Deutsches Gericht soll in Sachen Rumsfeld ermitteln
Es ist das zweite Mal, dass die deutsche Bundesanwaltschaft gegen Donald Rumsfeld ermitteln soll. Im Februar 2005 hatte sie Ermittlungen mit der Begründung abgelehnt, dass deutsche Gerichte keine eigene Zuständigkeit annehmen könnten, da der Fall den US-amerikanischen Justizbehörden überlassen bleiben sollte. Die Anwälte machen geltend, dass, fast zwei Jahre später, die USA bisher wenig unternommen hätte, um die Rolle führender Verantwortlicher der Bush-Regierung bei der Behandlung von Gefangenen unter Terrorismusverdacht zu überprüfen. Zudem wenden sie ein, dass bei Verdacht auf Verstoß gegen die Genfer Konvention das Military Commissions Act, ein vom Kongress im September verabschiedetes Gesetz, die Strafverfolgung US-amerikanischer Regierungsvertreter im eigenen Land erschweren wird. Das Gesetz sieht eine rückwirkende Immunität bis zu den Anschlägen vom 11. September 2001 vor. „Zwei Jahre lang war die Bush-Regierung vollkommen untätig“, sagt Kenneth Roth, Generaldirektor der Organisation Human Rights Watch, die den Fall unterstützt. „Man hat gegen Verantwortliche niederen Ranges recht zügig Verfahren eingeleitet, doch es ist nichts getan worden, um gegen hochrangige Regierungsvertreter zu ermitteln“. Die Anzeige ist ein ehrgeiziges Anliegen und nennt nicht nur Donald Rumsfeld und Alberto Gonzales, sondern auch John C. Yoo und Jay S. Bybee, zwei ehemalige Juristen des Justizministeriums, die an der argumentativen Ausarbeitung der Rechtsgrundlagen der Bush-Regierung zur Behandlung von Terrorismusverdächtigen mitgewirkt haben. Weiterhin wird Leutnant General Ricardo S. Sanchez, der ehemalige militärische Befehlshaber im Irak, genannt. Brigadegeneralin Janis L. Karpinski, ehemalige Kommandierende in Abu Ghraib und für die dort begangenen Misshandlungen verurteilt, stellt sich als Zeugin zur Verfügung. Während sich die erste Anzeige auf Abu Ghraib konzentrierte, führt diese den Kläger Mohammed al-Qahtani an, ein Saudi, von dem viele glauben, dass er an der Planung der Anschläge vom 11. September beteiligt war. Nach Aussage der Anwältin al-Qahtanis, der in Guantánamo festgehalten wird, soll ihr Mandant Misshandlungen, die von Donald Rumsfeld genehmigt wurden, ausgesetzt worden sein. Laut den Anwälten wurde die Anzeige aus juristischen und politischen Gründen in Deutschland erstattet. Das deutsche Recht umfasst das Prinzip der universellen Jurisdiktion; demnach sind die Gerichte berechtigt, eine Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen aufzunehmen, unabhängig davon, wo die Person lebt oder wo die Verbrechen begangen wurden. Deutschland verfügt zudem, trotz seiner Opposition zum Irak-Krieg, über verzweigte Verbindungen zum US-amerikanischen Militär. Mehrere Militärs, die in die Misshandlungen in Abu Ghraib verwickelt waren, sind auf US-amerikanischen Stützpunkten in Deutschland stationiert; einige von ihnen sind von ihren Reisen aus dem Irak nach Deutschland zurückgekehrt. US-amerikanische Luftwaffenstützpunkte in Deutschland dienen für Militärflüge zum und vom Irak. Das deutsche Parlament untersucht zur Zeit, ob ein Teil dieser Flüge auch den Transfer von Terrorismusverdächtigen zu geheimen Gefängnissen umfasst hat - das so genannte Rendition-Programm des CIA. Die Anzeige kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt für Kanzlerin Angela Merkel, die versucht hat, die deutsch-amerikanischen Beziehungen nach dem tiefen, durch den Irak-Krieg entstandenen Misstrauen wieder zu festigen. Laut Rechtsexperten gab es bereits verschiedentlich Ansätze einer strafrechtlichen Verfolgung hochrangiger Regierungsvertreter wegen Kriegsverbrechen im Ausland. Die Auslieferung des Generals Augusto Pinochet, dem chilenischen Diktator, der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht kommen sollte, konnte von einem spanischen Richter nicht erfolgreich durchgesetzt werden. Doch General Pinochet wurde in London festgehalten und kehrte später zurück nach Chile. Im vergangenen Monat wurde der 90jährige in Santiago unter Hausarrest gestellt wegen Entführung, Folter und Mord in einem geheimen Internierungslager während der ersten Jahre seiner Regierung. Henry Kissinger, der ehemalige Außenminister, sollte vor den Gerichten mehrerer Länder befragt werden, welche Rolle die USA in den 70ern bei verschiedenen lateinamerikanischen Diktaturen gespielt hat. „Wenn ich Donald Rumsfelds Reiseagent wäre, würde ich ihm raten, einen anderen Teil des „alten Europas“ zu wählen“, sagt Detlev F. Vagts, Professor of Law, emeritus, Harvard Law School. „Es könnte gefährlich werden“. Der Zeitpunkt für die heute eingereichte Anzeige war nicht direkt mit dem Rücktritt Donald Rumsfelds verbunden, sagt Wolfgang Kaleck. Nach den Wahlen in den USA wollte man eine Woche abwarten, damit die Anzeige nicht als politische Einflussnahme gewertet würde. Dennoch hat diese durch den Rücktritt Donald Rumsfelds eine neue Schärfe erhalten. „Donald Rumsfeld scheint nun weniger geschützt als vorher“, sagt Michael Ratner, der Präsident der Organisation Center for Constitutional Rights, die die rechtliche Kampagne mitfinanziert. * Übersetzung: Kartrin Heide