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Zur Verteidigung der Republik

Warum der RAV sich für ein Verbot der AfD einsetzen sollte

Jonas Deyda

Die Demokratie ist heute vielleicht bedrohter als je zuvor in der vierzigjährigen Geschichte des RAV. Als dieser sich 1979 in Hannover gegründet hat, hat er bewusst an die republikanische Tradition aus Weimarer Zeiten angeknüpft. Damals versammelten sich um den Republikanischen Richterbund (1922-1933) Jurist*innen, die die Demokratie verteidigten.

Aktuell kommt die Bedrohung aus verschiedenen Richtungen: von oben – etwa indem Regierungen Menschenrechte abbauen, siehe Migrationsrecht – und von rechts – durch faschistische Kräfte. Beides sind Gefahren, die aus dem Inneren jener krisenhaften Demokratie stammen, die es zu verteidigen und deswegen auszuweiten gilt.

Am autoritären Kipppunkt

Seit Frühsommer 2023 befindet sich die AfD im Höhenflug. Auf dem Europaparteitag in Magdeburg ist dem Höcke-Flügel innerparteilich der Durchmarsch gelungen. In Sonneberg (Thüringen), Großschirma und Pirna (beide in Sachsen) stellt die Partei bereits das kommunale Spitzenpersonal. Ihr erfolgreiches Abschneiden bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg bildet einen weiteren beängstigenden Höhepunkt.

Mit dem Rechtsruck in den politischen Institutionen einher geht ein dramatischer Anstieg rechter und rassistischer Gewalt. An gut zwei Dutzend Taten der letzten Jahre waren Funktionär*innen der AfD persönlich beteiligt.1 Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt hat für das Jahr 2023 den höchsten Stand rechter und rassistischer Gewalt seit 10 Jahren verzeichnet.2 In den meisten Fällen dürfte die AfD zwar nicht im juristischen Sinne verantwortlich sein, stellt aber mithilfe ihres staatlich finanzierten Parteiapparats, ihren Kampagnen und ihrer Hetze ein gesellschaftliches Klima her, das Täter*innen ermutigt.

Sollte die AfD Kontrolle über Sicherheitsbehörden, Lehrpläne und Fördergelder für Demokratie- und Integrationsarbeit erlangen, könnte ein »autoritärer Kipppunkt« erreicht werden, ab dem die AfD unsere Gesellschaft nachhaltig zu einer autoritären umbauen könnte. Das wäre nur schwer wieder rückgängig zu machen.3 Beispiele, wie die AfD demokratische Institutionen umbaut, sind, etwa in Sachsen, jetzt schon zu beobachten: Dort war nach einer Kontroverse über ein Förderprogramm des Sozialministeriums ein Untersuchungsausschuss eingesetzt worden. Dieses klassische Instrument der parlamentarischen Kontrolle der Regierung durch die Opposition deutet die AfD um und nutzt den Ausschuss stattdessen als Instrument zur Durchleuchtung der Zivilgesellschaft.

Die größten Schwachstellen des Systems und Szenarien, wie die AfD diese nutzen könnte, hat das Thüringen Projekt herausgestellt:4 Blockade der Justiz, Kündigung der Rundfunkstaatsverträge, Auswechslung der Spitzen von Polizei und Verfassungsschutz, Instrumentalisierung der Landeszentrale für politische Bildung, Schwächung des Parlaments durch Volksbefragungen. Am Kipppunkt bestünde die größte Gefahr aber nicht für staatliche Institutionen, sondern für die Menschen, die bereits jetzt durch die AfD bedroht sind und die dann gar einem von der AfD gesteuerten Staat gegenüberstünden.

Last Exit Karlsruhe?

Alle bisherigen Versuche, dem Aufstieg der AfD Einhalt zu gebieten, waren erfolglos. Das gilt zuallererst für die Versuche der anderen Parteien – von den Grünen bis zur CDU – durch Zugeständnisse und Nachahmung, etwa mit migrationsfeindlicher Law and Order-Politik, der AfD das Wasser abzugraben, genauso wie für antifaschistische Gruppen, Bündnisse und Kampagnen, die die extrem rechte Partei bisher nicht zu stoppen vermochten. Aus dieser ernüchternden Diagnose ebenso wie aus Art. 1 Abs. 2 GG und Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG sowie aus der gesellschaftlichen Verantwortung, Menschen vor der AfD zu schützen, erwächst die Pflicht, nun ein Verbot in Erwägung zu ziehen.

