Sie sind hier: RAV > PublikationenInfoBriefeFeministischer InfoBrief #121, 2021 > Verpflichtung zum Gebrauch des Gender*sterns

Verpflichtung zum Gebrauch des Gender*sterns

Martina Zünkler

Die sprachliche Gleichstellung der Geschlechter ist fundamental für die gesellschaftliche Gleichstellung der Geschlechter überhaupt. Ihre Durchsetzung auf rechtlicher Ebene soll hier Thema sein: Ist es verfassungsgemäß, wenn der Gebrauch von Sprache, in der alle Geschlechter sichtbar werden, im öffentlichen Bereich, also z.B. Behörden, Schulen, Universitäten, jedenfalls in der verschrifteten Sprache, verpflichtend gemacht wird? Kann das generische Maskulinum dabei Verwendung finden? Sollte eine bestimmte Form, z.B. der Gender*stern,(1) verpflichtend vorgeschrieben werden?

I. FAKE NEWS

1. Falsch ist die These, der Gebrauch des generischen Maskulinums sei im Deutschen bei Personenbezeichnungen geschlechtsneutral und reiche daher aus für eine geschlechtsneutrale Sprache, ggf. mit einer ganzen Büchern oder Gesetzen vorangestellten Fußnote, dass damit auch andere Geschlechter gemeint seien.(2)Das generische Maskulinum ist die in der deutschen Sprache historisch behauptete »Fähigkeit maskuliner Personenbezeichnungen, geschlechtsabstrahierend verwendet zu werden, insbesondere wenn es nicht um konkrete Personen geht«.(3) Anders als das generische Femininum, das zwar an einigen Universitäten eingeführt wurde;(4) jedoch nicht weit verbreitet, enthält das generische Maskulinum die weiblichen Personenbezeichnungen in der Regel nicht, so ist der Verbraucher zwar in der Verbraucherin enthalten, nicht aber die Rechtsanwältin im Rechtsanwalt. Diverse Geschlechter sind in keiner der beiden Formen enthalten.

2. Falsch ist auch die Auffassung, gegenderte Sprache(5) habe jetzt erst »die Mitte der Gesellschaft und den Berufsstand der Juristen erreicht«.(6) Bereits auf ihrer 24. Generalkonferenz 1987 hat die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung Wissenschaft und Kultur, die UNESCO, die Forderung nach einem nicht-sexistischen Sprachgebrauch nachdrücklich erhoben. Mit der Resolution 24 C/14 § 2 (1) wurde zur Umsetzung dieser Forderung für die Sichtbarmachung von Frauen in der Sprache, z.B. durch die Verwendung femininer Personenbezeichnungen, eingetreten.(7) Bereits 1990 formulierte der Europarat eine einheitliche Empfehlung für die Beseitigung von Sexismen aus der Sprache. Am 28.01.2003 wurde im Europäischen Parlament eine Stellungnahme des Ausschusses für die Rechte der Frau und Chancengleichheit verabschiedet, in der in insgesamt 13 Punkten auf die gendergerechte Sprachpolitik der EU eingegangen wird sowie auf den didaktischen Prozess zur Sensibilisierung – d.h. zum Erkennen und Vermeiden von sprachlichen Sexismen, weil sie ein Hindernis für die Gleichstellung von Frauen und Männern darstellen, das es zu beseitigen gelte.
Bereits 1980 wurde in § 611b BGB das Gebot der geschlechtsneutralen Ausschreibung bei Stellenangeboten geregelt. In den 1980er-Jahren gab es zudem in nahezu allen west-deutschen Bundesländern Runderlasse, Rundschreiben o.ä. zur Vermeidung von sprachlicher Diskriminierung. Dabei wird das generische Maskulinum zumeist bereits als ungeeignete Form enttarnt, mit dem Hinweis, es zu vermeiden. 1991 stellte das Handbuch der Rechtsförmlichkeit, hrsg. vom Bundesministerium der Justiz unter Klaus Kinkel (FDP) und verbindlich für das »Amtsdeutsch« die Gebrauchsgewohnheit des generischen Maskulinums in Frage und schlug alternative Formulierungen vor.(8)
In und nach den 1990er-Jahren gab es weitere gesetzgeberische Tätigkeiten der Bundesländer z.B. im Rahmen von Gleichstellungsgesetzen,(9) die das Anliegen vertiefen, Frauen auch im Sprachgebrauch sichtbar zu machen. Im Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG) vom 30.11.2001 heißt es in § 1 Abs. 2
»Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundes sollen die Gleichstellung von Frauen und Männern auch sprachlich zum Ausdruck bringen. Dies gilt auch für den dienstlichen Schriftverkehr«.(10)
Auch im Handbuch der Rechtsförmlichkeit von 2008 wird im Hinblick auf Art. 3 Abs. 2 GG angeordnet, dass sich Vorschriften in der Regel an Männer und Frauen richten sollen. Die nachfolgende Anleitung dazu liest sich wie ein erster Leitfaden zur Vermeidung des generischen Maskulinums.(11)
Wenn also die Erkenntnis einer geschlechterdiskriminierenden Sprache schon in den 1990er-Jahren im »Amtsdeutsch« angekommen war sowie beim Gesetzgeber, den regierenden und ausführenden Verwaltungen, kann sie nicht erst 2020 im Sprachgebrauch der Juristen angekommen sein. Allerdings wurden die gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen in allen drei Gewalten nicht oder nicht konsequent umgesetzt. Auch ist zu befürchten, dass demnächst in Gesetzes- oder Verordnungstexten entgegen den Gleichstellungsgesetzen, entgegen dem Handbuch der Rechtsförmlichkeit und entgegen den landesrechtlichen Vorschriften für den Sprachgebrauch der Verwaltungen der Hinweis erscheinen könnte, dass weiter das generische Maskulinum verwendet werden soll.(12) Dass die Diskussion jetzt erneut an Fahrt gewonnen hat, liegt wohl daran, dass die gesellschaftlichen Forderungen nach dem Sichtbarmachen anderer Geschlechter als nur des männlichen und des weiblichen im sprachlichen Gebrauch stärker geworden sind. Der Gender*stern findet ebenso wie das BinnenI und der Unterstrich oder der Doppelpunkt Eingang in den Duden,(13) in Berlin stellt ein Rechtsanwalt einen Befangenheitsantrag, weil der Richter nur die männliche Sprache für die Mandanten mit unterschiedlichen Geschlechtern benutzt,(14) in Radiosendungen wird begonnen Stern, Gap bzw. BinnenI mitzusprechen.(15)

