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Natur als Kläger?

Rechtspersönlichkeit von Flüssen in Bangladesch

Qazi Zahed Iqbal

Bangladesch ist das Land der Flüsse. Es gibt von ihnen etwa 400.(1) Darüber hinaus hat das Land weitere zahlreiche große und kleinere Gewässer. In der Tat ist Bangladesch ein Land mit einer Vielzahl unterschiedlichster Gewässer. Die Tragödie dieser Gewässer ist jedoch ihre ungeheure Verschmutzung auf jede erdenkliche Art. Und: Bangladesch verfügt nicht über Gesetze, die zum Schutz dieser Gewässer ausreichen sowie ein Umsetzungsproblem.

Erst im Jahr 2013 wurde eine Flussbehörde eingerichtet, die sich um das Wasser-Management kümmern soll. Der Schutz der Flüsse stützt sich auf das Umweltgesetz von 1995 und seine Bestimmungen von 1997. Der Bangladesh Water Act (2013), und die National Rivers Protection Commissions (2013), sind weitere Instrumente zum Schutz der Gewässer, einschließlich der Flüsse. Neben diesen Gesetzen gibt es auch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs von Bangladesch zu Flüssen. Man kann sagen, dieses Urteil öffnet nunmehr den Behörden die Tür, um geeignete Initiativen zum Schutz der Flüsse vor Verschmutzung und Landnahme zu ergreifen. Dieser Artikel wird sich auf dieses Urteil des Obersten Gerichtshofs konzentrieren, in dem alle Flüsse zu juristischen Personen erklärt wurden, und einen Blick auf weitere Gesetze werfen, einschließlich des Rechtsrahmens zum Status von Flüssen in ausländischen Jurisdiktionen.

Die Gesetze im Detail

Bangladesch hat im Laufe der Jahre mehrere Umweltgesetze kodifiziert. Die ersten Initiativen wurden im Jahr 1970 noch von der damaligen Pakistanischen Regierung ergriffen. Das Gesetz betraf die Wasserverschmutzung. Die ›Verordnung 1970‹(2) wurde nach der Unabhängigkeit durch die ›Umweltverschmutzungskontrollverordnung 1977‹(3) aufgehoben. Es war eine große Initiative zum Schutz der Umwelt im Allgemeinen, einschließlich der Gewässer. Dies war die Rechtslage bis 1995. Im Jahr 1995 verabschiedete die Regierung dann ein exklusives Umweltgesetz. Außerdem wurde 1997 eine Vorschrift zur Ergänzung dieses Umweltgesetzes ausgearbeitet. Es gibt ein weiteres Gesetz von 2013, Bangladesh Water Act genannt. All diese gesetzlichen Regelungen dienen dem Schutz der Umwelt und der Flüsse. Sie waren das Ergebnis der Aktivitäten verschiedener Umweltschützer*innen und -gruppen. Seit 1990 haben sich verschiedene Aktivist*innengruppen für den Schutz der Umwelt, einschließlich der Flüsse, eingesetzt.(4) Dieser Aktivismus sollte ein Bewusstsein bei den politischen Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit schaffen. Das Problem sind jedoch korrupte Gruppen und deren Gier. Ein Teil der Mächtigen macht sich im Namen der Geschäftsentwicklung die Ufer der Flüsse und das Flussbett untertan. Eine weitere Herausforderung sind die Verschmutzung und die damit verbundenen Probleme. Trotz der großen Herausforderungen kämpfen die Aktivist*innen und die Regierungsbehörden für die Flüsse.