Dies wäre kein Wundermittel: Weder tief verankerte rassistische Einstellungen würden dadurch einfach verschwinden, noch würde ein Parteiverbot die gesellschaftlichen Ursachen des Rechtsrucks, etwa das Gefühl des Kontrollverlusts in Vielfachkrisen, beheben. Ein Verbot kann weder antifaschistische Bewegungen noch eine wirksame sozial-ökologische Politik von links ersetzen, denn das Recht kann niemals das Ringen um gesellschaftliche Kräfteverhältnisse ersetzen. Ein Verbot darf deswegen auf keinen Fall als Alternative zu einem politischen Engagement gegen rechte Einstellungen betrachtet werden. Aber es würde die AfD als Apparat, Lautsprecher, Sammelbecken und Finanzquelle treffen und damit die Verbreitung rechtsextremer Ideologie sowie die Legitimierung menschenverachtender Gewalt erschweren.

Gemäß Art. 21 II, IV GG können Parteien durch das Bundesverfassungsgericht verboten werden, wenn sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Den deutungsoffenen Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung hat das Bundesverfassungsgericht in der »NPD II«-Entscheidung neu ausbuchstabiert.5 Er umfasst nur noch die egalitäre Menschenwürde, das Demokratieprinzip und die Rechtsstaatlichkeit. Das »großangelegte Remigrationsprojekt« mit »wohltemperierter Grausamkeit«, wie Björn Höcke es formuliert, also das faschistische Programm, die Migrationsgesellschaft in Deutschland rückabzuwickeln, könnte nur unter Verletzung dieser Grundsätze umgesetzt werden. Und das wurde vom Parteivorstand, allen ostdeutschen Fraktionsvorsitzenden und etlichen Funktionär*innen gefordert.

Wie aussichtsreich ist ein Verbotsverfahren?

Anders als in den 2003 und 2017 gescheiterten NPD-Verfahren könnte ein Verbotsverfahren nicht auf das schriftliche Programm der AfD gestützt werden. Die AfD hat verschiedene Schutzerklärungen veröffentlicht, in denen sie ihre Verfassungstreue beschwört, wie die »Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität« von 2021 oder das »Positionspapier zur Remigration« von 2024. Deswegen müssten in akribischer Detailarbeit Äußerungen von Funktionär*innen, intellektuellen Autoritäten, Mitgliedern und der Anhängerschaft über Billigung, Duldung und fehlende Distanzierung der Gesamtpartei zugerechnet werden. Die Zurechnungsfrage stellt sich sowohl auf der »Gesinnungsebene«, also der Ausrichtung gegen Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaat, als auch auf der »Tatebene«, also dem planvollen Handeln, um diese Ziele zu verfolgen.6 Die Zurechnungsfrage ist damit die zentrale Hürde für das AfD-Verbot.

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hat im Mai 2024 entschieden, dass der Verfassungsschutz die gesamte AfD als Verdachtsfall führen und beobachten darf.7 Trotz der unterschiedlichen Voraussetzungen sollte es optimistisch stimmen, dass dabei keine ihrer Schutzbehauptungen und halbherzigen Distanzierungen verhindern konnte, dass der Gesamtpartei die zahlreichen menschenfeindlichen Äußerungen von Höcke, Weidel, Krah, Baum und Co zugerechnet wurden. In einem Verbotsverfahren müsste dann noch bewiesen werden, dass es sich dabei nicht nur um eine Strömung innerhalb der Partei handelt, sondern um eine Grundtendenz, die die gesamte Partei charakterisiert. 

Die Gründe, aus denen die beiden Anläufe für ein Verbot der NPD scheiterten, sind im Fall der AfD hingegen irrelevant. Einer davon war die Potentialität, also die Möglichkeit einer Partei, ihre Ziele auch umzusetzen. Die AfD ist in allen Parlamenten vertreten und regional teils stärkste Kraft. Gleiches gilt für das Verfahrenshindernis der fehlenden Staats- und Quellenfreiheit, an dem 2003 das erste NPD-Verfahren gescheitert war, weil die Partei bis in die Spitzengremien mit vom Staat bezahlten V-Leuten durchsetzt war.8 Das OVG Münster gelangte indes zu der Überzeugung, dass nur ein verschwindend geringer Teil der Belege in dem Verfahren zur AfD von V-Leuten stammt und die Prozessstrategie nicht vom Verfassungsschutz (VS) ausgespäht wird.

Die Rolle des RAV

Laut einer Recherche des Juristen und Journalisten Ronen Steinke wird das nächste VS-Gutachten zur Hochstufung der AfD bereits erstellt.9 Außerhalb der Verfassungsschutzbehörden existiert bisher keine Prüfung der Verfassungswidrigkeit der AfD, die sich auf eine umfassende Materialsammlung stützt. Es ist deswegen wichtig, dass der RAV sich im Verbund mit anderen Bürgerrechtsorganisationen für eine belastbare verfassungsrechtliche Prüfung einsetzt. Damit können Unklarheiten im Diskurs ausgeräumt werden. Bürgerrechtsorganisationen könnten dem Verfassungsschutz so auch das Einschätzungsmonopol streitig machen und Vorarbeiten für einen aussichtsreichen Verbotsantrag leisten.

