›Tag des bedrohten Anwalts‹ am 24. Januar 2017
ZUR SITUATION DER KOLLEG*INNEN IN CHINA
URSULA GROOS
Seit 2009 rufen wir jedes Jahr am 24. Januar, am ›Tag des bedrohten Anwalts‹, in den letzten Jahren stets gemeinsam mit der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (vdj), der Berliner Strafverteidigervereinigung und der Rechtsanwaltskammer Berlin dazu auf, unsere Solidarität mit bedrohten Anwält*innen zum Ausdruck zu bringen und auf deren Situation aufmerksam zu machen. Dieses Jahr widmeten wir den Jahrestag unseren Kollegen und Kolleginnen in China, die schikaniert, unter Druck gesetzt, bedroht, inhaftiert oder gefoltert wurden oder verschwunden sind, weil sie in Ausübung ihrer professionellen Rolle und ihren anwaltlichen Aufgaben die Menschenrechte insbesondere von Benachteiligten verteidigt haben.
Die Kundgebung fand – wie angeblich alle Kundgebungen, so die Polizei, die sich an die Botschaft der VR China richten – auf der anderen, der östlichen Seite der Jannowitzbrücke, nicht in Hör-, aber immerhin noch in Sehweite der Chinesischen Botschaft statt. Proteste gegen die Zuweisung dieses Versammlungsorts prallten an den Ordnungskräften ab. Sie versicherten uns, dass die Kundgebung ganz sicher wahrgenommen werde. Bisher sei auf jede noch so kleine Aktion eine förmliche Beschwerde der Botschaft erfolgt. An der Kundgebung in Berlin nahmen ca. 40 Kolleginnen und Kollegen teil. Das waren mehr als in den Jahren zuvor und doch noch immer recht wenige.
Es wurde eine Petition verlesen,(1) in der wir unsere Besorgnis darüber ausdrücken, dass es trotz vieler Rechtsreformen, die angeblich in den letzten Jahren in China stattgefunden haben sollen, zum großen Teil immer noch keine juristische Unabhängigkeit im Land gibt. Im Gegenteil wird Unterdrückung legalisiert und institutionalisiert, indem Gesetze geändert und Bestimmungen legalisiert würden, die die Rechte von Anwälten und Anwältinnen weiter beschneiden und die Macht der Polizei ausweiten. Die 2012 überarbeitete Strafprozessordnung beinhaltet in Art. 73 unter anderem eine Bestimmung über »Hausarrest an ausgewiesenen Orten«, die, wenn sie in Verbindung mit Art. 37 desselben Gesetzes angewandt wird, der Polizei maximale Freiheiten darüber einräumt, wo sie Verdächtige festhalten will und darüber, ob sie Verdächtigen das Recht auf einen Anwalt gewährt oder nicht.
In diesem Zusammenhang wurde auf die Schicksale von Anwält*innen und Menschenrechtsaktivist*innen hingewiesen, die im Zusammenhang mit dem sogenannten ›709-Crackdown‹ 2015 festgenommenen wurden und denen das Recht auf Zugang zu gesetzlicher Verteidigung verwehrt wird.
Kritisiert wurden auch die neu hinzugekommenen Art. 308, § 1 und Art. 309 des 2015 überarbeiteten Strafgesetzbuchs, mit denen versucht wird, Anwält*innen zu kriminalisieren, die Informationen offenlegen, »die nicht offengelegt werden sollen«, die »ernsthafte Folgen« verursachen oder die »Ordnung im Gericht stören« könnten. Sie sind so vage gefasst, dass sie leicht manipuliert werden können, um die Rechte von Anwält*innen bei der Ausübung ihres Berufes einzuschränken.
DIE AUTONOMIE VON ANWÄLT*INNEN UND DAS JUDICIAL BUREAU
Weiterhin wurde die viel umstrittene Macht des Justizamts (Judicial Bureau) thematisiert, der Exekutive der Justiz, die die Autonomie von Anwälten und Anwältinnen sowohl auf persönlicher als auch auf professioneller Ebene beschneidet.
