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Ein Projekt zur Erfassung von Polizeigewalt

Meldestelle Polizeigewalt — Ein Projekt zur Erfassung von Polizeigewalt

Bislang sammeln Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen Fälle von Polizeigewalt in klassischen Ordnern und Akten. Ein bundesweites Archiv, eine Chronik oder eine digitale Datenhaltung existiert nicht. Es ist deshalb derzeit mit Aufwand verbunden, Fälle von Polizeigewalt zu recherchieren.

 Als im Januar 2013 die Bilder der von einem Münchener Polizisten geschlagenen Teresa Z. durch die Presse gingen, kam in diversen Blogs die Idee auf, dass Polizeigewalt zukünftig via Crowdsourcing digital erfasst werden könne. Crowdsourcing bedeutet, dass die Arbeit auf viele verteilt wird und dass sich das gesammelte Material ›aus der Menge speist‹. Schon im Februar 2013 gab es dann ein erstes Treffen von VertreterInnen der Digitalen Gesellschaft e.V., der Humanistischen Union, Amnesty International sowie interessierten Einzelpersonen, darunter BloggerInnen und Programmierende.

 Ziel des Projektes ist eine gemeinsame und offen zugängliche Datenbank, die mutmaßlich rechtswidrige sowie nachgewiesenermaßen rechtswidrige Polizeigewalt dokumentiert. Diese Datenbank soll Kategorien wie Ort, Zeit, Umstände, Presseberichte, Videos, Fotos, Aktenzeichen, parlamentarische Vorgänge und viele weitere Faktoren erfassen und transparent machen. Die Daten über Polizeigewalt aus diversen Archiven, aber auch aktuelle Fälle, sollen an einem Ort digital zusammengeführt werden. Die Schaffung einer solchen digitalen Datenbank und die Veröffentlichung als ›Open Data‹ sollen das Phänomen der Polizeigewalt transparenter und systematischer als bisher veranschaulichen. Als ›Open Data‹ werden Daten bezeichnet, die frei zugänglich und in einem Format vorhanden sind, das eine einfache Weiterverarbeitung ermöglicht. Das Projekt soll einerseits einen Anlaufpunkt für Recherche von BürgerrechtlerInnen, WissenschaftlerInnen und JournalistenInnen bieten und auf der anderen Seite durch eine noch nie so dagewesene Transparenz politischen Druck ausüben.

WAS IST CROWDSOURCING 

Crowdsourcing meint die Beteiligung vieler Menschen an einer gemeinsamen Aufgabe. Das heißt, dass InternetnutzerInnen an der Schaffung des digitalen Archivs, der Neueingabe und Erweiterung von Fällen beteiligt werden. Dies soll mittels einer Website und spezieller Software – vorgesehen ist die Open-Source-Plattform Ushahidi – im Internet geschehen. Die Website soll so ein Anlaufpunkt für alle werden, die Polizeigewalt melden wollen und dafür Belege wie Videos, Audios oder Zeitungsartikel haben.

 Die eingegebenen Daten werden dann von einem Redaktionsteam geprüft, redigiert, kategorisiert und ggf. auf der Website freigegeben. So entsteht mit der Zeit ein Datenstamm an belegter, geprüfter, verifizierter und vor allem glaubwürdiger Information zu Fällen von Polizeigewalt.

STAND DES PROJEKTES 

Im Verlauf der Treffen des Projektes wurde ein Prototyp der Software vorgestellt sowie Datenbank-Kriterien und das Problem der Glaubwürdigkeit/Überprüfbarkeit diskutiert. Folgende Punkte wurden bei den Treffen vereinbart:

1.    Die durch Crowdsourcing erfassten Daten werden niemals ungeprüft auf der Webseite veröffentlicht: eine vielseitig besetzte Redaktion wird alle Daten nach dem Vieraugenprinzip vor einer Veröffentlichung auf Faktentreue und Glaubwürdigkeit prüfen sowie die Formulierungen der eingegebenen Texte kontrollieren und ggf. anpassen.

2.    Die Projektpartnerinnen und -partner legen verbindliche Richtlinien, Kriterien und Glaubwürdigkeitskriterien fest. Die Redaktion arbeitet digital zusammen, Offline-Redaktionstreffen ergänzen diese Arbeit.

3.    Es muss sichergestellt werden, dass es keine Verletzung von Persönlichkeitsrechten gibt.

4.    Die Identität der Eingebenden/Internet-Nutzenden muss geschützt werden können, gleichzeitig soll es der Redaktion möglich sein, bei bestimmten Fällen weiter zu recherchieren und ZeugInnen zu kontaktieren. Hierfür sollen die ProgrammiererInnen in Zusammenarbeit mit AnwältInnen ein Sicherheitskonzept vorlegen.

5.    Die juristischen Implikationen des Projektes müssen geprüft werden, dies umfasst insbesondere auch Auskunftsersuchen von Ermittlungsbehörden

6.    In einer ersten Phase soll es kein Crowdsourcing geben, sondern nur die Daten von allen beteiligten Organisationen, sowie weitere Daten aus Presse etc. nach den Redaktionskriterien eingegeben werden. 

Noch ist nicht abschließend geklärt, wie offen die beteiligten Organisationen im Projekt in Erscheinung treten. Den Einzelpersonen, die das Projekt initiiert haben, ist wichtig, dass möglichst viele der beteiligten Organisationen mit ihrem Namen/Logo in Erscheinung treten, damit die Glaubwürdigkeit des Projektes hoch ist. Damit steht und fällt der Erfolg der ›Meldestelle Polizeigewalt‹. Gleichzeitig soll eine der beteiligten Organisationen Internetadresse und Server des Projektes anmelden. Diese Aufgabe übernimmt am Anfang Digitale Gesellschaft e.V. Ab September 2013 wird die Plattform auf einem geschlossenen Server programmiert. Dies geschieht in enger Abstimmung mit der Redaktion und den beteiligten Organisationen, die zu jeder Zeit die Entwicklungsergebnisse ansehen und die Software testen und verbessern können.

MITSTREITENDE GESUCHT 

Momentan werden weitere Redaktionsmitglieder gesucht. Die Redaktion soll anfänglich etwa zehn Personen umfassen, die bis zu eine Stunde Arbeit pro Woche in das Projekt investieren können.

Darüber hinaus benötigt das Projekt die Mitarbeit von AnwältInnen. Sie kennen viele Fälle von Polizeigewalt und könnten diejenigen, die sich eignen, an die ›Meldestelle‹ weitergeben. Selbst wenn das nur einige Fälle wären, bei denen eine (anonymisierte) Veröffentlichung unproblematisch und mit den Betroffenen abgesprochen ist, wäre das eine wertvolle Ergänzung. Zudem wird das Projekt beim Aufbau der Datenbank gelegentlich auf juristische Fragen stoßen. Hierfür feste AnsprechpartnerInnen zu haben, wäre hilfreich. Start der ersten öffentlichen Version und Website der ›Meldestelle Polizeigewalt‹ soll noch im Herbst/Winter 2013 sein. Nach Start des Projektes soll dann via Crowdfunding, einem erprobten System zum Spendensammeln über das Internet, eine Studierendenstelle (10 Stunden/Woche) geschaffen werden. Sie soll administrative Aufgaben übernehmen, Anfragen beantworten und der Redaktion zuarbeiten. 

Wer das Projekt unterstützen will, meldet sich einfach unter projektpolizeigewalt@posteo.de