Der Fall Murat K.
"Am 27.05.2002 erschien Frau K. und bat mich, ihren Sohn zu vertreten." Mit diesem Vermerk beginnt meine Akte Murat K. Lieber Rolf Goessner, lieber Wolfgang Kaleck, sehr geehrte Damen und Herren I.
Ich habe mir im Mai 2002 nicht albträumen lassen, was Murat K. durchmachen musste und was da auf mich zu kam. Die Grenzen zwischen kafkaesker Fiktion und Realität verschwammen. Bis dahin dachte ich, dass zwischen Mittelalter und Moderne eine zivilisatorische Brandmauer namens Aufklärung gezogen sei. Mit dem Verbrechen des 11. September wurde die Fragilität des moralischen und humanistischen Sockels der sog. Nachkriegsordnung (gemeint ist der 2. Weltkrieg, dass muss man leider dazu sagen) offenkundig. Die Bush-Regierung zog eine Reißleine, verabschiedete sich einseitig aus dem unkündbaren universell verbindlichen Völkerrecht, eherne Normen wurden unter Kriegsvorbehalt gestellt. Freiheits- und Menschenrechte bekamen plötzlich etwas Nostalgisches, Sozialromantisches, ein Feld für Nörgler und Quertreiber. Und so landete Herr K. in einem künstlich geschaffenen , man muss sagen illegal kreiertem rechtsfreien Raum, einem geschlossenen System staatlicher Omnipotenz und Rechtsversagung. Durch einen definitorischen Trick sollten die Gefangenen im Kampf gegen den Terror weder unter den Schutz der Genfer Konventionen noch unter den Schutz des Strafprozessrechts fallen. Als feindliche Kämpfer sollten sie durch die Sicherungen der Moderne fallen auf den Status eines Vogelfreien oder Outlaws. Die Rechtssubjektivität und damit alle Verfahrensrechte wurden ihnen genommen, die Menschenwürde und damit der Schutz vor Folter ihnen abgesprochen. So begann der lange Kampf K. vs. Bush, ein zu Beginn annähernd hoffnungslos scheinendes Anrennen des Rechts und der Moral gegen staatliche Hybris, mit David gegen Goliath untertrieben skizziert. II.
Am 24.08.2006 wurde Herr K. nach Deutschland ausgeflogen und freigelassen. Viel ist über die Geschichte des Herrn K. geschrieben und veröffentlicht worden. Unzählige Artikel können Sie im Internet nachlesen. Die meisten von Ihnen werden den Fall kennen, so dass ich Sie nicht mit einer weiteren Falldarstellung quälen möchte. Statt dessen möchte ich Ihnen einen Blick hinter die Kulissen erlauben, was war alles mit der Übernahme dieses Mandates verbunden? Zunächst war ja das Problem, dass es keine sonst selbstverständliche juristischen Reibeflächen gab. Der Rechtsstaat war schlicht abgeschaltet, es gab keinen Zugang zum Mandanten, keine Akte, keinen Haftbefehl, keine Anklage, kein Gericht und keine Staatsanwaltschaft, niemand war zuständig. Mein klassisches juristisches Handwerkszeug war zunächst entwertet, was blieb - um eine rechtsstaatliche Behandlung des Herrn K. einzufordern - war eine Art Lobbyarbeit, der Weg an die öffentliche Klagemauer. Bis heute habe ich zu diesem Fall deutschen wie ausländischen Radio- und Fernsehsendern sowie Zeitungen etwa 250 Interviews gegeben. Etwa 50 Vorträge habe ich an Universitäten, Schulen und bei diversen Veranstaltungen von amnesty international sowie dem Deutschen Roten Kreuz gehalten. Ich habe den Fall K. geschildert im UNO-Hauptquartier in New York, vor Kongressabgeordneten in Washington, in amerikanischen und englischen Kirchen, mit anderen Anwälten im House of Commons in London, im Europarat in der Assemblé Générale in Paris, dreimal vor Ausschüssen des Europaparlamentes in Brüssel, auf Theaterbühnen in New York, der Ruhr-Festspiele in Duisburg mit Vanessa Redgrave sowie der Shakespeare Company in Bremen. Die Vertretung dieses Falles hat mich dreimal in die USA, viermal nach Großbritannien, dreimal nach Belgien, nach Frankreich, in Türkei sowie in die Schweiz geführt. Die E-Mails in Sachen Kurnaz türmen sich auf über 15.000. Ein kleinerer Teil des Materials zu diesem Fall füllt allein 30 Leitz-Ordner, der Großteil des Material ist digital gespeichert. Tausende von Telefongesprächen habe ich geführt, weit mehr als 1.000 Arbeitsstunden in diesen Fall investiert. Mein Mobiltelefon blieb auf Empfang, jeder Urlaub hing an der Nabelschnur des Internets . Es war eine unruhige, belastende, bedrückende, manchmal aber auch hochspannende und ermutigende Arbeit. Es gab Stimmungsgipfel und tiefe Täler. Furchtbar die Nachricht von der intensiven Folter, bitter die Umstände der sogenannten "Scheinfreilassung" im März 2005 in der Türkei, bestürzend zu erfahren, dass eine Freilassung vier Jahre früher möglich war und sie offenbar an der Sturheit der Deutschen Regierung scheiterte. Großartig der Moment des Triumphes vor dem Supreme Court, der uns erstmalig einen Rechtsweg in den USA eröffnete, eigentlich eine Selbstverständlichkeit, doch die Zeiten, sie sind nicht so. Bewegend die Familienzusammenführung am Abend des 24.8.06 in Kaiserslautern. III.
