Wahre Flüchtlinge
DER FLÜCHTLING ALS NORMATIVE IDEE
Dana Schmalz
Wenn von Flüchtlingen die Rede ist, dann erstaunlich oft auch im gleichen Atemzug von Wahrheit. »The tragic but brutal truth: They are not REAL refugees«, titelte die DailyMail Ende Mai 2016 und bezog sich damit auf einige hundert vor der Sizilianischen Küste gerettete Personen.(1) »Il faut dire la vérité: les migrants de la jungle ne sont pas des réfugiés«,(2) schrieb der Figaro Ende Oktober 2016 anlässlich der Räumung der informellen Siedlungen in Calais.(3) Und selbst in wissenschaftlichen Beiträgen lesen wir von »Etikettenschwindel«(4) oder von »asylfremden Verfahren«,(5) womit wohl Asylverfahren gemeint sind, in denen die Antragssteller ›keine wirklichen Flüchtlinge‹ sind.(6) Wie können wir diese Formulierungen verstehen? Worum geht es bei der „Wahrheit“ bezüglich Flüchtlingen? Eine Möglichkeit wäre, dass es schlicht darum geht, zu betonen, dass der Begriff des Flüchtlings im Recht definiert ist. Wahre Flüchtlinge sind dann nur diejenigen Personen, die unter die rechtlichen Definitionen fallen. Allerdings gibt es, wo immer Definitionen des Rechts bestehen, Personen, für die strittig oder noch unklar ist, ob die Definition auf sie passt. Man kann der rechtlichen Definition zufolge Verbraucher sein oder kein Verbraucher, aber kaum ein ›nicht wirklicher Verbraucher‹.(7) Man kann Erbe oder kein Erbe sein, aber kaum ›kein echter Erbe‹.(8) Auch gibt es reihenweise Begriffe, die im Recht definiert sind, für die aber selbstverständlich akzeptiert ist, dass sie im allgemeinen Sprachgebrauch abweichend verwendet werden. Niemand hat wohl je mit Verweis auf die Legaldefinition des Schatzes(9) betont, dass es sich bei den im Kunsthistorischen Museum Wien ausgestellten Schätzen gar nicht um ›wahre Schätze‹ handele.
Wenn es also bei der Rede von ›wirklichen Flüchtlingen‹ nicht allein um Definitionen des Rechts geht, worum dann? Die ›Wahrheit‹ im Zusammenhang mit Flüchtlingen verweist auf eine normative Dimension des Begriffs. Das schließt nicht aus, dass der Begriff in vielen Zusammenhängen deskriptiv verwendet wird.(10) Regelmäßig aber geht mit dem Begriff die Vorstellung eines legitimen Schutzanspruchs einher: Dass eine Person ›eigentlich kein Flüchtling‹ ist, spricht ihrer Anwesenheit oder ihrem Hilfsersuchen in diesem Sinne Legitimität ab. Umgekehrt spiegelt sich diese Vorstellung eines legitimen Schutzanspruchs, wenn Personen mit Schildern »Wir sind Flüchtlinge« demonstrieren.(11) In beiden Fällen steht die Vorstellung von Legitimität natürlich nicht in gänzlicher Loslösung oder im Gegensatz zu Rechtsvorschriften, aber sie ist auch nicht daran gebunden.
Der Eindruck ist also erstens, dass es sich bei dem Flüchtling um eine normative Idee handelt, und zweitens, dass diese normative Idee eine erhebliche Brisanz besitzt, welche die Verwendung des Begriffs zum Gegenstand so vehementer Debatten macht. Diesem Eindruck geht die folgende Untersuchung nach. Sie beginnt mit einer Betrachtung des Flüchtlingsbegriffs im Recht (2). Die verschiedenen rechtlichen Definitionen spiegeln widerstreitende Perspektiven auf globaler Ebene: Die Dominanz europäischer Geschichte in der Ausrichtung der Flüchtlingskonvention, und die Bemühungen vor allem afrikanischer und lateinamerikanischer Staaten, die Flüchtlingsdefinition zu erweitern. Zugleich verweist die Entwicklung der Definitionen auch auf die Rolle des zugrunde liegenden Verständnisses des Flüchtlingsbegriffs.
Im Bezug auf letzteres wendet sich der darauf folgende Teil dann dem Flüchtlingsbegriff des Rechts (3) zu: Der Flüchtlingsbegriff, wie er den verschiedenen internationalen Definitionen zugrunde liegt, lässt sich nur im Verhältnis zur Geschichte und Ordnung des territorialen Staates verstehen. Nicht nur die Entstehung der rechtlichen Flüchtlingsdefinition ist also eng mit europäischer Geschichte verbunden, sondern auch die Idee des Flüchtlings in weiterem Sinne.(12) Das bedeutet keinesfalls, dass es nicht verwandte oder vergleichbare Konzepte mit anderen Entwicklungslinien gibt. Die normative Idee des Flüchtlings als Korrelat des Territorialstaats zu verstehen, eröffnet aber die Perspektive darauf, inwiefern der Begriff selbst Gegenstand von Kritik sein kann und muss, und inwiefern er sich umgekehrt als Werkzeug von Kritik eignet (4). Abschließend wird skizziert, was der so verstandene Flüchtlingsbegriff als normative Idee zu den Diskussionen über legitime politische Ordnung unter Bedingungen der Globalisierung beitragen kann.
DER FLÜCHTLINGSBEGRIFF IM RECHT
Es bestehen heute zumindest drei unterschiedliche Definitionen des Flüchtlings im internationalen Recht: Die bekannteste und ohne Frage wichtigste ist diejenige der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) von 1951 in Verbindung mit dem Protokoll von 1967.(13) Danach umfasst der Begriff ›Flüchtling‹ jede Person, »die [...] aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will«.(14) In der Afrikanischen Flüchtlingskonvention von 1969(15) sowie in der für Lateinamerika zentralen Erklärung von Cartagena von 1984(16) finden sich Definitionen des Flüchtlings, welche auf die GFK-Definition Bezug nehmen, aber sie auch ausdrücklich ergänzen. Zweierlei ist also interessant, um den Flüchtlingsbegriff im Recht näher zu untersuchen: Die Entstehung der Definition in der GFK und die Debatten, inwieweit die Definition ausreichend oder ergänzungsbedürftig ist.
Die Flüchtlingsdefinition der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 bildet das Ergebnis langer Verhandlungen. Frühere Instrumente des internationalen Flüchtlingsschutzes waren auf spezifische Personengruppen bezogen, insbesondere auf russische und armenische Flüchtlinge in den zwanziger Jahren und auf deutsche Flüchtlinge nach 1931.(17) In der Satzung der Internationalen Flüchtlingsorganisation (IRO) von 1946 findet sich erstmals ein Abschnitt zur »Definition von Flüchtlingen«, mit einer Auflistung verschiedener Personengruppen.(18) In mancher Hinsicht ist diese Definition spezifischer, im Vordergrund stehen Opfer des Nazi-Regimes und anderer faschistischer oder kooperierender Regime.(19) In anderer Hinsicht ist die Definition weiter als die spätere der GFK: So spielt die Furcht vor Verfolgung wegen »Rasse, Religion, Nationalität oder politischer Überzeugung«,(20) wie sie sich in der GFK wiederfindet, nur für die Zuständigkeit der IRO, nicht aber für den Begriff des Flüchtlings als solchen eine Rolle.