Im September 2016 wurden zwei Maßnahmen seitens des Justizministeriums über die Führung von Anwaltskanzleien und die Anwaltsausübung verabschiedet. Hier ist zu befürchten, dass diese beiden Maßnahmen, mit denen Anwaltskanzleien in einen kollektiven Kontrollmechanismus eingebunden werden, geändert wurden, um Anwält*innen einer genaueren Kontrolle des Justizamts zu unterwerfen, und zwar nicht nur, was ihre politisch-ideologische Haltung, sondern auch was ihre Äußerungen und Aussagen zum Umgang mit so genannten ›schweren Fällen‹ anbetrifft.
JÄHRLICHE ÜBERPRÜFUNG
Immer wieder nutzt das Justizamt das System der jährlichen Überprüfung, um Anwält*innen, die sich nicht bereitwillig den Vorgaben für die Behandlung von Fällen beugen, die Bestätigung der Anwaltsgenehmigung für ein weiteres Jahr zu verweigern.
Hier teilen wir die Kritik unserer chinesischen Kolleg*innen, wonach das angemaßte Recht, eine anwaltliche Zulassung ›abzustempeln und zu bestätigen‹, die das Justizamt 2010 formalisiert hat, jeglicher gesetzlicher Grundlage entbehrt.
Konkret hat das Justizamt in Shandong dem Rechtsanwalt Li Jinxing (auch genannt Wu Lei) Anfang 2016 angedroht, seine nächste jährliche Überprüfung negativ zu bescheiden. Li war der Strafverteidiger des bekannten Menschenrechtsaktivisten Guo Feixiong. Der Anwalt wurde später beschuldigt, die »Ordnung des Gerichts gestört« und »die Rede des Richters unterbrochen« zu haben, indem er auf Unregelmäßigkeiten im Prozess gegen Guo hingewiesen hatte. Li erhielt danach eine Verwaltungsstrafe, die ihn ein Jahr von der Ausübung seines Berufs ausschließt.
Besonders schwer betroffenen ist auch die Anwaltskanzlei Fengrui in Beijing. Dem Anwaltsbüro sowie seinen beiden Seniorpartnern, einschließlich des Anwalts Liu Xiaoyuan, wurde die Genehmigung zur Berufsausübung für das Jahr 2016 verweigert, obwohl es keinerlei Vorwürfe oder Anschuldigen im Zusammenhang mit dem ›Crackdown-709‹ gab.
GEWALT GEGEN ANWÄLT*INNEN
Neben diesen bürokratischen Schikanen sind zahlreiche Berichte über Vorfälle physischer Gewalt gegen Anwält*innen in China bekannt, sowohl innerhalb des Gerichtssaals als auch außerhalb. Zudem ist bekannt, dass Einschüchterungen und Misshandlungen von Anwält*innen in der chinesischen Gesellschaft immer noch üblich sind. Nach vorliegenden Informationen betraf dies im Jahr 2015 die Anwält*innen Dong Yalin in Heilongjiang, Wang Qiang in Shandong, Jiang Yanbao und Zhang Weiyue in Hengyang und Liu Shihui in Guangshou, Xie Yang in Guangxi, Cui Wai in Beijing, um nur einige zu nennen. Im Jahr 2016 ereigneten sich innerhalb von nur sechs Tagen die vier Vorfälle gegen Lu Hang in Shannxi, Wang Zichen in Heilongjiang, Li Dugen und Jiqng Quan in Jiangsu sowie Zhang Xinsheng in Hubei, wobei drei der Fälle im Gerichtssaal oder innerhalb des Gerichtsgebäudes stattfanden. Bei drei der vier Fälle waren Amtsträger involviert. Die Kollegen Xie Yang und Yu Wensheng mussten sogar Folter sowie grausame Behandlung während ihrer Festnahme erleiden.
