Der Staat identifiziere sie mit den Taten, die er ihren Mandant*innen vorwerfe. »Früher oder später werden auch wir Menschenrechtsanwält*innen in der Türkei alle inhaftiert,« prophezeit Vurgun in für mich schockierend nüchternem Ton.
Zur Erinnerung: Gemäß Artikel 18 der UN-Grundprinzipien dürfen Rechtsanwält*innen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgabe nicht mit ihren Mandant*innen oder mit deren Angelegenheiten identifiziert werden. Dieses fundamentale Prinzip schützt nicht nur die Anwält*innenschaft als Organ der Rechtspflege, sondern insbesondere die Menschen, die sie vertreten, und nicht zuletzt die Rechtsstaatlichkeit als solche.
Die Kriminalisierung der Rechtsbeistände stellt massive Repression gegen alle dar, die mit einem politischen Vorwurf konfrontiert werden. Die Gefahr ist, dass in einem solchen Klima nur noch wenige Rechtsanwält*innen bereit sind, Mandate in diesem Feld zu übernehmen. Zudem stehen die Beschuldigten plötzlich ohne Anwält*in da, wenn sich diese selbst mit einem Strafverfahren konfrontiert sieht.
Je mehr ich über die katastrophalen Bedingungen in der Türkei erfahren habe, desto weiter ist mein Respekt vor den Kolleg*innen dort gewachsen. Es beeindruckt mich zutiefst, wie sie ihren Beruf trotz allem im Sinne ihrer Mandant*innen ausüben. Ich bin mir sicher, sie werden immer weitermachen. Auch Vurgun und Şeker, die kurz nach unserer Abreise, ganz wie sie es prophezeit hatten, in Untersuchungshaft landeten, weil sie zum Thema Repression gegen Rechtsanwält*innen recherchiert haben.
Wir ziehen Bilanz auf dem RAV-Kongress
Ein halbes Jahr später fassen wir unsere Erfahrungen auf einem Panel beim RAV-Kongress in Leipzig zusammen und werfen einige für uns ungelöste Fragen auf, zum Beispiel: Hat unsere Reise Ressourcen verbraucht, die an anderer Stelle womöglich akuter benötigt und direkter hätten eingesetzt werden können? Unsere Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, sind gering, was können unsere Berichte bewirken?
Mit dabei sind erfreulicherweise zwei Kolleg*innen: Ruken Gülağacı vom ÖHD in Istanbul und Juan Prosper aus Paris, Mitglied bei den Europäischen Demokratischen Anwält*innen (EDA) und beim S.A.F. (Le Syndicat des Avocats de France). Die EDA ist eine Vernetzung von linken europäischen Anwaltsvereinigungen. RAV, ÖHD und S.A.F sind Mitglieder dieser Vereinigung (http://www.aeud.org/).
Gülağacı antwortet auf meine Fragen: »Für uns ist wichtig zu wissen, dass wir nicht allein sind, dass es außerhalb der Türkei Menschen interessiert, was mit uns passiert. Das gibt uns Kraft und Hoffnung, um weiter zu machen – und internationale Aufmerksamkeit kann durchaus etwas bewirken!«
Prosper ergänzt, er erlebe immer wieder, dass die Prozessbeobachtung im Rahmen von Delegationsreisen zwar nicht unbedingt den Ausgang, aber zumindest den Verlauf des Prozesses beeinflusse. »Die Richter und die Politik wollen keine internationale Aufmerksamkeit und Berichterstattung über mangelnde Rechtsstaatlichkeit. Die Gerichte bemühen sich deshalb zumindest vordergründig, Verfahrensgrundsätze besser einzuhalten, wenn ausländische Delegierte dabei sind«, so Prosper weiter. »Unsere
Kolleg*innen bestätigen uns ständig, wie froh sie sind, dass wir da sind. Sie sagen, unsere Anwesenheit gebe ihnen Sicherheit vor absoluter Willkür.«
Was Delegationsreisen bringen
Eine Erfolgsgeschichte erzählt eine Workshop-Teilnehmerin von einer Delegationsreise, an der der RAV 2011 beteiligt war (https://www.rav.de/publikationen/rav-infobriefe/infobrief-106-2011/ausgang-trotz-freispruch-weiter-ungewiss): Damals wurde der Fall der Soziologin Pınar Selek verhandelt. Die Prozessbeobachtung schaffte anhaltende internationale Aufmerksamkeit, trotz der langen Verfahrensdauer und ständig neuen Gerichten. Letztlich wurde Selek 2014 freigesprochen. Das sei ein großer Erfolg gewesen, den die Teilnehmerin auch auf die internationale Aufmerksamkeit zurückführt.
Das Panel war super. Bei allen Ohnmachtsgefühlen wurde mir dadurch klar, dass Vernetzung und Bündnisse für unsere politischen Anliegen unverzichtbar sind. Auch wenn wir als RAV nicht das CPT oder den Europarat zum Handeln bewegen werden, können wir dennoch unsere Stimme erheben.
Vereinigungen wie der RAV, die EDA und auch Rechtsanwaltskammern geben uns die Möglichkeit, unsere Kräfte zu bündeln, beharrlich an Themen dran zu bleiben und gemeinsame Forderungen aufzustellen. Der RAV wurde gegründet, als Strafverteidiger*innen, die RAF-Angehörige verteidigten, selbst der staatlichen Verfolgung ausgesetzt waren. In Vereinigungen können wir uns organisieren, gegenseitig unterstützen und politische Veränderung erreichen. Warum sollte diese Vernetzung an Staatsgrenzen aufhören?
Die Tatsache, dass ich vor Ort in den kurdischen Gebieten mit Menschen gesprochen habe, bringt mich den Kolleg*innen näher und gibt mir ein besseres Verständnis ihrer Situation. Sollte sich die Lage in Europa und Deutschland massiv verschlechtern und Strafverteidiger*innen aufgrund ihrer Tätigkeit kriminalisiert werden, würden unsere Kolleg*innen aus den anderen Ländern bestimmt auch reagieren.
Was wir in der Zukunft beachten sollten
Unterm Strich finde ich es wichtig, dass wir uns kontinuierlich vernetzen. Dennoch sollten wir solche Reisen in Zukunft gezielter planen, um mehr aus ihnen zu machen. Viele von uns Teilnehmenden hätten sich zum Beispiel gewünscht, dass wir uns als Delegation schon vor der Abfahrt mehr zum Ziel und zum Ablauf ausgetauscht hätten. Dann hätten wir vor Ort sicher bessere Fragen stellen, die Presse einbeziehen und im Anschluss aktiver sein können. Und dann hätte ich unsere Reise sicherlich noch sinnvoller gefunden.
Miriam Frieding ist RAV-Mitglied und als Anwältin für Aufenthalts- und Familienrecht in einem Berliner Anwält*innenkollektiv tätig. Seit ihren Auslandssemestern an der Akdeniz Üniversitesi in Antalya interessiert sie sich für die politischen Entwicklungen in der Türkei und in Kurdistan