Das Urteil

Im Zuge des erstarkenden Aktivismus für die Flüsse und der Entwicklung von Gesetzen begannen gerichtliche Eingriffe zu Gunsten der Gewässer. Ein berühmter Fall, die Klage ›Menschenrechte und Frieden für Bangladesch‹ Vs. Bangladesch,(5) rettete die Flüsse vor verschiedenen gefährlichen Problemen, indem er sie zu einer juristischen Person erklärte.(6) Dieses Urteil hatte große Auswirkungen auf die Flussverwaltung. Bevor wir uns mit diesem Fall befassen, sollten wir uns jedoch noch einmal auf den Hintergrund der damaligen sonstigen rechtlichen Aktivitäten konzentrieren.
Vor diesem bahnbrechenden Fall gab es einen anderen Fall zum Thema Fluss.(7) Es war der erste seiner Art in Bangladesch; in diesem Fall wurde ein Urteil als fortlaufender Mandamus erlassen, also eine gerichtliche Entscheidung in der Nebensache, die zumeist an einen Dritten oder an eine staatliche Stelle gerichtete Anordnung oder Verfügung darstellt, die kein Endurteil im Hauptprozess ist.
Bei der Urteilsverkündung legte der Gerichtshof eine Richtlinie über die Grenzlinien der Flüsse fest. Diese Richtlinie richtete sich gegen die Übergriffe durch Landräuber und andere Gruppierung, die die Flüsse ausbeuteten. Nach diesem Urteil erließ die Regierung ein Gesetz zur Bildung einer Flusskommission, die sich um die Flüsse kümmern sollte. Darin wurde eine Richtlinie für den Schutz der Flüsse einschließlich der umliegenden Flussgebiete festgelegt. Nach diesem Urteil begannen sich die Dinge in gewissem Maße zu ändern, aber nicht zur vollen Zufriedenheit.
Dann kam die bahnbrechende Entscheidung über die Flüsse; das Gericht erklärte die Flüsse in einem ausführlichen Urteil zu juristischen Personen. Bevor wir das Urteil erörtern, sollten wir uns das internationale Szenario zu Flüssen ansehen.

AUSLÄNDISCHE REGULIERUNGEN

Die Erklärung eines Flusses zur juristischen Person ist keine völlig neue Idee. Die erste Instanz auf dem Weg dorthin war das kolumbianische Verfassungsgericht, dass den Fluss Atrato 2016 zu einer autonomen Einheit erklärte.
Das zweite Urteil wurde vom Uttarakhand High Court Indiens gefällt.(8) In der Sprache des Gerichts werden dementsprechend bei der Ausübung der parens patriae-Rechtsauslegung die Flüsse Ganges und Yamuna, alle ihre Nebenflüsse, jedes natürliche Wasser, das kontinuierlich oder intermittierend von diesen Flüssen aus fließt, zu juristischen Personen/lebenden Berechtigten erklärt. Sie haben den Status einer juristischen Person mit allen entsprechenden Rechten, Pflichten und Verbindlichkeiten, die eine lebende Person hat, um die Flüsse Ganges und Yamuna zu schützen und zu bewahren. Der Direktor Namani Gange, der Chefsekretär des Staates Uttarakahand und der Generalanwalt des Staates Uttarakhand werden hiermit zu Personen in loco parentis, also als Elternstatt oder das menschliche Gesicht zum Schutz, zur Erhaltung und zum Erhalt der Flüsse Ganges und Yamuna und ihrer Nebenflüsse erklärt. Diese Beamten sind verpflichtet, den Status beider Flüsse zu wahren und deren Gesundheit und Wohlergehen zu fördern.
Eine weitere Entwicklung war ein Gesetz, das vom neuseeländischen Parlament verabschiedet wurde. Darin wird der Fluss Te Awa Tupua zu einem individuellen und lebendigen Ganzen erklärt. Dies ist das einzige von einem Parlament verabschiedete Gesetz, das ein Gewässer als lebendiges Ganzes deklariert. Das Bangladesch-Urteil zu einer Klage von Human Rights and Peace for Bangladesh Vs. Bangladesh and Others ist daher eigentlich die dritte Initiative oder Erklärung in Bezug auf ein internationales Szenario. Es handelt sich um ein ausführliches Urteil einer Kammer des Obersten Gerichtshofs von Bangladesch (Hon‘ble High Court Division). Der verfassende Richter war M. Ashraful Kamal, den Vorsitz hatte Richter Moyeenul Islam Chowdhury.
Der Richter beschreibt in seinem Urteil detailliert die Geschichte des Flusses, gibt sogar einige Literaturhinweise. Er berücksichtigt ausführlich die bisherigen juridischen und praktischen Erfahrungen sowie die Gerichtsurteile der verschiedenen unteren Gerichtsbarkeiten, die er als überzeugende Interventionen betrachtet. Der Richter zieht sogar verschiedene Theorien in Betracht, darunter die public trust doctrine.(9)
In der Writ Petition(10) ging es um die Rettung eines Flusses, namentlich des Turag, der an der Hauptstadt von Bangladesch vorbeifließt. Der Turag ist in seiner Existenz ernsthaft bedroht, weil Industrie- und sonstige Abfälle ungehindert in ihn eingeleitet werden und er überbaut wird. Um ihn zu schützen, reichte eine Menschenrechtsorganisation diese Writ Petition für einen gerichtlichen Eingriff zum Schutz des Flusses ein. Nach einer ausführlichen Anhörung der Parteien verkündete das Verfassungsgericht schließlich sein Urteil, in dem es den Turag und andere Flüsse des Landes als ›lebendes Wesen‹ bezeichnete.(11) Das Gericht war sichtlich erfreut, eine Richtlinie zum Schutz der Flüsse vor jeglicher Art von Katastrophe aufstellen zu können. In dem Urteil wurden 17 Leitlinien für den Schutz der Flüsse festgelegt,(12) die für alle betroffenen Behörden verbindlich sind. Es war ein hervorragender Ansatz. Seit dem Urteil gibt es definitiv einige ernsthafte Initiativen seitens der betroffenen Behörden, aber es gibt auch immer noch zahlreiche Herausforderungen. In der Tat ist es für niemanden eine leichte Aufgabe, alle Herausforderungen innerhalb einer kurzen Zeitspanne zu beseitigen.

