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›Dreifacher anwaltlicher Widerstand‹

PREISVERLEIHUNG WERNER HOLTFORT-STIFTUNG 2015

ZUSAMMENGESTELLT VON BERENICE BÖHLO & VOLKER EICK

Im Mittelpunkt der diesjährigen Preisverleihung der Holtfort-Stiftung stehen die Themenbereiche Flucht und Asyl, zu denen die Preistragenden in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Herausragendes geleistet haben. Die Holtfort-Stiftung widmet sich seit 1993 der anwaltlichen Fortbildung und dem politischen Kampf für ein demokratisches Rechtssystem. Sie vergibt regelmäßig den Werner Holtfort-Preis an Personen und Organisationen, die sich um die Verteidigung der Bürger- und Menschenrechte verdient gemacht haben. Vor allem bei Flucht und Asyl liegen formelle Rechtmäßigkeit und materielle Gerechtigkeit weit auseinander. ›Illegale‹ Einreisen, Fluchthilfe durch Angehörige, Schulbesetzungen, Märsche gegen die Residenzpflicht, ›Schwarzarbeit‹, die Aktivitäten von Schulklassen gegen Abschiebung und das Gewähren von Kirchenasyl machen dies deutlich. Dem Bewusstsein, dass ertrinkende Flüchtlinge, ihre unmenschliche Behandlung in Lagern oder in Haft sowie ihre mangelhafte Versorgung und Teilhabe, auf der europäischen Abschottungspolitik beruhen, stehen Recht und Gesetz im Bereich von Flucht und Asyl gegenüber. Gegen diese Politik und ihre rechtliche Umsetzung anwaltlich vorzugehen heißt, mit großer Ausdauer über Jahre hinweg das Unrecht zu benennen, Positionen gegen eine der Abschottung das Wort redenden (europäischen) Politik zu formulieren, die Vermeidung des Zugangs zum Recht zu überwinden und ein materiell hochkomplexes, auf Ausgrenzung bedachtes Recht in seinen verfassungsrechtlichen Widersprüchen zu erfassen, gegen erhebliche Widerstände und vor dem Hintergrund vorzubringen, lange kein Gehör zu finden.

HOLTFORT-PREIS 2015 

Der Holtfort-Preis wird in diesem Jahr zwei Kollegen und einer Kollegin zuteil. ›Dreifacher anwaltlicher Widerstand‹ – unter dieser Überschrift hat der Vorstand der Holtfort-Stiftung im November 2014 beschlossen, die Rechtsanwältin Eva Steffen, den Rechtsanwalt Peter Fahlbusch sowie den Rechtsanwalt und Notar Klaus Walliczek zu ehren. Geehrt werden sollen mit dem Preis jene, die gegen die Abschiebehaft, die Dublin III-Regelungen und das Sonderrecht für Flüchtlinge und Migranten im Bereich des Sozialrechts angegangen sind, sie kritisiert und in ihrer menschenverachtenden Wirkung einschränken konnten. Seit Jahren laufen sie gegen in Gesetze gegossene Abschottungs- und Abschreckungspolitik Sturm, oft unter Aufwendung erheblicher persönlicher aber auch materieller Ressourcen.

DIE PREISTRAGENDEN 

Eva, Peter und Klaus sind Anwälte, die sich in den zuvor genannten drei Problemfeldern des Migrationsrechts herausragend profiliert haben. Entscheidungen von ihnen haben die gesamte Rechtspraxis geändert. Sie haben sowohl prominente Verfahren vor den höchsten Gerichten geführt, stehen zugleich aber unvermindert in der alltäglichen anwaltlichen Praxis und haben direkten Kontakt zu ihren Mandantinnen und Mandanten. Es ist ihr Anspruch auch in ihrer eigenen Praxis einen niedrigschwelligen Kontakt zum Rechtsvertretung und damit zum Recht sicherzustellen. Wir würdigen nachfolgend und in Auszügen das Wirken der drei Preistragenden.