3. Falsch ist auch, dass das generische Maskulinum nicht diskriminiert.(16) Als Justizministerin Lambrecht für das neue Insolvenzrecht im Oktober 2020 einen Gesetzesentwurf im generischen Femininum präsentierte, wurde dieser in das generische Maskulinum geändert, da das generische Femininum »sprachwissenschaftlich nicht anerkannt« sei.(17) Dabei wird zur Begründung auf das Handbuch der Rechtsförmlichkeit von 2008 verwiesen, da danach das generische Maskulinum angewendet werden dürfe,(18) und übersehen, dass nicht nur § 4 Abs. 3 BGleiG anordnet, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern »sprachlich zum Ausdruck gebracht« werden soll,(19) sondern dass gerade das Handbuch der Rechtsförmlichkeit den Gebrauch des generischen Maskulinums als grundsätzlich diskriminierend ansieht und explizit umfangreiche Vorschläge für den Gebrauch geschlechtsneutraler Sprache, z.B. durch kreative Umschreibungen, Paarformen, Pluralformen etc., unterbreitet. Allein der dort (2008!) als »Sparschreibung« bezeichnete Einsatz eines BinnenIs wird als »unklar« abgelehnt.(20)

Als Beispiel für die Diskriminierung durch das generische Maskulinum soll sich hier auf den digitalen Bereich, bei der Suche in Suchmaschinen, beschränkt werden, in der unbestritten eine diskriminierende Behandlung durch das generische Maskulinum erfolgt. Mit dem Gebrauch des generischen Maskulinums werden Männer beim sprachlichen Training von Algorithmen als Norm gesetzt.(21)
Nehmen wir eine einfache Google-Suche. Google trennt messerscharf zwischen Frauen und Männern (dazu, ob diverse Geschlechter erkannt werden können, habe ich nichts gefunden). Beim Ranking wird das Schlüsselwort gesucht. Ist dies männlich, z.B. ›Rechtsanwalt‹, werden damit bei der Suche männliche Rechtsanwälte aufgerufen. Rechtsanwältinnen werden aufgerufen, wenn sie entweder vorgeben, ein Rechtsanwalt zu sein, oder sie ›platzieren‹ das männliche keyword strategisch irgendwo auf ihrer Webseite. Nach den für Texter*innen und Journalist*innen erhobenen Untersuchungen, werden Frauen aber auch bei solchen strategischen Einbauten auf ihrer Webseite eklatant weniger genannt. Sind auf der Webseite von Rechtsanwältinnen nur weibliche Formen der Berufsbezeichnung genutzt, werden sie nur aufgerufen, wenn speziell nach Rechtsanwältinnen gesucht wird. Wird das BinnenI genutzt, wird ebenfalls nur nach der weiblichen Form gesucht. Wird ein Gap oder ein Stern genutzt, wird die Suche erfolglos sein, d.h., diejenigen, die diese auf ihren Webseiten konsequent nutzen, werden nicht gefunden.(22)

