Sie sind hier: RAV > PublikationenInfoBriefeInfoBrief #124, 2022 > Lithium - Das globale Rennen um Energiedominanz

Lithium - Das globale Rennen um Energiedominanz

L. Bednarski, Lithium. The Global Race for Battery Dominance and the New Energy Revolution. London 2021.

Eine Rezension von Volker Eick

In sieben Kapiteln behandelt Betriebswirt und Wirtschaftswissenschaftler Bednarski den globalen Lithiummarkt und beginnt, wen nimmt es Wunder, mit China. »Lithium«, so schreibt er im Vorwort, »is a tabula rasa« (S. 5, Hervorh. im Original). Der Autor verspricht, auch wer sich nicht mit Lithiumcarbonat-Äquivalenten und Gigawatt-Stunden auseinandergesetzt habe und zur Rolle chinesischer Lithiumkonverter oder der Bedeutsamkeit von Kathoden-Material nichts wisse, käme auf seine/ihre Kosten: »We will discuss this stuff in a way that is painless even for non-techies before we get to more juicy content«.

Und das stimmt für die 270 Seiten, die allerding unorthodox organisiert sind, denn der Autor verliert sich oft in technischen Mikrodetails oder stellt einigermaßen abenteuerliche Thesen in den Raum. So sei Lithium »not a conflict material. You will not find a place in the world where revenues from lithium mining support activities of armed groups. Lithium is also not mined artisanally or by children« (S. 145). Aber dazu später.

LITHIUM – ROHSTOFF ODER ZUKUNFT?

Seit etwa zehn Jahren ist der run auf Lithium unübersehbar. Elektrofahrzeuge, Mobiltelefone, Notebooks, Digitalkameras und Solarpanele, sie alle benötigen bzw. beinhalten Lithium. Die Volkswagen AG geht von weltweit 14 Millionen Tonnen Lithiumreserven aus, zuversichtlichere Schätzungen (vgl. Wanger 2011) von 25,5 Mill. Tonnen.
Jedes Elektrofahrzeug benötigt rund 13 Kilo Lithium je Batterie, was bei einer weltweiten Fahrzeugproduktion von 8,6 Millionen Stück pro Jahr (Schätzung für 2022) bedeutet, dass jährlich 116.000 Tonnen allein in Automobilen verbaut werden. 2020 wurden zudem 1,82 Mrd. Smartphones produziert, jeweils mit drei Gramm Lithium.
Hauptproduzenten von Lithium waren im Jahr 2021 Australien mit 55.000 Tonnen (t) Jahresproduktion, Chile (26.000 t), China (14.000 t), Argentinien (5.200 t) und – mit großem Abstand – Brasilien (1.500 t).
Das aus Gestein geförderte Lithium-Mineral Spodumen, ein Silikat, findet sich vor allem in Australien (Reserven von 5,7 Mill. t), Mexiko (0,9 Mill. t), Kanada (0,8 Mill. t) und der DR Kongo (0,7 Mill. t). Die Reserven in Simbabwe (0,2 Mill. t), Brasilien (0,1 Mill. t) und Portugal (0,06 Mill. t) sind weitgehend aufgebraucht.
Gefördert wird Lithium auch aus Salzseen, dann als Hydroxid: Allein im sogenannten Lithium Triangle zwischen Bolivien (21 Mill. t Reserven), Chile (9,5 Mill. t), Argentinien (2,2 Mill. t) sollen rund 30 Mill. Tonnen lagern, insbesondere in der Atacama-Wüste zwischen Peru und Chile (S. 85ff.). Bereits seit mehreren Jahren machen sich deutsche Bundeswirtschaftsminister in Bolivien bei dem Versuch lächerlich, die Ausbeutung des Rohstoffs unter ihre Kontrolle zu bekommen (S. 139ff., vgl. dpa/AFP 2018).
Die Produktionszahlen von Elektrofahrzeugen und von Solarpanelen sollen rasant ansteigen – um bis zu 60 Prozent im nächsten Jahrzehnt. Zwar lässt sich Lithium aufwändig und teuer recyceln, aber die Reserven bleiben endlich. Realistisch gerechnet sind spätestens in 20 Jahren die Lithiumreserven verbraucht. Nachhaltig dürfte anders gehen.