Sehr von Herzen freue ich mich über die von Ihnen verliehene Auszeichnung. Geehrt fühle ich mich stellvertretend für viele andere, die hier genannt werden müssen.
Zunächst die Mutter von K. mit ihrem Mut und nie schwindenden Elan, für die Freilassung ihres Sohnes zu kämpfen. Dann die großartige Hilfe der amerikanischen Bürgerrechtsorganisationen, wie das Center for Constitutional Rights und die American Civil Libertys Union. Gemeinsam haben wir uns in den USA für due-process, für die jahrhundertealten habeas-corpus-Rechte, eigentlich der Stolz Amerikas, eingesetzt. Auf den Treppenstufen des Supreme Courts, über dessen Portico in Marmor „EQUAL JUSTICE UNDER LAW“ eingraviert ist, haben wir die US-Regierung vor den Kameras der Welt gefragt, warum sie die Gefangenen nicht anklagt, ob sie kein Vertrauen in das etwaige Belastungsmaterial oder kein Vertrauen in die eigenen Richter haben. Die britische Guantànamo Human Rights Commission um Vanessa und Corin Redgrave hat uns tatkräftig geholfen, insbesondere auch die erforderlichen Kontakte in die USA zu knüpfen.
Erwähnen möchte ich an dieser Stelle ganz besonders meinen heute hier anwesenden Kollegen Prof. Baher Azmy aus New York, der den Fall Kurnaz erfolgreich vor dem amerikanischen Gerichten vertreten hat und der als einziger Herrn K. in der tropischen Hölle besuchen durfte. Um Ihnen die Schwierigkeiten und Hindernisse, durch die Prof. Baher Azmy bei der Wahrnehmung dieses Mandats gehen musste, illustrieren zu können, möchte ich Ihnen eine kleine Episode schildern. Für die Betreiber Guantànamo´s sind Anwälte ein rotes Tuch, wir stören ihre Geschäfte. Erst durch gerichtliche Entscheidungen haben wir anwaltlichen Zugang erzwungen. Erstmals konnte Prof. Baher Azmy Herrn K. im Oktober 2004 sehen. Nachdem Ende 2005/Anfang 2006 wichtige Bewegung in den Fall kam (Entscheidung des Verwaltungsgerichts für die Aufenthaltsrechte von Murat Kurnaz, Rücknahme der Einreisesperre für die EU durch das Bundesinnenministerium, Initiative von Bundeskanzlerin Merkel auf Freilassung von Herrn Kurnaz gegenüber Präsident Bush), wollten wir dieses Hoffnungszeichen möglichst schnell Herrn K. mitteilen. Die Besuche in Guantànamo sind angesichts geringer Flugkapazitäten logistisch schwer zu organisieren, sie sind teuer, physisch anstrengend und seelische Marter. Prof. Azmy nahm diesen Weg am 17.2.06 das 4. mal auf sich. In Guantànamo wurde ihm mitgeteilt, dass Herr K. keinen Anwalt sprechen wolle. Mein Kollege fiel aus allen Wolken, bestand darauf, dies von Herrn Kurnaz persönlich zu erfahren, aber immer wieder wurde ihm stereotyp mitgeteilt, Herr Kurnaz wolle aber keinen Anwalt sehen und auch nicht in irgendeiner Weise mit ihm kommunizieren. Prof. Azmy konnte dies angesichts seiner Vorerfahrungen mit Herrn K. nicht glauben, musste aber unverrichteter Dinge wieder abreisen.
Natürlich machten wir uns große Sorgen. In Guantànamo wird gezielt gegen Anwälte gearbeitet. Die Gefangenen erhalten Nachteile nach dem Anwaltsbesuch. Einige Gefangene haben angesichts des langen Laufes der gerichtlichen Verfahren auch den Glauben an die amerikanische Justiz verloren, einige Gefangene sind angesichts von Folter und Entrechtung völlig dekompensiert. Es werden auch gezielt Gerüchte gegen Anwälte gestreut, Anwälte werden schlecht gemacht und den Gefangenen wird eingeredet, dass sie ohne Anwalt schon längst hätten frei sein können. Wir wussten also nicht, was passiert war und machten uns entsprechend intensive Sorgen. Für die Familie von Herrn K. war diese Nachricht ein Stich ins Herz, was war bloß mit dem armen Bruder und Sohn passiert, was haben die mit ihm gemacht? Im Mai 2006 ist Prof. Baher Azmy erneut nach Guantànamo geflogen. Wieder wurde ihm mitgeteilt, dass der Gefangene K. keinen Anwaltsbesuch wünsche. Nach Intervention beim Chef des Gefangenenlagers sowie hartnäckigem Insistieren auf einer zumindest schriftlichen Mitteilung von Herrn K. wurde Herr K. Herrn Prof. Azmy plötzlich vorgeführt. Freundlich begrüßte Herr K. meinen Kollegen, Herr K. wusste nichts von einem Besuch im Februar, geschweige denn dass er den Besuch verweigert hätte. Viele solcher Geschichten wären zu erzählen. Guantànamo ist ein Ort der Willkür, der Schikane und der Lüge. Erwähnen möchte ich auch dankend die wichtige politische, moralische und materielle Unterstützung durch amnesty international. Schließlich möchte ich mich bei meinem Büro bedanken, meinen 6 Kolleginnen und Kollegen sowie den Mitarbeiterinnen für die jahrelange Rückendeckung, moralische Aufbauleistungen und tatkräftige Hilfe, insbesondere bei Armin von Döllen in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren gegen die Stadt Bremen nach dem aberwitzig begründeten Entzug der Aufenthaltsrechte für Herrn K. durch den Bremer Innensenator. IV.