II. RECHTSLAGE

Bereits in einer Entscheidung vom 28.01.1991, 1 BvR 1025/82 u.a., führte das Bundesverfassungsgericht aus, Art. 3 Abs. 2 GG wolle für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen:
»Der über das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG hinausreichende Regelungsgehalt von Art. 3 Abs. 2 GG besteht darin, dass er ein Gleichberechtigungsgebot aufstellt und dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt. Der Satz ›Männer und Frauen sind gleichberechtigt‹ will nicht nur Rechtsnormen beseitigen, die Vor- oder Nachteile an Geschlechtsmerkmale anknüpfen, sondern für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen (…). Er zielt auf die Angleichung der Lebensverhältnisse. So müssen Frauen die gleichen Erwerbschancen haben wie Männer (…). Überkommene Rollenverteilungen, die zu einer höheren Belastung oder sonstigen Nachteilen für Frauen führen, dürfen durch staatliche Maßnahmen nicht verfestigt werden (…). Faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, dürfen wegen des Gleichberechtigungsgebots des Art. 3 Abs. 2 GG durch begünstigende Regelungen ausgeglichen werden(...)«(23)
Art. 3 Abs. 2 GG, der die Gleichberechtigung von Männern und Frauen verbürgt, wurde 1994 durch einen Satz 2 ergänzt: »Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin«.
In seiner Entscheidung vom 10.10.2017, 1 BvR 2019/16 dehnte das Bundesverfassungsgericht den aus Art. 3 Abs. 2 GG folgenden Grundrechtsschutz ausdrücklich auf alle Geschlechter aus:
»Zwar spricht Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG von ›Männern‹ und ›Frauen‹. Eine abschließende begriffliche Festlegung des Geschlechts auf Männer und Frauen ergibt sich daraus jedoch nicht. (…) Stoßrichtung dieser Norm ist es vor allem, geschlechterbezogenen Diskriminierung von Frauen zu beseitigen (…), nicht jedoch, eine geschlechtliche Zuordnung im Personenstandsrecht festzuschreiben oder eine weitere Geschlechtskategorie jenseits von ›männlich‹ und ›weiblich‹ auszuschließen. Soweit das Bundesverfassungsgericht früher formuliert hat, unsere Rechtsordnung und unser soziales Leben gingen von dem Prinzip aus, dass jeder Mensch entweder ›männlichen‹ oder ›weiblichen‹ Geschlechts sei (…), handelte es sich schon damals nicht um die Feststellung, eine Geschlechterbinarität sei von Verfassungs wegen vorgegeben, sondern um eine bloße Beschreibung des zum damaligen Zeitpunkt vorherrschenden gesellschaftlichen und rechtlichen Verständnisses der Geschlechterzugehörigkeit«.(24)
Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG ergänzt ausdrücklich das Verbot, wegen des Geschlechts diskriminiert zu werden.

III. VERHÄLTNISMÄßIG SANKTIONIEREN?

Sind vor diesem rechtlichen Hintergrund Gesetze und Verordnungen verfassungsgemäß, die für die Gesetzgebung, die Verwaltungen (auch Regierungen, Schulen, etc.) und die Justiz die Sichtbarmachung anderer Geschlechter in der Sprache anordnen und den Gebrauch des Gender*sterns oder eines vergleichbaren Schriftzeichens ggf. mit Sanktionen erzwingen?

