Strafanzeige gegen Donald Rumsfeld

Wolfgang Kaleck Strafanzeige gegen den US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, den ehemaligen CIA-Direktor George Tenet, den General Ricardo Sanchez und andere Mitglieder der Regierung und der Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika wegen Kriegsverbrechen und Folter zum Nachteil irakischer Internierter im Gefängnis Abu Ghraib, Irak 2003/2004 Mit den beigefügten Vollmachten und Untervollmachten zeige ich an, dass ich die rechtlichen Interessen folgender Organisationen und Einzelpersonen vertrete:

1. Center for Constitutional Rights, vertreten durch den Präsidenten, Rechtsanwalt Michael Ratner und den Vizepräsidenten, Rechtsanwalt Peter Weiss, Broadway 666, 10014 New York, USA,
und die irakischen Staatsbürger
2. Ahmed Hassan Mahawis Derweesh
3. Faisal Abdulla Abdullatif
4. Ahmed Salih Nouh
5. Ahmed Shehab Ahmed Bei dem Anzeigenerstatter zu 1), dem Center for Constitutional Rights, handelt es sich um eine seit 1966 in den USA arbeitende Bürgerrechtsorganisation (vgl. www.ccr.org ), die seit dem Jahr 2002 unter anderem Internierte aus Guantánamo und ehemalige Häftlinge von Abu Ghraib zivil- und strafrechtlich vertritt. Rechtsanwalt Michael Ratner ist Präsident des Center for Constitutional Rights. Rechtsanwalt Peter Weiss ist Vizepräsident des Center for Constitutional Rights. Bei den Einzelpersonen von 2) bis 5) handelt es sich um irakische Staatsbürger, die 2003 und 2004 Opfer von Folter und Misshandlungen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib und in anderen Lagern geworden sind. Namens und in Vollmacht meiner Mandanten erstatte ich Strafanzeige wegen sämtlicher in Betracht kommender Straftatbestände, namentlich wegen Kriegsverbrechen gegen Personen, §§ 8, 4, 13 und 14 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) sowie wegen gefährlicher Körperverletzung, §§ 223, 224 Strafgesetzbuch (StGB) i. V. m. §§ 1 VStGB, 6 Nr. 9 StGB und der UN-Folterkonvention gegen folgende US-amerikanische Staatsbürger 1. - 10. ....
sowie gegen alle weiteren namentlich benannten und nicht benannten Beteiligten an den nachfolgend geschilderten Straftaten. Ein Verbrechen wird begangen. Die Täter werden bekannt. Ein kleiner Teil von ihnen wird bestraft. Durch ihre Aussagen, durch Medienberichte und durch interne Untersuchungsberichte wird deutlich, dass sie mindestens teilweise auf Anweisung ihrer Vorgesetzten handelten. Doch ihre Vorgesetzten bleiben straffrei. Eine absurde Vorstellung?