Nun ist Herr K. wieder unter uns - doch der Spuk ist lange nicht vorbei. Gerade vor ein paar Tagen ist der ehemalige Guantànamo-Chef, US-General Craddock, zum Nato-Oberfehlshaber gekürt worden. Nach Craddock war "alles okay in Guantànamo-Bay." Niemand sei unmenschlich behandelt worden, und wenn, dann seien bei den Verhören "solide Erkenntnisse herausgekommen". Wo bleibt der europäische Aufschrei, das kann, das darf doch nicht unser höchster Befehlshaber sein!? Und weiter konnte man vor ein paar Tagen lesen, dass die Entführung und Verschleppung von sechs Algeriern aus Bosnien nach Guantànamo durch CIA-Angehörige im Januar 2002 von dem US-Stützpunkt Eucom in Stuttgart aus geplant wurde. Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie! An den Aktivitäten der italienischen Ermittlungsbehörden gegen CIA-Angehörige kann man sich ein Beispiel nehmen. Hier ist noch viel zu tun.
Und immer noch sitzen in Guantànamo etwa 430 Gefangene. Mitnichten wird Guantànamo geschlossen. Neue Zellblöcke werden geschaffen, ein Gebäude für die ab 2007 zu erwartenden Verfahren vor den Military Commissions errichtet. Etwa 10 % der Gefangenen sollen dort in den zweifelhaften Genuss von Scheinprozessen kommen. Hastig, gerade noch direkt vor den Wahlen - offensichtlich in Vorahnung der Niederlage - hat die republikanische Mehrheit im Kongress im Oktober 2006 in Reaktion auf die Entscheidung des Supreme Courts in der Sache Hamdan gegen Rumsfeld (Juni 2006) den sog. Military Commission Act erlassen. Dieses Gesetz gibt dem Präsidenten das Recht, jedwede Person zum "feindlichen Kämpfer" zu stempeln bei konturenloser Breitbanddefinition, wer in so eine Kategorie fallen kann. Aus diesem Brandzeichen gibt es keine Befreiung. Dieses Gesetz entzieht den Guantànamo-Gefangenen rückwirkend auch für die anhängigen Verfahren entgegen dem klaren Votum des Supreme Court die dort mühsam errungenen Klagerechte. Wer einmal in dieses Spinnennetz gerät, kommt nicht mehr raus, jedenfalls nicht über rechtstaatliche Verfahren. Auch Klagen auf Entschädigung gegen die Haft sollen unzulässig sein, wenn man einmal zum feindlichen Kämpfer gestempelt wurde. Sollte dieses Gesetz nicht verfassungswidrig sein und sollte die neue demokratische Mehrheit dieses Gesetz nicht aufheben oder grundlegend ändern, wird es schwierig mit einer Schadenersatzklage von Herrn K. in den USA. Auf jeden Fall bedeutet dieses Gesetz eine weitere Verzögerung für alle gerichtlichen Verfahren, und "Justice Delayed is Justice Denied". Der Spuk ist also noch lange nicht vorbei. Und was macht Herr K.? Er musste lernen, ohne Fesseln zu laufen - und er macht gute Fortschritte. Er müht sich um Normalität, sucht Arbeit, möchte mal eine Familie gründen wie viele andere auch. Eine schwere Hypothek ist in seinen Tornister geladen, seine Jugend, seine Unbeschwertheit hat er verloren, dies wird ihn wohl zwangsläufig lebenslang begleiten. Noch findet er keine Ruhe um seine Person - Sie wissen, es gibt ein politisches Nachspiel. Zwei Untersuchungsausschüsse des Bundestages werden ihn anhören, im Ausschuss des Europaparlamentes zu den CIA-Renditions haben wir beide schon als Zeugen ausgesagt. Ich hoffe, dass die deutsche Mitverantwortung an dem Martyrium dieses jungen Mannes lückenlos geklärt wird. Und ich hoffe, dass diese Geschichte einmalig bleibt, dass sich so etwas nie wiederholen kann. Helfen Sie dabei! Ich danke Ihnen. * Rede anlässlich der Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille am 10. Dezember 2006