1. Die Geeignetheit von Regelungen, die diese Verpflichtung umsetzen, steht m.E. außer Frage, da sie die o.g. Diskriminierungen beseitigen und i.S.d. Art. 3 Abs. 2 GG und der oben unter II. vorgestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Gleichbehandlung der Geschlechter fördern.(25) Geeignet sind Gesetze und untergesetzliche Regelungen, die selbst durchgängig in einer geschlechtergerechten Sprache gehalten sind, den Gender*stern nutzen und ihrerseits – ggf. mit Sanktionen – durch die Verwaltungen vollzogen werden müssen. Für Parlamentsdokumentationen könnte z.B. geregelt sein, dass auch Anträge und Beiträge zur Veröffentlichung gegendert werden, die dies zuvor nicht waren. Z.B. regelt § 8 Abs. 4 der Geschäftsordnung der Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichhain-Kreuzberg, dass in allen Veröffentlichungen der Gender*stern als Form der geschlechtergerechten Sprache verwendet wird.(26) D.h., auch Anträge und Diskussionsbeiträge von Gegner*innen einer geschlechtsneutralen Sprache werden in dieser Form wiedergegeben, wenn sie nicht zitiert werden. Einige Studierendenparlamente sehen darüber hinaus vor, dass ein nicht gegenderter Antrag, wobei die Form hier offen bleibt, nicht behandelt wird.(27) Auch Urteile und Beschlüsse von Gerichten müssten geschlechtsneutral formuliert werden. Der Gender*stern ist ein geeignetes Schriftzeichen, da er ermöglicht, neben dem weiblichen und männlichen Geschlecht alle weiteren abzubilden.

2. Die Frage, ob der Gender*stern zur Durchsetzung einer geschlechtergerechten Sprache erforderlich ist, ist ebenfalls mit ja zu beantworten. Die Verwendung des generischen Maskulinums ist ebenso wenig wie die des generischen Femininums als milderes Mittel anzusehen, denn wie oben für das generische Maskulinum gezeigt, bilden diese Sprachformen nicht alle Geschlechter ab und können sie auch nicht ›mitmeinen‹.
Grundsätzlich ist als milderes Mittel zwar auch alles anzusehen, was die Sichtbarmachung des weiblichen Geschlechts sowie der diversen Geschlechter ermöglicht und was bereits mit dem Handbuch der Rechtsförmlichkeit von 1991 bzw. 2008 (28) vorgeschlagen wird sowie in Leitfäden von Verwaltungen und Universitäten(29) oder auch im vom Duden herausgegebenen Band »Richtig gendern«.(30) Vorschläge wie die ausführliche Nennung aller Geschlechter oder der Gebrauch von Pluralformen (Personen, die; Menschen), Ersatzformen z.B. substantivierte Formen des Partizips I (Studierende, Lehrende), substantivierte Formen des Partizips II (Gewählte, Abgeordnete), substantivierte Formen des Adjektivs (Gesunde, Ältere), die Verwendung eines Abstraktums (Leitung statt die Leiter*in) usw. sind möglicherweise dem Gender*stern vorzuziehen und sollten vorzugsweise gewählt werden. Es ist aber nicht auszuschließen, dass Fälle übrigbleiben, bei denen zurzeit nur mit einem Schriftzeichen wie dem Gender*stern alle Geschlechter umfasst werden können, ohne dass die Sprache unklar wird. Das heißt, das Gendern ohne den Gender*stern würde kein gleich wirksames Mittel darstellen.
Die freiwillige, sanktionslose Anordnung der Verwendung geschlechtergerechter Sprache im öffentlichen Bereich kann ebenfalls nicht als milderes Mittel angesehen werden, denn es hat, wie oben aufgezeigt, seit den 1980er-Jahren – trotz gesetzlicher und untergesetzlicher Regelungen – keine durchgreifende Veränderung und damit Abschaffung der sprachlichen Diskriminierung anderer Geschlechter als des männlichen gegeben. Im Gegenteil hat der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung, die die öffentlich-rechtlichen Sparkassen betraf, eine Bresche für das generische Maskulinum geschlagen.(31)

3. Der erzwungene Gebrauch des Gender*sterns ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Die Grundrechtsbeschränkung, die durch den Gebrauch des Gender*sterns für die betroffenen Sprachnutzer*innen sowie die Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter entsteht, steht in einem angemessenen Verhältnis zu den dadurch erreichbaren Rechtsschutzgütern. Ein rechtswidriger Grundrechtseingriff liegt nicht vor, wenn in allen drei Gewalten die Verpflichtung gelten würde, unter Androhung von Sanktionen zu gendern.

