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Ein Umgang der besonderen Art

SACHSENS VORREITERROLLE IN SACHEN EXTREMISMUSERKLÄRUNG

VON HEIKE KLEFFNER

 

Das Motto, mit dem die Stadt Zwickau und das sächsische Innenministerium am 17. September 2011 ins örtliche Strandbad einluden, lautete: »Schwimmen für Demokratie und Toleranz – Ich bin dabei!« Die 90.000-Einwohnerstadt zwischen Erzgebirge und Vogtland will sich damit um den Titel »Deutschlands aktivste« Stadt bewerben; die örtliche Polizei warb mit einer Hüpfburg und ihrem Maskottchen Poldi um Bürgernähe; Sachsens LKA-Chef sprang mit Tausenden von BürgerInnen gemeinsam ins Wasser. Soviel Bürgernähe von Sicherheitsbehörden und Politik nutzte auch die regionale Naziszene zur Selbstdarstellung. Zahlreiche ihrer Kader traten zum Toleranz-Schwimmen an und präsentieren sich anschließend im Internet stolz mit Foto und Urkunde: Allen voran NPD-Kreisratsmitglied Jens Gatter aus Delitzsch. Ein Foto zeigt den 25-Jährigen in Badehose, lächelnd, Urkunde in der Hand, zwischen dem strahlenden Innenstaatssekretär Michael Wilhelm (CDU) und Zwickaus Oberbürgermeisterin Pia Findeiß (SPD), die zuvor Gatters Urkunde selbst signiert hatte.(1) 

Schon im Vorjahr hatten Neonazis in Sachsen das Toleranz-Schwimmen für ihre eigenen Propagandazwecke genutzt. Doch auf Fragen nach einem Konzept vonseiten der VeranstalterInnen gab es lediglich die flapsige Antwort von Innenstaatssekretär Michael Wilhelm: »Dann müssen Demokraten eben schneller schwimmen.«

Das Toleranz-Schwimmen reiht sich damit relativ nahtlos ein in einen zunehmend dominanten Ansatz von Politik und Behörden in der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten, der von Verharmlosung, Ignoranz und Inkompetenz geprägt ist. Herausragendes Beispiel hierfür ist die sogenannte Demokratieerklärung – auch bekannt als »Extremismusklausel« –, die seit nunmehr einem Jahr Initiativen gegen Rechtsextremismus beschäftigt und in ihrer Arbeit behindert.

DEMOKRATISCHES ENGAGEMENT UND IHR PREIS

Die prominenteste Vertreterin des rechtskonservativen Flügels der Union, Bundesfamilienministern Kristina Schröder (CDU), verkündete am 6. Oktober 2010 per Twitter als zuständige Ministerin für die Bundesprogramme »Toleranz fördern – Kompetenz stärken« und »Initiative Demokratie stärken«, dass künftig nur Zuwendungen aus den Bundesprogrammen erhalten werde, wer auch bereit sei, seine Verfassungstreue durch die Unterschrift unter eine »Demokratieklausel« unter Beweis zu stellen.

Im November 2010 wurde dann der Wortlaut für die sogenannte Demokratieklausel bekannt, die seit Jahresbeginn 2011 als Anlage mit allen Zuwendungsbescheiden verschickt wird und deren Unterzeichnung Voraussetzung für eine Förderung ist.Darin heißt es wörtlich: »Hiermit bestätigen wir, dass wir uns zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleisten. Als Träger der geförderten Maßnahmen haben wir zudem im Rahmen unserer Möglichkeiten (Literatur, Kontakte zu anderen Trägern, Referenzen, die jährlichen Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder etc.) und auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten. Uns ist bewusst, dass keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass eine Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller und immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird.«