Die Mühen der Ebene

Wir können zwei dieser Herausforderungen in Bezug auf die Flüsse Bangladeschs nennen. 1. Beeinträchtigende Eingriffe wie etwa das Abtragen der Flussufer und sogar der Flussbetten. 2. Die Verschmutzung der Flüsse durch menschliche Aktivitäten.
Bangladesch gehört zu den dichtbesiedelten Ländern mit dem Problem der Landknappheit, insbesondere in den Städten. Daher breitet sich die Gier nach Land unweigerlich auch auf die Ufer und Flussbetten aus. Flüsse haben einen immensen Wert als eines der wichtigsten Transportmittel für die Wirtschaft. Daher ist es zunächst verständlich, dass verschiedene Akteure sehr häufig die Ufer und das Flussbett in Beschlag nehmen. Der Grund dafür ist klar, man will Geld verdienen, indem man die Chancen nutzt, die die an den Fluss angrenzenden Gebiete bieten. In einigen extremen Fällen sind Leute sogar in das Flussbett selbst eingedrungen, wodurch der Flusslauf beschädigt wurde. Zwei Urteile und einige Umweltgesetze haben nun zwar eine juristische Atmosphäre geschaffen, in der das Problem beseitigt werden könnte, aber wegen der mangelhaften Umsetzung der Gesetze ist die Situation immer noch sehr herausfordernd.
Die schlechte Abfallwirtschaft ist eine der Hauptursachen für die Schädigung der Flüsse in Bangladesch. Fast alle Industrieabfälle und andere menschliche Abfälle fließen ohne Behandlung direkt in die Flüsse. Erst 1995 wurde ein Umweltschutzgesetz und 1997 eine dazugehörige Vorschrift erlassen. Mit diesen beiden Rechtsinstrumenten wurde endlich ein Bereich geschaffen, in dem die Flüsse vor direkten Abfallströmen geschützt werden. Die Industrie muss laut Umweltgesetz von 1995 Effluent Treatment Plants (ETPs, Kläranlagen) zur Abfallbewirtschaftung einrichten. Mit dem gleichen Gesetz wurde auch die Einholung einer Bescheinigung der Umweltdirektion obligatorisch, die die Errichtung einer solchen Anlage belegt. Die Schwierigkeiten liegen jedoch noch immer in der Umsetzung.
Kann der Fluss als juristische Person für Schäden, die er anderen Personen und deren Eigentum zufügt, verklagt werden? Damit ist eine wichtige Frage angesprochen. Jede juristische Person hat nach dem jeweiligen Landesrecht Rechte und Pflichten. Flüsse, insbesondere in der Deltaregion von Bengalen, verursachen schwerwiegende Erosionen und andere Schäden an der Oberfläche, die letztlich menschliches Eigentum beschädigen. Es stellt sich die Frage, wie Flüsse als juristische Person auf diese – von ihnen verursachten – Schäden reagieren würden. Würde nun der Fluss als juristische Person die Haftung für die von ihm selbst verursachten Schäden übernehmen müssen oder können?
Dieses Paradox ist nicht so schwer zu lösen wie es scheint. Die Flüsse als juristische Person sind Teil des Staates, und der Staat verfügt über verschiedene Mechanismen, um die von seinen Flüssen verursachten Schäden zu kompensieren. Die Zuteilung von Khas-Land,(13) die Wiedereingliederung in das neue Land und eine finanzielle Entschädigung der Opfer können aber nach bestehenden Gesetzen erfolgen. Man kann also ohne weiteres sagen, dass die staatliche Übernahme von Verantwortung für den Fluss als juristische Person in Bangladesch keine große Herausforderung wäre.
Schlussfolgerung: Die Erklärung des Flusses zur juristischen Person ist zunächst ein großer Erfolg für Bangladesch. Mit diesem Urteil gehört Bangladesch zu den wenigen Ländern, die so weit gekommen sind. Allein diese Feststellung und auch nicht die juristische Festlegung allein werden jedoch nicht allen Herausforderungen gerecht werden; es liegt noch ein langer Weg vor uns.(14) Die Lösung liegt in der ordnungsgemäßen Anwendung des Gesetzes ohne Bevorzugung und Begünstigung.