RECHTSANWÄLTIN EVA STEFFEN 

Rechtsanwältin Eva Steffen ist vornehmlich im Bereich des Aufenthaltsrechts und Sozialrechts tätig, sie kämpft dabei vor allem gegen die Vorenthaltung von Sozialleistungen, gegen Ausgrenzung durch einen eingeschränkten Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Teilhabe, die sich z.B. im Asylbewerberleistungsgesetz niederschlägt. Die Besonderheit des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) besteht in folgendem: Krankheitsbehandlung soll nur in Fällen akuter Schmerzzustände erfolgen (§ 6 AsylbLG). Nach behördlicher Lesart gehören Therapiekosten regelmäßig nicht dazu. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden, dass die bis 2011 geltende Regelung, die für Flüchtlinge weniger als das in den Hartz IV-Regelungen gesetzlich niedergelegte Existenzminimum bestimmte, gegen das Grundgesetz verstößt. Eva Steffen ist eine der VorreiterInnen dieser Erkenntnis beim BVerfG und eine derjenigen, die die Verfahren bis dort gebracht hat. Die überwiegende Mehrheit der Anwältinnen und Anwälte ist gegen die Bescheide mit den herabgesetzten Leistungen nicht vorgegangen. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) hatte im von Eva Steffen am 26. Juli 2010 (L 20 AY 13/09) erstrittenen Beschluss dann festgestellt, dass die Grundleistungsbeträge nach § 3 Abs 2 AsylbLG sowie der Barbetrag (Taschengeld) nach § 3 Abs 1 AsylbLG verfassungswidrig sind. Es hat daher dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Prüfung vorgelegt, ob die Höhe der im Gesetz genannten, seit 1993 unveränderten Geldbeträge mit der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip vereinbar ist. Das BVerfG stellte später den Verstoß gegen die Menschenwürde in einer bahnbrechenden Entscheidung fest.
Eva Steffen streitet auch für mehr soziale Rechte von EU-Bürgern. Sie hat hierzu auch ein Verfahren vor dem EuGH geführt und in Luxemburg verhandelt. Der EuGH sprach am 11. No­vember 2014 dazu das Urteil.(1) Sie war später als Expertin an dem Verfahren beteiligt, in dem es um die Einschränkung von Sozialleistungen für EU-Bürger ging und hat dabei auch immer wieder öffentlich gegen die Einschränkung des Rechts argumentiert. Sie ist Mitglied im geschäftsführenden ›Ausschuss Ausländer- und Asylrecht‹ des Deutschen Anwaltsvereins (DAV). Sie veröffentlicht regelmäßig zu ihren beruflichen Schwerpunkten, so unlängst im Grundrechte-Report 2014, sie ist in der Anwaltsfortbildung aktiv und nimmt regelmäßig an Tagungen und Konferenzen als Referentin teil, um über die massiven Rechtsverstöße aufzuklären.

