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#unteilbar_3 | »Wir werden dem stetigen Verlust von Rechtsstaatlichkeit im Fussball nicht untätig zusehen«

Waltraut Verleih

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Ich spreche zu Ihnen als Mitglied des erweiterten Vorstands des RAV, als Teilnehmerin an den ›Anwaltlichen Notdiensten‹ von Heiligendamm über Blockupy bis zu G2O und als Gründungsmitglied der ›Arbeitsgemeinschaft Fananwälte‹.

Die ›Arbeitsgemeinschaft Fananwälte‹ hatte sich im Sommer 2010 gegründet, um Belange von Personen zu unterstützen, die von polizeilichen und strafrechtlichen Maßnahmen anlässlich der Teilnahme von Fußballspielen betroffen waren oder sind. Damals hatte sich noch die Delegiertenversammlung des Strafverteidigertages einmal dagegen ausgesprochen, ›Fußball‹ zum Thema zu machen. Dass sich diese Haltung, ›So einen verteidigt man nicht‹, aber nicht erhalten hat, das ist ein gutes Zeichen.

Bundesweit hatten wir – unabhängig voneinander – ein rasendes Ansteigen hoher Strafen bei Bagatelldelikten im Kontext von Fußballspielen festgestellt: Zum Beispiel wurde die Verurteilung von nicht vorbestraften Angeklagten zu Freiheitsstrafen mit dem Argument ›begründet‹, im Zusammenhang ›Fußball‹ seien Geldstrafen nicht mehr adäquat. Dieses Vorgehen reichte bis hin zu exorbitant hohen Zahlen bei polizeilichen sogenannten Präventivmaßnahmen.

Dass es uns heute noch gibt, ist das Ergebnis der Fortschreibung der Verhältnisse.

Fußballfans eignen sich deshalb so gut als Testfeld für Gefahrenabwehrmaßnahmen,

• weil dieser Personenkreis wöchentlich – mit Ausnahme der Länderspielpause – und damit fast uneingeschränkt für polizeiliche Maßnahmen zur Verfügung steht,
• weil er einerseits nicht zu bändigen ist – und andererseits (fast) keine Lobby hat, die für ihn eintritt und drüber hinaus,
• weil er sich selbst kaum rechtsschutzsuchend gewehrt hatte – bis dato.
Das hat sich mittlerweile geändert, u.a. durch ›Fanhilfen‹ und qualifizierte Rechtsberatung gegen Angriffe des Staats. Worüber reden wir hier?
• Wir – in der ›AG Fananwälte‹ – reden über die bekannten Maßnahmen innerstaatlicher Feindabwehr durch intensivste Eingriffe in Grundrechte, wie wir sie auch im Versammlungsrecht kennen, und wir reden über weitere und erweiterte Ein- und Angriffe:
• Wir reden über sogenannte ›Gefährderansprachen‹ (gerne auch am Arbeitsplatz),
• wir reden über Aufenthaltsverbote, Platzverweise, Meldeauflagen, Gewahrsamsnahmen,
• wir reden über Ausreiseverbote, Erkennungsdienstliche Behandlung, und
• wir reden auch über Nacktkontrollen vor Betreten eines Stadions,
• wir reden vom Dauer-›Beschuss‹ durch Videoaufzeichnungen der Polizei, beginnend (spätestens) bei Ankunft von Fans (über die gesamte Dauer des Spiels), endend erst mit der Abreise.
• Wir reden über den Überflug von Drohnen auf dem Weg ins Stadion und über ›Modellversuche‹, in denen Gesichtserkennung durch Scanner und Algorithmen erprobt wird.

Aber es geht um noch mehr:
Massenkontrollen an Hauptbahnhöfen, auf Parkplätzen, in Zügen, bis hin zur ›Reisebegleitung‹ durch die Bundespolizei bzw. durch die Landespolizeien rund um die Stadien, in Innenstädten – das ist der Alltag eines Fans.

Orchestriert wird das Szenario unter den Stichwörtern ›Einsatzbefehl‹ / ›Gefährdungslage‹ / ›Risikobewertung‹, also als sogenannte polizeiliche Gefahren-›Lagedarstellung‹ – ähnlich wie im Versammlungsrecht.

Eingesetzt werden auch hier die bekannten Mittel der StPO, also der Strafprozessordnung: Observation, TKÜ, also: Telekommunikationsüberwachung, V-Leute, also: sogenannte ›Vertrauensleute‹, TABOs, also: die Zivilen Tatbeobachter usw. etc.

