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Aufruf zur Fortführung der Arbeit von Stanislaw Markelow

Der Mord an Stanislaw Markelow am 19. Januar 2009 in Moskau war ein schwerer Schlag für alle, die sich in Russland für Menschenrechte engagieren. In einer Reihe von menschenrechtlich relevanten Verfahren mit großer Beachtung seitens der Medien hat Stanislaw in den letzten zehn Jahren viele Menschen vertreten, die nun bei der Suche nach neuen Anwälten, die qualifiziert sind, ihre Fälle aufzunehmen, vor großen finanziellen Problemen stehen. Wir rufen Sie daher auf, sie durch finanzielle Spenden zu unterstützen. Die Spendensammlung wird koordiniert durch die Moskauer Organisationen For Human Rights und das Institut für kollektives Handeln.

Im Folgenden finden Sie eine kurze Zusammenfassung der Fälle, an denen Stanislaw zur Zeit seiner Ermordung arbeitete. Da die Polizei zu Ermittlungszwecken Stanislaws Unterlagen beschlagnahmt hat, können wir nicht mit Sicherheit sagen, ob die Liste vollständig ist. Sollten im Laufe der Spendenaktion weitere Fälle ans Licht treten, so werden wir sie dieser Liste hinzufügen. Gesammelte Spenden werden gleichmäßig auf die diversen Fälle verteilt, maximal bis zur vollen Übernahme der neu entstehenden Anwaltskosten für den jeweiligen Einzelfall. Sollte es uns eine Kostendeckung für jeden der genannten Fälle gelingen, so werden Überschüsse für die Anwaltskosten neu auftretender Fälle verwendet, welche den von Stanislaw vertretenen ähneln. Die Kosten für die einzelnen Fälle liegen in sehr unterschiedlichen Höhen ab 1000 Euro aufwärts.

Der Fall Budanow

Im März 2003 wurde Oberst Jurij Budanow des Amtsmissbrauchs, der Entführung und des Mordes an der achtzehnjährigen Tschetschenin Cheda (Elsa) Kungajewa für schuldig befunden. Nach achteinhalb Jahren wurde Budanow frühzeitig aus der Haft entlassen. Stanislaw Markelow arbeitete an einem Widerspruch gegen die vorzeitige Entlassung und hatte eine Woche vor seiner Ermordung Drohungen erhalten. Nach einer Pressekonferenz zu dem Fall wurde er ermordet. Nun fehlt eine Person, die Widerspruch einlegt.

Der Fall Masajew

Der Tschetschene Magomedsalach Masajew verschwand im August letzten Jahres spurlos. Nach eigener Aussage war er 2006 vier Monate lang nahe dem Heimatort des tschetschenischen Präsidenten Kadyrow in einem Geheimgefängnis gefangen gehalten und gefoltert worden. Kurz nachdem er dies in einem Interview gegenüber der Zeitung Nowaja Gaseta berichtet hatte, ging er nach Tschetschenien zurück, wo er am 3. August 2008 von unbekannten Bewaffneten gefangenen genommen wurde. Seitdem gilt er als verschwunden. Die Übernahme dieses Falls, an dem Stanislaw Markelow arbeitete, ist mit einem hohen persönlichen Risiko verbunden, und es ist fraglich, ob sich hierfür ein Rechtsbeistand findet, unabhängig von der für das Mandat gebotenen Geldsumme.

Der Fall Musichanow

Zwei Monate lang hatte Saur Musichanow im Jahr 2002 auf der Seite tschetschenischer Separatisten gekämpft, als er im Oktober 2002 in sein Dorf zurückkehrte. Dort lebte er offen und unbehelligt, und die Behörden unternahmen keinen Versuch, ihn festzunehmen oder zu befragen. Im Februar 2003 hörte er dann von der generellen Amnestieregelung für jene, die im Untergrund gekämpft hatten. Musichanow legte ein Geständnis ab und händigte den Behörden sein Sturmgewehr aus, erklärte sich jedoch nicht bereit, fortan Kadyrows Truppen zu dienen. Daraufhin wurde ihm rechtswidrig die Amnestie verweigert und ein Gericht verurteilte ihn zu 9 Jahren Gefängnis. Stanislaw Markelow vertrat Musichanow in einem erneuten Versuch, Amnestie gewährt zu bekommen. Nun braucht er einen neuen Anwalt. Da die Übernahme dieses Falls weniger persönliches Risiko beinhaltet, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, einen neuen Anwalt oder eine Anwältin zu finden.

Der Fall der Moskauer Polizeiwache »Sokolniky«

Als am 4. April 2008 eine Gruppe Jugendlicher festgenommen und auf der Polizeiwache gefoltert wurde, löste dies in Moskau eine Welle der Proteste aus. Um den Fall herunterzuspielen, inszenierte die Polizei einen Strafprozess gegen einen der Jugendlichen, dem vorgeworfen wurde, Polizeibeamten angegriffen zu haben. Vertreten wurde der Beschuldigte durch Stanislaw Markelow. Er benötigt dringend einen neuen Rechtsbeistand, denn gleich am Tag nach der Ermordung seines Anwalts erhielt er ein Vorladung zum Verhör.

