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Verfolgung von Rechtsanwält*innen in Ägypten

TAG DES BEDROHTEN ANWALTS 2018: »MEIN BERUF MACHTE MICH VERDÄCHTIG«

Ulrich von Klinggräff

Seit 2010 wird jeweils am 24. Januar international auf die Verfolgung von Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen aufmerksam gemacht. Oftmals gehören Anwält*innen zu den Berufsgruppen, die bei einer sich verschärfenden Menschenrechtssituation von staatlicher Repression in besonderer Weise betroffen sind. Diese Verfolgung trifft vor allem Anwält*innen, die sich für den Erhalt demokratischer Rechte und den Schutz von Oppositionellen und Minderheiten einsetzen. In den letzten Jahren ist hier insbesondere die Türkei in den Fokus geraten, wo sich derzeit ca. 400 Kollegen und Kolleginnen in Haft befinden sollen.
2018 soll nun auf die Verfolgung der Anwält*innen in Ägypten aufmerksam gemacht werden.
Seit dem Sturz des Mubarak-Regimes im Februar 2011 und der endgültigen Machtübernahme der Militärs wird das Land mit Ausnahmegesetzen regiert und findet eine brutale Verfolgung jeglicher Opposition statt. Nach Angaben von Human Rights Watch ist von derzeit ca. 40.000 politischen Gefangenen auszugehen. Das gesamte Instrumentarium eines Terrorstaates kommt zur Anwendung: willkürliche Festnahmen, Anwendung von Folter, das ›Verschwindenlassen‹ von Regimegegnern, Exekutionen, das Verbot von Gewerkschaften und Parteien, die Ausschaltung einer freien Presse.
Nach Auffassung des Menschenrechtsanwalts Gamal Eid ist »die jetzige Situation die schlimmste in der modernen Geschichte Ägyptens«.(1) Eid selber gehört zu den vielen Rechtsanwält*innen in Ägypten, die Opfer der brutalen Militärdiktatur geworden sind. Als populärer Menschenrechtsanwalt und Direktor des ›Arabischen Netzwerks für Menschenrechtsinformationen‹ (Arabic Network for Human Rights Information, ANHRI), der sich seit über 25 Jahren für politisch Verfolgte einsetzt und bereits zu Mubarak-Zeiten viermal im Gefängnis war, ist er einer der prominentesten Kritiker des Militärrates. Dem Netzwerk gehören 25 Mitarbeiter an, darunter acht Anwält*innen, die Rechtshilfe für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen anbieten. Trotz seines internationalen Renommees, der ihm einen gewissen Schutz bietet, hat die Militärregierung mittlerweile seine Konten eingefroren und gegen Gamal Eid ein Ausreiseverbot verhängt. Die Website des ANHRI und von weiteren Medien und Menschenrechtsorganisationen wurden gesperrt.(2)

LISTE DER ANWÄLT*INNEN WIRD IMMER LÄNGER

Die Liste der Anwälte und Anwältinnen, die von der Repression betroffen sind, wurde in den letzten Jahren immer länger. Bekannt geworden ist etwa die Verfolgung des Menschenrechtsverteidigers Ahmad Abdallah, Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation ›Ägyptische Kommission für Rechte und Freiheiten‹ (Egyptian Commission for Rights and Freedom, ECRF). Die ECRF engagiert sich insbesondere gegen Polizeigewalt, Folter und das ›Verschwindenlassen‹. Kurz vor seiner Festnahme im April 2016 hat Abdallah den Fall des im Januar 2016 verschleppten und kurz darauf mit massiven Folterspuren tot aufgefundenen Italieners Giulio Regeni übernommen. Regeni hatte zuvor für die italienische Zeitung Il Manifesto Artikel zum Thema Arbeitskämpfe und Gewerkschaftsfreiheit in Ägypten publiziert.(3)
Abdallah wurde am 25. April 2016 zunächst in die in Ägypten weitverbreitete sogenannte Präventivhaft genommen und wenige Tage später wegen des Vorwurfs der ›Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung‹ und der ›Anstiftung zum gewaltsamen Sturz der Regierung‹ angeklagt.(4) Tatsächlich steht seine Festnahme offenkundig im unmittelbaren Zusammenhang mit seinem Engagement als Menschenrechtsanwalt. Allein in den Tagen um den 25. April 2016 wurden im Zusammenhang mit einer geplanten Demonstration gegen die Übertragung von zwei Inseln an Saudi-Arabien 1.277 Verhaftungen durchgeführt. Zu diesen Verhafteten gehört auch der Menschenrechtsanwalt Malek Adly. Adly ist einer der vielen Anwält*innen, die zuvor Klage gegen die Übertragung der Inseln eingereicht haben. Er ist Leiter der Rechtsabteilung des Ägyptischen Zentrums für Wirtschaftliche und soziale Rechte.