a. Der verpflichtende Gebrauch geschlechtergerechter Sprache unter Verwendung des Gender*sterns hat ein legitimes, sachlich begründetes Ziel, das einer großen Mehrheit von Menschen die sprachliche Berücksichtigung ihres Geschlechts zum größten Teil erstmalig ermöglicht.
Wenn von Parlamentarier*innen verlangt würde, ihre Anträge in geschlechtergerechter Sprache zu stellen mit der Sanktion, diese sonst nicht zu behandeln, würde von ihnen nur die Einhaltung einer Form verlangt, um die Verletzung von Grundrechten vieler, nämlich der Frauen und der diversen Geschlechter, zu verhindern. Das in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG verbürgte Demokratieprinzip, das in Art. 28 Abs. 1 GG auf die Länder und Gemeinden erstreckt wird, wird nicht verletzt. Das dem Demokratieprinzip inhärente Gleichheitsgebot würde nicht verletzt, da alle Parlamentarier*innen in gleichem Umfang von einer solchen Regelung betroffen wären. Auch das Bestimmtheitsgebot würde nicht verletzt, wenn das Gendern unter Verwendung des Gender*sterns verbindlich festgelegt würde, wie eine verschriftete Sprache aussieht, die alle Geschlechter gleichermaßen abbildet.
Auch die Meinungsfreiheit der Parlamentarier*innen wird nicht verletzt. Die Meinungsfreiheit des Art. 5 GG gewährleistet sowohl die Freiheit der Einzelnen als auch diejenige im Interesse des demokratischen Prozesses (öffentliche Meinungsbildung). Seine Schranke findet das Grundrecht in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, wobei nicht nur formelle Gesetze, sondern auch Rechtsverordnungen, Satzungen etc. gemeint sind.(32) Schranken stellen danach z.B. Art. 10 Abs. 2 EMRK, § 3 HRG, aber ggf. auch die Geschäftsordnungen dar. Zudem sind die verfassungsimmanenten Schranken, wie etwa Art. 3 GG, zu beachten. Eine Geschäftsordnung eines Parlaments, die zur Förderung der Geschlechtergleichheit anordnen würde, mit dem Gender*stern zu gendern und Anträge, die nicht in dieser Form gestellt werden, nicht zu behandeln, würde – wie die Geschäftsordnungsregelung zur Verwendung der Schriftsprache(33) – nicht darauf gerichtet sein, die Meinungsfreiheit von Antragsteller*innen zu beschränken, sondern die Grundrechte vieler Menschen aus Art. 3 Absätze 2 und 3 GG zu verwirklichen. Gegner*innen könnten sich ggf. sogar gleichzeitig mit der Antragstellung durch Meinungsäußerung vom Gender*stern distanzieren und zum Ausdruck bringen, dass sie das generische Maskulinum sprachlich schöner finden, sogar Anträge stellen, die Geschäftsordnung zu ändern. Das eigene Geschlecht aller Antragsteller*innen (auch der Gegner*innen) wird in einer solchen Norm eingeschlossen, die Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit ist im Verhältnis zu dem mit dem generischen Maskulinum vorgenommenen Ausschluss anderer Geschlechter als geringfügig anzusehen. Die Verhältnismäßigkeit ist schon deshalb gewahrt, da es sich hier lediglich um eine Formvorschrift handelt, deren Befolgung oder Nichtbefolgung zur sachgemäßen Meinungsbildung nicht beitragen kann.
Soweit moniert wird, die Ästhetik des Schriftbilds sei mit dem Gender*stern nicht hinnehmbar, greift dies gegenüber den verfassungsrechtlich verbürgten Rechten der anderen Geschlechter, die erstmals sichtbar würden, nicht durch. Eine verminderte Präzision der Sprache kann ebenfalls nicht angenommen werden, da eine zuvor falsche maskuline Sprache korrigiert wird. Das generische Maskulinum scheint doch nur vor dem Hintergrund einer sich nunmehr ändernden Gesellschaft und Geschichte patriarchaler Strukturen ›gerecht‹. Ein generisches Femininum würde von den Verfechter*innen des generischen Maskulinums weder aus ästhetischen Gründen noch wegen der größeren Genauigkeit der Sprache präferiert werden. Angesichts des Eingriffs in die Grundrechte von Frauen und divers geschlechtlichen Personen ist auch die Sprach-Ästhetik oder die Ästhetik von Schriftbildern kein durchgreifender Grund. Die Ungleichbehandlung, die an das Geschlecht anknüpft, ist mit Art. 3 Abs. 3 GG nur vereinbar, soweit sie zur Lösung von Problemen zwingend erforderlich ist, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder Frauen oder bei diversen Geschlechtern auftreten können.(34) Auch die Relevanz von Geschlechterrollen würde nicht verschärft.
Der geäußerte Vorwurf, die Klarheit der mit dem Gender*stern gegenderten Sprache genüge nicht den verfassungsgemäßen Erfordernissen, insbesondere müsse ein Gesetz auch gesprochen klar und verständlich sein,(35) ist ebenfalls nicht nachweislich. Insbesondere hat der ins generische Femininum gesetzte Entwurf des neuen Insolvenzrechts gezeigt, dass Unbestimmtheit oder Unklarheit bei den unpersönlichen Rechtspersonen nicht zu befürchten ist.(36)