RECHTSANWALT PETER FAHLBUSCH 

Peter Fahlbusch ist u.a. mit Abschiebehaft befasst und maßgeblich beteiligt an ihrer gegenwärtig fast vollständigen Abschaffung. Er ist sowohl im Bereich der Anwaltsfortbildung, der Weiterbildung von Flüchtlingsräten als auch im Bereich der Richterfortbildungen tätig. Er steht für einen explizit politischen Zugang zum Recht und fragt nach den Bedingungen der anwaltlichen Arbeit im Migrationsrecht. Er streitet für begleitende Supervision anwaltlicher Tätigkeit. Peter Fahlbusch gibt rechtspolitische Stellungnahmen ab und wird mit seiner Expertise in Landtagen sowie von allen zivilgesellschaftlichen Institutionen, den Flüchtlingsräten und den Kirchen als Rechtsexperte angefragt. Er treibt die bundesweite anwaltliche Vernetzung um die Auseinandersetzung mit der Abschiebehaft voran. Auf verschiedenen Tagungen und Konferenzen beteiligt sich Peter Fahlbusch auch an einem Dialog mit Vertretern z.B. des BVerwG, des BMI und diskutiert mit Staatssekretären deren restriktive Gesetzesvorhaben. Er führt eine Statistik, nach der er bei annähernd 1.000 Fällen von weit überwiegend rechtswidriger Abschiebehaft berichtet. Diese Erkenntnis ist nicht weit von der Berechnung des BGH entfernt, der 2010 berichtete, dass 85 bis 90 Prozent der erstgerichtlichen Entscheidungen der Amtsgerichte in Haftsachen rechtswidrig seien. Diese Zahl basiert auf einer von BGH-Richter Prof. Dr. Jürgen Schmidt-Räntsch veröffentlichten BGH-Statistik (vgl. NvWZ 2014, 110).
Zahlreiche Ausländerbehörden haben nach der Inhaftierung von Asylantragstellenden Wochen und Monate Zeit zur Durchführung der Abschiebung beantragt, und die meisten Amtsgerichte haben das ohne Vorlage der Akten ungeprüft in ihren Haftbeschlüssen übernommen. In einer hart erkämpften Rechtsentwicklung ist die ausufernde Verhängung von Abschiebehaft annähernd bis zu deren Abschaffung eingeschränkt worden. Maßgeblichen Anteil daran hat Rechtsanwalt Fahlbusch.
Peter Fahlbusch betrieb Verfahren zum so genannten Trennungsgebot, nach der Abschiebehäftlinge und Strafgefangene in Haft getrennt werden müssen, bis zum EuGH.(2) So waren etwa in Bayerischen Untersuchungshaftanstalten Abschiebehäftlinge mit U-Häftlingen gemeinsam untergebracht und unterlagen denselben Einschränkungen wie die U-Häftlinge, d.h. sie konnten weder telefonieren, noch Besuch ohne Sprechschein empfangen. Der EuGH beendete an Hand des von Peter Fahlbusch vorgebrachten Falles diese deutsche Praxis, mehrere Abschiebehaftanstalten mussten geschlossen werden und sind es bis heute.
Mit einem fulminanten Beschluss vom 26.06.2014 (V ZB 31/14) hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Inhaftierung von Asylsuchenden unmittelbar nach ihrer Einreise zwecks Sicherstellung von Überstellungen in den sog. Dublin-Verfahren nicht mehr zulässig ist, wenn die Haft auf Fluchtgefahr bzw. Entziehungsabsicht gestützt wird, da es hierfür an einer gesetzlichen Regelung fehlt. Der BGH-Vertreter hat sich wesentliche Argumente aus dem zuvor im Verfahren gehaltenen Vortrag von Fahlbusch zu Eigen gemacht.(3) Gegenwärtig ist Peter Fahlbusch zunehmend mit Fällen am Flughafen Frankfurt konfrontiert, in denen die Bundespolizei die Betroffenen ›überredet‹, ihren AnwältInnen zu entpflichten und auf sämtliche Rechtsmittel zu verzichten.