Es waren unter anderem Mitglieder der IRO, welche den ersten Entwurf der späteren Flüchtlingskonvention schrieben.(21) Für die Definition des Flüchtlings legten sie drei mögliche Lösungen vor: Eine Zuständigkeit der UN-Generalversammlung, Personengruppen jeweils als solche unter den Schutz der Vereinten Nationen zu stellen; die Auflistung aus der IRO-Satzung; oder eine in der GFK selbst festzuschreibende Definition.(22) Nachdem sich die Staatenvertreter für die letzte Variante entschieden hatten, drehten sich die Verhandlungen darum, wie weit eine solche Definition gefasst sein sollte. Das Ergebnis der GFK blieb letztlich erheblich hinter den Forderungen von der IRO, von NGOs und von einigen Staaten zurück.(23)
Zunächst war die GFK zudem zeitlich und teilweise geografisch nur beschränkt anwendbar.(24) Mit dem Protokoll von 1967 wurden diese Einschränkungen aufgehoben. Mit dieser formalen Universalisierung rückte aber die Frage ins Zentrum, ob die Flüchtlingsdefinition materiell den sich verändernden Herausforderungen genügte und auf die Fluchtsituationen außerhalb Europas passte. Es waren auch die Überlegungen der Organisation Afrikanischer Einheit (OAU) über ein Abkommen mit weiter gefasster Definition des Flüchtlings, welche die Verabschiedung des Protokolls von 1967 überhaupt befördert hatten.(25) In der Afrikanischen Flüchtlingskonvention von 1969 umfasst der Begriff des Flüchtlings zusätzlich zu der GFK-Definition auch Personen, die »aufgrund von äußerer Aggression, Okkupation, ausländischer Vorherrschaft oder Ereignissen, die ernsthaft die öffentliche Ordnung stören«, geflohen sind.(26) Die Erklärung von Cartagena verweist ebenso auf die GFK-Definition und fügt ergänzend hinzu, dass auch all diejenigen als Flüchtlinge gelten, die »aus ihrem Herkunftsland geflohen sind, weil sie dort an Leben, Sicherheit oder Freiheit bedroht waren, sei es durch generelle Gewalt, äußere Aggression, interne Konflikte, massive Menschenrechtsverletzungen oder sonstige Umstände, die ernsthaft die öffentliche Ordnung gestört haben«.(27)
Zweierlei wird aus diesen globalen Unterschieden, was den Flüchtlingsbegriff im Recht betrifft, deutlich.(28) Zum einen die Dominanz der Definition der GFK: Auch wenn abweichende, weiterreichende Definitionen später geschaffen wurden, so gehen diese von der GFK aus und bleiben an diese angebunden. Die Definitionen der OAU-Konvention und der Cartagena-Erklärung akzeptieren Grundannahmen, die andernorts als koloniale Prägungen des internationalen Rechts beschrieben wurden.(29) Zum anderen wird die Relevanz des Flüchtlingsbegriffs als normativer Begriff deutlich: Die weiterreichenden Definitionen reagierten auch auf einen Schutzbedarf, der über die von der GFK umfassten Personen hinaus bestand. Staaten Europas und des sonstigen Globalen Nordens reagierten ebenfalls auf diesen zusätzlichen Schutzbedarf, allerdings unter anderen Bezeichnungen.(30) Dass sie den Flüchtlingsbegriff dabei weiterhin auf die GFK-Definition begrenzten, war keineswegs zwingend: Diese selbst spricht lediglich über den Anwendungsbereich der Konvention;(31) auch stellt es beispielsweise europäisches Recht den Mitgliedstaaten frei, weiter gefasste Definitionen des Flüchtlings zu wählen.(32) Die Entscheidung, den Flüchtlingsbegriff eng zu belassen und lieber durch andere Begriffe von Schutz zu ergänzen, lässt sich als Hinweis auf seine Relevanz als normative Idee lesen: Weil mit dem Begriff die Vorstellung eines Anspruchs an den Staat von außen verknüpft ist, sind Staaten unter Umständen bemüht, die rechtliche Verwendung möglichst eng zu begrenzen.
DER FLÜCHTLINGSBEGRIFF DES RECHTS
Woher stammt der Begriff des Flüchtlings, wie ihn die verschiedenen Konventionen aufnehmen? Wie lässt er sich unabhängig von den rechtlichen Definitionen verstehen, und was bedingt seine normative Dimension? Zunächst ist der Ausdruck ›Flüchtling‹ die Bezeichnung einer Person, die von einem Ort flieht und anderswo Zuflucht sucht.(33) Das Wort im Deutschen ist stärker auf den Akt des Fliehens bezogen, die englische Entsprechung ›refugee‹ in Anlehnung an das Lateinische ›refugium‹ stärker auf das Moment der Zuflucht.(34) In diesem Sinne ist der Begriff des Flüchtlings deskriptiv. Die normative Dimension erschließt sich, wenn wir den Begriff in seiner historischen Entwicklung anschauen: Der Ausdruck entsteht in Europa im 17. Jahrhundert,(35) also in jener Zeit, in der sich die politische Ordnung grundlegend ändert. Die Westfälischen Friedensverträge von 1648 markieren den Übergang von einer durch religiöse Zugehörigkeit gegliederten Ordnung zu einem System souveräner Territorialstaaten. In Prozessen, die natürlich langwieriger und vielschichtiger sind als es der Ausdruck der ›Westfälischen Ordnung‹ suggeriert, verändert sich in Europa die politische Ordnung und die Vorstellung von Legitimität.
Dass der Begriff des Flüchtlings gerade in dieser Zeit aufkommt, lässt sich damit erklären, dass er eine Unterscheidung anbietet: Die Unterscheidung von Gründen, aus denen eine Person migriert. In der territorial definierten politischen Gemeinschaft wächst das Interesse zu kontrollieren, wer über die Grenzen kommt und sich dauerhaft auf dem Territorium niederlässt. So lässt sich das Aufkommen des Flüchtlingsbegriffs lesen als Reaktion auf die Notwendigkeit, Gründe anzugeben, aus denen eine Person migriert. Ohne die ausschließende Funktion von territorialen Grenzen lässt sich der Begriff des Flüchtlings nicht verstehen.(36) Zugleich ist das Aufkommen Hinweis, dass der Unterscheidung von Gründen eine gewisse Relevanz beigemessen wurde.
Das ist umso mehr der Fall, sobald sich der territorial definierte Staat zu einem Verfassungsstaat und weiter zu einem demokratischen Verfassungsstaat entwickelt. Der Wechsel von einer religiös gegliederten Ordnung zu einer territorial definierten geht einher mit einer Hinwendung zum Individuum als Ausgangspunkt des Denkens.(37) Die grundlegende Legitimitätsvorstellung dieser territorialen Ordnung ist die des Gesellschaftsvertrags: Den von Gott eingesetzten Herrscher als oberste Instanz und Quelle bindender Entscheidungen ersetzt die Vorstellung von der ersten Einigung aller über die Existenz von Recht und Regierung.(38) Die territorial definierte politische Gemeinschaft gilt insofern als Grundlage allen Rechts; dementsprechend ist die Entscheidung über Zugang zu der Gemeinschaft eine, für welche grundsätzlich keine äußeren Einschränkungen bestehen.(39) Die mit der Französischen Revolution einsetzenden Demokratisierungsbewegungen ergänzten die Vorstellung einer territorial definierten Gemeinschaft um den Gedanken der Volkssouveränität. Die Unterscheidung von Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern ist insofern demokratisch geboten,(40) mit dem Institut der demokratischen Bürgerschaft gewinnt die Entscheidung über Zugang zur territorial definierten Gemeinschaft zusätzlich an Bedeutung.
