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Der Kampf gegen Rassismus

INTERNATIONALE MENSCHENRECHTSINSTRUMENTE NUTZEN

GESPRÄCH MIT JUTTA HERMANNS

Volker Eick (VE): Ihr habt auf Eurer Veranstaltung am 11. Januar 2014 das Thema ›Der Kampf gegen Rassismus – Internationale Menschenrechtsinstrumente nutzen‹ ins Zentrum gestellt. Warum der Fokus auf Internationale Menschenrechtsinstrumente?

Jutta Hermanns (JH): Die Europäischen und Internationalen MR-Instrumente berücksichtigen nicht selten weiter gefächerte Faktoren für die Beurteilung einer Situation unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten als nationale Gerichte. Zwar gehen wir hier in Europa oder zumindest Deutschland üblicherweise recht selbsteingenommen davon aus, dass wir demokratisch und menschenrechtlich derartig gut aufgestellt sind – und durch das Verfassungsgericht die seltenen Brüche üblicherweise korrigiert werden –, dass die Internationalen Menschenrechtsinstrumente für uns eher uninteressant sind und lediglich für von hier verächtlich als ›Bananenrepubliken‹ titulierte Länder und Diktaturen geschaffen wurden. Hierbei übersehen wir jedoch geflissentlich, dass wir in manchen Lebensbereichen unhaltbare und für nicht wenige Menschen zerstörerische Zustände aufzuweisen haben und etliche Korrekturen in der Rechtsprechung sowie Ausarbeitung, Auslegung und Anwendung von Gesetzen, Abkommen und Verordnungen erst von Außen – also durch Europäische und/oder Internationale Rechtsinstrumente – angestoßen wurden.
  Das betrifft insbesondere das Aufenthalts- und Asylrecht, aber auch das Strafrecht u.a. und wird sich zukünftig sicher auch auf dem Gebiet des Umgangs der Justiz mit Rassismus bemerkbar machen. Zudem ist Recht nie Selbstzweck. Die effektive Umsetzung von Menschenrechten verlangt Fortentwicklung und niemals Beharren auf dem Status Quo. Gesellschaftliche Entwicklungen und Rechtsentwicklungen beeinflussen sich immer gegenseitig und können durch Internationale Menschenrechtsinstrumente angestoßen werden. Internationales Recht kann nationale Fehlentwicklungen und Fehlinterpretationen korrigieren und so auch auf Entwicklungen in der Gesellschaft Einfluss haben. 

VE: Den UN-Antirassismusausschuss CERD und die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz ECRI nutzen – das klingt ein wenig nach Zweispurigkeit von und im Recht. Stimmt der Eindruck? Was sollen die beiden genannten ›Instrumente‹ genau befördern? 

JH: Der Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (Committee on the Elimination of Racial Discrimination, CERD) ist ein Vertragsorgan der Vereinten Nationen, das für die Überwachung der Einhaltung des ›Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung‹ verantwortlich ist. Die drei Tätigkeitsfelder sind die Beurteilung der periodischen Berichte der Vertragsstaaten (unter Berücksichtigung von Parallelberichten von NGOs) sowie die Formulierung von »Empfehlungen« an die Staaten, die Einleitung von Frühwarnmaßnahmen und die Prüfung von Individualbeschwerden, falls sich der Vertragsstaat diesem Mechanismus unterworfen hat, was für Deutschland der Fall ist. Die Inanspruchnahme des Individualbeschwerdeverfahrens ist das Recht eines jeden Menschen und auch von Gruppen, wenn sie sich in Rechten aus dem Anti-Rassismusabkommen verletzt fühlen.

DEUTSCHLAND LEHNT RATIFIZIERUNG AB

Das Institut der Individualbeschwerde zum CERD ist besonders deswegen sehr wichtig und intere­s­sant, weil Deutschland das 12. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention nicht ratifiziert hat und somit der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für Betroffene von Rassismus im Wege der Individualbeschwerde meistens nicht möglich ist. Das 12. Zusatzprotokoll zur EMRK vom 4. November 2000 statuiert ein allgemeines und umfassendes Diskriminierungsverbot, das im Gegensatz zum lediglich akzessorischen Diskriminierungsverbot von Art. 14 EMRK, welches Diskriminierungen nur in Bezug auf den Genuss der durch die Konvention und Zusatzprotokolle anerkannten Rechte und Freiheiten verbietet, nicht im Geltungsbereich beschränkt ist.
  Deutschland lehnt die Ratifizierung mit dem Argument ab, es solle erst einmal abgewartet werden, auf welche Art und in welchem Ausmaß durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte diesbezüglich Verletzungen geahndet werden. Die Entscheidungen des CERD sind rechtlich nicht bindend in dem Sinne, in dem es z.B. Urteile des EGMR sind, stellen jedoch rechtswirksam einen Verstoß gegen und eine Verletzung des für Deutschland bindenden UN-Abkommens gegen Rassismus durch den Vertragsstaat fest und belegen damit eine eklatante Fehlentwicklung und Fehlanwendung.
  Die Einrichtung der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz wurde von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Europarats im Jahre 1993 beschlossen, um die wachsenden Probleme mit allen Formen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen. Diese Aufgabe wird von ECRI vor allem durch die Erstellung von Länderberichten, die Veröffentlichung von allgemeinen politischen Empfehlungen und die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, insbesondere Nichtregierungsorganisationen, wahrgenommen.
  Es handelt sich somit um unterschiedliche Handlungsformen bei verschiedenen MR-Instrumenten, die einzeln oder parallel ergriffen werden können, um dem Recht auf Freiheit von Rassismus sowohl auf rechtlicher als aber auch auf gesellschaftlicher Ebene zum Durchbruch zu verhelfen.