b. In der Rechtsprechung könnte z.B. angeordnet sein, dass Entscheidungen der Gerichte, neben dem sonstigen Schriftverkehr der Gerichtsverwaltungen, ebenfalls gegendert werden müssten. Könnte ein Richter geltend machen, in seiner richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt zu sein? Wohl kaum, denn bei der Durchsetzung geschlechtergerechter Sprache handelt es sich – vergleichbar zur Rechtschreibreform – um eine Formänderung, die inhaltliche Fragen nicht beeinträchtigt. Insbesondere dürfte das Argument der Sprachschönheit in der juristischen Sprache nicht verfangen. Denn wann lesen wir schon Urteile, von denen wir sagen, sie seien sprachlich schön. Zwar könnte in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Richter*in oder der Justizangestellten* aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG eingegriffen sein, dieser Eingriff wäre aber minimal und vor dem Hintergrund der Eingriffe in die Rechte der Menschen, deren Geschlechter sonst nicht abgebildet werden, hinnehmbar.(37) Die Einschränkung ist zudem minimal, erfolgt im Rahmen der verfassungsimmanenten Schranken und wird von höherrangigem Recht gerechtfertigt.
Für die Meinungsfreiheit dürfte bei den in der Judikative Tätigen das gleiche gelten wie bei den Parlamentarier*innen.
Könnten Rechtsanwält*innen sanktioniert werden, wenn sie in Schriftsätzen an das Gericht – trotz vorhandener gesetzlicher Verpflichtung zu gendern –, etwa mit der Maßgabe, dass nicht gegenderte Schriftsätze nicht zur Kenntnis genommen werden? Rechtsanwält*innen sind anders als Richter*innen nicht Teil der Gerichtsverfassung. Zwar sind Rechtsanwält*innen »Organe der Rechtspflege«, als solche jedoch gem. § 1 BRAO »unabhängig« (vgl. auch § 3 Abs. 1 BRAO). Ihre Rechte, in Justiz und Verwaltung aufzutreten, könnten nur durch ein Bundesgesetz beschränkt werden. Bei einem solchen Gesetz müsste beachtet werden, dass die Nichtannahme von Schriftsätzen von Rechtsanwält*innen unmittelbar die Rechte der Mandant*innen beeinträchtigen würde, auch in deren Grundrechte auf rechtliches Gehör vor Gericht, auf angemessene Verteidigung, effektiven Rechtsschutz usw. Eine solche Regelung wäre keine Formvorschrift und dürfte m.E. unverhältnismäßig sein. Falls Rechtsanwält*innen in ihrem Schriftverkehr mit Behörden und Gerichten nicht gendern, wird danach ebenso wenig eine Sanktion zu erwarten sein wie bei Rechtschreibfehlern.

c. Die Verwaltung ist über die einschlägigen Bundes- und Landesnormen ohnehin seit langem verpflichtet, geschlechtergerechte Sprache zu nutzen,(38) eine Sanktion an sich würde keine besonderen grundrechtlichen Fragen aufwerfen, die über das zu den Gesetzgebenden und der Justiz Gesagte hinausgingen.
Für die Schulen und Universitäten ist eine Besonderheit zu beachten. Diese haben eine für die Durchsetzung gegenderter Sprache im gesamten öffentlichen, aber auch privaten Bereich enormen Einfluss, da eine oder mehrere Generationen von mit gegenderter Sprache sozialisierter Schüler*innen, Auszubildender und Hochschüler*innen diese selbstverständlich weiter nutzen werden.
Selbst wenn die Schulverwaltung verpflichtet ist, geschlechtsneutrale Sprache als Amts- oder Verwaltungssprache zu nutzen, sind dadurch nicht zwingend Schüler*innen so zu unterrichten und in schriftlichen Arbeiten und Prüfungen darauf zu verpflichten. Die Kultusministerkonferenz, die hierfür die Regelungen schafft, übernimmt vielfach die Vorschläge des Rates der deutschen Rechtschreibung(39) in das amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung, das seinerseits die verbindliche Grundlage des Unterrichts für alle Schulen ist. Der Rat hat im November 2018 noch keine Empfehlungen zur »geschlechtergerechten Schreibung« beschlossen, sondern verabredet, hierzu weitere Analysen vorzunehmen,(40) sieht aber, dass der Gebrauch des Gender*sterns zugenommen hat.(41) Bis 2022 will der Rat zunächst weiter beobachten, ob sich diese Tendenz vertieft und als Indiz für einen Sprachwandel gesehen werden kann.

