Solidarität mit unseren Kolleg*innen in Pakistan
10. ›Tag des gefährdeten Anwalts‹
Ursula Groos
In diesem Jahr, am 24. Januar 2020, haben wir den 10. Jahrestag des Tages des bedrohten/gefährdeten Anwalts begangen. An diesem besonderen Tag bitten die Organisator*innen ihre internationalen Kolleg*innen, sowohl das Bewusstsein über die Anzahl der Anwält*innen zu schärfen, die wegen ihrer Arbeit als Anwält*innen schikaniert, zum Schweigen gebracht, unter Druck gesetzt, bedroht, verfolgt, gefoltert und ermordet werden, als auch eine nationale Diskussion über Möglichkeiten zum Schutz von Anwält*innen zu initiieren oder weiterzuentwickeln.
Der RAV rief wieder gemeinsam mit der VDJ, der RAK Berlin und der Vereinigung Berliner Strafverteidiger*innen auf, an einer Kundgebung vor der Botschaft Pakistans teilzunehmen. In den vergangenen Jahren war der Fokus auf die Lage unserer Kolleg*innen in China, Kolumbien, Ägypten, Honduras, Spanien/Baskenland, im Iran, auf den Philippinen und der Türkei gerichtet.
›Koalition für den gefährdeten Anwalt‹
Am 13. Juni 2019 hatte sich im Rahmen des internationalen Anwaltstreffens in Brüssel ein neues Netzwerk, die ›Koalition für den gefährdeten Anwalt‹, gegründet, mit dem Ziel, die Zusammenarbeit für gefährdete Kolleg*innen weiter zu intensivieren. Die Koalition besteht aus 28 Anwält*innenorganisationen und Anwaltskammern, unter anderem unsere europäische Dachorganisation EDA sowie die RAK Berlin sind beteiligt.
Die Zahl der unterstützenden und sich vernetzenden Organisationen wächst also weltweit kontinuierlich, was sehr erfreulich ist. Die Anzahl der Städte, in denen Kundgebungen oder andere Veranstaltungen durchgeführt werden, um auf die Situation unserer Kolleg*innen aufmerksam zu machen, kann hingegen gerne noch zunehmen.
Besonders beeindruckt hat in diesem Jahr das Engagement unserer Kolleg*innen in der Türkei. Dort haben die Mitglieder unserer Schwesterorganisation ÇHD, die ›Progressive Anwaltsvereinigung‹ (Çağdaş Hukukçular Derneği) gemeinsam mit der ÖHD, der ›Anwaltsvereinigung für die Freiheit‹ (Özgürlükçü Hukukçular Derneği) in sieben Städten Kundgebungen durchgeführt. In Ankara gab es den massiven aber letztlich vergeblichen Versuch von Polizeikräften, die Veranstaltung zu verhindern.
Aktivitäten in, zum Beispiel, Den Haag und Berlin
Die niederländischen Kolleg*innen schaffen es jedes Jahr, in Den Haag eine große, öffentliche Veranstaltung durchzuführen, in deren Rahmen dann Kolleg*innen aus den jeweiligen betroffenen Ländern zu Wort kommen, in diesem Jahr war das der Kollege Saif Ul Malook. Saif-Ul-Malook wurde Ziel von Morddrohungen, nachdem er in der Berufung einen Freispruch für seine Mandantin Asia Bibi erlangte, die seit ihrer Verurteilung wegen Blasphemie 2010 in der Todeszelle saß. Malook war daraufhin gezwungen, Schutz bei europäischen Regierungen zu suchen und kehrte trotz der Risiken und Drohungen im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufs nach Pakistan zurück. Der Oberste Richter Mian Saqib Nisar, Richter Asif Saeed Khosa und Richter Mazhar Alam Khan, die Richter, die Asia Bibis Verurteilung wegen Blasphemie aufhoben, waren ebenfalls mit dem Tod bedroht worden.
In Berlin haben wir uns gegenüber der Botschaft Pakistans versammelt, die Petition verlesen und diese anschließend am Empfang der Botschaft abgegeben. Eigentlich wollten wir sie dem Botschafter persönlich übergeben und hatten ihm das auch vorab schriftlich mitgeteilt aber außer dem Sicherheitspersonal, das uns filmte, ließ sich niemand blicken.
In der Petiton sind die Namen vieler Kolleg*innen genannt, die allein zwischen 2014 – 2019 aufgrund der Ausübung ihrer anwaltlichen Tätigkeit getötet wurden, sowie Forderungen an die Regierung von Pakistan aber auch an andere Regierungen und Nichtregierungsorganisationen formuliert.
Die Namen der Kolleg*innen sowie die Kontexte in denen ihre Ermordungen stattfanden, wurden von Anwält*innen aus Pakistan, der International Association of People‘s Lawyers (IAPL), Lawyers‘ Rights Watch Canada (LRWC) und dem European Bar Human Rights Institute (IDHAE) zusammengetragen und dokumentiert.
