60. Jahrestag - Nürnberger Militärtribunal

Hannes Honecker Internationale Konferenz anlässlich des 60. Jahrestages des Beginns des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher im Gerichtssaal 600 des Justizpalastes in Nürnberg, Nürnberg (Deutschland), 17. - 20. Juli 2005

Zum 60. Jahrestag des Nürnberger Militärtribunals (IMT) veranstaltete das US-amerikanische Touro College Law Center unter Mitwirkung des Oberlandesgerichts Nürnberg und der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg u.a. eine viertägige Konferenz, die am ersten Tag am Ort der Verhandlung, dem Schwurgerichtssaal 600, Nürnberg stattfand.

Die Konferenz befasste sich an den ersten beiden Tagen schwerpunktmäßig mit historischen Themen. Einige der Referenten waren als Zeitzeugen eingeladen. Zu Beginn wurde zwischen Juristen aus den vier Siegermächten die Fragestellung diskutiert, welche politischen und nationalen Interessen die jeweils beteiligten Staaten mit der Einrichtung des IMT verfolgten. Interessant waren die Ausführungen zu der Entwicklung vom Morgenthau-Plan (und ähnlichen Vorhaben in den anderen Staaten), der vorsah, eine Hauptkriegsverbrecherliste von etwa 25000 Personen zu erstellen, diese identifizieren, festnehmen und liquidieren zu lassen, zu dem später durchgeführten Versuch, rechtsstaatlich auf die Verbrechen der Nazis zu reagieren. Der mit auf dem Podium sitzende Richter des UN-Jugoslawientribunals, Prof. Albin Eser erwiderte in seinem Beitrag eindrücklich auf die vergangenen und aktuellen Einwände gegen die Legitimität des IMT.

Danach setzten sich die Referenten mit der historischen Bedeutung der Nürnberger Prozesse auseinander. Die Alliierten verbanden mit dem Gerichtshof nicht nur die Absicht, die Schuldigen zu bestrafen sondern auch zu dokumentieren, was in Europa unter dem Naziregime geschah. Prof. Michael Marrus, Centre of Holocauststudies an der Universität Toronto (Kanada) etwa betrachtete das Tribunal unter dem Gesichtspunkt der Aufarbeitung des Genozids und stellte fest, dass es dem Tribunal gelungen sei, den Holocaust in einem für den Zeitpunkt Ende 1945 beachtlichen Ausmaß aufgearbeitet zu haben. So konnte schon zu diesem Zeitpunkt die Zahl der ermordeten Europäischen Juden mit 6 Millionen beziffert werden; eine Zahl, die auch nicht durch die spätere Geschichtsschreibung revidiert werden musste.

Prof. Sam Garkawe, Law University Lismore (Australien), monierte dagegen das Fehlen von Opferzeugen in dem Verfahren. Dies habe das Verfahren zum einen langweilig gemacht, zum anderen dazu geführt, dass sich die traumatisierten Opfer nicht äußern und die deutsche Öffentlichkeit keinen Anteil an den Verbrechen nehmen konnten. Opferbeteiligung sei seines Erachtens eine Frage der Gerechtigkeit. Für den Internationalen Strafgerichtshof meint er, sei das kontradiktorische Verfahren insoweit die ungeeignete Verfahrensform, da sie keine Verfahrensbeteiligung von Opfern vorsehe.

Prof. Lawrence Douglas, Amherst College (USA), erwiderte, dass auch kontinentaleuropäische Verfahrensordnungen nicht in der Lage seien, Verfahren dieser Art ein ausreichendes und angemessenes Reglement zur Verfügung zu stellen. Er wies auf die historische Bedeutung des IMT hin. Es sei das erste Verfahren universeller Art gewesen, das sich mit der Vorgesetztenverantwortlichkeit auseinandersetzte. Gleichzeitig stellte er aber die Frage, welches der pädagogische Effekt der Verfahren gewesen sei. Einerseits genieße das Nürnberger Tribunal heute auch in Deutschland ein hohes Ansehen als die Geburtsstunde universeller Jurisdiktion. Das sei früher anders gewesen. Insoweit habe es eine Entwicklung gegeben. Andererseits habe sich die deutsche Bevölkerung mit der Schuld der Haupttäter eine Exkulpation geschaffen. Insbesondere kritisierte er, dass der neu geschaffene Straftatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nur eine untergeordnete Rolle in der Reihe der Anklagepunkte gespielt habe.

