»Freitags bleibt unsere Kanzlei geschlossen«
Ein alternatives Arbeitszeit- und Gehaltsmodell
Friederike Boll im Interview mit Vivian Kube
Viele, besonders linke Anwält*innen denken: »Weniger arbeiten? Kann ich mir nicht leisten!« Warum das ein Trugschluss ist, worauf es bei einer 4-Tage-Woche ankommt und warum das ein feministisches Konzept ist, hat InfoBrief-Redakteurin Vivian Kube die Arbeitsrechtlerin Friederike Boll gefragt. Sie hat mit ihrer Kanzlei einiges ausprobiert, um ihr Leben als Rechtsanwältin im Hier und Jetzt angenehmer zu gestalten.
Vivian: Fritze, in Eurer Kanzlei arbeitet Ihr nur 4 Tage pro Woche. Wieso?
Fritze: Wir halten eine Vier-Tage-Woche für ausreichend und wir brauchen Regenerationszeit. Deshalb haben wir das, als wir die Kanzlei gegründet haben, von Anfang an festgelegt. Aus den Reihen der Anwaltschaft, aber auch von anderen, gab es große Skepsis: Geht das überhaupt bei einem Dienstleistungsunternehmen? Ja, ich finde, das geht. Klar, es führt manchmal zu Irritationen, dass die Kanzlei freitags geschlossen hat, auf der anderen Seite kann man sehr gut argumentieren, dass wir eben das leben, was wir nach außen predigen.
Vivian: Worauf kommt es dabei an?
Fritze: Nach meiner Erfahrung schafft man auf zweierlei Wegen Akzeptanz dafür in der Außenwelt: Es muss für die Mandant*innen das Gefühl von Verlässlichkeit geben. Das A und O ist, dass man immer und zeitnah zurückruft. Wenn jemand Dich am Freitag nicht erwischt hat, musst Du Montag, spätestens Dienstag zurückrufen. Das andere ist Flexibilität und dass Du in nachvollziehbaren Fällen Ausnahmen machen solltest. Ein klassisches Beispiel ist, wenn ich am Donnerstag eine Verhandlung hatte und erst am Freitag das Ergebnis bei Gericht erfragen kann. Das kostet mich zwei oder drei Minuten an meinem freien Tag, aber ich finde, es wäre unverhältnismäßig, den*die Mandant*in bis Montag schmoren zu lassen. Denn das Arbeitskonzept darf nicht zulasten der Interessen meiner Mandant*innen gehen.
Vivian: Wie klappt das in der Realität?
Fritze: Ob wir geschafft haben, die Vier-Tage-Woche umzusetzen? Ja, zumindest in weiten Strecken hat ein Großteil der Kanzlei diese Vier-Tage-Woche gelebt. Wenn freitags doch mal gearbeitet wurde, dann war das auch eher das ruhige Projektarbeiten. Standard war freitags arbeiten jedenfalls nicht. Ich für mich kann sagen, dass eine strenge Vier-Tage-Woche für mich am Anfang nicht aufgegangen wäre, weil ich damals noch nicht so lange Anwältin war und noch Einarbeitungszeit brauchte. Damals brauchte ich die fünf Tage, um erst einmal anzukommen. Hinzu kommt eine Besonderheit unserer Kanzlei, nämlich, dass wir Betriebsratsbildung und Erwachsenenbildung anbieten; das sind Schulungen, die oft eine ganze Woche dauern. Da ist zum Beispiel sonntags Anreise und dann geht es bis Freitag um 12 Uhr. Da kommen natürlich viel mehr Stunden zusammen als in einer Vier-Tage-Woche. Und die lassen sich auch kaum ausgleichen.
Was uns eine relativ hohe Flexibilität bietet, ist, dass unsere Telefonzeiten begrenzt sind. Ursprünglich waren die von 10 bis 18:00 Uhr mit einer Mittagspause und wir haben sie jetzt reduziert auf 10 bis 16:00 Uhr. Denn diese Telefonzeiten betreffen vor allem die Dritte bei uns im Bunde, nämlich die Rechtsanwaltsfachangestellte. Auch hier gilt: Wenn man sehr verlässlich zurückruft, wird das akzeptiert. Und wenn jemand fragt, betonen wir augenzwinkernd, dass wir eben eine arbeitnehmer*innen-orientierte Kanzlei sind. Man kann sich das vorstellen wie eine WG: Solange man einen ähnlichen Lebensrhythmus hat, harmoniert das relativ gut. Mit der Zeit können sich Bedürfnisse und Lebenswelten allerdings auch verändern, vielleicht gehen sie nach einer Weile im Team auseinander. Da braucht man dann Flexibilität, und dann freut man sich, wenn man einen stressresistenten Gesellschaftsvertrag geschlossen hat. Das kommt aber leider oft zu kurz.