Fazit

Die Durchsetzung gegenderter Schriftsprache wäre im öffentlichen Bereich in der Schriftsprache – auch mit erzwungenem Gender*stern – rechtlich möglich. Schwieriger dürfte sich die Möglichkeit einer Durchsetzung im privaten Bereich, in der gesprochenen Sprache und bei den von multinationalen Konzernen trainierten Algorithmen gestalten. Angesichts der Tatsache, dass der Rat der deutschen Rechtsschreibung und der Duden allein über die aktuellen Diskussionen und den zu beobachtenden Mehrgebrauch des Gender*sterns zu positiven Empfehlungen kommen könnten und die Medien sowohl schriftlich als auch mündlich immer verstärkter gendern,(42) haben wir es jedoch ein Stück selbst in der Hand, durch den vermehrten Gebrauch des Gender*sterns einer geschlechtergerechten Sprache zu allgemein gesellschaftlicher Verbindlichkeit zu verhelfen und das generische Maskulinum in die Geschichte zu verbannen.

Martina Zünkler ist Rechtsanwältin in Berlin und Mitglied im RAV.


(1) Der Duden definiert den Gender*stern auf seiner Webseite als (bei Personenbezeichnungen) zwischen Wortstamm beziehungsweise maskuline Flexionsendung und feminine Flexionsendung gesetzter Asterisk (Sternchen, Schriftzeichen), der der sprachlichen Gleichbehandlung aller Geschlechter dienen soll (z. B. Leiter*innen, Pilot*in).
(2) So der BGH, U. v. 13.03.2018, VI ZR 143/17
(3) Ursula Doleschal: Das generische Maskulinum im Deutschen: Ein historischer Spaziergang durch die deutsche Grammatikschreibung von der Renaissance bis zur Postmoderne. In: Linguistik online. Band 11, Nr. 2, Januar 2002, S. 39-70.
(4) Z.B. Uni Leipzig, Uni Potsdam
(5) Die Anwendung geschlechtergerechter Sprache wird als »gendern« bezeichnet.
(6) So aber: Phillipp Kowalski: Geschlechtergerechte Sprache im Spannungsfeld mit rechtswissenschaftlicher Methodik, NJW 2020, 2229, 2229.
(7) Vgl. UNESCO (1989): Pour un Langage Non Sexiste. Guidelines on Non-Sexist Language.Texte etabli par l’Office des conferences, des langues et des documents (COL), UNESCO:Prepared by the Office of Conferences, Languages and Documents (COL), UNESCO.Paris: UNESCO.
(8) 1. Auflage. Bonn 10. Juni 1991, S. 35: Abschnitt Maskuline und feminine Personenbezeichnungen, Rnrn. 40-44.
(9) LADG 23.11.1990, ersetzt durch das LGG i.d.F v.06.09.2002 (GVBl. S. 280), zuletzt i.d.F.v. 18.11.2010 (GVBl. S. 351); vgl. auch BGleiG i.d.F. v. 30.11.2001, BGBl. I,c S. 3234, zuletzt § 4 Abs. 3 i.d.F. v. 24.04.2015; vgl. in Berlin: § 2 Abs. 2 GGO I v. 18.10.2011; vgl. auch GGO II v. 08.09.2015, Anhang I Nr. 2, Satz 3; vgl. auch: Leitfaden für eine geschlechtergerechte Sprache in der Verwaltung der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen vom Dezember 2012 mit dem Kant-Zitat: »Alle Sprache ist Bezeichnung der Gedanken« sowie Handbuch der Rechtsförmlichkeit vom 22.09.2008, Bundesanzeiger vom 22.10.2008, Rn. 110 ff., Rn. 114.
(10) Vgl. Fn. 9
(11) Vgl. Fn. 9
(12) Vgl. Fn. 2
(13) 28. Aufl. 2020
(14) Zeit-online v. 03.06.2020
(15) Jürgen Kaube, Die Sprache der Nachrichten im Wandel, in: Deutschlandradio v. 18.08.2020, S. 16, https://www.deutschlandradio.de/gastbeitrag-die-sprache-der-nachrichten-im-wandel.3564.de.html?dram:article_id=482580.
(16) So aber: BGH, U. v. 13.03.2018, VI ZR 143/17, Rnrn. 30 ff.
(17) taz v. 13.10.2020
(18) Vgl. a.a.O., Fn. 9, Rn 110 ff.
(19) Vgl. Fn. 9