»NICHT NUR DIE GEWONNENE BESCHWERDE…«

VE: Was können aus Deiner Sicht diese Instrumente – im Vergleich zu anderen Rechtsinstrumenten – erreichen? Wo siehst Du die besonderen Potentiale?

JH: Es handelt sich um Ausschüsse, deren Mitglieder in ihrem jeweiligen Bereich, das heißt in diesem Fall auf dem Gebiet ›Rassismus‹ über fundiertes Grundwissen und die Fähigkeit zu sowohl realitätsbezogener als auch differenzierter Analyse verfügen und deren Kenntnisse auch aus den sogenannten Schattenberichten der in der Praxis verankerten NGOs gespeist werden. Die CERD-Entscheidungen und insbesondere auch die regelmäßig verfassten und veröffentlichten allgemeinen Empfehlungen von CERD und ECRI, auf die u.a. auch in den Entscheidungen des EGMR Bezug genommen wird, haben über die eigentlichen Feststellungen und Aussagen hinaus folgende Wirkungsmöglichkeiten:
     Schärfung des Blicks für Menschenrechtsverletzungen im Alltag – Aufzeigen nicht hinnehmbarer Missstände und struktureller Mängel;
     Vorbeugung gegen staatlicherseits aufgestellte Behauptungen, es gebe keine systematischen Rechtsverletzungen, da es ja auch keine oder nur vereinzelte Beschwerden gebe (z.B. so auch anfänglich das BMI bezüglich racial profiling, regelmäßige Erwiderung auch auf Dienstaufsichtsbeschwerden etc.);
     Förderung von Entwicklungen, Debatten und Veränderungsprozessen; gegenseitige Beeinflussung der Entwicklung von Recht, Politik und Gesellschaft

Die Beurteilung, ob z.B. eine Individualbeschwerde erfolgreich war oder nicht, wird zudem von JuristInnen und Betroffenen durchaus unterschiedlich wahrgenommen: für viele Betroffene ist nicht nur die gewonnenen Beschwerde eine erfolgreiche Beschwerde – wichtig ist für sie die Thematisierung und Sichtbarmachung ihrer Anliegen.

VE: Auf wen zielte Eure Veranstaltung, wer ist die Zielgruppe und – nicht zuletzt – seid Ihr mit dem bisherigen Ergebnis zufrieden?

DISKRIMINIERUNGSFREIER ZUGANG ZUR DURCHSETZUNG VON RECHTEN

  JH: Die ganztägige Kooperationsveranstaltung von RAV, ISD(1) und KOP(2) richtete sich vorrangig an AktivistInnen, die in ihrer täglichen Anti-Rassismus-Arbeit Menschen (strategisch) bei der Durchsetzung ihrer Rechte begleiten und unterstützen. Für sie besteht die Herausforderung oft darin, die Einhaltung menschenrechtlicher Standards einzufordern, auch dann, wenn nationalstaatliche Gesetzgebung bzw. deren Anwendung eben diese verletzt und dabei Betroffene als RechtsträgerInnen infrage gestellt werden. Doch die Menschenrechtsidee adressiert nicht nur eine formale (gesetzliche) Gleichberechtigung, sondern auch einen diskriminierungsfreien Zugang zur Durchsetzung dieser Rechte. Nur wenn Menschen die Verletzung ihrer Rechte bei der richtigen Stelle geltend machen können, werden sie als Rechtssubjekte ernst genommen.
  Wir wollten mit der Veranstaltung die existierenden Interventionsmechanismen, die von den dargestellten Ausschüssen bereits jetzt vertretenen Argumentationsstränge, ihre wichtigsten Grundsatzentscheidungen und Forderungen an die Bundesregierung vermitteln sowie für die mögliche Inanspruchnahme in ganz unterschiedlichen Alltagssituationen sensibilisieren und die AktivistInnen diesbezüglich stärken. Wir hatten auch gehofft, dass sich AnwältInnen, die sich von ihrer beruflichen Praxis her als KooperationspartnerIn oder UnterstützerIn bzw. rechtlicher Beistand begreifen, für die berichteten und diskutierten Ansatzpunkte und Möglichkeiten der (rechtlichen) Intervention interessieren und zahlreicher teilnehmen, da der Raum für gemeinsame Diskussionen geboten war. Das war dann aber leider weniger der Fall.