Besondere Erwähnung fanden die Fälle von Anwältinnen und Anwälten sowie von Menschenrechtsaktivist*innen, die im Rahmen des harten Durchgreifens ab dem 9. Juli 2015 festgenommen wurden, das allgemein als ›Crackdown-709‹ bekannt ist. Jiang Tianyong ist seit November 2016 verschwunden. Amnesty international hat eine sogenannte ›Urgent Action‹ gestartet, um auf seinen Fall aufmerksam zu machen.(2)
Eine weitere ›Urgent Action‹ wurde für den Kollegen Xie Yang gestartet.(3) Sein Verfahren und das gegen die Kollegen Li Heping, Wang Quanzhang, Xie Yanyi, Li Chunfu und Wu Gan sind bei Gericht anhängig. Zhou Shifeng wurde bereits zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren verurteilt. Einige Kolleg*innen wurden zum Teil erst nach einem Jahr Untersuchungshaft und ohne Zugang zu einer Wahlverteidigung mittlerweile auf Kaution entlassen.
FORDERUNGEN AN DIE CHINESISCHE REGIERUNG
China hat diverse internationale Menschenrechtsabkommen ratifiziert sowie Übereinkommen unterzeichnet und unterstützt die ›Grundprinzipien betreffend die Rolle der Rechtsanwälte‹, die vom Achten Kongress der Vereinten Nationen für Verbrechensverhütung und die Behandlung Straffälliger im Jahr 1990 in Havanna, verabschiedet wurden, und die unter anderem den Staat verpflichten, Anwält*innen zu schützen. Unter Berücksichtigung der zahlreichen Anlässe, bei denen Präsident Xi Jinping versprochen hat, die Rechtsstaatlichkeit zu fördern und die in der Verfassung niedergelegten Rechte des chinesischen Volkes zu schützen, und in Anbetracht der Tatsache, dass China als langjähriges Mitglied der Vereinten Nationen, des UN-Menschenrechtsrates und als Vertragsstaat der meisten wichtigen Menschenrechtskonventionen verpflichtet ist, seine internationalen rechtlichen Verpflichtungen einzuhalten, indem die in den verschiedenen Menschenrechtsnormen verankerten Leitprinzipien und Bestimmungen befolgt werden, wurden unter Bezugnahme auf Bestimmungen sowohl des nationalen als auch des internationalen Rechts folgende Forderungen formuliert:
»Wir wiederholen, dass wir überzeugt davon sind, dass Anwälte und Anwältinnen eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der Verteidigung der sozialen Gerechtigkeit einnehmen. Nur wenn die Rechte von Anwälten und Anwältinnen geschützt sind, können die Bürgerrechte garantiert werden.
Aus diesem Grund fordern wir die chinesische Regierung auf, umgehend:
1. ihre gesetzlichen Pflichten als Mitglied der internationalen Gemeinschaft zu erfüllen und ihre Versprechen gegenüber den chinesischen Bürgerinnen und Bürgern in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit und den Schutz von Rechten einzulösen, indem sie strikt dem Geist und den Grundsätzen der internationalen Menschenrechtsnormen folgen;
2. alle Anwälte und Anwältinnen sowie alle anderen Personen, die unrechtmäßig inhaftiert, für schuldig erklärt und verurteilt wurden, freizulassen, insbesondere im Zusammenhang mit dem »709-Crackdown«;
3. den vollen Schutz der Grundrechte für alle Anwälte und Anwältinnen sowie alle anderen als Tatverdächtige inhaftierten oder festgehaltenen Personen zu sichern, einschließlich unter anderem, den Zugang zu selbst gewählten Verteidigerinnen und Verteidigern, angemessene medizinische Behandlung, Besuche sowie Schutz vor Folter, unmenschlicher Behandlung und Selbstbezichtigung;
4. alle Schikanen, Einschüchterungen und kollektiven Bestrafungen gegen die Familien der Anwält*innen, ihre Kolleg*innen und Freund*innen einzustellen und deren Grundrechte als Bürger*innen zu garantieren.