Die freie Entscheidung des Staates über Zugang zum Territorium ist in dieser Legitimitätsvorstellung selbstverständliche Regel. Zugleich ist die Beschränkung von Solidaritätspflichten entlang territorialer Grenzen oftmals willkürlich und für die individuelle Lebenswirklichkeit zufällig. Gerade weil die Vorstellung des Gesellschaftsvertrags vom Individuum ausgeht, ist es nicht überraschend, dass die Figur des Flüchtlings einen Ausgleich zu den Härten dieser Abgrenzung bildet. Hand in Hand mit der Vorstellung einer grundsätzlich freien Entscheidung der Gemeinschaft über Zugang geht insofern die Idee einer Ausnahme: Ein Fremder darf an der Grenze nur abgewiesen werden, »wenn es ohne seinen Untergang geschehen kann«, wie es Immanuel Kant formuliert.(41) Das heißt selbstverständlich nicht, dass Einigkeit über eine solche Norm bestünde, oder Einigkeit darüber, unter welchen Bedingungen jemand zuzulassen ist. Aber der Begriff des Flüchtlings eröffnet mit der Unterscheidung zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Migration die Möglichkeit, dieser Unterscheidung eine normative Relevanz beizumessen. Er bildet den Ausgangspunkt für die Vorstellung, dass der Staat unter gewissen Umständen nicht frei ist, Personen an der Grenze abzuweisen. Und er entwickelt sich in den darauf folgenden Jahrhunderten damit zu einer einflussreichen normativen Idee.
Inwiefern das Aufkommen des Flüchtlingsbegriffs einen grundlegend neuen Blickwinkel markiert, wird auch deutlich im Vergleich mit dem Konzept des Asyls: Das bereits in der Antike bestehende Institut des Asyls verweist auf den Anspruch eines Souveräns gegenüber einem anderen, für eine Person zuständig zu sein. Wie im griechischen Ausdruck a-sylon angelegt, bezeichnete es zunächst den Anspruch religiöser Stätten und Autoritäten, dort den Zugriff der weltlichen Autorität auf eine Person auszuschließen.(42) Das Kirchenasyl bringt dieses Verhältnis noch zum Ausdruck, insofern es eine gewisse Souveränität der Kirche innerhalb des Staates suggeriert.(43) Ebenso verkörpert das Konzept des politischen Asyls das Recht eines Staates, eine Person nicht an einen anderen Staat auszuliefern. Auch wenn sich die Verwendung von ›Asyl‹ und ›Flüchtlingsschutz‹ heute weitreichend überschneidet, liegt dem Flüchtlingsbegriff eine andere Perspektive zugrunde: Statt von dem Ort des Schutzes geht der Begriff von den betroffenen Personen aus. Statt um ein Recht der schutzgewährenden Autorität geht es hier um einen Anspruch der schutzsuchenden Person gegenüber einem Gemeinwesen.
Die Figur des Flüchtlings ist in der Ordnung des demokratischen Staats also die Figur des ›Anderen‹,(44) welcher aus der Zuordnung von Personen zu Staaten herausfällt. Sie ist als normative Idee aber zugleich schlüssige Ergänzung zu den Legitimitätsannahmen des Gesellschaftsvertrags. Dessen Konzeption als Grundlage demokratischer Legitimation von Recht birgt ein Anfangsparadox: Einerseits fußt sie auf der Vorstellung gleicher Freiheit aller Menschen, die nur denjenigen Gesetzen folgen, als deren Autoren sie sich betrachten können.(45) Andererseits bauen demokratische Verfahren auf eine erste Unterscheidung von Mitgliedern und Nichtmitgliedern, welche als solche nicht demokratisch getroffen werden kann.(46) Dieses Anfangsparadox lässt sich ebenso als Grenzparadox formulieren: Wenn politische Zugehörigkeit und politische Rechte sich grundsätzlich aus der territorial umschriebenen Kopräsenz von Menschen speisen, wie lassen sich diese Bedingungen von Kopräsenz, also der Zugang zu und dauerhafte Aufenthalt auf Territorium selbst demokratisch gestalten?(47) Die Legitimitätsidee des territorialen demokratischen Staats birgt eine Spannung zwischen dem Grundwert der Gleichheit und Freiheit aller Menschen und den unterschiedlichen Rechten von Mitgliedern und Nichtmitgliedern. Die Figur des Flüchtlings als die normative Idee, dass unter gewissen Extremsituationen auch Nichtmitglieder nicht an der Grenze abgewiesen werden dürfen, bildet unter diesen Bedingungen einen gewissen Ausgleich zu der Willkür, welche der Abgrenzung von Mitgliedern und Nichtmitgliedern innewohnt.
DER FLÜCHTLINGSBEGRIFF ALS GEGENSTAND UND MOTOR VON KRITIK
Der Flüchtlingsbegriff entwickelt sich also als Korrelat des Territorialstaats, und ist verknüpft mit der Idee einer Ausnahme innerhalb der territorialstaatlichen Ordnung: Als die normative Idee, dass Personen unter gewissen Bedingungen nicht an der Grenze abgewiesen werden dürfen, ergänzt er die Regel der einseitigen Entscheidung über Zugang zum Territorium und zur Gemeinschaft. Diese normative Idee des Flüchtlings liegt den später kodifizierten Regelungen zugrunde. Dass es gerade die Begriffsgeschichte des Englischen und Französischen war, welche die internationalen rechtlichen Regeln prägte, ergibt sich schon daraus, dass die GFK in diesen Sprachen entworfen und verhandelt wurde.(48) Diese Tradition der GFK bestimmte alle späteren Definitionen des Flüchtlings, wie in der anfänglichen Untersuchung deutlich wurde. Die normative Idee des Flüchtlings ist also einerseits eine partikulär geprägte, zugleich ist sie Konzept der Ausnahme zu einer partikulär geprägten Legitimitätsordnung. Beide Aspekte sind wichtig, sowohl für eine kritische Perspektive auf den Flüchtlingsbegriff als auch im Hinblick auf das ihm innewohnende kritische Potenzial.
Der Flüchtlingsbegriff als Gegenstand von Kritik
Wir können die am Flüchtlingsbegriff ansetzende Kritik unter drei miteinander verbundene Aspekte fassen: Erstens die Kritik, dass der Begriff die allgemeine Regel einseitiger Grenzregulierung voraussetzt und bestätigt; zweitens die Kritik, dass der Flüchtlingsbegriff bestimmte Formen der Not privilegiert behandelt; und drittens die Kritik, dass er mit dem Fokus auf Not von Menschen und dem darauf reagierenden Schutz eine problematische Rahmung schafft.