Im April 2004 war die Welt geschockt, als die ersten Fotografien über die brutalen und entwürdigenden Misshandlungen von Inhaftierten im irakischen Gefängnis Abu Ghraib durch ihre US-amerikanischen Bewacher und Vernehmer auftauchten. Die erste Reaktion war ein ungläubiges Erstaunen darüber, dass solch barbarische Praktiken im beginnenden 21. Jahrhundert angewandt werden. Nach und nach ermittelten die Medien und offiziellen Untersuchungen das Ausmaß und den Hintergrund der Verbrechen. Es wurde deutlich, dass
- die euphemistisch als Missbrauch ("abuse") bezeichneten Taten in Wirklichkeit Folter und andere schwere Verletzungen des internationalen Kriegsvölkerrecht darstellten,
- die angewandten Praktiken nicht Ausfluss des Werks einer Handvoll von sadistischen Einzeltätern waren, vielmehr die Praktiken unter US-Militärs weit verbreitet und ständig sowohl in Afghanistan als auch in Guantánamo und Irak sowie in bekannten und unbekannten Haftzentren in anderen Ländern angewandt wurden,
- die Verbreitung dieser Praktiken nicht nur entweder direkt oder indirekt von höchsten Funktionären der US-amerikanischen Regierung angeordnet wurde, sondern durch unkorrekte und falsche rechtliche Auskünfte von zivilen und militärischen Juristen im Dienste der Regierung mitverursacht worden waren. An der Vorgeschichte des Skandals und den Vorfällen von Abu Ghraib lässt sich studieren, mit welchen Methoden der Krieg gegen den Terrorismus seit dem 11. September 2001 geführt wird. Das Recht auf Krieg (ius ad bellum) wird neu diskutiert und beim Irak-Krieg in Anspruch genommen, ohne dass völkerrechtliche Begrenzungen, insbesondere durch die Charta der Vereinten Nationen, noch eine Rolle spielten. Außerdem werden das humanitäre Völkerrecht und andere rechtliche Schranken zunehmend außer acht gelassen. Man bekämpft einen schwer zu bestimmenden Feind auf unabsehbare Zeit und beansprucht dabei, alle Mittel effizienter Kriegsführung einsetzen zu können. Man schlägt mit den Mitteln derer zurück, die man bekämpfen will. Das Recht scheint in diesem Konflikt dauerhaft der Macht und dem politischen Dezisionismus weichen zu müssen. Der politische Philosoph der Gegenrevolution, Carl Schmitt, schrieb seinerzeit in seinem Werk ‚Politische Theologie': "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet". In einer Zeit, in der der dauerhafte Ausnahmezustand proklamiert wird, bestimmt dieses Diktum mehr und mehr den politischen Alltag oder wie es der italienische Philosoph Giorgio Agamben (in: Homo Sacer, Frankfurt a.M., 2002, S. 177) ausdrückt: "Der Ausnahmezustand ist damit nicht mehr auf eine äußere und vorläufige Situation faktischer Gefahr bezogen und tendiert dazu, mit der Norm selbst verwechselt zu werden". Wer demgegenüber auf das Recht als Mittel zu Regulierung gesellschaftlicher Prozesse setzt, wird immer wieder mit Zweckmässigkeitsüberlegungen konfrontiert. Die weltweite ethische, theoretische und juristische Anerkennung des Folterverbotes nahm viele Jahrzehnte in Anspruch, dennoch ist die Folter eine nach wie vor in Dutzenden von Staaten gängige Praxis. Der Kampf gegen die Folter ist daher sowohl in jedem konkreten Fall wie auch abstrakt von zentraler Bedeutung für die Zukunft eine humane und zivilisierte Menschheit. Gegen die Folter zu kämpfen, bedeutet, ihrer Propagierung entschieden entgegenzutreten und sich für die Bestrafung der unmittelbaren Folterer und der Organisatoren von Folterpraktiken einzusetzen. In diesem Sinne sollte auch die vorliegende Strafanzeige verstanden werden. Demgegenüber würde eine andauernde Straflosigkeit für die Drahtzieher und Hintermänner der Kriegsverbrechen von Abu Ghraib und anderswo falsche Zeichen setzen. Die vielen Regierungen der Welt würden sich ermutigt fühlen, ihre leider nur zu weit verbreiteten Folterpraktiken fortzusetzen. Genau diese Situation hatte der amerikanische Chefankläger der Nürnberger Prozesse, Robert Jackson vor Augen, als er in seinem Eröffnungsplädoyer am 21. November 1945 ausführte:
"Lassen sie es mich deutlich machen: auch wenn dieses Recht hier erstmals gegen die deutschen Aggressoren angewandt wird, gehört zu diesem Recht, wenn es Sinn machen soll, dass es Aggressionen durch jede andere Nation verurteilen muss, einschließlich derer, die hier gerade das Gericht bilden. Wir sind nur dann in der Lage, Tyrannei und Gewalt und Aggression durch die jeweiligen Machthaber gegen ihr eigenes Volk zu beseitigen, wenn wir alle Menschen gleichermaßen dem Recht unterwerfbar machen."