Die Verteidiger von Malek Adly berichteten, dass ihr Mandant auf der Polizeiwache von Polizeibeamten mit deren Waffen geschlagen worden sei, ihm seien die Augen verbunden worden und er sei viele Stunden verhört worden. Adly selbst erklärt, dass ihm während der Haft trotz massiver gesundheitlicher Probleme notwendige Medikamente verweigert wurden, er auf dem Boden schlafen musste und nur unzureichend versorgt wurde. Die offensichtlich allein politisch motivierte Anklage lautet u.a. auf »Eintreten in eine Gruppe mit dem Ziel, das Gesetz zu behindern«, »Verbreiten falscher Nachrichten« und »Anstiften zu Protesten«.(5) Auch der Arbeitsrechtsanwalt Haytham Mohammedein und Mina Thabet, die sich für die Rechte von Minderheiten einsetzt, wurden im Zusammenhang mit den Ereignissen um den 25. April 2016 festgenommen.
Amnesty International ist es zu verdanken, dass auch der Fall der Menschenrechtsanwältin Yara Sallam eine öffentliche Wahrnehmung erfahren hat. Salam arbeitete für die Organisation ›Egyptian Initiative for Personal Rights‹ (EIPR) als sie im Juni 2014 im Zusammenhang mit einer Demonstration gegen ein neues Demonstrationsgesetz festgenommen wurde. Sie wurde zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt, von der sie 15 Monate absitzen musste. Nach ihrer Haftentlassung berichtet sie in einem Interview über ihr Verfahren:
»Als die Behörden erfuhren, dass ich für eine Menschenrechtsorganisation arbeite, waren sie sicher, dass ich bei dem Protest mitgelaufen bin. Ich wurde also nicht gezielt wegen meiner Arbeit festgenommen, aber mein Beruf machte mich verdächtig

Wie lief das Gerichtsverfahren ab?
Wir waren in Käfige gesperrt. Es fanden sich keine Zeugen dafür, dass wir etwas zerstört hatten, wie es  die Anklage behauptete. Nur ein einziges Mal sprach der Richter direkt mit uns. Er fragte, ob wir die Personen auf einem vermeintlichen Beweisvideo seien.  […]

Fühlen Sie sich in Gefahr, weil Sie als Menschenrechtsanwältin arbeiten?
Ägypten ist kein sicheres Land für Menschenrechtsverteidiger. Organisationen können jederzeit geschlossen, Menschen festgenommen werden. Alle, die in diesem Bereich arbeiten, haben sich bewusst dafür entschieden. Das ständige Risiko ist Teil des Jobs«.(6)