Der erste Aspekt bildet gleichsam die Kehrseite des bislang betonten: Mit dem Flüchtlingsbegriff ist eine normative Idee verbunden, nämlich die einer Ausnahme von der Freiheit des Staates über Zugangsbedingungen zu entscheiden. Als Ausnahme unterstreicht der Begriff aber zugleich die Regel: Es ist eben nur unter bestimmten Bedingungen der Not unzulässig, eine Person an der Grenze abzuweisen – und unter allen anderen Bedingungen legitim. Auch wenn über die Interpretation, wie weit diese Bedingungen reichen, gestritten wird, so ist damit zunächst die Beweislast klar zugeteilt: Nicht das Gemeinwesen muss rechtfertigen, weshalb es überhaupt Grenzen hat und Bewegungsfreiheit einschränkt,(49) sondern die um Zugang bemühte Person muss begründen, dass sie unter ›die Ausnahme‹ fällt. Eine grundsätzliche Kritik des Flüchtlingsbegriffs als durch die Strukturen des Staates gerahmt und der daraus erwachsenen Dilemma finden wir in rechts- ebenso wie in sozialwissenschaftlichen Beiträgen.(50) Eine in diese Richtung zielende Kritik gibt es in der generellen öffentlichen Diskussion auch mit Blick auf die wertende Abgrenzung von Flüchtlingen und Migranten. Als AlJazeera erklärte, es werde in Zukunft nicht mehr von ›Migranten‹ sprechen in Bezug auf die Menschen, die unter Lebensgefahr versuchen, das Mittelmeer zu überqueren, sondern von Flüchtlingen,(51) gab es auch den Einwand: »Heißt das im Umkehrschluss, dass nur Flüchtlinge Rechte haben, dass der Begriff ›Migrant‹ gleichbedeutend mit illegitim ist?«(52)
Der zweite Aspekt von Kritik betrifft die Frage, welche Formen und Gründe von Not der Flüchtlingsbegriff privilegiert. Die beschriebene Entwicklung des Begriffs parallel zur territorialen politischen Ordnung erklärt den Fokus auf religiöse und politische Verfolgung: Die territoriale Ordnung war gerade Antwort auf und Ergebnis von blutigen Religionskriegen, die Flucht aus religiösen Gründen blieb zusammen mit politischen Gründen Leitbild der Definition des Flüchtlings.(53) Die Hierarchie von Fluchtgründen, bei denen extreme ökonomische Not beispielsweise weit unten steht, lässt sich durchaus hinterfragen.(54)
Der dritte Aspekt schließlich betrifft die Rahmung, welche der Flüchtlingsbegriff vorgibt, die Bedingung von Ausweglosigkeit und Not, sowie die Vorläufigkeit der Aufnahme unter dem Vorzeichen des Schutzes. Auch wenn über die Konkretisierung des Flüchtlingsbegriffs in Kriterien und die Interpretation jedes einzelnen Kriteriums gestritten wird, so bleiben die Voraussetzung der Schutzbedürftigkeit und die Reaktion des Schutzes doch Referenzpunkt der Überlegungen. Diese Rahmung wird von denjenigen in den Blick genommen, die strukturelle Probleme von humanitärer Hilfe, insbesondere einen damit einhergehenden Diskurs der Viktimisierung kritisieren.(55) Und auch die Analysen des ›Flüchtlingslabels‹ in Selbst- und Fremdwahrnehmung zielen in diese Richtung.(56)
Die Vorgabe, dass nur unter Bedingungen extremer Not Hilfe gewährt wird, steht in gewisser Spannung mit den Bedingungen, unter denen Flüchtlinge Rechte einfordern können: Personen, die als politische Akteure auftreten werden oftmals gerade nicht als besonders schutzbedürftig wahrgenommen – und umgekehrt. Die Rahmung der Aufnahme als vorläufig wiederum wird zum Problem, wenn die Personen tatsächlich viele Jahre nicht in ihr Heimatland zurückkehren können. Zudem lässt sich schon die Grundannahme, dass Flüchtlinge ›dis-placed‹, also am falschen Ort sind, bevor die richtige Zuordnung zwischen Individuum und Staat wiederhergestellt wird, mit guten Gründen hinterfragen.(57) Die Vorstellung, dass Flüchtlingen gerade keine Integration ermöglicht werden soll, ›weil sie schließlich nicht bleiben‹, ist zwar inzwischen weitgehend passé.(58) Aber gerade deshalb tritt die Spannung offener zu Tage, dass Flüchtlinge einerseits unter dem Gesichtspunkt der Schutzbedürftigkeit aufgenommen werden, und andererseits irgendwann zu Bürgern werden können sollen.(59)
Der Flüchtlingsbegriff als Motor von Kritik
Über den Flüchtlingsbegriff vor dem Hintergrund seiner historischen Entwicklung nachzudenken, kann also Ausgangspunkt einer Kritik des Begriffs mit den ihm zugrunde liegenden Annahmen sein. Umgekehrt eignet sich der Flüchtlingsbegriff aber auch als Ausgangspunkt und Motor von Kritik: Er ist nicht nur Ausdruck einer spezifischen Tradition politischer Ordnung, sondern ebenso Konzept der Ausnahme zu derselben. In der Rolle der Ausnahme erlaubt die normative Idee des Flüchtlings, Grundannahmen des territorialen Nationalstaats gleichsam ›von innen‹ zu hinterfragen. Dies ist umso bedeutsamer, als die Form des territorialen Staats gerade im 20. Jahrhundert erst wirklich global wurde. Eine große Zahl von Staaten wurde erst nach 1945 unabhängig.(60) Die auf die Dekolonialisierung folgenden Unabhängigkeitserklärungen waren nur unter dem Vorzeichen territorialer Souveränität möglich, die Anerkennung wesentlich an die Form des Territorialstaats gebunden.(61)
Während einerseits also die Form des territorialen Staates global wurde, gewann andererseits die internationale Ebene an Bedeutung: Die zunehmende Zahl und Macht internationaler Institutionen, ein zunehmend einflussreiches internationales Menschenrechtsregime, aber auch die engeren wirtschaftlichen Verflechtungen haben dazu geführt, dass Staaten immer weniger als einziger oder letzter Rahmen von Recht und politischen Prozessen gelten können. Die Debatte darüber, wohin sich die politische Ordnung entwickelt und wie grundlegende Prinzipien von Legitimität unter Bedingungen der Globalisierung zu verstehen sind,(62) hat in den letzten Jahrzehnten verschiedene Disziplinen intensiv beschäftigt.(63)
Die grundlegenden Prinzipien, an Hand derer Legitimität diskutiert und verstanden wird – insbesondere Demokratie und Bürgerschaft – haben sich im Rahmen des modernen territorialen Staates ausgeprägt. Zwar geht der Begriff der Demokratie als Herrschaft des Volkes auf die griechische Antike zurück,(64) aber entlang der Entwicklung des modernen Staates in den letzten zwei Jahrhunderten bildeten sich die Institutionen und Verfahren repräsentativer Demokratie, welche heute unser Verständnis bestimmen. In diesem Sinne ist Demokratie heute weithin akzeptiert als Kern der Legitimation von Recht und Regierung: Fast universell verwenden Staaten in ihren Verfassungen das Attribut ›demokratisch‹ als Selbstbeschreibung.(65) Das heißt nicht, dass Einigkeit bestünde, inwieweit einzelne Systeme als demokratisch gelten können und was Demokratie erfordert. Dennoch steht außer Frage, dass die verstärkten globalen Zusammenhänge und die Internationalisierung von Recht wesentliche Neuerungen sind, die den Anspruch demokratischer Herrschaft vor grundlegende Herausforderungen stellen.
Mit Blick auf die Debatten über Demokratie und allgemeiner Bedingungen von Legitimität unter den Voraussetzungen der Globalisierung birgt der Begriff des Flüchtlings ein besonderes kritisches Potenzial. Zunächst erlaubt er, die Idealisierung der staatlichen Rahmung von Recht und Demokratie zu hinterfragen, von welcher die Debatte oftmals ausgeht (Gegen eine Idealisierung des Staates). Zudem verkörpert er eine kosmopolitische Perspektive, die nicht auf einen abstrakten Universalismus aufbaut, sondern an den konkreten Situationen der Begegnung an der Grenze ansetzt. Insofern rückt die normative Idee des Flüchtlings die Bedingungen von Migration als politische Fragen ins Zentrum und erlaubt die vorherrschende Dichotomie von Globalem und Lokalem zu durchbrechen (Gegen eine Dichotomie von Globalem und Lokalem).
GEGEN EINE IDEALISIERUNG DES STAATES
Regelmäßig ist die Frage nach Demokratie und Recht unter Bedingungen der Globalisierung gerahmt als eine Situation, bei welcher ein bislang funktionierendes System mit neuen Entwicklungen konfrontiert wird.(66)Demgegenüber unterstreicht die Figur des Flüchtlings, dass es sich bei der staatlichen Ausgestaltung von Demokratie niemals um eine ideale Verkörperung handelte: Gleiche Rechte und demokratische Bürgerschaft im Staat gingen Hand in Hand mit fundamentalen Ausschlüssen, sowohl an den territorialen Grenzen wie auch an inneren Grenzen von politischer Zugehörigkeit.(67) Die rechtliche Kodifizierung des Flüchtlingsbegriffs sowie die Bedingungen von Menschenrechtsgarantien illustrieren diese Problematik.
