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Zum Filmen polizeilicher Maßnahmen

Besprechung Zum Beschluss des LG Osnabrück 
vom 24.9.2021 – 10 Qs 49/21

Jasper Prigge

Dürfen Beamtinnen und Beamte der Polizei gefilmt werden, wenn sie dienstlich tätig sind? Diese Frage berührt das unbestreitbar bestehende Spannungsverhältnis zwischen notwendiger Kontrolle staatlichen Handelns einerseits und Persönlichkeitsrechten andererseits. [1]  Besondere Brisanz hat sie durch die national wie international beachteten Vorfälle rassistischer Polizeigewalt erlangt. Ohne das Video, in dem zu sehen ist, wie George Floyd nach Luft ringt, hätte es die Black Lives Matter-Bewegung und die durch sie geschaffene öffentliche Aufmerksamkeit für den Zusammenhang der Ausübung von (Staats-)Gewalt und Rassismus nicht gegeben. Videoaufnahmen können ein wichtiges Beweismittel vor Gericht sein. Es ist also nicht verwunderlich, dass Betroffene polizeilicher Maßnahmen oder Umstehende zum Smartphone greifen. [2]  Nicht selten stellt das Filmen aber den Anlass für gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen der Polizei dar, gefolgt von einer Strafanzeige wegen einer Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 Abs. 1 StGB). Die Gerichte haben in der jüngeren Vergangenheit verschiedentlich mit Blick auf eine »faktische Öffentlichkeit« eine Strafbarkeit verneint. [3]  Ein aktueller Beschluss des LG Osnabrück [4]  verdeutlicht einmal mehr, dass ein Anfangsverdacht nicht vorschnell angenommen werden darf.

Sachverhalt

Der Fall spielte in der Innenstadt von Osnabrück. Während Einsatzkräfte der Polizei eine, wie es im Beschluss heißt, »renitente Person« auf dem Boden fixierten, wurde der Vorfall durch den Beschwerdeführer gefilmt. Polizeibeamte wiesen ihn darauf hin, dass Tonaufnahmen strafbar seien und er das Filmen zu unterlassen habe. Kurz darauf stellten sie das Smartphone mit den Filmaufnahmen sicher. Die Staatsanwaltschaft beantragte beim Amtsgericht Osnabrück, die Beschlagnahme zu bestätigen, weil der Gegenstand als Beweismittel für das Verfahren von Bedeutung sei und eine Einziehung in Betracht komme. Der Betroffene legte Beschwerde gegen den bestätigenden Beschluss des Amtsgerichts ein.

Entscheidung des 
Landgerichts Osnabrück

Das Landgericht stellt fest, dass auch »dem persönlichen Lebensbereich des agierenden Beamten entrückte dienstliche Äußerungen« von § 201 StGB erfasst sind. Es folgert daraus, dass grundsätzlich auch die Aufzeichnung des gesprochenen Worts, etwa bei polizeilichen Kontrollen, strafbar sei. Im konkreten Fall führte dies allerdings nicht dazu, dass die von den Polizeibeamten angeordnete Beschlagnahme rechtmäßig war. Denn für diese fehle es, so das Landgericht, an einem Anfangsverdacht für eine strafbare Handlung.
§ 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt tatbestandlich die Aufnahme des »nichtöffentlich« gesprochenen Worts voraus. Diese tatbestandliche Voraussetzung sei erfüllt bei einer individuellen Begrenzung des Teilnehmerkreises, also Dritten der Zutritt zu der aufgenommenen Szene nicht beliebig offenstehe. Eine solche »faktische Öffentlichkeit« könne unbeschadet des ansonsten privaten Charakters eines Gesprächs bestehen, wenn unbeteiligte Personen mithören könnten. Nach Auffassung des Landgerichts reicht bereits die Möglichkeit aus, dass »beliebige andere Personen von frei zugänglichen öffentlichen Flächen oder allgemein zugänglichen Gebäuden und Räumen […] – mithin eine beliebige Öffentlichkeit – die Diensthandlungen hätten beobachten und akustisch wie optisch wahrnehmen können«. Dabei komme es auf die Anzahl von weiteren Personen nicht an. Auch sei nicht entscheidend, ob die Äußerung auch tatsächlich wahrgenommen wurde.
In Anwendung dieser Grundsätze geht das LG Osnabrück davon aus, dass im zu entscheidenden Fall eine »faktische Öffentlichkeit« vorlag. Dabei stellt es auf die freie Zugänglichkeit des Ortes ab. Einer erweiternden Auslegung des Merkmals »nichtöffentlich« erteilt das Gericht eine ausdrückliche Absage: »Eines Schutzes der Unbefangenheit bedarf ein Amtsträger, dessen Handeln rechtlich gebunden ist und als solches der rechtlichen Überprüfung unterliegt, indes nicht«. Zudem sei das Anfertigen von Bildaufnahmen im öffentlichen Raum grundsätzlich, von besondere Konstellationen nach § 201a Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB abgesehen, nicht strafbewehrt, und es sei auch »kein Grund ersichtlich«, warum die Strafbarkeit von Tonaufnahmen weiterreichen solle.

