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»So läuft‘s in Bayern«

ANWALTLICHER NOTDIENST BEI DER IAA IN MÜNCHEN

Yunus Ziyal und Antonella Giamattei

Die Klimabewegung machte mobil, gegen die Internationale Automobilausstellung (IAA), die Anfang September in München stattfand. Bereits im Vorfeld war klar, dass die Proteste mehrtägig und relativ groß würden und die bayerische Polizei sich ihrem Ruf getreu verhalten würde. Angekündigt waren 4.500 Polizist*innen und »frühes und konsequentes Einschreiten«. Als Begründung dienten die fast schon ritualhaften Warnungen vor Krawallen und ›Linksautonomen‹.

Aus diesem Grund organisierten Kolleg*innen aus München und Nürnberg in Kooperation mit dem RAV einen Anwaltlichen Notdienst (AND), die auch Legal Teams genannt werden. Dieser war sowohl bei Demonstrationen oder anderen Protestaktionen vor Ort, um Versammlungsteilnehmer*innen bei der Verwirklichung und Durchsetzung ihrer Grundrechte zu unterstützen, und war gleichzeitig erreichbar, um in der Gefangenensammelstelle (GeSA) Aktivist*innen bei freiheitsentziehenden Maßnahmen zu vertreten.
Schon vor dem offiziellen Beginn der Proteste war der Einsatz gefragt, als am Dienstag mehrere Kletterteams den Münchner Autobahnring und diverse Autobahnen rund um München blockierten. Diese wurden, da sie zunächst die Personalien-Angaben verweigerten, der Haftrichterin vorgeführt. Da dort dann doch alle Angaben machten bzw. bereits identifiziert waren, wurde keine Untersuchungshaft angeordnet. Jedoch stellte die Polizei unmittelbar im Anschluss Anträge auf Unterbindungsgewahrsam bis zum Ende der Messe. Während am AG München diese Anträge gleich abgewiesen wurden (mangels korrekter Auflösung der Versammlungen durch die Polizei bzw. mangelnde Gefahrenprognose), ordnete das AG Erding den Gewahrsam an. Den Beschwerden der Kolleg*innen half das LG Landshut dann jedoch ab.

SCHLAGSTOCK UND PFEFFERSPRAY OHNE RECHTSGRUNDLAGE

Es gab weitere Versuche der Polizei, bereits bei geringsten Anlässen mittels des sog. Unterbindungsgewahrsams nach dem Polizeiaufgabengesetz (PAG) Aktivist*innen wegzusperren. Z.B. wurden seitens der Polizei Anträge auf Ingewahrsamnahme wegen des Vorwurfs der Sachbeschädigung mittels Sprühkreide oder mitgeführten Klettergurten gestellt. Soweit überblickbar, scheiterten diese Versuche letztlich allesamt – obgleich die Betroffenen bis zur Entscheidung viele Stunden in der GeSa festgehalten wurden.
Bei den angemeldeten Versammlungen am Freitag und Samstag kam es aus nichtigen Anlässen zu Schlagstock- und Pfeffersprayeinsätzen ohne Rechtsgrundlage, so am Samstag auf der Bündnisdemonstration, um zu zwei Baumkletter*innen vorzudringen – nur um sich wenig später wieder zurückzuziehen, da auf dem Baum nur ein Banner aufgehängt wurde. Bilanz: einige Dutzend verletzte Versammlungsteilnehmer*innen.
Eine weitere Kletterin wurde am Freitag beim Versuch auf einen Baum zu klettern; sogar aus zwei Meter Höhe zum Absturz gebracht. Die Polizeikräfte nahmen dabei schwerste Verletzungen in Kauf. Die vor Schmerzen schreiende Frau wurde verletzt weggeschleppt, obwohl sie ersichtlich medizinischer Behandlung bedürftig war.
Ebenfalls typisch für die bayerische Polizei: die relativ flächendeckende Videoüberwachung von Versammlungen. Anlasslos ist diese selbstverständlich rechtswidrig. Sprachen Mitglieder des Legal Teams (kenntlich durch Neon-Westen) die Polizeibeamt*innen darauf an, bekamen sie – wenn überhaupt – als Antwort, dass es zu Vermummungen gekommen sei, die dokumentiert würden. Als Vermummung wertete die Münchner Polizei die Kombination aus Mundschutz und Sonnenbrille – das Tragen eines Mundschutzes war sinnvollerweise Versammlungsauflage, und München war sonnig dieser Tage, daher fand sich eigentlich immer ein Verstoß.

AUSWERTUNG DURCH DEN AND

In der abschließenden Pressemitteilung wertete der AND aus: »Die Polizei versuchte, Protest zu verhindern und zu unterbinden und die Protestierenden einzuschüchtern. Während die Gerichte die meisten Freiheitsentziehungen für rechtswidrig erklärten, wurden diese von der CSU bejubelt. Deren Generalsekretär Blume feierte kraftmeierisch die Gewahrsamnahmen im Internet mit den Worten: ›Brückenkletterer bleiben bis Messeende eingesperrt! So läuft´s in Bayern!‹ (dazu sendete er einen angespannter Bizeps-Emoji). Wir sagen dazu: Die CSU hat offenbar nichts dazugelernt. Während anlässlich des Weltwirtschaftsgipfels 1992 noch der damalige Ministerpräsident Streibl die Prügelorgie der Polizei als ›Hinlangen nach bayerischer Art‹ feierte, wird nun das rechtswidrige Wegsperren von Protestierenden als bayerische Stärke gefeiert.
Bemerkenswert – das fiel auch der Presse und vor allem der Münchner Bevölkerung auf –, dass für eine letztlich private Werbeveranstaltung große Teile der Münchner Innenstadt blockiert, zur demonstrationsfreien Zone erklärt und damit Grundrechte massiv eingeschränkt wurden. Die bayerische Polizei versuchte dieser Aufgabe nach Kräften gerecht zu werden – auf dem Rücken der Demonstrant*innen.
Die gemeinsame Arbeit im Anwaltlichen Notdienst und in Zusammenarbeit mit dem Ermittlungsausschuss und der Roten Hilfe vor Ort war von Kollegialität und Solidarität geprägt. Neben der Tätigkeit für die Mandant*innen und in Begleitung der Versammlungen, machte nicht zuletzt auch der kollegiale Austausch am Rande und nach der Arbeit Spaß. Es beteiligten sich über die Tage rund 20 Kolleg*innen und einige Referendar*innen an den Schichten, davon viele aus der Region, aber Unterstützung kam auch bspw. aus Göttingen oder Berlin.

Antonella Giamattei ist Rechtsanwältin in München, Yunus Ziyal ist Rechtsanwalt in Nürnberg. Beide sind im erweiterten Vorstand des RAV. Die Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion eingefügt.