VERFASSUNGSRECHTLICHE BEDENKEN

Der Verfassungsrechtler Ulrich Battis hielt in einem Gutachten für den Verein für Demokratische Kultur in Berlin, Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, das Kulturbüro Sachsen und den Verein Opferperspektive Brandenburg bereits Ende November 2010 fest: »Der zweite und dritte Satz der Bestätigungsklausel stellen einen Verstoß gegen Art. 3 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Bestimmtheitsgebot dar und sind daher mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.« (2) Zudem hält Battis den zweiten und dritten Satz der Bestätigungserklärung für »unverhältnismäßig«. »Die beiden Sätze verpflichten die Letztempfänger auf eine gegenseitige – praktisch kaum durchführbare – Kontrolle, die im Ergebnis zu einer erheblichen Belastung der Zusammenarbeit der Gruppen und Initiativen führen wird. Diese sind in ihrer Arbeit auf Vernetzung, Zusammenarbeit und gegenseitiges Vertrauen angewiesen. Diese Folge steht in einem nicht angemessenen Verhältnis zu den mit der Einschränkung verfolgten Belangen, da das in der Leitlinie übergeordnete Ziel der Demokratieförderung in Gefahr gerät«, so Battis.(3)

Im Januar 2011 kamen die Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags zu einem ähnlichen Ergebnis: In einer Expertise auf Anfrage von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) wird die Forderung nach einem schriftlichen Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FdGO) als »verfassungsrechtlich fragwürdig« bewertet.(4) Weiter heißt es in dem Gutachten: »In einem Klima des Misstrauens und der gegenseitigen Gesinnungsüberprüfung dürfte sich das Erleben von demokratischer Teilhabe kaum organisieren lassen.« (5)

SÄCHSISCHE VORREITERROLLE

Die Regierung des Freistaats Sachsens entschied sich trotz der Bundesklausel für eine Vorreiterrolle unter den Ländern. Zum Jahresbeginn 2011 installierte man eine landeseigene »Extremismusklausel«. Alle Träger, die im Rahmen des mit 2,26 Millionen Euro jährlich ausgestatteten Landesprogramms »Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz« Anträge auf Förderung stellen, müssen seitdem – vor der Zahlung von Fördermitteln, und als verbindliche Anlage zum Förderbescheid – folgende Erklärung unterzeichnen: »Hiermit bestätigen wir, dass wir uns zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und keine Aktivitäten entfalten, die der freiheitlich demokratischen Grundordnung widersprechen. Als Träger der geförderten Maßnahmen haben wir dafür Sorge zu tragen, dass die zur Durchführung des geförderten Projektes als Partner Ausgewählten ebenfalls eine Erklärung gemäß Satz eins abgeben.« (6)

Eine breitere Öffentlichkeit nahm die Pläne für diese Klausel zur Kenntnis, als die sächsische Landesregierung darauf bestand, dass auch die Preisträger des »Sächsischen Förderpreis für Demokratie« 2010, die die Landesregierung bis dato jährlich am 9. November gemeinsam unter anderem mit der Amadeu Antonio Stiftung und der Stiftung Dresdener Frauenkirche vergab, die sogenannte Demokratieerklärung unterzeichnen sollten. Das AkuBiz Pirna, eine Gruppe von aktiven Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Sächsischen Schweiz, die sich seit vielen Jahren gegen Neonazis und Alltagsrassismus engagieren, verwehrte sich dieser Misstrauensbekundung und lehnte während des Festaktes eine Annahme des Preises unter diesen Bedingungen rundweg ab und erklärte: »Die Aufforderung an uns, unsere KooperationspartnerInnen auszuleuchten, erinnert eher an Methoden der Stasi und nicht an die Grundlagen einer Demokratie.« (7) Auf die medialen Sympathiebekundungen für die Position des AkuBiz reagierten Bundes- und LandespolitikerInnen des rechtskonservativen Flügels der CDU wie gewohnt mit einem Schulterschluss.