Von massiver Verfolgung betroffen ist auch die Rechtsanwältin Mahinour al-Masry. Die Sozialistin hat sich einen Namen gemacht als Anwältin an der Seite der Arbeiterbewegung und in ihrem Kampf für die Rechte der syrischen und palästinensischen Geflüchteten in Ägypten. 2014 wurde sie für ihr anwaltliches Engagement mit dem Ludovic Trarieux-Menschenrechtspreis ausgezeichnet, der jährlich gemeinsam von europäischen Anwaltskammern vergeben wird. Zum Zeitpunkt dieser Auszeichnung befand sich al-Masry in Haft wegen ihrer Äußerungen im Zusammenhang mit dem gewaltsamen Tod des Khaled Saeed im Polizeigewahrsam, welcher mitursächlich für den Ausbruch des ägyptischen Aufstands im Jahre 2011 war. Nach ihrer Freilassung im September 2014 wurde sie aufgrund einer Protestaktion von Anwält*innen vor einer berüchtigten Polizeiwache in Alexandria unter dem Vorwurf des Angriffs auf eine Polizeistation erneut festgenommen und zu einer Haftstrafe verurteilt.(7)
Die Organisation ›Europäische Juristinnen und Juristen für Demokratie und Menschenrechte‹ (ELDM) berichtet zum Tag des bedrohten Anwalts 2017 von der staatlichen Repression gegen die feministische Rechtsanwältin Azza Soliman. Der Anlass der Festnahme der Azza Soliman Anfang 2017 war ihre belastende Aussage gegen Polizeibeamte im Zusammenhang mit der Erschießung eines Demonstranten sowie die Behauptung, dass das von ihr mitgegründete ›Zentrum für Rechtshilfe für Frauen‹ finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten haben soll.(8)
Zuletzt bekannt gewordenes Opfer der Verfolgung von Rechtsanwält*innen in Ägypten ist Ibrahim Metwally Hegazy. Rechtsanwalt Hegazy ist Gründer des ›Komitees für die Familien von Verschwundenen‹ und seit Jahren damit beschäftigt, die Fälle des ›Verschwindenlassens‹ zu dokumentieren, so auch den Fall des italienischen Journalisten Giulio Regeni. In dieser Eigenschaft wollte er 2017 an einer UNO-Konferenz in Genf teilnehmen. Dort allerdings ist er nie angekommen. Stattdessen wurde er unter dem Vorwurf der »Verbreitung von Falschmeldungen« und der »Gründung einer illegalen Organisation« festgenommen und in ein Hochsicherheitsgefängnis verbracht.(9)
Die Neue Züricher Zeitung (NZZ) berichtet in ihrer Ausgabe vom 19. Oktober 2017 unter der Überschrift ›In Ägypten ist die Repression unberechenbar, doch einige lassen sich nicht einschüchtern‹ von der Odyssee des Menschenrechtsanwaltes Tarek Hussein durch diverse Haftanstalten. Festgenommen unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft bei den Muslimbrüdern hat er sich 42 Tage in Haft befunden. Die NZZ gibt die Angaben des Rechtsanwalts Hussein über diese Zeit wieder:
»Am 17. Juni stürmten Dutzende Polizisten in Zivil ohne Vorweisen eines Durchsuchungsbefehls seine Wohnung. Sie konfiszierten seinen Laptop, Handys sowie Arbeitsunterlagen und führten ihn vor den Augen seiner Familie ab. Damit begann eine 42 Tage lange, wirre Odyssee von Polizeiposten zu Gefängnis zu Hochsicherheitsgefängnis und wieder zurück. Dazwischen verbrachte er lange Stunden in Kastenwagen, eingepfercht mit anderen Häftlingen in brütender Hitze, wo er Blut hustete und dem Ersticken nahe war. Immer neue Fälle wurden gegen ihn vorgebracht, offensichtlich nur, um seine Freilassung zu verzögern: Manche Verbrechen, die man ihm vorwarf, waren begangen worden, als er ein Kind war. […] Irgendwann schien die Freilassung nahe, doch dann tauchte ein Vertreter des Innenministeriums auf und brach die Vorbereitungen dafür ab. Tarek Hussein wurde erneut an einen anderen Ort transferiert. Dann erklärte man ihm plötzlich, er sei zu einem Jahr Haft verurteilt worden – ohne dass je ein Prozess stattgefunden hätte. Man rasierte ihm den Schädel und steckte ihn ins blaue Gewand der verurteilten Straftäter. Nun teilte er mit über hundert Anderen eine Zelle […] Hier hörte er die Schreie von Mithäftlingen unter Folter im Raum nebenan«.(10)