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Der Preis der Gefangenentelefonie

GEWINNSPANNEN AUF DEM RÜCKEN DER GEFANGENEN(1)

JAN OELBERMANN

Schon seitdem das regelmäßige Telefonieren für Gefangene zugelassen wurde, werden die hohen Kosten, die dafür bei den Gefangenen erhoben werden, kritisiert. Aktuell ist die tarifliche Ausgestaltung des Telefonierens Gegenstand der Rechtsprechung. Das Ziel der Resozialisierung ist unter den Bedingungen des Strafvollzuges schwer zu erreichen. Sie hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, von denen Außenkontakte und deren Qualität für Gefangene besondere Bedeutung zukommen. Gerade weil Gefangene von der freien Gesellschaft getrennt sind, können Außenkontakte nur schwer und dann insbesondere über das Telefon aufrechterhalten werden, so dass die Möglichkeit zu telefonieren von großer Bedeutung für eine erfolgreiche Resozialisierung sein kann. Denn eine Integration in die freie Gesellschaft ohne Kontakt zu selbiger ist nicht möglich. Es wurde durch zahlreiche Längsschnittuntersuchungen empirisch belegt, dass stabile Arbeitsverhältnisse den Abbruch von kriminellen Verhaltensweisen positiv beeinflussen.(2)
Außenkontakte stärken das soziale Kapital, welches die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Eingliederung in den Arbeitsmarkt erhöht. Durch den beschränkten Kontakt nach Außen können die Beziehungen nicht in derselben Intensität weiter geführt werden, wie vor der Inhaftierung und so besteht ein erhöhtes Risiko, dass Beziehungen während der Haft zerbrechen. Dies belegen die hohen Scheidungsraten und die die Vielzahl der beendeten Beziehungen während der Haft.(3) Nicht vorhandene Außenkontakte führen zur sozialen Isolation nach der Entlassung. Die Entlassungssituation umfasst den schwierigen Wechsel aus der überstrukturierten Institution Gefängnis in Lebensverhältnisse, deren Strukturen offen, unbestimmt und überaus komplex sind. Diese Unsicherheit erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ehemalige Gefangene wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen und erneut straffällig werden Die Außenkontakte als soziales Kapital können den Entlassenen in dieser unsicheren und kritischen Phase Halt geben und dadurch das Rückfallrisiko verringern.

ENTFREMDUNG VON DER AUßENWELT 

Die Unsicherheit kann durch zunehmende Entfremdung der Gefangenen von der freien Gesellschaft und den Bezugspersonen verstärkt werden. Studien zeigen, dass sich die Inhaftierten nach langen Haftstrafen von der Außenwelt entfremdet hatten, da sich die Welt außen fortentwickelte und die Gefangenen unter den Bedingungen des Strafvollzugs dieser Entwicklung nicht folgen konnten.(4) Während der Inhaftierung verpassen die Gefangenen nicht nur Ereignisse in ihrem familiären und sozialen Umfeld, sondern auch gesellschaftliche Entwicklungen. Natürlich können die Gefangenen bereits über Briefe, Besuche und Lockerungsmaßnahmen den Kontakt nach außen wahren. Besuche und Lockerungen sind jedoch im Gegensatz zum telefonischen Kontakt mit erhöhtem Aufwand verbunden und sowohl von den personellen Ressourcen der JVA als auch von den zeitlichen Ressourcen der BesucherInnen abhängig. Zudem ist es beim Telefonieren unmittelbarere und spontaner möglich, Emotionen und Zuneigung auszudrücken. Die Außenkontakte können also durch regelmäßige Telefonate umfassender und intensiver gepflegt sowie erhalten werden.
Wie wird das Telefonieren aus den Haftanstalten praktisch umgesetzt? Es gibt (südliche) Bundesländer, in denen die Gefangenen nicht oder nur im Ausnahmefall über den Sozialdienst telefonieren können. In Bayern ist selbst im Vollzug der Sicherungsverwahrung das Telefonieren auf mehr oder weniger große Ausnahmefälle beschränkt. In den meisten Bundesländern gibt es jedoch ein Angebot für ›Gefangenentelefonie‹. Praktisch wird dies in den allermeisten Fällen so realisiert, dass die Vollzugsanstalten dieses Angebot outsourcen. Damit beauftragt wird in den meisten Fällen die Firma Telio.