Bewertung der Entscheidung

Bei der Auslegung des Tatbestandes des § 201 StGB ist dem öffentlichen Interesse an einer Kontrolle staatlichen Handelns Rechnung zu tragen. [5]  Vor allem, wenn ein Fehlverhalten der Polizei im Raum steht, sind Videoaufnahmen zumeist das einzige zuverlässige Beweismittel. Zeugenaussagen sind aufgrund der bestehenden Interessenlage der Beteiligten kritisch zu bewerten. Hinzu kommt, dass der Sachverhaltsaufklärung durch die Gerichte und Staatsanwaltschaften bisweilen strukturelle Mängel attestiert werden müssen. [6]  Die Entscheidung ist daher zu begrüßen, weil nach den Erwägungen des Gerichts die Dokumentation polizeilicher Maßnahmen durch Dritte im öffentlichen Raum generell straffrei ist.
Ob dienstliche Äußerungen von Polizeibeamten überhaupt vom Schutzzweck der Norm erfasst sind, wird in der Literatur mit guten Gründen bezweifelt. [7]  Der Charakter von Äußerungen des Staates gegenüber Bürgerinnen und Bürgern soll hiernach stets als »öffentlich« anzusehen sein. [8]  In diesem Zusammenhang ist auch der Verweis des LG Osnabrück von Bedeutung, dass § 201 StGB die freie Entfaltung der Persönlichkeit schützt. Dienstliche Äußerungen erfolgen aber gerade nicht in Ausübung grundrechtlicher Freiheit, sondern sind vielmehr durch die Gesetze gebunden. Eine unbefangene menschliche Kommunikation liegt bei hoheitlichem Handeln gegenüber Bürgerinnen und Bürgern gerade nicht vor. Zum Teil wird auch vertreten, die Anfertigung von Aufnahmen sei wegen Notstands gem. § 34 StGB gerechtfertigt. [9] 
Die Gerichte – etwas inkonsequent ist insoweit auch das LG Osnabrück – sind dem bislang nicht gefolgt und gehen davon aus, dass auch Beamtinnen und Beamte sich im Rahmen ihrer Dienstausübung auf ihr Recht am eigenen Bild berufen können. [10]  Eine einheitliche Linie für die Beurteilung, wann eine Äußerung »nichtöffentlich« im Sinne des § 201 StGB ist, hat sich in der Rechtsprechung noch nicht herausgebildet.
Zu Recht vereinzelt geblieben ist die sehr weitgehende Auffassung des LG München, [11]  das vertreten hat, einer Öffentlichkeit des Gesprächs stehe entgegen, wenn Beamtinnen und Beamte ihre Worte gezielt an eine Person richten, selbst wenn neben dieser eine weitere Person stehe. Sie überbetont den Verfügungswillen des Äußernden, zumal für Außenstehende mitunter nicht erkennbar sein wird, wann denn nun ein Gespräch ausschließlich an eine einzelne Person gerichtet sein soll. Auf den Adressaten einer Äußerung oder den Willen der betroffenen Person kann es nicht maßgeblich ankommen, wenn letztere damit rechnen musste, dass sie von Dritten wahrgenommen wird und daher eine Kontrollmöglichkeit über die eigene Reichweite der Äußerung nicht bestand. [12] 
Aufnahmen durch Unbeteiligte an öffentlichen Plätzen wie z.B. in einem Bahnhof [13]  können einen Anfangsverdacht insoweit regelmäßig nicht begründen. Bei ihnen handelt es sich um eine »faktische Öffentlichkeit«, [14]  die Äußerungen der Beamtinnen und Beamten akustisch wahrnehmen kann. Auf die Anzahl der Personen kommt es dabei nicht an, insbesondere ist keine »größere Versammlung« erforderlich. [15]  Auch ist nicht erheblich, ob Äußerungen tatsächlich wahrgenommen wurden.
Nach wie vor ungeklärt sind demgegenüber Situationen, in denen sich Beamtinnen und Beamte mit den Adressaten einer Maßnahme so weit absondern, dass sie, wenngleich sie sich im öffentlichen Raum befinden, nicht davon ausgehen müssen, dass sie belauscht werden. Eine Strafbarkeit wird jedenfalls dann nicht anzunehmen sein, wenn schon ein einzelner Dritter hinzutritt, weil in diesem Falle erneut eine »faktische Öffentlichkeit« geschaffen wird. Vor diesem Hintergrund ist allerdings schwer verständlich, warum nicht auch dem Betroffenen eine Aufnahme dienstlicher Kommunikation möglich sein soll. Da auch das Bedürfnis des Betroffenen an einer Dokumentation polizeilichen Handelns gegenüber seiner Person von einigem Gewicht ist, [16]  spricht im Ergebnis mehr dafür, dass dienstliche Äußerungen insgesamt nicht von § 201 StGB erfasst sind, erst Recht wenn sie Außenwirkung haben. Wenn – mit Ausnahme der Beamtinnen und Beamten – für den Fall eines gerichtlichen Verfahrens keine Zeuginnen und Zeugen zur Verfügung stehen, sind Betroffene einer polizeilichen Maßnahme zumeist in Beweisnot. Hinzu kommt, dass letztlich alle Beteiligten von einer solchen Auslegung profitieren, weil sie Rechtsunsicherheiten erheblich reduziert. Ob letztlich auch die Rechtsprechung diese Konsequenz ziehen wird, bleibt allerdings abzuwarten.