Die im Flüchtlingsbegriff angelegte Idee eines legitimen Anspruchs auf Schutz korreliert mit der Vorstellung, dass der Staat in gewissen Fällen nicht frei ist, eine Person an der Grenze abzuweisen. Die rechtliche Kodifizierung dieser normativen Idee ruft daher ein demokratietheoretisches Problem auf den Plan: Die normative Idee des Flüchtlings ist gerade die eines Anspruchs gegenüber dem Staat, die Idee einer Einschränkung der freien Entscheidung über Zugang. Die rechtliche Festlegung findet jedoch notwendigerweise innerhalb der bestehenden politischen Systeme statt, und zwar sowohl für das nationale als auch für das internationale Recht. Die Perspektive des Individuums, welches von außen einen Anspruch an diese begrenzten politischen Gemeinschaften stellt, bleibt in diesen Verfahren immer zu einem gewissen Grad außen vor.
Die Situation von Flüchtlingen markiert also die Begrenztheit des demokratischen Versprechens in seiner Institutionalisierung im Territorialstaat. Ebenso markiert sie die Begrenztheit der Garantien grundlegender Rechte in der territorialen Ordnung. Hannah Arendts Analyse der grundlegenden Rechtlosigkeit von Flüchtlingen wies gerade auf diese Begrenztheit hin.(68) Auch mit dem heutigen System internationaler Menschenrechte ist diese Problematik nicht verschwunden: Menschenrechtliche Garantien, wie etwa die der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), gelten zwar universell, insofern sie keine bestimmte Staatsangehörigkeit voraussetzen. Sie verpflichten aber einen Staat nur, insoweit über die betreffende Person Hoheitsgewalt besteht.(69) Ein Staat ist Garant von Menschenrechten zunächst für die Personen auf seinem Hoheitsgebiet, daneben für Personen, über die er extraterritorial Hoheitsgewalt ausübt. Entscheidendes Kriterium hierfür ist »effektive Kontrolle«.(70) Auch das Verständnis extraterritorialer Hoheitsgewalt bleibt also eng an einen physischen Bezug zwischen dem Staat und der Person gebunden.(71) Für die Bedingungen von Zugang zu Territorium und die Legalität von Abwehrmaßnahmen erzeugt das widersprüchliche Voraussetzungen. Sobald sie sich auf dem Territorium befinden oder sonst unter der Hoheitsgewalt des Staates stehen, kommen Asylsuchenden weitreichende Rechte zu. Zahlreiche staatliche Maßnahmen sind aber gerade darauf gerichtet, dies zu verhindern,(72) ohne dass menschenrechtliche Vorschriften dabei greifen. Der unter der EMRK entschiedene Fall Hirsi Jamaa gegen Italien war bildhaft für die Problematik:(73) Zwar stellte das Gericht in diesem Fall eine Verletzung der Konventionsrechte der von Push-Back-Operationen betroffenen Asylsuchenden fest. Das Urteil zeigte aber zum einen, wie unwahrscheinlich es unter Konstellationen physischer Distanz ist, dass Betroffene sich tatsächlich gerichtlich zur Wehr setzen können.(74) Und es zeigte zum anderen, dass die Anwendbarkeit EMRK letztlich an der konkreten Ausgestaltung des Aufgreifens und Abhaltens hängt. Die Gründe, dass in diesem Fall Hoheitsgewalt über die Personen bestand, zeigten so gewissermaßen auch die Spielräume auf, wie sich menschenrechtliche Garantien umgehen lassen.
GEGEN EINE DICHOTOMIE VON GLOBALEM UND LOKALEM
Die Situation von Flüchtlingen erlaubt insofern einen kritischen Blick auf die Kehrseite der staatlichen Rahmung von Recht und politischer Mitgliedschaft. Daneben erlaubt der Flüchtlingsbegriff eine Kritik der vorherrschenden Dichotomien in der Debatte über Demokratie und Recht unter Bedingungen der Globalisierung. Wir können die Entwicklung der Debatte in zwei Phasen beschreiben: Zunächst herrschte die Frage vor, ob und wie sich Demokratie jenseits des Staats verstehen lässt.(75) Gegen eine Essentialisierung des staatlichen Rahmens entwickelten sich vor allem Positionen, die sich als universalistischer Internationalismus beschreiben lassen.(76) Parallel zu der Gründung zahlreicher internationaler Organisationen und Gerichte nach Ende des Kalten Krieges lag die Betonung auf den Versprechungen der Internationalisierung. Auch wenn es von Beginn an Kritik gegenüber diesen universalistischen Positionen gab,(77) wandte sich die Debatte vor allem ab Mitte der 2000er Jahre(78) stärker den Problemen und Ausschlüssen zu, die mit der Internationalisierung und einem so verstandenen Universalismus einhergehen.(79) Es wurde deutlich, wie das Aufbrechen nationalstaatlicher Formen oftmals einer ökonomischen Logik Raum gab und diese auch in Legitimationskonzepte Eingang fand. So wuchs die Skepsis gegenüber der demokratischen Rolle von internationalen Nichtregierungsorganisationen,(80) weiche Konzepte wie ›Deliberation‹ zeigten sich geeignet, hinter dem Vokabular von demokratischer Legitimation eine weitgehend unangetastete Gestaltungsfreiheit mächtiger Akteure zu verbergen.
Dementsprechend wurde eine gewisse Resignation sichtbar im Vorhaben, die globalen Verflechtungen und internationalen Institutionen einer besseren demokratischen Kontrolle zu unterwerfen. Die Bestrebungen, Demokratie von dem im Nationalstaat gewachsenen Verständnis zu lösen, laufen Gefahr in eine ökonomisch diktierte Logik zu münden, in denen Ausschlüsse weniger entlang dem Kriterium von Nationalität, aber umso stärker entlang dem Kriterium von Klasse stattfinden.(81) Die Kritik dieser Positionen wiederum fließ[t] leicht zusammen mit Forderungen, zum nationalstaatlichen Rahmen zurückzukehren, welche die Probleme desselben ignorieren. Ein erhebliches Problem liegt also in der Dichotomie dieser Positionen.
Die Figur des Flüchtlings bildet nicht nur die Begrenztheit des staatlichen Rahmens ab, sie eröffnet auch einen kritischen Blick sowohl auf Positionen des Internationalismus als auch auf solche des Lokalismus. Zunächst ist die normative Idee des Flüchtlings diejenige einer Solidaritätspflicht, welche nicht von ökonomischen Nutzenerwägungen überwölbt wird. Sie kontrastiert insofern die Tendenz, dass der Zugang zu Rechten und politischer Zugehörigkeit liberalisiert, dabei aber auch einer ökonomischen Prämisse unterworfen wird.(82) Gegen die Wahrnehmung, dass Zusammenhänge jenseits des Staats zu einer Vorherrschaft ökonomischer Logik führen, verkörpert der Flüchtlingsbegriff die Idee grenzüberschreitender Verpflichtungen, die gerade nicht ökonomisch bedingt sind. In diesem Sinne verweist der Flüchtlingsbegriff auch auf die Bedeutung von Migration und Bewegungsfreiheit als Gegenstand von Politik. Radikaldemokratische Ansätze haben vielfach die Probleme eines unkritischen Universalismus offengelegt, und Demokratie statt von institutionalisierten Verfahren stärker von dem unmittelbaren Zusammenkommen und Zusammenwirken von Personen aus interpretiert.(83) Der daraus resultierende Fokus auf das Lokale als den Ort politischen Zusammenwirkens muss aber ergänzt werden durch Überlegungen, wie die Möglichkeit zur Kopräsenz selbst durch Recht und Machtunterschiede konstituiert ist. Der Figur des Flüchtlings erlaubt es, die Regelung von Grenzen und Zugang als politische Fragen und somit als notwendigen Gegenstand demokratischer Legitimation zu verstehen.