TELIO – PRIVATWIRTSCHAFTLICHE GEFANGENENTELEFONIE 

Diese nimmt – soweit bekannt – in allen von ihr ausgerüsteten Vollzugsanstalten seit Mai 2015 folgende Gebühren pro Minute: Sieben Cent für ein Ortsgespräch, zehn Cent für ein Ferngespräch, 35 Cent für ein Gespräch auf ein Mobiltelefon und zwischen 19 Cent und 59 Cent für Auslandsgespräche. Bei diesen Tarifen wird jeweils die erste Minute doppelt berechnet. Auch wurde die Möglichkeit eingeführt, dass der Angerufene bezahlt. Das Entgelt für diesen Service beträgt dann 69 Cent pro Minute. Vor der Tarifänderung zum Mai dieses Jahres beliefen sich z.B. die Gebühren für eine Minute Gespräch auf eine Mobilfunknummer auf 70 Cent und für Auslandsgespräche wurden 60 Cent bis 2,40 Euro pro Minute genommen. An diesen Tarifen haben die Gefangenen schon lange Zeit Anstoß genommen.(5)
Auch die von der Justiz immer wieder beklagte Verbreitung von nicht gestatteten Mobilfunkgeräten dürfte durch die hohen Telefongebühren der ›legalen‹ Telefonie begünstigt worden sein. Während sich heute die ›Anschaffungskosten‹ eines Mobiltelefons in der Haftanstalt für einen Gefangenen (in der JVA München z.B. ca. 200 Euro für ein einfaches Modell), der mit seiner Familie im Ausland in Kontakt bleiben will, schon nach drei Stunden Telefongespräch amortisiert haben, würde sich der entsprechende Kauf bei einer fairen Tarifgestaltung nicht ›lohnen‹. An der Rechtsprechung sind diese Einwände bisher immer abgeprallt. So hat das Kammergericht noch am 1. August 2012 entschieden, dass ein Anspruch auf Absenkung der Telefontarife sich nicht herleiten ließe.(6) Das Landgericht Berlin hatte in der vorangegangen Entscheidung vom 21. Juni 2012 noch – exemplarisch für mehrere Entscheidungen – argumentiert, dass die Gebühren für die Gefangenentelefonie noch unter denen von öffentlichen Fernsprechern der Deutschen Telekom lägen.(7)

RECHTSMITTEL GEGEN ÜBERHÖHTE GEBÜHREN                

Im Juni dieses Jahres ist eine Entscheidung des OLG Naumburg ergangenen, die sich mit den Gebühren der Gefangenentelefonie beschäftigt und hoffentlich grundsätzliche Bewegung in die Sache bringen wird.(8) Ein Gefangener hatte bei der JVA Burg das Telefonieren zu günstigeren Preisen beantragt. Dies hatte die JVA abgelehnt. Diese Ablehnung wurde zum Gegenstand eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung gemacht. In der ersten Instanz hat das Landgericht Stendal ein Sachverständigengutachten zur Angemessenheit der Preise eingeholt, die für die Haftraumtelefonie in der JVA Burg erhoben werden. Das Landgericht folgte dem Ergebnis des Sachverständigen, dass die Preise knapp 300 Prozent zu hoch seien. Der Sachverständige hatte dabei als Ausgangswert das günstigste Angebot eines Mitbewerbers der Firma Telio genommen. Darauf hat das Landgericht die Entscheidung der JVA, die Gebühren nicht zu senken, aufgehoben und diese zur Neubescheidung verpflichtet. Auf das Rechtsmittel der Justiz hat dann das OLG Naumburg entschieden. In dem Beschluss des Oberlandesgerichts Naumburg wurde maßgeblich auf die Rechtsprechung des BVerfG abgestellt, wonach die finanziellen Interessen der Gefangenen – auch bei der Einschaltung Dritter – zu wahren seien. Dies ergebe sich aus der aus dem Resozialisierungsgrundsatz folgenden Fürsorgepflicht.(9) Der entscheidende Senat ist zu dem Schluss gekommen, dass die erhobenen Preise nicht marktgerecht seien. Sie seien auch nicht durch die besonderen Bedingungen des Justizvollzugs gerechtfertigt. Marktgerecht seien Preise solange, so die vom OLG übernommene Definition des Landgerichts, bis sie das günstigste Angebot nicht um mehr als 100 Prozent überschreiten. Auch sei ein Preisunterschied zwischen Orts- und Ferngesprächen nicht  nachvollziehbar, weil technisch kein Grund ersichtlich sei, der die Mehrkosten rechtfertige. Aus diesen Gründen sei die streitgegenständliche Entscheidung der JVA Burg, mit der eine Senkung der Gebühren abgelehnt wurde, rechtswidrig. Festgestellt wurde noch, dass die Firma Telio auf dem Rücken der Gefangenen eine Gewinnspanne von ca. 66 Prozent erwirtschafte. Branchenüblich seien nur zehn bis 15 Prozent.
Nicht genau absehbar sind die Konsequenzen der Entscheidung. Die zivilrechtlichen Versuche, die überhöhten Gebühren (teilweise) zurückzuerlangen, stecken noch im Anfangsstadium. Die Justizverwaltungen klagen darüber, dass sie faktisch keinen Handlungsspielraum zur Senkung der Gebühren hätten, weil nicht sie, sondern die Firma Telio die Gebühren bestimme. Mit Telio habe man aber langfristige Verträge geschlossen und damit auch sämtlichen Einfluss auf die Gebührengestaltung aus der Hand gegeben. Die im Mai beschlossene Tarifsenkung ist sicherlich auch schon eine vorweggenommene Konsequenz, die der Anbieter Telio bereit war zu ziehen. Natürlich ist jede Gebührenreduzierung zu begrüßen. Hinreichend reduziert und auf einem marktgerechten Niveau angekommen sind die Preise immer noch nicht. Beispielsweise ist nicht erkennbar, warum der erste Takt doppelt berechnet wird. Auch gibt es für die unterschiedliche Tarifgestaltung im Hinblick auf Orts- und Ferngespräche keinen Grund. Die Tarifoption, in der der Angerufene die Kosten übernimmt, wird sicherlich für etliche Angehörige eine Schuldenfalle darstellen. Wahrscheinlich muss nun erneut geklagt werden, um zu erreichen, dass der Justiz­vollzug den Gefangenen tatsächlich das Telefonieren zu marktgerechten Preisen anbietet. Wenn der Anbieter die Tarife nicht von sich aus auf ein angemessenes Niveau senkt und die Justizverwaltungen sich nicht in der Lage sehen, die Verträge mit dem Anbieter zu kündigen, können sie nicht länger die Verantwortung für die Vertragsabschlüsse auf die Gefangenen abwälzen, sondern müssen sie – und sei es durch Subventionierung – endlich selber tragen. 

