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Wohnungslos in der Krise

Positionen zu Gesundheit, Geld und Gender

Wohnungslosen_Stiftung

Vom 28. bis zum 31. Oktober 2022 trafen sich im Naturfreundehaus in Hannover siebenundzwanzig überwiegend wohnungslose oder ehemals wohnungslose Menschen zu einem offenen Netzwerktreffen, zu dem die Wohnungslosen_Stiftung eingeladen hatte.
Auf dem Treffen wurde nach einer kurzen Vorstellungsrunde und Themensammlung in drei Arbeitsgruppen gearbeitet zu den Themen ›Gesundheit‹, ›Lobbyarbeit‹ und ›Raus aus der Wohnungslosigkeit‹. Darüber hinaus gab es ein offenes ›Ad-Hoc Frauentreffen‹.

Positionspapier Gesundheit

Menschen, die auf der Straße leben müssen, sind Gefahren schutzlos ausgeliefert. Extreme Wetterbedingungen, wie Hitze, Kälte und Starkregen sind gesundheitsschädlich und können tödlich sein. Erkrankungen in Folge dieser Lebensumstände müssen auf der Straße ausgehalten werden. Dazu kommen grundlose oder provozierte Aggressionen und Gewaltattacken gegen Menschen ohne Obdach.
Die zur Unterbringung eingerichteten Kälte- bzw. Hitzeeinrichtungen und Notunterkünfte sind völlig unzureichend. Es fehlt an Kapazitäten jeglicher Art. Es fehlt auch an frei zugänglichen Hygiene-Zentren in Brennpunkten. Die derzeitige Praxis der zeitlichen Begrenzung des Aufenthalts in der Notunterkünfte ist menschenunwürdig.
Auch unter wohnungslosen Menschen gibt es Menschen mit Behinderungen und/oder Pflegegrad. Oft werden Menschen mit Beeinträchtigungen oder in besonderen Umständen oder mit Haustieren von diesen Einrichtungen ausgeschlossen. Ebenfalls ist der Zugang zu sanitären Einrichtungen mit erheblichen Hindernissen verbunden. Auch wohnungslose Menschen benötigen rund um die Uhr Zugang zu Duschen, Toiletten sowie sichere Rückzugsmöglichkeiten.
Zudem werden die Menschen, die das aushalten müssen, zunehmend aus den Innenstädten verdrängt. Die Methoden dafür sind perfide: aufdringliche Musik an Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen, Stacheln unter Brücken, Trennbügel auf Bänken, nächtliche Schließung von öffentlichen Grünanlagen, Sprinkleranlagen in Torbögen usw. Das alles muss aufhören.
Die Wohnungslosenhilfe ist – auch angesichts ständig steigender Zahlen – so lückenhaft aufgestellt, dass eine individuelle Betreuung/ Beratung/ Unterstützung und Soforthilfe immer weniger gewährleistet werden kann. Das muss abgestellt werden.
Solange die Wohnungslosigkeit nicht konsequent und planvoll beendet wird, gibt es große Probleme, die dringend in Angriff genommen werden müssen. Menschen ohne festen Wohnsitz müssen schnellstmöglich bedingungslos Zugang zur Gesundheitsversorgung erhalten.

Deswegen stellen wir folgende Kernforderungen auf:

  • Bedingungslose Gesundheitsversorgung für alle. Freier Zugang zu medizinischer Versorgung und ärztlicher Behandlung. Die Finanzierung kann nicht zu Lasten von armutsbetroffenen Menschen gehen. Die Behandlung sollte unabhängig von der Abrechnung erfolgen.
  • Soziale Gerechtigkeit durch Wohnungen zum Schutz der Gesundheit. Wohnungen für, statt Zählungen von Wohnungslosen.
  • Solange nicht alle mit Wohnungen versorgt sind: Uneingeschränkter Zugang zu Notunterkünften. Recht auf Einzelunterbringung von Mensch und Tier, keine Trennung von Paaren und Familien.
  • Bedingungsloser Schutz vor jeglicher Gewalt (körperliche und geistige Gewaltanwendung und Schadenszufügung, Misshandlung, Verwahrlosung, Vernachlässigung, schlechte Behandlung, Ausbeutung einschließlich sexuellem Missbrauch usw.).
 

Positionspapier Netzwerkarbeit & Lobbyarbeit

Es gibt einige Netzwerke wohnungsloser Menschen, die alleine oder im Verbund für ihre Rechte kämpfen. Es ist notwendig, uns zu vernetzten und besser zusammen zu arbeiten. Konflikte oder Konkurrenzen der Netze untereinander sind wir bereit zurück zu stellen, und stattdessen wollen wir uns auf das gemeinsame Ziel – Überwindung und Verhinderung von Wohnungslosigkeit – konzentrieren: Solange die Richtung stimmt, ist alles gut! Wir wollen gemeinsam dauerhaft die Stimme erheben, laut werden, unsere Ansprüche anmelden und politischen Druck ausüben. Dazu gehört auch, andere Gruppen und öffentlich bekannte Menschen anzusprechen und deren Reichweite und Bekanntheit einzubeziehen.
Zur Überwindung von Wohnungslosigkeit ist jeder einzelne Beitrag und jeder Ansatz wichtig und wünschenswert, gehört zu werden. Die besondere Kernkompetenz von wohnungslosen Menschen, obdachlosen Menschen, Menschen in Wohnungsnotfällen und Menschen mit Lebensmittelpunkt Straße bzw. Brücke oder auch Nomaden besteht darin, dass wir unsere eigenen Erfahrungen, Beobachtungen, Forderungen einbringen können. Das sind Sichtweisen und Erfahrungen, die Menschen aus der Politik, Sozialarbeit, Verwaltung, Wissenschaft und Medien logischerweise nicht haben können. Wir sind Expert*innen unserer eigenen Lebensrealität und erwarten, hinreichend einbezogen und gehört zu werden: Wann immer über Wohnungslosigkeit gesprochen wird, verlangen und erwarten wir, dass wir dabei sind: Nicht über uns, sondern mit uns reden!