Insofern ist die Idee eines kosmopolitischen Rechts, wie es mit der Figur des Flüchtlings verbunden ist, gerade kein abstrakter Universalismus. Es ersetzt nicht die konkreten Erfahrungen und Gemeinsamkeiten, mit welchen Solidaritätspflichten innerhalb einer politischen Gemeinschaft begründet werden, durch einen auf abstrakten moralischen Pflichten aufbauenden Universalismus, nachdem wir allen Menschen weltweit in genau gleicher Weise verpflichtet sind. Der Kosmopolitismus des Flüchtlings ist vielmehr ein konkreter: Er setzt an der Begegnung von Menschen an der Grenze an, bei welcher sich die Frage der Aufnahme und des Zugangs im jeweiligen Einzelfall stellt.(84)
ZUSAMMENFASSUNG
Die normative Idee des Flüchtlings ist die Idee, dass ein Mensch unter gewissen Umständen nicht an der Grenze abgewiesen werden darf. Der Begriff des Flüchtlings, der parallel zur Entstehung einer territorialen Ordnung von Staaten in Europa aufkam, bildet insofern die Idee einer Ausnahme ab. Er korreliert mit der grundsätzlichen Annahme, dass Staaten frei über ihre Grenzen und den Zugang zum Territorium entscheiden können. Aber er stellt auch die Kategorie einer Ausnahme zu dieser Freiheit der einseitigen Entscheidung auf. Als solche besitzt der Flüchtlingsbegriff eine erhebliche Brisanz, weil er die Grundannahmen der staatlichen Rahmung von Recht und Solidaritätspflichten antastet. Das mag die Emphase erklären, mit der über ›wahre Flüchtlinge‹ diskutiert wird.
Der Beitrag ging dieser normativen Idee des Flüchtlings nach, und untersuchte zunächst, wie der Flüchtlingsbegriff im internationalen Recht kodifiziert ist und welche Fragen dabei sichtbar werden. Die unterschiedlichen Ansätze in Staaten des Globalen Nordens und des Globalen Südens verdeutlichen, dass dem Flüchtlingsbegriff eine wichtige normative Dimension über die konkreten rechtlichen Folgen hinaus zukommt. Die Idee des »einen weltbürgerlichen Rechts«(85) findet sich insofern zwar in juridischen Vorschriften wie dem Refoulement-Verbot wieder, aber ist damit nicht endgültig umschrieben. Den Flüchtling als normative Idee in seiner geschichtlichen Prägung zu sehen, kann also die Brisanz des Begriffs erklären. Es erlaubt aber auch, die darin angelegten Annahmen zu hinterfragen. In diesem Sinne zeigte der Beitrag die verschiedenen Aspekte einer gegen den Flüchtlingsbegriff gerichteten Kritik auf.
Schließlich war es Anliegen, das kritische Potenzial des Begriffs selbst hervorzuheben: Gerade weil der Flüchtling eine Kategorie der Ausnahme innerhalb der Legitimitätsordnung des territorialen Staates ist, bildet der Begriff einen Ausgangspunkt, um über drängende heutige Fragen nachzudenken. Was also bedeutet die normative Idee des Flüchtlings im Zeitalter der Globalisierung, wenn der territoriale Staat einerseits zum global vorherrschenden Modell geworden ist und andererseits durch die stärker werdenden internationalen und transnationalen Zusammenhänge an Einfluss verliert? Sie ist sicherlich kein Schema für eindeutige Schlussfolgerungen oder Antworten. Aber sie bietet eine kritische Folie in den Debatten: Gegenüber einer Idealisierung der staatlichen Ordnung, gegenüber einem durch ökonomische Positionen gegliederten Internationalismus, aber auch gegenüber einem politischen Lokalismus, der Bedingungen von Migration außer Acht lässt. Die Figur des Flüchtlings verdeutlicht, dass der Grundwert der Moderne, die gleiche Freiheit von Menschen,(86) mit einer Grundspannung zwischen Offenheit und Begrenzung einhergeht: Von Beginn an war diese Idee gleicher Freiheit nicht nur mit einer Stabilisierung in Institutionen verbunden, sondern auch mit dem Bewusstsein über die Notwendigkeit von Ausnahmen und von ausgleichenden Momenten der Öffnung.
Dr. Dana Schmalz ist Rechtswissenschaftlerin mit Spezialisierung im internationalen öffentlichen Recht, in Rechtsphilosophie und im Flüchtlingsrecht am Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften. (Zwischen) Überschriften wurden durch die Redaktion z.T. modifiziert; der Text, der Grundlage für den Vortrag von Dana Schmalz auf der EDA-Konferenz in Berlin gewesen ist, erscheint auch in: Metaphora. Journal for Literature Theory and Media 3, http://metaphora.univie.ac.at/volume3-schmalz.pdf.
Wir danken den Kolleginnen und Kollegen für die Abdruckmöglichkeit; die englischsprachigen Originalvorträge der EDA-Konferenz stehen unter http://www.rav.de zur Verfügung.
(1) Sue Reid in Daily Mail, 27.5.2016, www.dailymail.co.uk/news/article-3613603/The-tragic-brutal-truth-not-REAL-refugees-Despite-drowning-tragedy-thousands-economic-migrants-trying-reach-Europe.html.
(2) Xavier Saincol im Figaro, 24.10.2016, www.lefigaro.fr/vox/politique/2016/10/24/31001-20161024ARTFIG00126-il-faut-dire-la-verite-les-migrants-de-la-jungle-de-calais-ne-sont-pas-des-refugies.php.
(3) Siehe dazu Kim Rygiel, Bordering solidarities: migrant activism and the politics of movement and camps at Calais, Citizenship Studies 15 (2011): 1.
(4) Christian Hillgruber, Flüchtlingsschutz oder Arbeitsmigration. Über die Notwendigkeit und die Konsequenzen einer Unterscheidung, in: Depenheuer/Grabenwarter (Hg.), Der Staat in der Flüchtlingskrise (2016): 185 (191).
(5) Christoph Grabenwarter, Der entgrenzte Staat und die Menschenrechte, in: Depenheuer/Grabenwarter (Hg.), Der Staat in der Flüchtlingskrise (2016): 88 (101).
(6) Vgl. dazu auch Albert Scherr, Wer soll deportiert werden? Wie die folgenreiche Unterscheidung zwischen den ›wirklichen‹ Flüchtlingen, den zu Duldenden und den Abzuschiebenden hergestellt wird, Soziale Probleme 26 (2015): 2, 151ff.
(7) Für die Definition des Verbrauchers siehe §13 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).
(8) Für die Definition des Erben siehe §1922 Abs. 1 BGB.
(9) Für die Legaldefinition des Schatzes siehe §984 BGB.
(10) Zur Verschränkung normativer und deskriptiver Verwendung Emma Haddad, The Refugee in International Society (2008): 25. Maley spricht von lexikalischen und stipulativen Definitionen, William Maley, What is a refugee? (2016): 15.
(11) Siehe beispielsweise Phoebe Greenwood, Huge detention centre to be Israel’s latest weapon in migration battle, 17. April 2012, https://www.theguardian.com/world/2012/apr/17/detention-centre-israel-migration.
(12) Saskia Sassen fasst das prägnant zusammen, wenn sie schreibt: »[T]he modern refugee is a European product in the same way that the state we see emerging in twentieth century is a European product«, Saskia Sassen, Guests and Aliens (1999): 96.