In einer Abendveranstaltung trat Whitney R. Harris, Mitglied des Anklageteams und Assistent des Chefanklägers Robert Jackson, auf. Harris, im Programm als "rastloser Ritter für den Weltfrieden" beschrieben, war Vertreter der Anklage im Fall gegen den Chef des Sicherheitsdienstes und des Reichssicherheitshauptamt Kaltenbrunner. Er gab dem Abend im Schwurgerichtssaal 600 einen skurrilen Zug, indem er seinen Zeitzeugenbericht in der dramatisch detailliert beschriebenen Hinrichtung Ribbentrops, an der er wohl nicht ohne Genugtuung teilnahm, gipfeln ließ.

Der Montagvormittag war der historisch-philosophischen Perspektive verpflichtet. Prof. Reginbogin, Touro College Potsdam, befasste sich mit der Geschichte der strafrechtlichen Aufarbeitung von Kriegsverbrechen. Er spannte einen Bogen von den Prozessen von Leipzig, in denen deutsche Gerichte sich in den zwanziger Jahren nur unzulänglich ihrer im Versailler Vertrag kodifizierten Verpflichtung der Ahndung von Kriegsverbrechen der Reichswehr widmeten bis zum Nürnberger Militärtribunal. Dass die Alliierten nicht mehr wollten, dass die deutsche Justiz die Verbrechen der Nazis ahndet, hatte nicht nur mit der bekannten Verstrickung der Justiz in die Verbrechen der NS-Regierung zu tun, sondern ruhte auch auf der Erfahrung der Verfahren von Leipzig.

Prof. Benjamin B. Ferencz, ebenfalls ehemaliger Ankläger im so genannten Einsatzgruppenprozess gab einen Einblick in die Arbeitsbedingungen der Anklagebehörde in dem weltweit größten Mordverfahren. Die Einsatzgruppen ermordeten in einer ersten Vernichtungswelle, noch vor der Industrialisierung der Morde in den Vernichtungslagern, der Wehrmacht folgend über eine Millionen osteuropäische Juden von Hand und in unermesslicher Grausamkeit. Ferencz erhob sich in angenehmer Weise über das nationale Pathos seines Kollegen Harris. Er stellte klar, dass sein Kampf für die Gerechtigkeit heute auch bedeute, dass er sich mit der völkerrechtswidrigen, und in der Argumentation mit der Putativ-Notwehr an die Angeklagten Hauptkriegsverbrecher erinnernde Argumentation der USA im Irak-Krieg befassen wolle.

Am Montagnachmittag enttäuschten die Referenten Prof. Harry Reicher, Pennsylvania Law School (USA), Dr. Roland Bank, Rechtsberater der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" Berlin und Prof. Louise Harmon, Touro Law Center Huntington (USA) unsere Erwartung. Sie sollten ausweislich des Programms über die dem Hauptkriegsverbrecherprozess folgenden Prozesse gegen Mediziner, Juristen und Industrielle referieren. Sie hinterließen dabei aber den Eindruck, zu den Verfahren gar nichts sagen zu können und waren damit eine komplette Fehlbesetzung. Allerdings verstärkte dieser Programmteil den Eindruck, als wollten sich die Veranstalter eher mit der symbolischen Bedeutung des Verfahrens gegen die Hauptkriegsverbrecher befassen als eine politische Analyse der Entwicklung der universellen Gerechtigkeit nach Nürnberg zu leisten.