Auch die sächsische Sonderklausel hat ähnlich schlechte Noten bekommen wie die des Bundes. Im Juli 2011 beantragte die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen beim Präsidenten des Sächsischen Landtags, ein Rechtsgutachten unter anderem zu der Frage erstellen zu lassen, ob es rechtlich zulässig sei, den Erhalt von Fördermitteln im Rahmen des Landesprogramms »Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz« von der Abgabe der »Demokratieklausel« abhängig zu machen. Die Antwort des Juristischen Dienstes des Sächsischen Landtags, die am 5. November 2011 vorgelegt wurde, kann nur als schallende Ohrfeige für die CDU/FDP-Landesregierung gewertet werden. »Durch das Verlangen nach Abgabe eines Bekenntnisses zur freiheitlich demokratischen Grundordnung nach Nr. VI 3a Satz 1 Hs. 1 FördRL WOS wird in nicht gerechtfertigter Weise in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung eingegriffen«, lautet das eindeutige Urteil. (8) Zudem sei »das Verlangen nach Abgabe eines Bekenntnisses zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (...) sachlich nicht gerechtfertigt, um zwischen Antragstellern der Förderrichtlinie Weltoffenes Sachsen zu differenzieren. Es verstößt daher gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot aus Art. 18 Abs. 1 SächsVerf, Art. 3 Abs. 1 GG«, so der Juristische Dienst des Landtags in Dresden weiter.(9) Und da die »Demokratieerklärung« mit dem Erfordernis zur Abgabe des FdGO-Bekenntnisses gegen Grundrechte von Antragstellern verstoße, stelle »die Förderrichtlinie Weltoffenes Sachsen in Verbindung mit dem Haushaltsgesetz 2011/2012 insoweit keine ausreichende Rechtsgrundlage dar«. (10)

DIE INITIATIVEN WEHREN SICH WEITER

Bislang ignorieren sowohl die Bundesfamilienministerin als auch die Regierung des Freistaats Sachsen die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Klausel – obwohl mehrere tausend Menschen Online-Petitionen gegen die »Extremismusklausel« unterzeichneten und mit Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, und Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, sowie zahlreichen WissenschaftlerInnen, JuristInnen und PolitikerInnen von SPD, Grünen und Linken im Bundestag ein ungewöhnlich breites gesellschaftliches Spektrum protestiert hat.

Zunächst schien es auch so, dass nicht nur SPD- und Grünen-geführte Bundesländer – mit Ausnahme von Sachsen – die Vorgaben des Bundesfamilienministeriums, die inzwischen auch auf Förderungen durch das Programm »Zusammenhalt durch Teilhabe« der Bundeszentrale für politische Bildung gilt, ablehnen würden. Auch die schwarz-roten bzw. rot-schwarzen Landesregierungen in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern erklärten im Herbst 2010, dass sie die Abgabe einer »Extremismuserklärung« durch Projektträger für wenig sinnvoll halten; der Berliner Senat initiierte gar eine Bundesratsinitiative, um zumindest die Sätze 2 und 3 der Klausel streichen zu lassen.

Doch auf lokalpolitischer Ebene gewann die Klausel derweil zunehmend an Verbreitung – häufig waren und sind es CDU-Ortsverbände, die entsprechende Initiativen in die kommunalen Selbstverwaltungsgremien einbringen. Sie tragen damit zu einem Klima vor Ort bei, in dem diejenigen, die sich gegen die extreme Rechte zur Wehr setzen bzw. auf deren Hegemonie- und Dominanzbestrebungen aufmerksam machen, als »LinksextremistInnen« stigmatisiert und marginalisiert werden.

Zahlreiche Initiativen haben die Klausel nicht unterschrieben bzw. haben keine Anträge mehr gestellt – und verzichten damit auf staatliche Förderung. Das führt in den meisten Fällen dazu, dass geplante Projekte nicht durchgeführt werden und langjährige Strukturen vor Ort nicht weiterarbeiten können, wie beispielsweise die lokale Koordinierungsstelle des Lokalen Aktionsplans in Berlin-Treptow, deren Trägerverein die Klausel nicht unterzeichnete. Der Bezirk regierte, indem er einen neuen Trägerverein suchte.Andere Träger, insbesondere ein Teil der Trägervereine der großen Beratungsprojekte gegen Rechtsextremismus, haben die Klausel zähneknirschend unterschrieben, halten an ihrer Kritik aber fest. Unter anderem zum einjährigen Jahrestag der Einführung der Klausel wollen sie auf der Website www.demokratiebrauchtuns.de erneut die Öffentlichkeit auf die verheerenden Auswirkungen der Klausel in der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten aufmerksam machen.

Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU in Berlin wurde deutlich, wie schnell auch die SPD bereit ist, ihren vollmundigen Widerstand gegen die Klausel zur Debatte zu stellen, wenn ihr das aus taktischen oder ordnungspolitischen Gründen opportun erscheint. Nur der massive innerparteiliche Widerstand verhinderte, dass die SPD sich auf ein Tauschgeschäft einließ, in dem die CDU die Einführung der Klausel auch in Berlin forderte, um sich damit ihre Zustimmung zum SPD-Wunschkandidaten für das Amt des Berliner Polizeipräsidenten versüßen zu lassen.

Der »Kompromiss«: Erst einmal wird die Klausel in Berlin nicht eingeführt, allerdings erhalten alle diejenigen Initiativen, die im Landesverfassungsschutzbericht genannt sind, keine Förderung. Allerdings ist davon auszugehen, dass die CDU bei diesem Thema schnell wieder neue Vorstöße machen wird – zumal im Bezirk Berlin-Mitte eine Mehrheit von CDU und SPD schon beschlossen hat, alle Fördermittel des Bezirks an das Unterzeichnen der Klausel zu binden.

ZWEI BÜRGERPREISE IN SACHSEN

In Sachsen gibt es derweil als Konsequenz der Auseinandersetzung in diesem Jahr zwei Demokratiepreise. Die Staatsregierung hat Mitte Oktober einen eigenen »Demokratiepreis« vergeben, nachdem zuvor eine von Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) handverlesene Jury die durch die mehrheitlich CDU-regierten Landkreise und kreisfreien Städte vorgeschlagenen handverlesenen Preisträger vor handverlesenen Gästen auszeichnete. Entsprechend wenig haben die Preisträger denn auch mit den Themen Rechtsextremismus zu tun.

»Die sächsische Landesregierung hat sich zuletzt vor allem durch die Schwächung der Zivilgesellschaft hervorgetan, etwa durch die Einführung der Extremismusklausel oder die massenhafte Abfrage von Handydaten im Zusammenhang mit den Anti-Nazi-Protesten im Februar 2011. Die Auslobung eines ›Bürgerpreises‹ ist in dieser Situation äußerst scheinheilig, nicht zuletzt, weil es auch schon seit 2007 einen anerkannten Demokratiepreis in Sachsen gibt«, kritisierte Hessens Ex-Justizminister Rupert von Plottnitz als Vorsitzender des Stiftungsrats der Sebastian Cobler Stiftung denn auch. Die Stiftung vergibt in diesem Jahr nun gemeinsam mit der Amadeu Antonio Stiftung und der Freudenberg Stiftung am 9. November den »Sächsischen Förderpreis für Demokratie« 2011 in Dresden.

 

Heike Kleffner ist Journalistin und Presse- und Öffentlichkeitsreferentin von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.

Fußnoten

1     Vgl. Zwickaus Oberbürgermeisterin und der Staatssekretär posieren mit Jens Gatter, www.aktion-widerstand.de, 28.9.2011.

2     Vgl. Gutachten Prof. Dr. Dr. hc. Ulrich Battis, Zur Zulässigkeit der »Extremismusklausel« im Bundesprogramm »Toleranz fördern – Kompetenz stärken«, S. 3.

3     Ebd.

4     Vgl. Rechtsgutachten, Bekenntnisklausel im Zuwendungsbereich, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung Regierungsdirektor Harald

Georgii, vom 13.1.2011, S.13.

5     Ebd., S. 17.

6     Vgl. Rechtsgutachten, Juristischer Dienst des Sächsischen Landtags, 5.11.2011, S. 4.

7     Vgl. AKuBiZ e.V.: Annahme verweigert – das AKuBIZ Pirna e.V. lehnt Sächsischen Demokratiepreis ab, www.akubiz.de.

8     vgl. Rechtsgutachten, Juristischer Dienst des Sächsischen Landtags, 5.11.2011, S. 3.

9     Ebd.

10   Ebd.