(13) Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951; Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967.
(14) Art. 1 A Abs. 2 GFK.
(15) Konvention der Organisation für Afrikanische Einheit zur Regelung der Probleme von Flüchtlingen in Afrika vom 10. September 1969.
(16) Erklärung von Cartagena vom 22. November 1984.
(17) Gilbert Jaeger, On the History of the International Protection of Refugees, International Review of the Red Cross 83 (2001): 843, 727.
(18) 1946 Constitution of the International Refugee Organization, Annex I, Part I Section A.
(19) Ibid., Nr. 1 a.
(20) 1946 Constitution of the International Refugee Organization, Annex I, Part I Section C.
(21) Irial Glynn, The Genesis and Development of Article 1 of the 1951 Refugee Convention, Journal of Refugee Studies 25 (2011) 1, 136.
(22) UN Ad Hoc Committee on Refugees and Stateless Persons, Ad Hoc Committee on Statelessness and Related Problems, Status of Refugees and Stateless Persons – Memorandum by the Secretary-General, 3 January 1950, E/AC.32/2, http://www.refworld.org/docid/3ae68c280.html
(23) Neben der Flüchtlingsdefinition betraf das auch die fehlende Erwähnung eines Rechts auf Asyl, vgl. Glynn, The Genesis and Development of Article 1 of the 1951 Refugee Convention (2011): 138.
(24) Art. 1 A Abs.1 Satz 1, Art. 1 B Abs. 1 GFK.
(25)Glynn (En 23): 143.
(26) Art. 1 Abs. 2 der OAU-Konvention (En. 15).
(27) Section III Conclusion 3 der Erklärung von Cartagena (En 16).
(28) Für Untersuchungen zu einem regionalen Flüchtlingsbegriff in Asien siehe Lili Song, Who Shall We Help? The Refugee Definition in a Chinese Context, Refugee Survey Quarterly 33 (2014): 1, 44ff; Fernando Chang-Muy, International Refugee Law in Asia, NYU Journal of International Law and Politics 24 (1991/1992): 1171ff.
(29) Beispielsweise das Verständnis von ›innen‹ und ›außen‹, B. S. Chimni/Antony Anghie, Third World Approaches to International Law and Individual Responsibility in Internal Conflicts, Chinese Journal of International Law 77 (2003): 2, 77 (96).
(30) In der EU als »subsidiärer Schutz« bezeichnet, vgl. Art. 2f., 15ff. der Qualifikationsrichtlinie (2011/95/EU). Für ein entsprechendes Nebeneinander von ›Flüchtlingen‹ und dem Schutz unter anderen Bezeichnungen vgl. auch US Immigration and Nationality Act § 101 (a) (42) 8 U.S.C.; Australian Migration Act 1958, Section 36, Art. 2b; Canadian Immigration and Refugee Protection Act (S.C. 2001, c. 27). Vgl. ausführlicher dazu auch Dana Schmalz, Der Flüchtlingsbegriff zwischen kosmopolitischer Brisanz und nationalstaatlicher Ordnung, Kritische Justiz 48 (2015): 4, 390ff.
(31) Art. 1 A Abs. 2 GFK.
(32) Art. 3 Qualifikationsrichtlinie (2011/95/EU).
(33) Vgl. auch Thomas Hayme, Allgemeines teutsches juristisches Lexicon (1738), der als Flüchtling fasst, »wer aus seiner jeweiligen Umgebung geflohen ist«. Vgl. Gerhard Köbler, Deutsches Etymologisches Wörterbuch (1995): 131.
(34) So auch die italienische Entsprechung des ›rifugiato‹ oder im Fraunzösischen ›réfugié‹.
(35) Überwiegend wird die Flucht der Hugenotten aus Frankreich nach dem Edikt von Fontainebleau 1685 als erstes Ereignis, bei dem von Flüchtlingen (›réfugiés‹) die Rede ist, genannt. Vgl. mit näheren Ausführungen Emma Haddad, The Refugee: Forging National Identities, Studies in Ethnicity and Nationalism 2 (2002): 2, 23 (26).
(36)Ibid., 26.
(37) Vgl. Volker Gerhardt, Kants kopernikanische Wende, Kant-Studien 78 (1987): 1, 133.
(38) Als zentrale Werke aus dieser Zeit sind zu nennen Thomas Hobbes, Leviathan (1651); John Locke, Second Treatise of Government (1689); Jean-Jacques Rousseau, Du contrat social (1762). Für eine ausführliche Erörterung vgl. auch Andreas Vasilache, Der Staat und seine Grenzen: Zur Logik politischer Ordnung (2007).
(39) Vgl. beispielsweise Henry Sidgwick, The Elements of Politics, (2te Ausgabe, 1897): 248; diskutiert in David Miller, Immigrants, Nations, and Citizenship, The Journal of Political Philosophy 16 (2008): 4, 371 (373).
(40) Jürgen Habermas, Die postnationale Konstellation (1998): 161.
(41) Immanuel Kant, Zum Ewigen Frieden: Ein philosophischer Entwurf (1795): BA 41, 42.
(42) Kay Hailbronner/Jana Gogolin, Territorial Asylum, in: Wolfrum (Hg.), The Max Planck Encyclopedia of ´Public International Law (2012), www.opil.ouplaw.com/home/epil, Rn. 1.
(43) Für einen Überblick Christoph Görisch, Kirchenasyl und staatliches Recht (2000).
(44) Haddad, The Refugee, (En 35): 28.
(45) Vgl. mit einer Diskussion der Idee der Selbstgesetzgebung bei Rousseau und Kant: Ingeborg Maus, Über Volkssouveränität. Elemente einer Demokratietheorie (2011): 194.
(46) Ausführlicher diskutiert mit unterschiedlichen Lösungsansätzen bei Gustaf Arrhenius, The Boundary Problem in Democratic Theory, in: Tersman (Hg.), Democracy Unbound: Basic Explorations (2005): 14; Sofia Näsström, The Legitimacy of the People, Political Theory 35 (2007): 5, 624.
(47) Mit Problematisierung Arash Abizadeh, Democratic Theory and Border Coercion: No Right to Unilaterally Control Your Own Borders, Political Theory 36 (2008): 1, 37.
(48) Glynn (En 23): 134 ff. Eine wichtige Vorlage für die Flüchtlingsdefinition der GFK sowie die Definition in der IRO-Satzung war zudem der British Alien Act von 1905, siehe ibid.: 141.
(49) Vgl. dazu sehr interessant Andreas Cassee, Globale Bewegungsfreiheit. Ein philosophisches Plädoyer (2016).
(50) Für ersteres vgl. Patricia Tuitt, False Images: Law’s Construction of the Refugee (1996). Für letzteres vgl. Liisa H. Malkki, Refugees and Exile: From ›Refugee Studies‹ to the National Order of Things, Annual Review of Anthropology 24 (1995): 495.
(51) Barry Malone, Why Al Jazeera will not say Mediterranean ›migrants‹, 20. August 2015, http://www.aljazeera.com/blogs/editors-blog/2015/08/al-jazeera-mediterranean-migrants-150820082226309.html.
(52) Jørgen Carling, Refugees are also Migrants. All Migrants Matter, 3. September 2015, www.law.ox.ac.uk/research-subject-groups/centre-criminology/centreborder-criminologies/blog/2015/09/refugees-are-also.
(53) Vgl. u.a. die Formulierung des British Alien Acts als Vorlage der GFK, in: Glynn (En 23): 141.
(54) Michelle A. McKinley, Conviviality, Cosmopolitan Citizenship, and Hospitality, Unbound 5 (2009): 55 (64).