Der Fall des Anitfaschisten Olewinow

Im November 2008 wurde Alexej Olesinow nach einer handgreiflichen Auseinandersetzung in einer Kneipe in Gewahrsam genommen und im Moskauer Gefängnis »Butyrka« festgehalten. Nach den Unterlagen der Polizei wird er verdächtigt, Rädelsführer der Moskauer Antifa-Szene zu sein. Die offizielle Anklage lautet »Hooliganismus«, obwohl Zeugen ausgesagt haben, Olesinow sei nicht in die Auseinandersetzung verwickelt gewesen. Die Festname und das folgende Strafverfahren sind nach russischem Recht klar rechtswidrig. Alles deutet auf einen politischen Hintergrund für seine juristische Verfolgung hin. Er war durch Stanislaw Markelow vertreten worden und braucht nun einen neuen Anwalt/eine neue Anwältin.

Der Fall des Anarchisten Delidon

Nachdem Tatjana Sbitnewa sich geweigert hatte, ihrem Angestellten Pawel Delidon sein ausstehendes Gehalt auszuzahlen, versuchte dieser im März 2007, es von ihr zu stehlen. Delidon wurde dafür zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt, Sbitnewa jedoch nie für das Nichtbezahlen der Gehälter angeklagt. Markelow arbeitete an einer Klage gegen die Arbeitgeberin, um dadurch eine Herabstufung der Anklage gegen Delidon auf »Selbstjustiz« zu erwirken, was einem deutlich geringeren Strafmaß unterliegt. Pawel Delidon braucht nun einen neuen Rechtsbeistand.

Der Fall des Wohnheims Jasnyj Projesd

Mehrere Etagen des Wohnheims am Jasnyj Projesd Nr. 19 werden von Flüchtlingen bewohnt, die aus den Konfliktregionen im Kaukasus, vor allem aus Georgien und Abchasien nach Moskau gekommen sind. Seit Jahren versucht die staatliche Justizverwaltung (UFSIN), die Bewohnerinnen und Bewohner zu vertreiben, um die Wohnungen für ihre Angestellten nutzen zu können. Mehrmals wurden die UFSIN-Angestellten persönlich in diesem Rechtsstreit vorgeschickt, um die Häuser durch körperliche Gewalt illegal zu räumen. Vertreten wurden die Flüchtlinge durch Stanislaw Markelow. Auch sie sind nun ohne Anwalt.

Der Fall des Gewerkschafters Urusow

Nachdem es dem Gewerkschaftsaktivisten Walentin Urusow aus der Republik Sacha gelungen war, eine Gewerkschaft innerhalb des Diamantenkonzerns ALROSA aufzubauen, wurden ihm im September letzten Jahres Drogen untergeschoben, wofür ihn ein Gericht zu sechs Jahren Haft verurteilte. Sein Fall unterscheidet sich von den anderen durch Markelow betreuten dadurch, dass zwischen ihm und Urusow noch kein vertragliches Mandat bestand. Da Markelow jedoch eine vorläufige Vereinbarung getroffen hatte, an dem Fall zu arbeiten, und die Anwaltssuche für Urusow schwierig ist, haben wir beschlossen, auch für diesen Fall nach Finanzierung zu suchen.

Fortführung der Arbeit

Neben der Unterstützung dieser Fälle arbeiten wir an der Weiterführung der Arbeit von Stanislaw Markelows Institut für Rechtsstaatlichkeit. Schwerpunkte der zukünftigen Arbeit des Instituts werden die Vernetzung von Anwältinnen und Anwälten sein, die im Bereich der Menschenrechte und sozialer Fragen arbeiten, die Verteidigung von Aktivisten und Aktivistinnen sozialer und politischer Bewegungen sowie die Fortbildung von AktivistInnen durch Seminare und Veröffentlichungen. Bitte kontaktieren Sie uns für weitere Informationen, oder wenn Sie Fragen haben.

Kontakte:
Ansprechpartnerin für diesen Aufruf:
Olga Mirjasowa, Institut für Kollektives Handeln,
taoom@riseup.net

Institut für Kollektives Handeln, info@ikd.ru,
www.ikd.ru, Tel.: +7 (926)237 99 77,+7 (926) 206 93 72

For Human Rights, Malyj kislovskij pereulok
7-1-21, 103009 Moskau, Russland
Tel.: +7 (495) 691 62 33, Fax.: +7 (495) 609 92 14, http://www.zaprava.ru/content/view/59/36/

 
Kontakte in Deutschland:
solianka - Solidarität mit sozialen Bewegungen in Russland und anderswo, solianka@gmx.de

Spendenkonto in Deutschland:
Antirassistische Initiative e.V.
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