Am Dienstagmorgen schilderte Richter am Obersten Gericht in Israel und Ankläger im Eichmann-Prozess, Gabriel Bach seine Erlebnisse aus dem Verfahren gegen - und aus persönlichen 4-Augen-Gesprächen mit - Adolf Eichmann. Bach berichtete von der Notwendigkeit, eine Vielzahl von Zeugen zu hören, die den konkreten Nachweis der Folgen der Tötungsanordnungen Eichmanns liefern mussten. Eine seiner eindringlichsten Erfahrungen war die Zeugenaussage eines ehemaligen Inhaftierten, der die Ermordung seiner Frau, seines Sohnes und seiner Tochter in dem kleiner werdenden roten Punkt, der Farbe des Mantels seiner 2 ½-jährigen Tochter in Auschwitz als letzte bildhafte Erinnerung zusammenfasste. Er wies darauf hin, dass dies ein Bild in Schindlers Liste geworden sei, in welchem Steven Spielberg diese Zeugenaussage in dem ansonsten in Schwarz-Weiß gehaltenen Film filmisch festhielt. Bach fasste die Hauptauseinandersetzungen im Verfahren zusammen, die er in der Entführung Eichmanns aus Argentinien und der Sorge um ein nicht vorurteilsfreies Verfahren im Land der Opfer sah. Auch problematisierte er, dass Eichmann der einzige zum Tode verurteilte und hingerichtete Angeklagte in Israels Geschichte war.

Danach beleuchtete Greg James, Richter am Supreme Court in New South Wales, die in Australien stattgefundenen Verfahren gegen Kriegsverbrecher des 3. Reichs und der japanischen Diktatur.
Prof. Michael Bayzler, Witthier Law School, Costa Mesa (USA), referierte über den Fall Demjanjuk, der als Iwan der Schreckliche aus dem Vernichtungslager Sobibor bekannt wurde sowie zu vornehmlich aufenthaltsbeendigenden Maßnahmen, mit denen die USA auf die Erkenntnis reagierte, dass sich unter Einwandern auch potentielle Kriegsverbrecher befanden. Demjanjuk wurde in den USA als Iwan der Schreckliche ermittelt, jedoch nicht an die Ukraine, sondern auf eigenen Wunsch nach Israel ausgeliefert, wo er in einem Großverfahren zum Tode verurteilt wurde, nach neuen in den USA ermittelten Zeugenaussagen und Beweismitteln jedoch erneut in die USA zurückgeliefert werden musste.

Vor der Mittagspause referierte Prof. Kress, Universität Köln Deutschland) zur Rolle der Bundesrepublik bei der Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs, die er als zunehmend aktiv hervorhob. Die bayerischen Behörden haben durch die Auslieferung Tadic in einem anklagereifen Verfahren an das Jugoslawien ad hoc Tribunal (ICTY) und die Bundesbehörden durch die Unterstützung des Internationalen Strafgerichtshofs eine durchaus proaktive Rolle gegenüber einer Vielzahl anderer Staaten gespielt. Diese werde nur durch den noch immer bestehenden Vorbehalt der BRD gegen Art. 7 Abs. 2 EMRK kontrastiert. Art. 7 II EMRK stellt eine Lockerung des ansonsten absolut geltenden Rückwirkungsverbots dar. Das Motiv dieser Lockerung wird im Schutz des IMT vor dem Vorwurf gesehen, gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen zu haben. Der Vorbehalt wiederum wird als bloßer Ausdruck der Missbilligung der Urteile gesehen. Da Art. 103 GG (absolutes Rückwirkungsverbot) sowie Vorrang vor Art. 7 II EMRK habe, plädierte Kress konsequent für die Aufhebung und des Vorbehalts und damit die Rücknahme der Missbilligung der Urteile des IMT.

Herr Hans-Peter Kaul, deutscher Richter am Internationalen Strafgerichtshof und Präsident der Vorverfahrensabteilung hielt die Bedeutung des IMT für die Geburt der universellen Jurisdiktion hoch und warb vor der stark von US-amerikanischen Teilnehmern geprägten Konferenz und unter deren großem Applaus für die Zustimmung und Mitwirkung der USA am Internationalen Strafgerichtshof.