Jasper Prigge ist Rechtsanwalt in Düsseldorf und RAV-Mitglied. Die Unterüberschrift wurde durch die Redaktion behutsam modifiziert.

[1] Vgl. Wyderka, ZD Aktuell 2019, 06823.
[2]  Zur Problematik des Filmens von Polizeieinsätzen grundlegend Baumhöfener, K&R 2015, 760; Ullenboom, NJW 2019, 3108; Kirchhoff, NVwZ 2021, 1177; Reuschel, NJW 2021, 17.
[3] LG Kassel, B. v. 23.9.2019 – 2 Qs 111/19; LG Aachen, B. v. 19.8.2020 – 60 Qs 34/20.
[4]  LG Osnabrück, B. v. 24.9.2021 – 10 Qs 49/21.
[5]  Vgl. das Anfertigen von Bildaufnahmen von Polizeibeamten bei einer Versammlung zu Beweiszwecken, BVerfG, GRUR 2016, 311.
[6]  Im Bereich der Körperverletzung im Amt wird durch die Staatsanwaltschaften nur in ca. zwei Prozent der Fälle Anklage erhoben oder der Erlass eines Strafbefehls beantragt, Abdul-Rahman/Grau/Singelnstein, Polizeiliche Gewaltanwendungen aus Sicht der Betroffenen, 2. Aufl. 2020, 75.
[7]  Roggan, StV 2020, 328; Klefisch, jurisPR-StrafR 6/2021, Anm. 4.
[8]  Roggan, StV 2020, 328; Wyderka, ZD Aktuell 2019, 06823; Klefisch, jurisPR-StrafR 6/2021, Anm. 4.
[9]  Ullenboom, NJW 2019, 3108.
[10] LG München I, U. v. 11.2.2019 – 25 Ns 116 Js 165870/17; LG Kassel, B. v. 23.9.2019 – 2 Qs 111/19; LG Frankenthal, B. v.  17.12.2020 – 7 Qs 311/20. Das LG Aachen hat die Argumente der Literatur als »beachtlich« angesehen, ohne allerdings selbst eine Entscheidung zu treffen, LG Aachen, B. v. 19.8.2020 – 60 Qs 34/20.
[11] LG München I, U. v. 11.2.2019 – 25 Ns 116 Js 165870/17.
[12] LG Kassel, B. v. 23.9.2019 – 2 Qs 111/19; LG Aachen, B. v. 19.8.2020 – 60 Qs 34/20.
[13] Vgl. LG Kassel, B. v. 23.9.2019 – 2 Qs 111/19.
[14] LG Kassel, B. v. 23.9.2019 – 2 Qs 111/19; LG Aachen, B. v. 19.8.2020 – 60 Qs 34/20; LG Osnabrück, B. v. 24.9.2021 – 10 Qs 49/21.
[15] So aber LG Frankenthal, B. v. 17.12.2020 – 7 Qs 311/20.
[16] Wyderka, ZD Aktuell 2019, 06823.