Wir appellieren weiterhin an die chinesische Regierung, gesetzliche, juristische und institutionelle Reformen einzuleiten, die darauf hinwirken:
1. die zukünftige Entwicklung einer unabhängigen Justiz zu ermöglichen;
2. jedwede systematische Verletzung der Menschenrechte und die Unterdrückung der Zivilgesellschaft zu beenden, indem alle drakonischen Gesetze aufgehoben werden;
3. Bestimmungen in die nationalen Gesetze und Vorschriften aufzunehmen, die den Grundsätzen und Standards für den Schutz der internationalen Menschenrechte entsprechen;
4. die Rechte der Bürgerinnen und Bürger auf Zugang zum Recht, Gerichtsverfahren und Rechtsmittel zu stärken;
5. die Rolle und Funktion von Anwältinnen und Anwälten sowie Rechtsbeiständen bei der Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit und der Strafrechtspflege zu stärken.
Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf, weiterhin ihre Besorgnis zum Ausdruck zu bringen und Druck auf China auszuüben, Reformen einzuleiten. Und wir bekräftigen unser Versprechen, den Anwaltskolleg*innen sowie den Rechtsbeiständen in China in ihrem Kampf für einen besseren Schutz der Rechte und der Gesetzeslage solidarisch zur Seite zu stehen«.
Die von den Vertreter*innen der aufrufenden Organisationen unterzeichnete Petition wurde in den Briefkasten der Botschaft geworfen. Trotz vorheriger schriftlicher Anfrage wollte kein/e Botschaftsangehörige/r sie persönlich entgegen nehmen. Aus keinem der anderen teilnehmenden Städte wurde bekannt, dass die Petition entgegengenommen wurde. Vielmehr wurde berichtet, dass selbst postalische Zustellungen durch die Botschaften verweigert werden.
Die Aktionen anlässlich des Tags der verfolgten Anwält*innen sind vielfältig und wird in einem jährlichen Bericht der in den Niederlanden ansässigen Stiftung ›Day of the Endangered Lawyer‹ dokumentiert.(4) In diesem Jahr beteiligten sich weltweit 21 Städte.
Auch in Nürnberg hat der ›Tag des verfolgten Anwalts‹ bereits Tradition. Eine Gruppe von Jurist*innen und Nichtjurist*innen, die bei Amnesty international organisiert sind, führen jährlich eine Aktion durch. In diesem Jahr brachte das Ensemble des Staatstheaters Nürnberg das Theaterstück ›Verfahren gegen Hans Litten. Taken at Midnight‹ zur Aufführung. Die Nichte von Hans Litten spielte in dem Stück die Rolle ihrer Großmutter, der Mutter von Hans Litten.(5)
Wir würden uns freuen, wenn im kommenden Jahr am 24. Januar in weiteren Städten Aktionen stattfinden. Diese können völlig frei organisiert sein oder sich dem Thema der Stiftung ›Day of the Endangered Lawyer‹, mit der der RAV über die EDA verbunden ist, annehmen. Die Geschäftsstelle des RAV gibt gerne Auskunft.
Ursula Groos ist Rechtsanwältin in Berlin und Geschäftsführerin des RAV.
Fußnoten
(1) Vgl. http://www.rav.de/fileadmin/user_upload/rav/pressemitteilungen/Day_of_the_Endangered_lawyer_English.pdf.
(2) Vgl. http://www.amnesty.de/urgent-action/ua-272-2016-2/anwalt-droht-folter-haft?destination=node%2F5309%3Fpage%3D4.
(3) Vgl. http://www.amnesty.de/2017/1/23/china-freiheit-fuer-verfolgte-menschenrechtsanwaelte?destination=startseite.
(4) Vgl. http://dayoftheendangeredlawyer.eu/ und in dem Blog https://defendlawyers.wordpress.com/?s=Day+of+Endangered+Lawyer&submit=Search.
(5) Der kanadische Kollege, der den in Endnote 4 genannten Blog betreut, war so von Hans Litten und dessen Geschichte beeindruckt, dass er von dort auch zu dem Eintrag zu Hans Litten auf Wikipedia verlinkte.