Sie sind hier: RAV > PublikationenInfoBriefeInfobrief #101, 2008 > El Masri vs. Bundesrepublik Deutschland

El Masri vs. Bundesrepublik Deutschland

Kreativität im anwaltlichen Denken - und die Dritte, ganz kleine Gewalt

Hannes Honecker


Gravierende und schwere Verbrechen blieben vielfach ungesühnt, solange sie von Regierungen direkt organisiert bzw. unterstützt wird und die dritte Gewalt sich nicht gegen das Primat des Politischen durchsetzen kann oder will. Die Geschichte der Straflosigkeit in Deutschland wurde vielfach beschrieben und kritisiert; will man aus ihr lernen, muss man diese Straflosigkeit selbst dann bekämpfen, wenn der Kampf schwierig und zeitweise gar aussichtslos erscheint. Mitunter müssen dazu neue, auch kreative Wege beschritten werden.

Effektiver und kreativer Einsatz juristischer Mittel zum Schutz und zur Durchsetzung von Menschenrechten ist das Ziel des im März 2007 neu gegründeten European Centers for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Eines der ersten Projekte des ECCHR befasst sich mit dem Menschenrechtsschutz im Schlüsselbereich der Terrorismusbekämpfung, mit dem Fall des verschleppten Deutschen El Masri.

Khaled El Masri wurde am 31. Dezember 2003 an der Grenze zwischen Serbien und Mazedonien von MitarbeiterInnen des CIA entführt. Diese verdächtigte ihn fälschlicherweise Mitglied der Al-Kaida bzw. Teil einer mutmaßlichen islamistischen Terrorszene in Neu-Ulm zu sein. El Masri verbrachte fast fünf Monate in einem geheimen Gefängnis der CIA in Afghanistan. Bei den Verhören wurde er regelmäßig körperlich misshandelt und erniedrigt. Schließlich brachte ihn die CIA nach Albanien, wo er auf freien Fuß gesetzt wurde und so am 29. Mai 2004 zurück nach Deutschland gelangte.

Gegen die CIA-MitarbeiterInnen wurden am 31. Januar 2007 vom Amtsgericht München wegen des dringenden Tatverdachts der schweren Körperverletzung und Freiheitsberaubung Haftbefehle erlassen. Gelangen sie auf deutschen Boden, werden sie verhaftet. Zur Zeit ist es allerdings höchst unwahrscheinlich, dass sie freiwillig nach Deutschland kommen, insofern müsste ein Auslieferungsersuchen gestellt werden. Entsprechende Anträge wurden von der Bundesregierung jedoch wegen angeblich mangelnder Erfolgsaussichten nicht an die USA weitergeleitet. Am 22. September 2007 erklärte die Bundesministerin der Justiz, dass sie davon absehe, ein Auslieferungsersuchen zu stellen. Der Entscheidung vorausgegangen, sei laut Süddeutscher Zeitung vom 9. Juni 2008 ein Streit zwischen Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Schäuble fürchtete laut Spiegel vom 7. Juni 2008 Probleme in der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit der Geheimdienste bei der Terrorbekämpfung. Zypries habe dagegen für die Weiterleitung der Festnahme-Ersuche plädiert. Schäuble setzte sich durch.

Im Juni 2008 hat sich El Masri in Zusammenarbeit mit dem ECCHR entschlossen, Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin zu erheben. In dieser beantragen die Kläger, die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Bundesjustizministerin Zypries, dazu zu verurteilen, an die Vereinigten Staaten von Amerika ein Auslieferungsersuchen aufgrund der bereits ergangenen Haftbefehle des Amtsgerichts München vom 31. Januar 2007 zu stellen.

Die von Rechtsanwalt Sönke Hilbrans ausgearbeitete Klage vor dem Berliner Verwaltungsgericht wird damit begründet, dass die Weigerung der Ministerin für Justiz die mutmaßlichen Entführer von El Masri zur strafrechtlichen Verantwortung zu ziehen, das Folteropfer in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. I Grundgesetz (GG), 19 Abs. IV GG und 20 Abs. III GG verletzt.

Wenig überzeugend ist die bislang von der Bundesjustizministerin vorgebrachte Begründung, die Vereinigten Staaten würden dem Ersuchen möglicherweise nicht nachkommen. Zum einen ist die Bundesrepublik Deutschland mit den Vereinigten Staaten von Amerika durch ein Auslieferungsabkommen vertraglich gebunden und zum anderen ist allein die angegriffene Entscheidung der Ministerin als Akt der deutschen öffentlichen Gewalt für die Rechtsverletzung des Klägers maßgebend.

Im Entführungsfall El Masri ist zusätzlich zu beachten, dass der dringende Tatverdacht besteht, dass es sich bei den Entführungen um ein systematisches, im großen Stil geplantes und durchgeführtes Verbrechen handelt, das keinen Einzelfall darstellt, sondern Teil einer kriminellen Praxis ist, die weltweit die allgemein als Mindeststandards anerkannten Menschenrechte verletzt. Diese Praxis verstößt nicht nur gegen das absolute Folterverbot, sondern auch gegen fundamentale völkerrechtliche Vorschriften, wie den Internationalen Pakt über bürger liche und politische Rechte, die Europäische und die Amerikanische Menschenrechtskonvention, gegen die UN-Antifolterkonvention sowie das jüngst verabschiedete internationale Übereinkommen zum Schutze aller Personen vor dem Verschwindenlassen und das gewohnheitsrechtlich anerkannte Verbot des zwangsweisen Verschwindenlassens.

In diesem Zusammenhang ist auch die Bedeutung von Völkerstraftaten zu berücksichtigen, bei denen es sich um die schwersten Verbrechen handelt, welche die internationale Gemeinschaft als Ganze und nicht nur einzelne Opfer berühren. Mit der Entscheidung, kein Auslieferungsersuchen zu stellen, wird nicht nur zwingendes Völkerrecht negiert, sondern auch die Selbstverpflichtung des deutschen Staates, gegen Völkerrechtsverbrechen in der ganzen Welt vorzugehen.

Eine offizielle Begründung, weshalb die Außenpolitik Vorrang vor der Strafverfolgung haben solle, steht noch aus. Zumindest dies kann durch die sicherlich ungewöhnliche Klage erreicht werden: Die Bundesregierung wird gezwungen werden zu begründen, was sie eigentlich tut, bzw. warum sie Strafverfolgung und Menschenrechtsschutz unterlässt. Auch wenn in diesem Fall nicht der Gerechtigkeit, sondern der Außenpolitik Vorrang eingeräumt werden wird, wird die Klage ihren Effekt haben. Auch wenn die dritte Gewalt nur eine ganz kleine Gewalt ist, wenn es um große Politik geht, zeigt sie Grenzen auf; und sie bleibt ein gewichtiges Mittel in der Auseinandersetzung um den Schutz und die Durchsetzung von Menschenrechten.