Zur Situation in Pakistan
In den vergangenen Jahrzehnten waren Anwält*innen in Pakistan in einer unfassbaren Vielzahl von Fällen allein wegen der Ausübung ihrer beruflichen Pflichten als Anwält*innen Terrorismus, Morden, Mordversuchen, Übergriffen, (Todes-)Drohungen, Missachtungsverfahren, Einschüchterungen und (gerichtlichen) Schikanen sowie Folterungen in Haft ausgesetzt.
Der brutalste Angriff auf Rechtsanwält*innen in Pakistan fand am 8. August 2016 statt, als Terroristen das Regierungskrankenhaus von Quetta (Hauptstadt von Belutschistan) mit einem Selbstmordanschlag und einer Schießerei angriffen, bei der 56 Anwält*innen ums Leben kamen und 92 verletzt wurden. Dadurch wurde ein großer Teil der Mitglieder der Anwaltskammer Belutschistans schlichtweg eliminiert. Dies ist immer noch ein schwarzer Tag für die Anwaltschaft in und außerhalb Pakistans.
Auch die Lage christlicher Anwält*innen oder Angehöriger muslimischer Minderheitengruppen gibt Anlass zu großer Sorge. In einigen Fällen wurden Anwält*innen wegen ihrer Zugehörigkeit zur schiitischen Religion, die die muslimische Minderheit in Pakistan darstellt, getötet.
Morde wg. ›Blasphemie‹-Vorwurf
Immer wieder werden die Anwält*innen – entgegen der Grundprinzipien über die Rolle der Rechtsanwält*innen - mit ihren Mandant*innen und deren Fällen/Motiven identifiziert, und sie werden wegen deren Vertretung gewaltsam angegriffen. Es ist beispielsweise bekannt, dass eine Blasphemie-Beschuldigung sowohl die Angeklagten sowie die Anwält*innen, die sie vertreten, als auch die Richter*innen, die über ihre Fälle entscheiden, regelmäßig Belästigungen, Drohungen und körperlichen Angriffen aussetzt.
Am 9. Februar 2018 wurde Rizwam angegriffen, weil er einen der Blasphemie Angeklagten verteidigte. Viele der Blasphemie angeklagte Menschen in Pakistan wurden vor Abschluss ihrer Prozesse ermordet, und prominente Persönlichkeiten, die sich gegen das Blasphemiegesetz gestellt hatten, wurden ebenfalls ermordet. Seit 1990 wurden 62 Menschen nach Blasphemievorwürfen ermordet. Am 7. Februar 2018 wurde Pervez Akhtar Cheema auf dem Weg zu einer Anhörung in Sheikhupura in seinem Auto erschossen. Rana Ishtiaq und Owais Talib wurden am 20. Februar 2018 während einer Anhörung im Gerichtsgebäude von Lahore getötet.
Als Reaktion auf all diese wiederholten Angriffe streiken, demonstrieren, protestieren und boykottieren pakistanische Anwält*innen häufig.
Forderungen an die Regierung und das Parlament Pakistans
So wurde die pakistanische Regierung und das Parlament in der Petition insbesondere auch dazu aufgerufen:
- »alle erforderlichen Maßnahmen zur Förderung der religiösen Toleranz zu ergreifen, einschließlich Maßnahmen zur Verhinderung und Bestrafung von Selbstjustiz gegen Personen, die der Blasphemie beschuldigt werden oder die wegen der Befolgung einer bestimmten religiösen Überzeugung angeklagt sind, sowie gegen die Anwälte, die diese Personen vertreten.
- die Bestimmungen des pakistanischen Strafgesetzbuches in Bezug auf Blasphemie unverzüglich aufzuheben, alle anhängigen Anklagen wegen Blasphemie zurückzuziehen und alle Inhaftierten, die wegen dieses Vergehens angeklagt oder verurteilt wurde, freizulassen«.
Forderungen an andere Regierungen und Organisationen
Andere Regierungen und Organisationen wurden dazu aufgerufen,
- »gefährdeten pakistanischen Anwält*innen vorübergehenden oder erforderlichenfalls dauerhaften Schutz zu gewähren, wenn sich diese Anwält*innen in ihrer souveränen Gerichtsbarkeit befinden«.
Die Europäische Union, ihre Mitgliedstaaten sowie andere Regierungen und internationale Organisationen wurden aufgerufen,
- »ihre Beziehungen zu Pakistan zu nutzen, um den Schutz von Rechtsanwält*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen im Einklang mit den internationalen Verpflichtungen Pakistans zu stärken«.
Rechtsanwält*innen, Anwaltskammern, Rechtsanwaltsgesellschaften und NRO wurden und sind nachdrücklich aufgerufen,
- Botschaften der Unterstützung und Solidarität mit unseren pakistanischen Kolleg*innen herauszugeben«.
Jede*r ist aufgerufen!
Botschaften können an den Pakistanischen Anwaltsrat (die nationale Anwaltsvereinigung) unter info@pakistanbarcouncil.org gesendet werden (http://pakistanbarcouncil.org).
Ursula Groos ist Rechtsanwältin in Berlin, Vorstandsmitglied der RAK Berlin und ehemalige RAV-Geschäftsführerin.