LITHIUM – DIE SAUBERE ENERGIE?

Nach den Polargebieten handelt es sich über die Nord-Süd-Achse mit einer Länge von 1.200 Kilometern und westöstlich über drei Zeitzonen bei der Atacama-Wüste um den trockensten Teil der Welt. Es regnet dort weniger als in der Sahara. Wenig überraschend ist Wasser dort knapp.
Und für die Gewinnung von Lithiumcarbonat aus den dortigen Salzlagerstätten braucht man genau das: Wasser. Für je ein Kilogramm Lithium 2.000 Liter Wasser. Durch diesen Wasserbedarf sinkt das Grundwasser in Regionen, in denen es ohnehin kaum regnet. Zudem werden immer wieder Gewässer mit Salzwasser kontaminiert und verschärfen damit die Trinkwasserknappheit. Chemikalien zum Trennen des Lithiums verbreiten sich in der Umwelt und sind, wie in Bolivien vermutet wird, die Ursache für ein jahrelang andauerndes Viehsterben. Die von der Umweltorganisation Blacksmith Institute erstellte Liste der zehn Orte mit den gravierendsten Umweltproblemen führt allein drei aus diesem Bergbau-Sektor auf.

LITHIUM – DER MENSCHENRECHTSKOMAPATIBLE ROHSTOFF?

Auch bürger- und menschenrechtliche Konflikte lassen sich bereits – wie schon bei anderen ›Konfliktrohstoffen‹, etwa Kobalt in der DR Kongo – absehen bzw. sind von Amnesty international schon dokumentiert. Es ist die ›klassische‹ Konstellation zwischen multinationalen (Staats)Konzernen, indigenen Minderheiten und/oder rechtloser Landbevölkerung, deren Lebensgrundlagen gefährdet oder nachhaltig zerstört werden. Dass es (derzeit) keine Milizen gibt, die bewaffnet um die Kontrolle dieses Rohstoffs kämpfen, wie Bednarski (S. 145) schreibt, ändert daran nichts. Vielmehr ist abzusehen, dass die derzeitigen sechs Weltmarktführer bei der Förderung und Verfeinerung des Rohstoffs mit genau diesen Vorwürfen konfrontiert werden bzw. es schon sind (vgl. Sanchez-Lopez 2019).
Diese Namen kann man sich schon mal merken: Der Weltmarktführer aus den USA, Albemarle (Nr. 1), tätig in Australien, Chile und den USA; Jiangxi Ganfeng aus China (Nr. 2; in Argentinien, Irland); Livent Corporation aus den USA (3, Argentinien); die chilenische Sociedad Quimica y Minera de Chile (SQM) als Nr. 4 – die ein Gewächs aus dem Hause Pinochet ist (S. 86ff.) – und die chinesische Tianqi Lithium Corporation (5, Australien, Chile, China).
Der Band ist katastrophal strukturiert, doch Dank des in englischsprachigen Fachbüchern üblichen Index ein echter Steinbruch zur Politik, Ökonomie, Technik und Gesellschaft im Zeitalter von Lithium. Da schadet es nicht, dass es sich um einen, auch historisch sehr gut informierten Autor handelt, der spannend schreiben kann. Ökologie und Menschenrechte allerdings – da ist die Abraumhalde vor…

Volker Eick ist Politikwissenschaftler und Mitglied im erweiterten Vorstand des RAV.

Literaturauswahl

dpa/AFP, Kooperation mit Bolivien: Deutschland sichert sich Zugriff auf Lithium, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 12.12.2018, https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/deutschland-sichert-sich-zugriff-auf-rohstoff-lithium-15938841.html.

Sanchez-Lopez, D., Sustainable Governance of Strategic Minerals: Post-Neoliberalism and Lithium in Bolivia, in: Environment: Science and Policy for Sustainable Development, 2019, 61(6), pp. 18-30.

Wanger, T.C., The Lithium future—resources, recycling, and the environment, in: Conservation Letters 4 (2011), pp. 202-206.