Editorial
Von zwei Kollegen müssen wir zu Beginn unseres RAV InfoBrief Abschied nehmen. RAV-Mitglied der ersten Stunde und Aufrechter Streiter für Demokratie und Rechtsstaat, Christian Ströbele, ist verstorben. Viele unserer Kolleg*innen nahmen an der von der die tageszeitung (taz) ausgerichteten Trauerfeier teil. Unser langjähriger Vorstandsvorsitzender Wolfgang Kaleck hat einen Nachruf auf den Kollegen verfasst, den wir in diesem InfoBrief dokumentieren (S. 7). Im September verstarb, für viele überraschend, der Rechtsstaats-Kämpe und langjährige Bürgerrechtskollege Martin Kutscha. Über Jahre und Jahrzehnte hat er unermüdlich in der Humanistischen Union, in der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) – lange auch als deren Bundesvorsitzender –, als Lehrender auch an der Fachhochschule für Verwaltung und Recht in Berlin im Kampf um Bürger- und Menschenrechte gewirkt und mit seinem spezifischen Schalk auch dann für guten Laune gesorgt, wenn die Bürgerrechtslage alles andere als rosig war. Auch dem RAV war er freundschaftlich verbunden, und viele von uns haben in den vergangenen Jahrzehnten mit ihn zusammenarbeiten dürfen. Unsere Anteilnahme gilt den Hinterbliebenen beider verstorbener Kollegen.
Neues getan hat sich in der Geschäftsstelle: Die für unsere Finanzverwaltung zuständige Kollegin Katrin Voss hat eine neue Aufgabe in einem ebenfalls spannenden Umfeld übernommen, und seit Mitte Mai 2022 arbeitet nunmehr Christian Joachim für uns. Katrin, mit der wir alle sehr gern zusammengearbeitet haben, wünschen wir das Beste. Und uns – in der neuen Konstellation – auch!
Im November haben wir unsere Mitgliederversammlung durchgeführt. Als Referenten hatten wir Maximilian Pichl von der Universität Kassel gewinnen können, der im zweiten Teil unserer Veranstaltung zu »Rechtskämpfen um die sozial-ökologische Transformation« referierte und an dessen Referat sich eine angeregte Diskussion auch in Hinblick auf die anstehenden Aufgaben für den RAV als rechtspolitischer Organisation anschloss.
In Vorbereitung befindet sich unser RAV-Kongress, der vom 16. bis zum 17. Juni 2023 in Leipzig stattfinden wird. Mitstreiter*innen für die Vorbereitung und Durchführung des Kongresses sind sehr willkommen und melden sich gern in der Geschäftsstelle.
Zum Heft: Wieder ist es uns gelungen, einen Schwerpunkt für diesen InfoBrief zusammenzustellen, diesmal zu ›Das Soziale und das Recht‹: Von den Trümmern, die vom ursprünglich geplanten ›Bürgergeld‹ noch übriggeblieben sind (ab S. 36), über die Positionsbestimmungen der Wohnungslosen-Stiftung mit Blick auf Gesundheit, Geld und Gender (S. 48) bis hin zur Strukturierung und den Defiziten des Lieferkettengesetzes der Bundesregierung (ab S. 56) reichen die Beiträge, von denen sich zwei weitere zudem mit ›Wohnen in der Krise‹ (ab S. 52) und ›Strategischer Prozessführung in der Krise‹ auseinandersetzen (ab S. 44). Auch der RAV selbst hat eine erste Positionsbestimmung vorgelegt (S. 42).
Eher unerwartet ist mit der Entscheidung des RAV, am 7. November kurzfristig vor dem Brandenburger Tor eine Protestkundgebung gegen die Repression des iranischen Mullah-Regimes durchzuführen, ein zweiter Schwerpunkt entstanden. Insgesamt sind unserem Aufruf als mitzeichnende Organisationen sieben weitere Jurist*innenverbände gefolgt: der Deutsche Juristinnenverband (djb), der Deutsche Anwaltverein (DAV), die Vereinigung Berliner Strafverteidiger*innen, die Rechtsanwaltskammer Berlin (RAK-Berlin), die Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ), die Neue Richtervereinigung (NRV) und das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Die Zahl der Teilnehmenden – zahlreiche Exiliraner*innen waren ebenfalls gekommen und einige hatten wir eingeladen, auch zu sprechen – taxierte die Berliner Polizei auf 500. Das stimmt – so viel Wahrheit muss sein – so leider nicht. Wir können mit den rund 350 Teilnehmenden für die kurze Zeit der Mobilisierung ganz zufrieden sein, wollen es aber nicht. Wir bleiben an der Thematik dran (zu einem Vorbereitungstreffen hat, während wir diese Zeilen schreiben, der RAV bereits eingeladen). Zwei der Redebeiträge auf der Protestkundgebung haben wir dokumentiert (ab S. 14) und auch einige Fotografien dieser Abendveranstaltung (S. 12/13 und 22). In der Woche vor der Kundgebung, Ende Oktober, haben wir zudem ein Interview mit der Journalistin Gilda Sahebi u.a. zur Lage der Anwält*innen im Iran geführt (S. 23).
Außerhalb dieser zwei Schwerpunkte haben wir Berichte zur Lage der Anwaltskolleg*innen aus Russland (S. 98) und der Türkei (S. 107), wo in klassisch-rechtsstaatsfeindlicher Manier 21 Kolleg*innen zu z.T. jahrzehntelangen Haftstrafen verurteilt wurden; wir veröffentlichen den Prozessbericht der beiden Kolleginnen, die die Verhandlungstage im November und die Urteilsverkündung beobachteten (S. 110).
Dem Recht auf Nahrung bzw. dem juridischen Kampf gegen Hunger gehen wir ebenso nach (ab S. 60), wie dem strategischen juristischen Kampf für ein neues Abstammungsrecht (ab S. 74).
Zwei Beiträge widmen sich den als ›Geheim‹ eingestuften hessischen NSU-Akten, die das ZDF Magazin Royale und fragdenStaat.de an die Öffentlichkeit brachten (S. 78) bzw. dem Abschluss des vorläufig letzten NSU 2.0-Verfahrens in Frankfurt/M. am dortigen Landgericht (AZ: 5/17 KLs - 6190 Js 216386/21 (24/21); die Rolle der Polizei als Mittwissende bzw. Mithelfende bleibt weiter unaufgeklärt (S. 82; vgl. auch InfoBrief # 123, S. 62ff).
Der arbeitskreis kritischer jurist*innen (akj) an der Humboldt Universität zu Berlin berichtet zur ›Causa Vollbrecht‹ (S. 84), und last but not least, gratulieren wir der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) zu ihrem 50 Geburtstag (S. 93). Wir beschließen den InfoBrief mit zwei Rezensionen – und wünschen eine anregende Lektüre!
Die REDAKTION.
Volker Eick, Ursula Groos, Ulrich von Klinggräff, Anya Lean, Peer Stolle und Lukas Theune