Dr. Jan Oelbermann ist Rechtsanwalt in Berlin und RAV-Vorstandsmitglied.
Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion eingefügt.

Fußnoten
(1) Teile dieses Beitrags sind vom Unterzeichner zusammen mit Jan Fährmann schon 2014 in einem Aufsatz erschienen, vgl. ›Forum Strafvollzug‹, 63(6): 387ff.
(2) Vgl. Sampson, Robert J.; Laub, John H. (1993/1997): Crime in the Making. Pathways and Turning Points through Life. 3. Aufl. Cambridge: 248; Sampson, Robert J.; Laub, John H.; Nagin, Daniel (1998): Trajectories of Change in Criminal Offending: Good Marriages and the Desistance Process. In: American Sociological Review 63(2): 225–238; Farrington, David P. (1995): The Development of Offending and Antisocial Behaviour from Childhood: Key Findings from the Cambridge Study in Delinquent Development. In: Journal of Child Psychology and Psychiatry and allied Disciplines 36(6): 929–964; Stelly, Wolfgang; Thomas, Jürgen; Kerner, Hans-Jürgen (2003): Verlaufsmuster und Wendepunkte in der Lebensgeschichte. Eine Untersuchung des Einflusses soziobiographischer Merkmale auf sozial abweichende und sozial integrierte Karrieren. Tübingen.
(3) Vgl. Codd, Helen (2008): In the Shadow of Prison. Families, Imprisonment and Criminal Justice. Cullompton: 47f; Albrecht, Peter-Alexis (1978): Zur sozialen Situation entlassener ›Lebenslänglicher‹. Göttingen: 72ff, 399; vgl. Kunz, Christoph (2003): Auswirkungen von Freiheitsentzug in einer Zeit des Umbruchs. Zugleich eine Bestandsaufnahme des Männererwachsenenvollzugs in Mecklenburg-Vorpommern und in der JVA Brandenburg Havel in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung. Mönchengladbach: 268f, 605.
(4) Vgl. Jamieson, Ruth; Grounds, Adrian (2005): Release and Adjustment: Perspectives from Studies of Wrongly Convicted and Politically Motivated Prisoners. In: Alison Liebling und Shadd Maruna (Hg.), The Effects of Imprisonment. Cullompton: 33–65.; Zamble, Edward; Porporino, Frank J. (1988): Coping, Behavior, and Adaptation in Prison Inmates. New York: 150.
(5) Laut Strafvollzugsgesetz soll der Lohn für Häftlinge bei einem Neuntel der Bemessungsgrenze für Sozialleistungen liegen. Das sind 2015 zwischen 120 und 307 Euro im Monat gewesen; die einzelnen Bundesländer können allerdings Sonderregelungen erlassen. Zum Vergleich, das durchschnittliche Bruttogehalt deutscher ArbeitnehmerInnen lag 2015 bei rund 2.000 Euro brutto [Anm. der Redaktion].
(6) Kammergericht, Beschl. v. 01.08.12 zu 2 Ws 341/12 Vollz.
(7) Landgericht Berlin, Beschl. v. 21.06.12 zu 597 StVK 13/12 Vollz.
(8) OLG Naumburg, vom 26.06.15 zu 1 Ws (RB) 20/15, welcher sich das OLG Frankfurt schon angeschlossen hat; Beschl. v. 23.07.15 zu 3 Ws 301/15 (StVollz) – jeweils (noch) nicht veröffentlicht.
(9) Vgl. BVerfG Beschl. v. 15.07.2010 zu 2 BvR 328/07.