Dr. Qazi Zahed Iqbal ist Rechtsanwalt und Mitglied im Supreme Court von Bangladesch. Er arbeitet zudem bei der Nichtregierungsorganisation BLAST. Bangladesh Legal Aid and Services Trust, https://www.blast.org.bd/whatwedo/ourprojects.

Aus dem Englischen von Volker Eick. Die Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion eingefügt.

(1)   Vgl. 27 Bangladesh Law Times, BLT (SPL issue-2).
(2)   Vgl. https://leap.unep.org/countries/bd/national-legislation/east-pakistan-water-pollution-control-ordinance-no-v-1970.
(3)   Vgl. https://www.ecolex.org/details/legislation/environment-pollution-control-ordinance-1977-ordinance-no-xiii-of-1977-lex-faoc006437/.
(4)   Vgl. 27 BLT (SPL issue-2).
(5)   Writ Petition No. 3503 of 2009 - Save river 
Burigonga, Balu, Turag and Shitallakha.
(6)   Vgl. 27 BLT (SPL issue-2)
(7)   14 BLC, P 759.
(8)   Mohd. Salim Vs. State of Uttrarkhand and others, Writ Petition (PIL) No. 126 of 2014.
(9)   J.L. Sax, The Public Trust Doctrine in Natural Resource Law: Effective Judicial Intervention. In: Michigan Law Review 68(3), 1970, pp. 471-566
(10) Eine ›Writ Petition‹ ist eine Anordnung eines höheren Gerichts an ein oder mehrere untergeordnete Gerichte, mit der diese angewiesen werden, etwas zu tun oder zu unterlassen (die Red.).
(11) Nawaz Farhin Antara, Turag given ›legal person‹ status to save it from encroachment, https://www.dhakatribune.com/bangladesh/court/2019/01/30/turag-given-legal-person-status-to-save-it-from-encroachment.
(12) Turag River Case. High Court Division passed judgment in Writ Petition No. 13989 of 2016 declaring the Turag river as legal person/legal entity/living entity and gave 17 directions as follows, http://hrpb.org.bd/upload/judgement/Writ-Petition-No.-13989-of-2016-only-17-directions--River-Turag-Case.pdf.
(13) ›Khas-Land‹ ist staatliches Brachland, an dem niemand Eigentumsrechte hat. Es handelt sich um Land, das als Eigentum der Regierung gilt und für die Zuteilung gemäß den Prioritäten der Regierung zur Verfügung steht. ›Khas-Land‹ oder ›Land in Khas-Besitz‹ umfasst in Bezug auf eine Person jedes Land, das zusammen mit einem darauf stehenden Gebäude und den notwendigen Nebengebäuden verpachtet wird, sofern die Pacht nicht auf Dauer angelegt ist (die Red.).
(14) Vgl. M. Sohidul Islam & E. O‘Donnell, Legal rights for the Turag: rivers as living entities in Bangladesh. In: Asia Pacific Journal of Environmental Law 23(2), 2020, S. 160-177.