Für die ›LiMo‹, also die Datei ›Straftäter links motiviert‹, gibt es ein Pendant im Fußball: Die BKA-Verbunddatei ›Gewalttäter Sport‹. Eine Personalienfeststellung reicht aus, um in diese Datei eingetragen zu werden – mit oft schwerwiegenden Folgen, z.B. einem (zivilrechtlichen) Stadionverbot.

Eine ergänzende Überwachung der Fußballszene erfolgt am Ort des jeweiligen Vereins durch die ›persönliche‹ Beobachtung durch SKBs, also: durch die sogenannten ›szenekundigen Beamten‹; sie sind die Staatschutzbeamten des aktiven Fußballfans. Darüber hinaus steht im Fußballzusammenhang ein erweitertes Repressionsszenario zur Verfügung:

• Wir reden hier über Reise- und Betretungsverbote aller Bahnen, einschließlich der S-Bahnen.
• Wir reden über die bereits erwähnten Stadionverbote auf Zuruf der Polizei.

Denn unterlassen Vereine oder der DFB gelegentlich doch einmal die Verhängung des ›SV‹, also: des ›Stadionverbots‹, dann bessern Gerichte in Form von gerichtlichen Auflagen, bzw. Bewährungsbeschlüssen, nach. Laufzeit strafgerichtlicher Stadionverbote – bis zu fünf Jahren.

Wie verlogen jegliche Debatte im Zusammenhang mit sog. Sicherheitsgesichtspunkten und der sich daraus quasi ›zwangsläufig‹ ergebenden polizeilichen Repressionsmaßnahmen im Fußball ist, zeigt die beispielhafte Gegenüberstellung von zwei Zahlen aus aktuellen Berichten, betreffend Körperverletzungsdelikte.

Die Zahlen aus dem Jahresbericht der ZIS von 2017/2018, also: der ›Zentralen Informationsstelle Sport‹ der Polizei von Nordrhein-Westfalen und der Zahlen der ›Wies’n Statistik‹ zum Oktoberfest 2018, die auf der Pressekonferenz der Polizei München am 7. Oktober 2018 präsentiert wurden:

• Die ZIS NRW intoniert, »Grundsätzlich bewegen sich Sicherheitsstörungen und gewalttätiges Verhalten auf einem insgesamt hohen Niveau« – die Statistik weist 1,05 verletzte Menschen pro Spiel aus – bei jährlich insgesamt 21,3 Millionen Zuschauern von Fußballspielen.
• Die Polizei München intoniert eine »ruhige« und »im Wesentlichen« friedliche Wies‘n bei 16 Körperverletzungen je Wies’n-Tag – bei 6,3 Millionen Gästen in 16 Tagen.
Dass es am 29. September 2018 auf der ›ruhigen‹ und ›im Wesentlichen‹ friedlichen Wies’n zu einer Auseinandersetzung mit tödlichen Folgen gekommen ist, das ist der Münchner Polizei bei der Abschlusspressekonferenz zur Wies’n schon keiner Erwähnung mehr wert.

Stellen wir uns eine tödliche Auseinandersetzung anlässlich einer Demonstration vor und stellen wir uns weiter vor, der Tatverdächtige steht nicht auf Seiten der Polizei, sondern auf Seiten der Demonstrierenden – oder anlässlich einer Auseinandersetzung bei einem Fußballspiel –, die Folgen kann sich jede und jeder von uns ausmalen.

Zu erwähnen bleibt noch, dass Provokationen und rechtswidrige Polizeigewalt bei Polizeieinsätzen im Zusammenhang mit Fußballveranstaltungen,

• ganz wie im Versammlungsrecht,
• ganz wie gegenüber Bürgerinnen und Bürgern im Alltag,
• ganz wie gegenüber Migrantinnen und Migranten,

hier wie da also, mannigfaltig vorkommen – und in der Regel für die Polizeikräfte folgenlos bleiben.

Entlastendes Beweismaterial im Strafprozess wird vernichtet – oder gleich gar nicht erhoben.

Als ›Arbeitsgemeinschaft Fananwälte‹ wollten und werden wir dem stetigen Verlust von Rechtsstaatlichkeit nicht untätig zusehen und stehen deshalb auch für unsere Mandantinnen und Mandanten aus diesem Teil gesellschaftlicher Aktivitäten ein. Und wir stehen ein für unsere Forderungen der heutigen Demonstration #unteilbar. Vielen Dank.

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Waltraut Verleih ist Rechtsanwältin in Frankfurt/M. und Mitglied im erweiterten Vorstand des RAV