Eine der bedeutendsten Juristen des letzten Jahrhunderts spricht also aus, worum es bei dem vorliegenden Fallgeschehen auch geht: die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz, die Grundlage allen Rechts. Eine Strafanzeige in der Bundesrepublik Deutschland wegen an irakischen Bürgern im Irak begangenen Menschenrechtsverletzungen gegen den Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) und andere ranghohe militärische und zivile Vorgesetzte mag Fragen provozieren. Die professionelle Seriosität des Projekts wird ebenso wie die Ernsthaftigkeit des Anliegens bezweifelt werden. Den an diesem Projekt Beteiligten wird das Realitätsbewusstsein abgesprochen werden. Dies verwundert deswegen kaum, weil sich das Völkerstrafrecht seit seinen Anfängen mit diesen Vorbehalten hat auseinandersetzen müssen. Nach wie vor erscheint es selbstverständlicher, eine Strafanzeige wegen Untreue und Betruges zu erstatten, als einen amtierenden oder ehemaligen Hoheitsträger, womöglich noch einer ausländischen Regierung, anzuzeigen und ernsthaft zu verlangen und auch zu erwarten, dass bundesdeutsche Strafverfolgungsbehörden Ermittlungen aufnehmen. Allerdings wäre auch der chilenische Ex-Diktator Pinochet 1998 nie in London verhaftet worden, wenn sich Menschenrechtsorganisationen und die zuständigen Staatsanwälte nur der Logik des Machbaren und Rea-listischen verschrieben hätten. Wie berechtigt also Fragen von Laien sein mögen, so wenig berücksichtigen sie die rasante Entwicklung des Völkerstrafrechts seit der Errichtung des Jugoslawien- und des Ruanda-Strafgerichtshofs der Vereinten Nationen 1993 und 1995 sowie der Aufnahme der Arbeit des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag 2002. In der Ära nach den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen wurde der Folte-rer wie früher der Pirat zum Feind der gesamten Menschheit, hostis humani generis, erklärt. Dies war die explizite Auffassung des US-amerikanischen Berufungsgerichts 1980 in dem Verfahren des Fol-teropfers Filgartiga gegen einen paraguayischen Folterer, in dem die Menschenrechtsanwälte Peter Weiss sowie die Anzeigenerstatter zu 1), das Center for Constitutional Rights den Grundstein für die Anwendung des Alien Tort Claims Act auf viele Zivilverfahren in den USA von Opfern von Menschenrechtsverletzungen gegen die Verantwortlichen legten. Seitdem wurde dieses hervorragende Beispiel universeller Jurisdiktion in Dutzenden von derartigen Fällen von US-Gerichten praktiziert. Dies ist auch der Grundgedanke des Internationalen Strafgerichtshofes und wird in der Präambel des IStGH-Statuts so ausgedrückt, dass die Kernverbrechen des Völkerstrafrechts "schwerste Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren", sind (vgl. auch Gerhard Werle, Völkerstrafrecht, 2003, S. 30 ff.). Zu diesen Völkerrechtsverbrechen zählen unstreitig die Kriegsverbrechen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Völkermord und das Aggressionsverbrechen. "Aus dieser universellen Natur der Völkerrechtsverbrechen folgt, dass die Völkergemeinschaft grundsätzlich befugt ist, diese Verbrechen zu verfolgen und zu bestrafen, unabhängig davon, wo, durch wen oder gegen wen die Tat begangen worden ist." (Werle, a.a.O., S. 68). Daraus ergibt sich nicht nur die Grundlegitimation der internationalen Gemeinschaft und damit des Internationalen Strafgerichtshofs, solche Straftaten zu verfolgen. Auch den einzelnen Staaten steht diese Strafbefugnis zu. "Völkerrechtsverbrechen sind