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Demo-Sanis sind keine Straftäter*innen

FREISPRUCH VOM VORWURF DER VERMUMMUNG UND SCHUTZBEWAFFNUNG Lea Voigt und Katrin Hawickhorst Neon-orangene Dienstkleidung, Rucksäcke mit medizinischem Equipment, Schutzausrüstung: Demo-Sanitäter*innen im Einsatz sind kaum zu übersehen. Seit Jahren begleiten verschiedene selbstorganisierte und ehrenamtliche Gruppen Versammlungen und leisten, wenn nötig, Erste Hilfe. Auch in angespannten Situationen bleiben sie vor Ort, erstversorgen Verletzte und betreuen sie, bis ein Rettungswagen kommt. Um sich selbst vor etwaig umherfliegenden Gegenständen zu schützen, tragen viele Demo-Sanis – ähnlich wie Journalist*innen – einen Schutzhelm und bei der Versorgung offener Wunden auch eine Infektionsschutzmaske. Probleme mit der Polizei gab es deswegen nie. Dies änderte sich im November 2016. Einem Demo-Sanitäter wurde von der Berliner Polizei vorgeworfen, bei einer Versammlung die Festnahme eines Demonstranten gestört zu haben und dabei schutzbewaffnet (Helm) und vermummt (Atemschutzmaske) gewesen zu sein. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den Sanitäter, der zunächst einen Strafbefehl erhalten hatte, am 13. Dezember 2017 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Gefangenenbefreiung und Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen (Az. 241 Cs 156/17). In dem schriftlichen Urteil heißt es, der Angeklagte und seine Mitstreiter*innen wären als gewöhnliche Versammlungsteilnehmer*innen anzusehen und hätten sich als Sanitäter*innen verkleidet. Das Tragen der Schutzmaske habe nach der Überzeugung des Amtsgerichts vorrangig dem Zweck gedient, die Identität des Angeklagten zu verschleiern. Mit dem Helm habe er sich jedenfalls auch vor Zwangsmaßnahmen der Polizei schützen wollen, weshalb es sich um strafbare Schutzbewaffnung handele. HELM UND MASKE Mit diesem Urteil stand grundlegend in Frage, ob Demo-Sanis in Zukunft ihrer Tätigkeit noch nachgehen können. Wenn sie sich selbst nicht mehr schützen dürfen, können sie anderen keine Hilfe leisten. Anfragen einer auswärtigen Polizei-dienststelle und eines ›professionellen‹ Rettungsdienstes an das Amtsgericht zeigten, dass nicht nur die Demo-Sani-Gruppen selbst mit Interesse (und Sorge) das Verfahren beobachteten. Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft haben gegen das Urteil Berufung eingelegt. Am 14. September 2018 fand schließlich die Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht Berlin statt. Der angeklagte Demo-Sanitäter wurde von allen Vorwürfen freigesprochen (die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor). Die Kammer kam zu der Überzeugung, dass weder die Störung der Festnahme des Demonstranten nachweisbar ist, noch, dass er mit seiner Ausrüstung gegen das Versammlungsgesetz verstößt. Es sei zweifelhaft, ob Demo-Sanitäter*innen überhaupt als Versammlungsteilnehmer*innen zu qualifizieren seien. Jedenfalls fehle es aber in Hinblick auf die Vorwürfe der Schutzbewaffnung und Vermummung an der subjektiven Tatseite, denn Helm und Maske seien von dem Angeklagten nicht getragen worden, um sich vor der Polizei zu schützen bzw. die eigene Identität zu verschleiern. VOM KOPF AUF DIE FÜßE GESTELLT Rechtlich musste die Kammer für diese erfreuliche Entscheidung kein Neuland betreten. Die Straftatbestände des § 17a Abs. 1 und Abs.  2 Nr. 1 VersammlG verlangen beide einen direkten Vorsatz. Es genügt also gerade nicht, wenn der Versammlungsteilnehmer erkennt und billigend in Kauf nimmt, dass seine Aufmachung auch zum Schutz vor Vollstreckungsmaßnahmen eines Hoheitsträgers oder zur Verhinderung einer Identitätsfeststellung geeignet ist. Das Kammergericht hat insoweit zur Vermummung ausgeführt (Beschl. v. 11.12.2012, BeckRS 2013, 03999, amtlicher Leitsatz, nachfolgende Hervorh. durch die Autorinnen):
»Auf die Verhinderung der Identitätsfeststellung gerichtet ist die Aufmachung dann, wenn der Versammlungsteilnehmer durch sie die Feststellung der Identität verhindern will, mithin absichtlich handelt. E
s genügt für die Erfüllung des Tatbestandes nicht, dass der Versammlungsteilnehmer allein aus gänzlich anderen Motiven als der Verhinderung seiner Identifikation eine zu diesem Zweck geeignete Aufmachung anlegt. Dies gilt auch dann, wenn er sich hierbei der Eignung seiner Aufmachung zur Vermummung bewusst ist und insoweit vorsätzlich handelt.Neben den Vorsatz hinsichtlich der Eignung zur Verhinderung der Identifikation muss die dahingehende Absicht treten«. Das Landgericht hat die Dinge vom Kopf auf die Füße gestellt. Es bleibt zu hoffen, dass die von der Staatsanwaltschaft eingelegte Revision gegen das Urteil daran nichts ändert. Die Rechtsanwältinnen Voigt (Bremen) und Hawickhorst (Hamburg) sind RAV-Mitglieder und haben in dem Verfahren verteidigt. Die Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion eingefügt.