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Verbot kurdischer Kunst und Kultur

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT MUSS ZU DISKRIMINIERUNG ENTSCHEIDEN

Peer Stolle und Lukas Theune

Von der Öffentlichkeit viel zu wenig beachtet fanden am 8. März 2018 Durchsuchungen des Mezopotamien-Verlages und des MIR-Musikvertriebes in Neuss/NRW statt. Beide Kulturbetriebe sind spezialisiert auf kurdische Kunst und Kultur, bringen aber auch internationale Literatur in kurdischer Sprache heraus. Hintergrund war ein vom Bundesinnenministerium angestrengtes vereinsrechtliches Verfahren, mit dem geprüft werden solle, ob der Verlag und der Vertrieb dem PKK-Betätigungsverbot unterliegen. Folge davon war der Abtransport von mehreren LKW-Ladungen an Büchern, Zeitschriften und Audioträgern.
Ein Jahr später, am 8. Februar 2019 erging ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot gegen die beiden Gesellschaften. [1]  Begründet wurde das Verbot mit der Argumentation, dass es sich bei dem Mezopotamien-Verlag und der MIR Multimedia um nichtgebietliche Teilorganisationen der PKK handele, sodass diese deshalb auch dem 1993 ausgesprochenen vereinsrechtlichen Betätigungsverbot unterlägen. Die beiden Gesellschaften würden von der Europaführung gesteuert, wären von dieser finanziell abhängig und daher rechenschaftspflichtig. Ihre Mitarbeiter*innen seien PKK-Kader, wodurch die Organisation sicherstelle, dass ihre Weisungen auch durchgeführt würden. Sie würden PKK-Propaganda vertreiben, mit der PKK zugerechneten Vereinigungen geschäftliche Kontakte betreiben und PKK-Veranstaltungen sponsern.
Gegen diese Verbotsverfügung wurde Klage beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht. Die Begründung der Klage und die Führung des Verfahrens standen vor einigen Problemen. Die Verbotsbehörde hatte sämtliche Unterlagen, Datenträger und Erzeugnisse der Gesellschaften sichergestellt und die Homepage abgeschaltet. Den Klägerinnen standen somit keinerlei Unterlagen und Material mehr zur Verfügung, um gegen die aufgestellten Behauptungen in der Verbotsverfügung substantiiert vorgehen zu können. Nach mehrmaligen Anträgen wurde zwar seitens der Verbotsbehörde den Vertretern der Klägerinnen die Möglichkeit eingeräumt, einen Teil der Asservate einzusehen. Allerdings bedeutete dies, dass die Vertreter der Klägerinnen innerhalb eines Tages beim Bundesverwaltungsamt unter Aufsicht von Mitarbeiter*innen des Bundesamtes für Verfassungsschutz 42 Umzugskisten mit Leitz-Ordnern sichten mussten, was aufgrund des zeitlichen Aufwandes nur ansatzweise möglich war.

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT 
ZIEHT KEINE SCHLÜSSE

Hinzu kam, dass die Verbotsbehörde keinen paginierten Verwaltungsvorgang zum Verfahren reichte, sondern nur eine Sammlung der Beweismittel, die sie für die Einleitung des Verfahrens und die Verbotsbegründung als erforderlich ansah. Die den Grundsatz des § 29 VwVfG sowie des Anspruches auf Gewährung rechtlichen Gehörs und der Waffengleichheit verletzende Praxis wurde auch in der unter dem 26. Januar 2022 durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht seitens der Klägerinnen beanstandet. Dort stellte sich heraus, dass diese rechts- und verfassungswidrige Praxis mittlerweile Standard beim Bundesinnenministerium zu sein scheint; ein Problembewusstsein ließen die Behördenvertreter*innen in der mündlichen Verhandlung nicht erkennen. Von dem Senat wurde diese Praxis sowohl in der mündlichen Verhandlung als auch in den schriftlichen Urteilsgründen in erstaunlicher Deutlichkeit kritisiert. Folgen für das Verfahren wurden daraus aber nicht abgeleitet. Die Klagen wurden abgewiesen.
Gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts haben die Klägerinnen nunmehr Verfassungsbeschwerde erhoben und eine Verletzung von Art. 9 GG gerügt. Bei der Entscheidung, ob Vereinigungen, die sich – wie hier – selbst auf die Kunst- und Pressefreiheit berufen können, als Teilorganisationen verboten werden dürfen, muss, so die Argumentation in den Verfassungsbeschwerden, die Prüfung, ob eine nichtgebietliche Teilorganisation vorliegt, besonders strengen Beweisanforderungen genügen. Nur so kann vermieden werden, dass über diese Verbotserstreckung der Schutz von Art. 5 Abs. 1 und 3 GG ausgehebelt werden kann. Ein Vereinigungsverbot darf, wie das Bundesverfassungsgericht formuliert, nicht bewirken, dass auf diesem Wege untersagt wird, was die Freiheitsrechte sonst erlauben [2] . Und das Verlegen und Vertreiben von Büchern von Abdullah Öcalan bzw. zur PKK – erst recht von sonstiger internationaler Literatur oder sogar Musik – ist für sich nicht verboten, auch nicht strafbar. Zudem macht das Verbot der beiden Verlage auch vielen kurdischen Künstler*innen eine künstlerische Betätigung de facto unmöglich, denn die verbotenen Verlagsgesellschaften waren in Deutschland die einzigen etablierten kurdischen Verlagshäuser. Das Bundesverwaltungsgericht stellt zwar in dem Urteil vom 26.01.2022 fest, dass der Vertrieb kurdischer Kultur und Kunst nichts PKK-spezifisches ist. Die notwendigen Schlüsse zieht das Gericht aber nicht.

