Der Irak-Krieg und das Völkerrecht
Doch in der aktuellen juristischen und vor allem der politischen Diskussion spielt es scheinbar keine Rolle mehr, dass die US-Amerikaner und ihre Alliierten mit der Führung eines durch das Völkerrecht nicht legitimierten Krieges im Irak "die Büchse der Pandora" (so der Titel des Beitrages des Münchener Völkerrechtlers Andreas Paulus) geöffnet haben. In der Tat wird zurzeit das auslaufende (?) Besatzungsregime (dazu Rüdiger Wolfrum in: FAZ vom 28.05.2004) und vor allem die massiven Foltervorfälle im Gefängnis vom Abughraib erörtert, wenn überhaupt juristische Themen aufgegriffen werden. Denn viel mehr als rechtliche Fragen sind politische Probleme Gegenstand der Debatte: mit oder ohne UN, wie viel Besatzungsmacht? Halten Freiheit und Demokratie im mittleren Osten Einzug? Bleibt der Irak ein Pulverfass? Und schließlich nach der Aufdeckung des Lügengeflechtes, mit dem die Weltöffentlichkeit letztes Jahr getäuscht werden sollte (Massenvernichtungswaffen, Al Quaida-Verbindungen): War es nicht wenigstens sinnvoll, einen der schlimmsten und blutigsten Diktatoren der letzten 20 Jahre von der Macht zu vertreiben?
In der Dokumentation finden sich keine Verteidiger für Saddam Hussein. Das Thema, was die Herausgeber und die meisten Diskutanten treibt, ist vielmehr die Rolle des Rechts in (internationalen) Konflikten und ob das (internationale) Recht durch den Krieg einen solchen Schaden erlitten, dass es dauerhaft nicht (mehr?) als "Ordnungs- und Machtbegrenzungsrecht" funktionieren kann. Dieses Thema bleibt über die tagesaktuelle Debatte vom letzten Frühjahr hinaus hoch brisant: Trotz aller Rückschläge, vor allem der Schwierigkeiten im Irak, und trotz weltweiter Kritik haben sich die USA nach wie vor auf die Fahnen geschrieben, im Namen der westlichen Zivilisation den "Krieg gegen den Terrorismus" zu führen. Zur Erreichung dieses Zieles sollten alle Mittel recht sein. Dabei wurden sowohl das so genannte Recht auf Krieg (ius ad bellum) und das Recht im Krieg (ius in bello), vor allem die Genfer Konventionen massiv verletzt. Da aber der Krieg gegen den Terrorismus weder zeitlich noch räumlich beschränkt noch beschränkbar ist, und zudem eine der Kriegsparteien kein Staat ist, sondern die Zielgruppe der westlichen Feinderklärung so schwer zu verorten wie zu definieren ist, da dieser Krieg sowohl nach innen als auch nach außen geführt ist, droht der permanente Ausnahmezustand. Es droht die dauerhafte Installierung doppelter rechtlicher Standards für Staaten ("Schurkenstaaten"), Gruppierungen ("Terroristen") und Menschen (Bürger oder Feinde). Wie die nur mühsam zu unterdrückende deutsche Debatte um den Begriff und die Anwendung von Folter und um das Zuwanderungsgesetz und die Behandlung von islamistischen Extremisten zeigt, ist Deutschland ebenso wenig wie das gesamte good old europe vor dieser Gefahr geschützt, wie das derzeitige Enfant terrible der Weltpolitik, die USA. Das derzeitige Recht, das Völkerrecht mag unzureichend sein, - hinter die mühsam entwickelten völkerrechtlichen und menschenrechtlichen Verbürgungen darf jedoch kein Staat zurückfallen. Zur Verteidigung des Rechts als Prinzip und der Verteidigung einzelner rechtlicher Standards gehört es dann selbstverständlich dazu, mitunter ideologisch dubiose Figuren wie den Prediger Metin Kaplan zu verteidigen wie es die Kollegin Ingeborg Naumann aus Karlsruhe so hervorragend tut, auch wenn sein Gedankengut politisch auf das Schärfste bekämpft werden muss. Kai Ambos / Jörg Arnold (Hrsg.)
Der Irak-Krieg und das Völkerrecht,
Berliner Wissenschafts-Verlag, 2004