Von uns wohnungslosen Menschen wird häufig verlangt, zufrieden zu sein mit dem, was wir bekommen (können). Damit sind wir nicht einverstanden, das ist nicht in Ordnung: Wohnungslose Menschen haben dieselben Rechte wie alle anderen Menschen auch und dies fordern wir ein. Wir fühlen uns verpflichtet, Forderungen und Ansprüche zu stellen und uns dafür einzusetzen, dass diese auch umgesetzt werden.
Maßnahmen zur Überwindung der akuten Wohnungslosigkeit und präventive Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Obdach- und Wohnungslosigkeit gehören zusammen. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Verpflichtung, Wohnungslosigkeit zu verhindern und dafür zu sorgen, dass es in Deutschland keine Wohnungslosigkeit mehr gibt. Diese Forderung ergibt sich unter anderem aus dem Grundgesetz, der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie aus der Charta der Menschenrechte der Vereinten Nationen.
Um die Forderung nach Überwindung der Wohnungslosigkeit umzusetzen, müssen viele Gesetze geändert und viel Geld in die Hand genommen werden. Wir sind der Überzeugung, dass beides möglich ist, wenn der Wille dafür vorhanden ist.
Wohnungslose Menschen und Anwohner sollen an Bauvorhaben und Planungen beteiligt und aktiv einbezogen werden.
Um unsere Arbeit gut machen zu können, brauchen wir dezentrale Netzwerkbüros, die selbständig und unabhängig arbeiten können. Menschen, die sich sozialpolitisch engagieren, sollten dafür gut bezahlt werden. In den Netzwerkbüros sollen Menschen arbeiten, die sich dazu berufen fühlen. Die Arbeit ist auskömmlich zu bezahlen. Wer sich sozial engagiert, darf keine Nachteile durch Behörden erfahren, Kosten müssen erstattet werden. Wir brauchen Rechtssicherheit für unser Engagement (z.B. kein Zwang zur Ortsanwesenheit bei ALG 2-Leistungsberechtigten). Wir brauchen bessere Möglichkeiten, digital und online arbeiten zu können in einer Qualität, die nicht ermüdend ist.

Wir arbeiten derzeit an Konzepten, um Menschen für das Thema Wohnungslosigkeit zu sensibilisieren, insbesondere bei Kindern und ihren Eltern sowie in Schulen usw. Lasst uns gemeinsam mehr erreichen.

Die Idee der Wohnungslosen_Stiftung (www.wohnungslosenstiftung.org) ist im Grunde ganz einfach. Wohnungslose, ehemals wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen sagen, was sie brauchen, um sich selbstbestimmt zu Wort melden zu können. Die Stiftung kann alles und noch viel mehr finanzieren, wenn sie Geld hat.
Hat sie aber im Moment noch nicht. Also beteilige Dich bitte beim Aufbau der Stiftung mit Deinem Geld. Dein Beitrag wird so verteilt: 50 Prozent für den Aufbau der Stiftung; 50 Prozent direkt an Vorhaben und Initiativen wohnungsloser Menschen.
Die Stiftung hat jetzt schon ein Leitbild. Es geht um Zusammenarbeit auf Augenhöhe, Selbstbestimmung. Ziel ist die Bekämpfung von Armut, Ausgrenzung, Missbrauch, Entrechtung und Wohnungslosigkeit sowie für die Verbesserung konkreter Lebenssituationen. Wir danken Dr. Stefan Schneider, für die Dokumentationserlaubnis.

Über- und Unterüberschrift wurden von der Redaktion eingefügt.

Frauentreff-Ergebnisse – Wir wollen:

Empowerment von Frauen* und Familien
Frauen in prekären Lebensverhältnissen brauchen eine Lobby, wir wollen die besonderen Lebenssituationen sichtbar machen und Frauen eine Stimme geben; (besonderen) Bedarf queerer Menschen und Frauen* feststellen.

Respektvollen Umgang auf Augenhöhe und eine gewaltfreie Sprache

  • NoGos in der Kommunikation ansprechen
  • Frauen* da abholen, wo sie stehen.
 

Gegen Gewalt gegen weiblich gelesene Menschen, Ausnutzung von prekären Lebensverhältnissen, toxischen Beziehungen
Wohnungslose und obdachlose Frauen leben überwiegend in einer verdeckten Armut, sie gehen zum größten Teil toxische Beziehungen ein, um nicht auf der Straße leben zu müssen, ebenso nutzen »Männer« zumeist die Situation dieser Frauen aus.

Öffnung von Frauenhäusern für obdachlose und wohnungslose Frauen
Obdachlose und wohnungslose Frauen werden nicht in Frauenhäusern aufgenommen, da sie keine direkte häusliche Gewalt erfahren haben und ggf. an einer Suchterkrankung leiden.

Aufklärung über gesundheitliche und psychosoziale Risiken, freien Zugang zu hygienischen Artikeln und gesundheitlicher Versorgung
Frauen brauchen einen besonderen Bedarf an Hygieneartikeln, denn die Periode hält sich nicht an Öffnungszeiten der Wärmestuben.

Ein offenes Netzwerk
Wir wollen ein offenes Netzwerk aufbauen, wo jede willkommen ist und sich einbringen kann, mit ihren eigenen Mitteln und Fähigkeiten.

KEINE DENKVERBOTE!!!