VE: Ihr habt auch Workshops durchgeführt, zu den Themen ›Empowermentarbeit auf der Basis der UN-Antirassismuskonvention‹, ›Menschenrechtskonventionen – Ein starkes Instrument für politische und berufliche AktivistInnen‹ und ›Beschämt und empört zu sein ist nicht genug – Argumentations- und Aktionstraining gegen Rassismus im Alltag‹. Kannst Du kurz etwas zu den Diskussionen, vielleicht auch zu ersten Ergebnissen sagen?

MUSTERPROZESSE, ALLTAGSRASSISMUS, SENSIBILISIERUNG UND MEHR

JH: In allen drei Workshops(3) wurden mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung rassistische Alltagssituationen, mit denen Menschen täglich konfrontiert werden, mögliche Interventionen und Argumentationen, ausgemachte Hauptproblemfelder und Handlungsansätze herausgearbeitet, diskutiert und dokumentarisch in einer Art Stichwortbroschüre festgehalten. Die Diskussionslinien wurden auf einem Abschlussplenum allen TeilnehmerInnen zusammenfassend vorgestellt. Es ging sowohl um ganz grundsätzliche Fest- und Fragestellungen, als auch um konkrete Alltagssituationen sowie die Herausarbeitung möglicher Inanspruchnahme der Europäischen und Internationalen Anti-Rassismusmechanismen sowie der Nutzung derselben in der Argumentation.
  Um nur einige wenige Themenansätze schlagwortartig zu benennen: Struktureller Rassismus und Datenerhebung, Situation Geflüchteter, Struktureller und Institutioneller Rassismus im Bildungssystem, Rassismus im Gesundheitssystem, Rassismus in den Medien und im öffentlich rechtlichen Rundfunk, Konzept der Kolonialität, Perspektiven von Menschen of Color auf Rassismus in Deutschland, Rassismus aus menschenrechtlicher Perspektive, Verbreitungsarbeit, General Recommendations als Instrument nutzen, Individualbeschwerden und Schattenberichte, Empowerment durch Menschenrechte, Kinderrechtskonvention, Argumentationstraining anhand von Fallbeispielen, Verhaltensweisen in Situationen von racial profiling, Alltagssituationen und Einmischung etc.

VE: Die nächsten Schritte, habt Ihr etwas in Vorbereitung? Welche Unterstützung erwartet Ihr gerade aus dem rechtsanwaltlichen Bereich?

JH: Es existieren verschiedene Vernetzungen von Gruppen und Einzelpersonen, welche antirassistische Arbeit leisten und viele unterschiedliche Projekte realisieren. Hierzu gehört u.a. auch, Musterprozesse in Bezug auf konkrete Situationen zu führen, mit denen u.a. bestimmte staatlicherseits geübte Praktiken zur Disposition gestellt werden sollen. Am bekanntesten sind wohl diejenigen in Bezug auf racial profiling. Weniger bekannt und bei weitem kontroverser diskutiert (auffällig gespalten in ›Betroffene‹ und ›Andere‹) ist das Verfahren vor CERD wegen der Einstellung der Ermittlungen gegen Sarrazin, das den Volksverhetzungsparagrafen betrifft, dessen Änderung oder zumindest konventionsgetreue Anwendung schon seit Jahren von ECRI und nun auch in der Entscheidung von CERD angemahnt wird.
  Es gibt aber unendlich viel mehr Situationen, Praktiken und Strukturen, welche auf diesem Wege zum einen verändert, zum anderen aber auch als unhaltbar und auf gesellschaftlicher Ebene als rassistisch thematisiert und bewusst gemacht werden könnten. Hierfür wäre es wünschenswert, dass mehr AnwältInnen als bisher sensibilisiert würden und entschiedener auch rechtliche Schritte über den national-rechtlichen Tellerrand hinaus gehen sowie die Mandantschaft entsprechend beraten und begleiten könnten.

Die Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion eingefügt.

Jutta Hermanns war bis Januar 2014 Rechtsanwältin und hat u.a. den TBB(4) in der Individualbeschwerde in Sachen Sarrazin vor dem UN-Antirassismusausschuss vertreten, ist Mitglied im RAV und jetzt für eine humanitäre Organisation tätig.

Fußnoten
(1) ISD (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland), vgl. isdonline.de/verein/
(2) KOP (Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt), vgl. http://www.kop-berlin.de/ueber-kop
(3) Für detailliertes Material zu den Workshops, vgl. http://www.rav.de/publikationen/infobriefe/infobrief-109-2014/materialien zum interview hermanns
(4) TBB (Türkischer Bund in Berlin/Brandenburg), vgl. http://tbb-berlin.de