RECHTSANWALT UND NOTAR KLAUS WALLICZEK 

Klaus Walliczek betreibt eine Vielzahl von so genannten Dublin-Verfahren. Hier geht es um innereuropäische Abschiebungen mit dem Ziel, die Flüchtlinge in die Staaten an den Außengrenzen zu verbringen. Einstweiliger Rechtsschutz als einziges effektives Rechtsinstrument war bis 2013 gesetzlich ausgeschlossen. D.h. die Klage gegen eine Abschiebung nach Griechenland konnte eingelegt werden, hatte aber keine aufschiebende Wirkung. Der Abgeschobene musste aus Griechenland sein Verfahren weiterbetreiben, was regelmäßig nicht möglich war. 90 Prozent der Anwälte hören an dieser Stelle mit der Vertretung von Betroffenen auf. Klaus Walliczek führte zahlreiche einstweilige Rechtsschutzverfahren gegen den Gesetzestext mit der Begründung, die Überstellung eines Flüchtlings in einen anderen Staat verletze dessen Menschenrechte. Er ließ sich von der Exklusion vom Recht nicht aufhalten und schrieb eine Verfassungsbeschwerde nach der anderen. Auch Klaus Walliczek hat sich mit eigenen Ressourcen einem bestehenden Rechtssystem auf höchstem Niveau entgegengestellt und sich von seiner grundsätzlichen Überzeugung nicht abbringen lassen. Er ist in der Anwaltsfortbildung sehr aktiv und gestaltet maßgeblich die anwaltliche Vernetzung auf deutscher und europäischer Anwaltsebene im Bereich der Dublin-Verfahren. Ein BVerfG-Verfahren von Klaus Walliczek führte letztlich dazu, dass die Bundesregierung den Abschiebebescheid aufhob und zusicherte, künftig überhaupt keine Überstellungen nach Griechenland mehr durchzuführen – dies gilt bis heute.(4)
Rechtsanwalt Walliczek ist international gut vernetzt und hält intensive Kontakte zu Anwälten innerhalb der EU. So informiert er die hiesigen Anwälte über einen Internetverteiler regelmäßig mit Informationen zur Rechtsprechung des britischen Supreme Court etc.; dies ist umso wichtiger, da es sich um ein extrem dynamisches Rechtsgebiet handelt, das mit dem Case Law verbunden ist. Er ist in der Lage, das Deutsche Verwaltungsrecht in internationale Bezüge einzubetten. Wenn Dublin II für viele Kolleginnen und Kollegen jahrelang eine Geheimwissenschaft war, ist sie von Klaus Walliczek dekodiert worden. Er hat zahlreiche hervorzuhebende Entscheidungen vor den Verwaltungsgerichten erstritten. In einer jüngst von ihm erfochtenen Entscheidung des VG Düsseldorf entschied das Gericht, eine Dublin-Überstellung nach Italien vorläufig auszusetzen. Grund hierfür waren u.a. die von Klaus Walliczek zusammengestellten Informationen zur Situation von Flüchtlingen – eigentlich eine staatliche Aufgabe. Da diese Berichte aber einseitig beschönigend und verschleiernd sind, kann nur von der anwaltlichen Seite die eigentliche Sachverhaltsaufklärung erfolgen, was Klaus Walliczek mit großer Akribie tut.(5)
Kennzeichnend für ihn ist auch, dass er sich in die einzelnen Bestimmungen der Dublin-Verordnung eingearbeitet hat und dabei auch subjektive Belange berücksichtigt, was sich nach und nach auch in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte niederschlägt. So entschied das VG Frankfurt/Main am 22.01.2014 (9 L 4610/13.F.A):
»Es ist in der Verwaltungsrechtsprechung anerkannt, dass unter Berücksichtigung des (auch) dem Interesse des Asylbewerbers dienenden Beschleunigungsgrundsatzes (EuGH-Urteil v. 21.11.2011, C 4111/10) auch bei Verfahren nach der Dublin II VO, der Staat, der das Wiederaufnahmeersuchen betreibt, dieses Verfahren nicht beliebig hinauszögern darf, andernfalls die Zuständigkeit für das Asylverfahren auf ihn übergeht.« Er wandte sich – als er vor deutschen Gerichten zur Verhinderung einer Familientrennung im Zusammenhang mit einer Abschiebung kein Recht erhielt – an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dieser stoppte sodann vorläufig die Überstellung. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hob den Abschiebungsbescheid später auf.(6)
Die Redaktion gratuliert den Preistragenden herzlich und lädt zur Preisverleihung am Samstag, 21. November 2015 um 15:30 Uhr ins Haus der Demokratie und Menschenrechte in Berlin ein.

Berenice Böhlo ist Rechtsanwältin und Vorstandsmitglied im RAV
Volker Eick ist Politikwissenschaftler und Mitglied im Erweiterten Vorstand des RAV.

(1) Vgl. http://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2014-11/cp140146de.pdf
(2) Vgl. http://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2014-07/cp140105de.pdf
(3) Vgl. http://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2014/07/BGH_20140723095832.pdf
(4) Vgl. http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20110125_2bvr201509.html
(5) Vgl. http://www.ra.walliczek.de/urteile/files/VG%20D%C3%BCsseldorf%2026.06.2013%20Italien.pdf
(6) Vgl. http://www.ra.walliczek.de/urteile/files/Entscheidung_EGMR_Seite_1.jpg