keine inneren Angelegenheiten" (vgl. Werle, a.a.O., S. 69). Für Völkerrechts-verbrechen gilt daher das Weltrechtspflegeprinzip. Genau aus diesem Grunde wurde mit breiter Zustimmung des Bundesrates und des Bundestages das Völkerstrafgesetzbuch in Deutschland beschlossen, das am 30. Juni 2002 in Kraft getreten ist. Das Völkerstrafgesetzbuch hat sich zum Ziel gesetzt, "das spezifische Unrecht der Verbrechen gegen das Völkerrecht besser zu erfassen, als dies nach allgemeinem Strafrecht derzeit möglich ist" und "im Hinblick auf die Komplementarität der Verfolgungszuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshof zweifelsfrei sicherzustellen, dass Deutschland stets in der Lage ist, in die Zuständigkeit des IStGH fallende Verbrechen selbst zu verfolgen" (vgl. Bundestags-Drucksache 14/8524, S. 11 ff.). Deswegen wird in § 1 des Völkerstrafgesetzbuches das Weltrechtsprinzip ausdrücklich für alle in ihm bezeichneten Verbrechen gegen das Völkerrecht festgeschrieben "auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland auf-weist" (§ 1 VStGB). Das Völkerstrafgesetzbuch ist nicht zuletzt deswegen als eines der weltweit ersten nationalen Gesetzgebungsprojekte anzusehen, dass das Völkerstrafrecht nach dem Inkrafttreten des IStGH-Statuts regelt. Das IStGH hat unter anderem das Ziel, "durch die Schaffung eines einschlägigen Regelwerkes das humanitäre Völkerrecht zu fördern und zu seiner Verbreitung beizutragen" (vgl. Bundestags-Drucksache 14/8524, S. 12). Diese Ausgestaltung des Völkerstrafgesetzbuches war ein maßgeblicher Grund, warum die irakischen Anzeigenerstatter und ihre US-amerikanischen Rechtsanwälte sowie die Anzeigenerstatter zu 1), das Center for Constitutional Rights, die nachfolgende Strafanzeige in Deutschland erstatten. Der andere, entscheidendere Grund für die Anzeigenerstattung ist, dass strafrechtliche Verfolgung bezüglich der in Abu Ghraib Straftaten in den USA offensichtlich nur in sehr eingeschränktem Maße stattfindet und stattfinden soll (dazu unten mehr, 5.2.1.). In der Strafanzeige soll zunächst der Weg vom 11. September 2001 zu den Vorfällen von Abu Ghraib nachgezeichnet werden (dazu 2.1.). Eine Reihe von ähnlich gearteten Vorfällen, insbesondere die An-wendung von Vernehmungsmethoden in Afghanistan und Guantánamo, wird geschildert. Dies bedeutet nicht, dass diese Vorfälle hier ausdrücklich mit angezeigt werden sollen. Ihre Kenntnisnahme je-doch zum Verständnis des Hintergrundes der in Abu Ghraib angewandten Methoden unumgänglich und notwendig, um den Vorsatz der beschuldigten zivilen und militärischen Vorgesetzten zu begründen. Im Nachfolgenden sollen dann im Wesentlichen nach dem offiziellen Armeebericht von Fay/Jones von August 2004 die Einzelfälle von Gefangenenmisshandlungen und Folter im Gefängnis von Abu Ghraib geschildert werden (2.2.). Die juristische Würdigung dieser Vorfälle ergibt eindeutig ihre Qualifikation als Kriegsverbrechen und Folter im Sinne des § 8 VStGB sowie der entsprechenden internationalen Vorschriften (3.). Der amerikanische Verteidigungsminister Donald H. Rumsfeld und die anderen neun Beschuldigten haben entweder durch aktives Tun oder durch Unterlassen Kriegsverbrechenstatbestände verwirklicht. Sie sind nach den Maßstäben der Vorgesetztenverantwortlichkeit strafzuverfolgen (4.). Die deutsche Strafgewalt ist begründet und die Bundesanwaltschaft muss den Sachverhalt und die Schuldigen ermitteln, weil keine Hindernisse der Strafverfolgung in Deutschland entgegenstehen (5.).