Neben den juristischen Fragen besteht vor allem die politische Herausforderung, sowohl gesellschaftliche Mehrheiten als auch politische Mehrheiten in den antragsberechtigten Verfassungsorganen herzustellen. Dies sind der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung. Der RAV beteiligt sich deswegen an der Initiative »Menschenwürde verteidigen – AfD-Verbot jetzt!«. Große Teile der Zivilgesellschaft trauen sich momentan jedoch nicht, offen für ein Verbot einzutreten – wegen unbestreitbarer Risiken, etwa Kontroversen unter Mitgliedern oder Sorgen, als Organisation den Status als gemeinnützig zu verlieren. Umso wichtiger ist es, dass der RAV juristisch versiert und politisch mutig vorangeht.

Ein strategisches Dilemma

Dabei stellt sich ein strategisches Dilemma. Eine Verbotskampagne droht, die Mehrheitsgesellschaft zu entlasten, indem sie den Rassismus der Mehrheit und des Staates auf scheinbar äußere Verfassungsfeinde externalisiert.10 Trotz unbestreitbarer qualitativer Unterschiede berühren sich die Regierungspolitik der Ampel-Koalition (»Endlich wieder in großem Stil abschieben«) und die Remigrationsphantasien der AfD. Um die AfD zu verbieten, bedarf es aber auch der Stimmen der Parteien, die den Abbau individueller Schutzrechte mit der europäischen GEAS-Reform verantworten.

Der RAV könnte einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass in zivilgesellschaftlichen Debatten die Verteidigung unteilbarer Menschenrechte und die Mehrheitsbeschaffung für ein AfD-Verbot nicht gegeneinander ausgespielt werden. In dieser Rolle würde der RAV seine republikanische Traditionslinie zeitgemäß ausbuchstabieren, indem er gleichzeitig eine unvollkommene Demokratie verteidigt und für eine zukünftige, postmigrantische Demokratie kämpft, die sich nicht als Festung abschottet. Dafür ist es richtig, dass der RAV sich in diesem Augenblick einer Gefahr für viele Menschen – ausnahmsweise – politisch für ein Parteiverbot einsetzt. Schließlich lautet unser Selbstverständnis: »Für den Anwaltsberuf heißt das, Recht als Waffe zu verstehen, es für Schwächere gegen Herrschaft einzusetzen und es auf die republikanischen Ziele hin weiterzuentwickeln«.

 

Jonas Deyda arbeitet aktuell an seiner Dissertation im Bereich Rechtsgeschichte und lebt in Leipzig. Zum RAV ist er durch #unteilbar gestoßen, für den Verein ist er unter anderem aktiv bei der Kampagne »Menschenwürde verteidigen – AfD Verbot jetzt«.

 

1   VBRG, Besorgniserregende Gewaltbereitschaft bei AfD-Funktionär*innen: https://verband-brg.de/analyse-gewaltbereitschaft-bei-afd-funktionaer-innen/

2   VBRG, Rechte, rassistische und antisemitische Gewalt in Deutschland 2023: Eine alarmierende Jahresbilanz der Opferberatungsstellen: https://verband-brg.de/rechte-rassistische-und-antisemitische-gewalt-in-deutschland-2023-jahresbilanzen-der-opferberatungsstellen/#pressemitteilungen_mitglieder.

3   »Am autoritären Kipppunkt«, Kommentar von Daniel Mullis, Maximilian Pichl und Vanessa E. Thompson, taz, vom 02. Juni 2023.

4   Beck/Jaschinski/Kordt/Müller-Elmau/Talg, Rechts-staatliche Resilienz in Thüringen stärken. Handlungsempfehlungen aus der Szenarioanalyse des Thüringen-Projekts, 2024.

5   BVerfG »NPD-Verbot II«, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20.

6   BVerfG »NPD-Verbot II«, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, Rn. 561ff, 575ff.

7   OVG Münster »Verdachtsfall AfD«, Urteil vom 13. Mai 2024 – 5 A 1218/22.

8   BVerfG »NPD I«, Beschluss vom 18. März 2003 – 2 BvB 1/01 -, juris.

9   Ronen Steinke, Süddeutsche Zeitung, vom 25. Februar 2024, »Verfassungsschutz bereitet neue Einstufung der AfD vor«.

10 Barskanmaz, Staatliche Schutzpflichten gegen Rassismus statt AfD-Verbot, Verfassungsblog 2024.