EINSCHÜCHTERUNG 
VON MINDERHEITEN

Erschwerend hinzu kommt aus gesellschaftspolitischer Sicht auch die Auswirkung der repressiven Strategie des Bundesinnenministeriums auf Dritte, nämlich auf Angehörige der kurdischen (wie auch auf andere) Minderheit in Deutschland. Das Verbot führt zu einer Einschüchterung der kurdischen Minderheit in Deutschland, die gerade deswegen derart gravierend ins Gewicht fällt, weil die kurdische Minderheit auch in ihren Herkunftsstaaten Türkei, Syrien, Iran und Irak immer wieder der ethnischen Verfolgung ausgesetzt war und ist, insbesondere ihre Sprache und Kultur, ihre Bücher und Lieder verboten und verfolgt wurden. Gerade aus diesem Grund, so argumentieren die Verfassungsbeschwerdeführer, ist das Innenministerium auch gehalten, die Pressefreiheit und die Kunstfreiheit der Verlage stärker in den Blick zu nehmen und so höhere Anforderungen an das Vorliegen einer Teilorganisation anzulegen als geschehen. Das Werben in kurdischen – nicht verbotenen – Fernsehsendern und das Sponsoring von Veranstaltungen, die ebenfalls den geltenden Gesetzen gemäß angemeldet und durchgeführt werden, vermögen das Verbot eines kurdischen Literatur- und eines kurdischen Musikverlages daher nicht zu rechtfertigen.

VERBOTSVERFAHREN 
AUS DEM NICHTS

Außerdem muss auch im Fall der Annahme einer nichtgebietlichen Teilorganisation der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Anwendung finden. In dem Fall der beiden betroffenen Gesellschaften wurde in den Jahrzehnten ihres Bestehens kein einziges der herausgebrachten Werke beanstandet. Auch erfolgte nie eine Verurteilung eine*r der Mitarbeiter*innen wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz oder sonstiger Delikte. Gerade vor diesem Hintergrund hätten zunächst auch mildere Mittel, wie bspw. die Unterbindung von angeblichen Geldflüssen von der PKK an die Gesellschaften, angewendet werden müssen.
Bezeichnend ist, dass die Tätigkeit der beiden Verlage im Wesentlichen seit ihrer Gründung beanstandungsfrei blieb. Das Verbotsverfahren kam quasi aus dem Nichts, kein einziges milderes Mittel wurde erfolglos ausprobiert. Damit lassen Innenministerium und Bundesverwaltungsgericht nicht wenige aus der kurdischen community wieder mit dem Gefühl zurück, dass Verbote kurdischer Vereine als Symbol gewährt werden, um sich bei dem türkischen Regime, dem NATO- und Flüchtlingspakt-Partner, lieb Kind zu machen. Es bleibt nunmehr erneut dem Bundesverfassungsgericht überlassen, dem einen Riegel vorzuschieben und Kunst und Kultur von Minderheiten gerade eingedenk der deutschen Historie zu stärken und das Verbot von Büchern und Musik wieder aufzuheben.

Dr. Peer Stolle und Dr. Lukas Theune sind Rechtsanwälte in Berlin und Vorsitzender bzw. Geschäftsführer des RAV. Unterüberschrift und Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion hinzugefügt.

[1]  Transparenzhinweis: Beide Autoren vertreten die Klägerinnen vor Gericht.
[2]  BVerfGE 149, 60, Rn. 113.