Unmittelbar im Anschluss an seinen Vortrag konterkarierte Prof. Anne Bayefsky, Touro Law Center Huntington (USA) dessen Plädoyer für die Mitwirkung der bislang nicht zu den Unterzeichnern gehörenden Staaten. Sie stellte die These auf, dass die Idee von Nürnberg sich gegen die Opfer der Verbrechen gewandt habe, deren Aburteilung in Nürnberg anstand. Sie begründete dies mit der Vielzahl der UN-Resolutionen gegen Israel sowie zuletzt wegen der IGH - Entscheidung zur Errichtung eines Sicherheitszaunes; dagegen gebe es keine Resolutionen der Vereinten Nationen gegen den Terror der Hamas. Die UN versagten in der Feststellung eines Genozids in Dafur, Sudan, dem Kampf gegen die Unterdrückung einer Milliarde Chinesen, die Menschenrechtswidrigkeit von Verstümmelungen von Dieben im Iran oder Saudi Arabien, sowie die Strafen der Kreuzigung und Steinigung in diesen Ländern. Die Wahrnehmung einer großen Zahl der befragten Personen von Israel als Bedrohung für den Weltfrieden nach einer neuen Studie der UN sei es, warum Israel neben den USA nicht die Statuten von Rom ratifiziert hätten. Israel, so befürchtet Bayefsky, wäre nach dieser Wahrnehmung seiner Politik ständig in der Rolle der Beschuldigten. Dies sei ein Umstand, der seine ganze Bevölkerung treffe, die zur Verteidigung gegen den Terror allesamt Grundwehrdienst leisten müssten.

Prof. Andreas Zimmermann aus Kiel musste dann zu Beginn seiner Rede zunächst die Serie sachlicher Unrichtigkeiten aus dem Vortrag Bayefskys klarstellen; insbesondere die Ausführungen der Referentin zum Internationalen Strafgerichtshof und dessen Statut und ihre Rechtfertigung der Weigerung der Unterzeichnung Israels wurden damit als ideologisches Statement entlarvt.

Die mit dem Referat Bayefsky entstehende deutliche Kontroverse wurde leider nicht diskutiert. Die Veranstalter hatten nämlich im Anschluss an die Vorträge zu keiner Zeit Diskussionen vorgesehen. Solche waren offensichtlich nicht erwünscht. Die Konferenz, mit einem extrem dicht gesteckten Programm, mit jeweils 5-6 Referaten am Vormittag und ebenso vielen am Nachmittag, erweckte den Eindruck, eher eine Festveranstaltung zum 60. Jahrestag des IMT, denn eine wissenschaftliche Konferenz zu sein. Folgte man der Schwingung der Konferenz, hinterließen die Veranstalter den Eindruck, einen Mythos schaffen zu wollen. Dieser könnte lauten, der IMT sei Grundstein der universellen Jurisdiktion, errichtet durch die USA. Die sich beständig aufdrängenden aber aus dem Publikum nicht gestellten, allenfalls in Nebensätzen der Referenten auftauchende Frage der heutigen Rolle der USA in Fragen universeller Gerechtigkeit sollte wohl die Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag und die Bedeutung der Zeitzeugen nicht trüben. Einen Ausblick darauf, dass universelle Gerechtigkeit stark von politischen Interessen der Staaten geleitet wird, die sie sprechen sollen, leistete die ansonsten erstaunliche Konferenz nicht. Festzuhalten bleibt, dass es ein außerordentlich beeindruckendes Erlebnis ist, Zeitzeugen der strafrechtlichen Befassung mit NS-Verbrechen am Ort des Geschehens zu hören. Auch wenn die Ausführungen des Anklägers Harris erschreckend waren, bleibt natürlich der Eindruck, den der Vernehmer und Ankläger eines Verwaltungsmassenmörders namens Kaltenbrunner hinterlässt. Gerechtigkeit im Zusammenhang mit Völkermord ist rar. Ihre Durchsetzung hing von vielen Zufällen, dem unbändigen Willen einiger weniger Leute, die die politischen Zeichen der Zeit lesen konnten und davon ab, dass die USA sich gegen die Interessen der Sowjetunion durchsetzen konnte. Denn die Sowjetunion wollte lediglich eine noch zu verhandelnde Zahl von Kriegsverbrechern erschießen lassen. Der Internationale Strafgerichtshof ist als Fortschritt gegenüber den, von den jeweiligen politischen Stimmungen abhängenden Entscheidungen einzelner Staaten abhängenden Ad-hoc-Gerichten zu werten. Dabei ist entscheiden natürlich, ob er sich über den gegenwärtigen Status, ein eher afrikanisches Gericht zu sein, erheben kann. Hannes Honecker arbeitet als Rechtsanwalt in Berlin.