(55) Jennifer Hyndman, Managing Displacement: Refugees and the Politics of Humanitarianism (2000); Suzan Ilcan/Kim Rygiel, ›Resiliency Humanitarianism‹: Responsibilizing Refugees through Humanitarian Emergency Governance in the Camp, Inter- national Political Sociology 9 (2015): 333ff.
(56) So für Flüchtlinge in Uganda Ulrike Krause, »It Seems You Don’t Have Dientity, You Don’t Belong« Reflexionen über das Flüchtlingslabel und dessen Implikationen, Zeitschrift für Internationale Beziehungen 23 (2016): 1, 8.
(57) Simon Turner, What Is a Refugee Camp? Explorations of the Limits and Effects of the Camp, Journal of Refugee Studies 29 (2015): 2, 140.
(58) So aber noch Christian Hillgruber, Flüchtlingsschutz oder Arbeitsmigration. Über die Notwendigkeit und die Konsequenzen einer Unterscheidung, in: Depenheuer/Grabenwarter (Hg.), Der Staat in der Flüchtlingskrise (2016): 185 ff.
(59) So sieht auch Art. 34 GFK die zügige Einbürgerung vor.
(60) 51 Staaten gründeten 1945 die Vereinten Nationen, 1960 gehörten ihnen 100 Staaten an, heute sind es 193 Staaten.
(61) Vgl. James Crawford, The Creation of States in International Law (2006): 37ff, 602ff.
(62) Globalisierung lässt sich dabei wiet als Vermehrung und Verdichtung von weltweiten sozialen Beziehungen definieren, vgl. Otfried Höffe, Democracy in an Age of Globalisation (2007): 1. Siehe für eine vorsichtige Definition auch Jan Aart Scholte, Globalization. A Critical Introduction (2000): 15.
(63) Vgl. für Übersichten z.B. Hauke Brunkhorst/Matthias Kettner, Globalisierung und Demokratie (2000); Armin von Bogdandy, Demokratie, Globalisierung, Zukunft des Völkerrechts – eine Bestandsaufnahme, ZaöRV 63 (2003): 853ff; Michael Zürn, Vier Modelle einer globalen Ordnung in kosmopolitischer Absicht, Politische Vierteljahresschrift 52 (2011): 1, 78ff.
(64) Günther Bien, Demokratie I, in: Ritter (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie (1972), Bd 2: 50.
(65) Vgl. beispielsweise Art. 20 Abs. 1, 2 Grundgesetz; Art. 1, 3 der französischen Verfassung; Art. 1 Abs. 1, 2 der bulgarischen Verfassung; Art. 1 der brasilianischen Verfassung, Art. 1-3 der chinesischen Verfassung; Art. 1 der senegalesischen Verfassung; Art. 14 Abs. 1 der nigerianischen Verfassung.
(66) Vgl. z.B. Uwe Volkmann, Setzt Demokratie den Staat voraus? Archiv des öffentlichen Rechts 127 (2002): 575ff.
(67) Grundlegend dafür der Ausdruck des fehlenden Rechts, Rechte zu haben, vgl. Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (1955): 614. Für eine Übersicht der Paradoxien des Nationalstaats nach Arendt Christian Volk, Arendtian Constitu- tionalism. Law, Politics and the Order of Freedom (2015): 14.
(68) Arendt (En 67): 614.
(69) Art. 1 EMRK. Das Gleiche ist der Fall für den Internationalen Pakt bürgerlicher und politischer Rechte (ICCPR).
(70) Andreas Zimmermann/Sara Jötten, Extraterritoriale Staatenpflichten und internationale Friedensmissionen, MenschenRechts- Magazin (2010): 1, 5 (6).
(71) Moria Paz, Between the Kingdom and the Desert Sun: Human Rights, Immigration, and Border Walls, Berkeley Journal of International Law 34 (2016): 1 (7).
(72) James Hathaway/Thomas Gammeltoft-Hansen, Non-Refoulement in a World of Cooperative Deterrence, Columbia Journal of Transnational Law 53 (2015): 2, 235.
(73) Hirsi Jamaa et al. gegen Italien, EGMR, Entscheidung der Großen Kammer vom 23. Februar 2012 (27765/09). Der Fall betraf 24 Personen somalischer und eritreischer Staatsangehörigkeit, die 2009 auf diei Schiffen von Tripoli nach Lampedusa unterwegs waren. Sie wurden von der italienischen Küstenwache aufgegriffen und ohne eine Feststellung der Dientität nach Libyen zurückgebracht. Der EGMR stellte eine Verletzung des Art. 3 EMRK und des Art. 4 ZP IV, sowie des Art. 13 EMRK fest.
(74) Die 24 Beschwerdeführer des Falles standen gegen 200 Personen, die auf eben jenen Booten von den gleichen Operationen betroffen waren, und gegen tausende, die in jenen Jahren durch vergleichbare Operationen nach Libyen zurückgeschoben wurden, ohne die Möglichkeit in Europa Asyl zu beantragen.
(75) Robert A. Dahl, Can International Organizations be Democratic?, in: Shapiro/Hacker-Cordón (Hg.), Democracy’s Edges (1999): 19; Volkmann, Setzt Demokratie den Staat voraus? (2002): 575; Bogdandy (En 63): 853.
(76) Das ist natürlich eine sehr grobe Beschreibung für im Detail äußerst unterschiedliche Ansätze, vgl. z.B. Jürgen Habermas, Die postnationale Konstellation (1998); Daniele Archibugi/David Held, Cosmopolitan Democracy: An Agenda for a New World Order (1995).
(77) Vgl. die Debatte zwischen unterschiedlichen AutorInnen in Nussbaum/Cohen (Hg.), For Love of Country? (1996).
(78) Konkrete Zeitpunkte und Gründe für eine Schwerpunktverlagerung der Debatte lassen sich schwer festmachen. Jedoch bilden die militärischen Interventionen der USA und Verbündeter in Afghanistan und insbesondere dem Irak, mit der sie begleitenden Rhetorik eines menschenrechtlichen Universalismus, einen häufigen Referenzpunkt, vgl. James Tully, On Global Citizenship (2014): 30. Vgl. auch Seyla Benhabib, Another Cosmopolitanism (2006): 72.
(79) So z.B. Chantal Mouffe, Über das Politische: Wider die kosmopolitische Illusion (2007): 8, 27.
(80) Für eine frühe Analyse Leon Gordenker/Thomas G. Weiss, NGO participation in the international policy process, Third World Quarterly 16 (1995): 3, 543. Vgl. auch Jochen von Bernstorff, Zivilgesellschaftliche Partizipation in Internationalen Organisationen, in: Brunkhorst (Hg.), Demokratie in der Weltgesellschaft (2009): 277.
(81) In der Praxis sind beide Achsen regelmäßig verschränkt, vgl. Étienne Balibar, Equaliberty (2014): 253. Zentral scheint mir, dass theoretische Positionen jeweils die Ausschlüsse entlang einer Achse in den Vordergrund stellen.
(82) Für eine Beschreibung der Kommerzialisierung von Staatsbürgerschaften Atossa Araxia Abrahamian, The Cosmopolites: The Coming of the Global Citizen (2015).
(83) Jacques Rancire, Das Unvernehmen (2002); Catherine Colliot-Thélène, Demokratie ohne Volk (2011).
(84) Für eine Konzeption von Menschenrechten aufbauend auf diesem Moment der Begegnung Itamar Mann, Humanity at Sea. Maritime Migration and the Foundations of International Law (2016).
(85) Kant, Zum Ewigen Frieden (En. 41).
(86) Ich verwende diesen Ausdruck in Anlehnung an das Verständnis, für welches Étienne Balibar auch das Wort »Gleichfreiheit« geprägt hat, Balibar, Gleichfreiheit (2012).