(20) A.a.O., vgl. Fn. 9, Rnrn. 113 ff. In Rn. 110 heißt es: »Aus dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Männern und Frauen (Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes) folgt, dass sich Vorschriften in der Regel in gleicher Weise an Männer und Frauen richten. Allerdings kann die Häufung maskuliner Personenbezeichnungen den Eindruck erwecken, Frauen würden übersehen oder nur ›mitgemeint‹. Sprachliche Gleichbehandlung in Rechtsvorschriften hat zum Ziel, Frauen direkt anzusprechen und als gleichermaßen Betroffene sichtbar zu machen«.
(21) Vgl. zum Ganzen: Carsten Orwat: Diskriminierungsrisiken durch Verwendung von Algorithmen, in: Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Hg.), Berlin (Sept. 2019), www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Expertisen/studie_diskriminierungsrisiken_durch_verwendung_von_algorithmen.html
(22) Anne E. Poth: »Meinten Sie Journalistinnen?«, 28.08.2019, https://www.genderleicht.de/genderstern-und-suchmaschinen/; Kathi Grelck: »Der Google-Algorithmus ist frauenfeindlich«, 30.07.2019, https://t3n.de/news/google-algorithmus-deutsche-hat-1175032/; Lucia Clara Rocktäschel: Gendern und SEO vereinbaren. Geht das?, 20.08.2019, https://www.lucia-clara-rocktaeschel.de/gendern-und-seo/; vgl. zum Ganzen: Carsten Orwat, a.a.O., Fn 25, S. 69 ff.
(23) BVerfG, 28.01.1991, 1 BvR 1025/82 u.a., ebd. zit. n. juris, Rn. 53
(24) BVerfG, 10.10.2017, 1 BvR 2019/16, juris Rn. 50
(25) Zu den Voraussetzungen vgl.: BVerfG, B. v. 26.10.2011, 1 BvR 2075/11, juris, Rn. 7
(26) Vgl. auch Marzahn-Hellersdorf, Mitte und Lichtenberg
(27) So § 6 Abs. 3 der Studierendenparlament-Geschäftsordnung an der FU Berlin
(28) Vgl. Fn. 9
(29) Vgl. z.B. Leitfaden der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen, a.a.O. Fn. 9
(30) Gabriele Diewald und Anja Steinhauer, Richtig gendern, Berlin 2017
(31) BGH, U. v. 13.03.2018, VI ZR 143/17; vgl. dazu: Gregor Bachmann: Kein Anspruch auf geschlechtergerechte Sprache in AGB und Formalien, NJW 2018, 1648 ff.
(32) Vgl. Grabenwarter, in Maunz-Dürig: GG, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 131
(33) Vgl. z.B. § 75 ff. GO BT; § 76 Abs. 1 GO BT bestimmt im Übrigen eine Quote für Vorlagen: Fraktion oder 5 % MdB als Formvorgabe.
(34) Vgl. BVerfG, B.v. 28.01.1991, 1 BvR 1025/82, juris: 2. Leitsatz und Rn. 52
(35) Das Handbuch der Rechtsförmlichkeit des BMJV von 2008 meint, dass in Vorschriftentexten die sprachliche Gleichbehandlung nicht auf Kosten der Verständlichkeit oder der Klarheit gehen dürfe. Die Doppelbezeichnung: der Rechtsanwalt und/oder die Rechtsanwältin sei z.B. uneindeutig. Ein Text müsse auch verständlich sein, wenn er vorgelesen werde. Er müsse übersichtlich bleiben und dürfe nicht zu weit vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichen, a.a.O., Rn 112; vgl. Bachmann, a.a.O., S. 1651
(36) Vgl. dazu Referentenentwurf: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6; auch bei AGBs werden sich Lösungen finden lassen, die nicht zu einer (noch) unleserlicheren Fassung führen.
(37) Vgl. LG FfM, U.v. 03.12.2020, 2-13 O 131/20
(38) Vgl. Fn. 9
(39) Der Rat wurde als zwischenstaatliches Gremium von den staatlichen Stellen in Deutschland, der Schweiz, Österreich, Südtirol, der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens und Luxemburgs damit beauftragt, »die Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum zu wahren« und weiter zu entwickeln.
(40) Vgl. Bericht vom 28.11.2018, www.rechtschreibrat.com/DOX/rfdr_2018-11-28_anlage_3_bericht_ag_geschlechterger_schreibung.pdf
(41) Ebenda, S. 11
(42) Vgl. TAZ v. 07.06.2020: https://taz.de/Inklusive-Sprache-in-Medien/!5688436/