Vivian: Außerdem zahlt Ihr Euch allen Einheitslohn, wie funktioniert das?
Fritze: Wir sind gestartet mit der Abmachung, das, was wir uns schulden, sind vier Arbeitstage, wir wirtschaften alle in einen Topf und kriegen alle drei dasselbe raus. Das wird nach Köpfen geteilt, auch über die Professionen hinweg. Ich muss allerdings gestehen, von diesem Modell der 4-Tage-Woche sind wir mittlerweile etwas abgerückt. Der ausschlaggebende Punkt war, dass ich mehr Zeit für die Familie haben wollte. Seit Kinder in der Welt waren, haben sich die Bedürfnisse, was die Aufteilung von Arbeitszeit und Familienzeit/Freizeit anging, einfach ein bisschen auseinander entwickelt. Bei einigen ist der Wunsch aufgekommen, noch stärker in Blöcken zu arbeiten. Zum Beispiel sollte es möglich sein, dass in den dunklen Wintermonaten mehr gearbeitet werden kann und dafür in Schließzeiten der Kita oder im Sommer weniger. Und dann braucht es ja wieder einen gemeinsamen Beitrag, den jede für die Kanzlei leistet. Unsere Lösung war, dass jede Anwältin für 50 Prozent der Fixkosten verantwortlich ist. Wir haben immer vereinbart, dass wir darüber hinaus einen kleinen Puffer anlegen und wenn es gut läuft, das Konto nicht sofort leerräumen, sondern, dass es dann am Jahresende eine Sonderzahlung gibt.
Vivian: Und geht das auf? Sind damit alle zufrieden?
Fritze: Ich denke schon. Eine Gemeinsamkeit von uns war, dass wir von Anfang an wussten, dass wir woanders mehr verdienen können, aber dass uns das kollegiale Miteinander und das freundschaftliche, selbstbestimmte Arbeiten wichtiger ist. Es gibt natürlich Unterschiede in dem, was die Anwältinnen reinholen. Das war vor allem zu Beginn sehr deutlich. Das resultierte vor allem daraus, dass eine Partnerin schon eine sehr einträgliche Stammkundschaft und mehr Berufserfahrung hatte. Und dann gibt es Fälle, die querfinanziert werden müssen. Und da gab es immer ein sehr großes Wohlwollen. Für uns war immer klar: Wir wollten die Kanzlei gemeinsam finanzieren, aber wir wollen auch Fälle annehmen, unabhängig von finanziellen Fragen. Ich glaube, was sehr zur Zufriedenheit beiträgt und auch unsere Arbeit besser macht, ist, dass wir als Anwältinnen nicht so maximal überfordert sind, wie ich das bei anderen Neugründungen erlebe. Wir sind zwei Anwältinnen und eine sehr, sehr qualifizierte ReFa, die alles in dem großen Bereich von Organisation und Finanzverwaltung übernimmt. Wir können uns komplett aufeinander verlassen und das ist, gerade bei unserem Modell, natürlich essenziell.
Vivian: Was hält die Leute davon ab, ein Modell wie Eures auszuprobieren?
Fritze: Oft denken Leute, dieses Modell könnten sie sich nicht leisten. Ich glaube aber, dass es sich sehr auszahlt, die mentale Gesundheit zu schonen und sich auf weniger, aber dafür gute und interessante Mandate zu konzentrieren. Auch der gleiche Lohn für die ReFas lohnt sich. Für sie ist man als Kanzlei oft attraktiver, wenn man einen kollektiven Ansatz anbietet, sprich eine spannende Tätigkeit, Einheitslohn und Mitbestimmung, statt das althergebrachte hierarchische Kanzlei-Denken. So bekommt man besonders qualifizierte Personen und das ist eine große Entlastung – finanziell, etwa was Gebühren-Optimierung angeht, und zeitlich, weil es ermöglicht, mehr Mandate anzunehmen.
Vivian: Lehnt Ihr auch Fälle ab?
Fritze: Ja, wenn sie für die Kanzlei nicht tragbar sind. Das machen wir insbesondere dann, wenn es 2, 3, 4 andere sehr gute Kanzleien gibt, die den Fall genauso gut übernehmen könnten. Anders ist es, wenn Menschen mit Fällen zu uns kommen, die uns am Herzen liegen und die wir nicht gut weiterverweisen können, zum Beispiel im Antidiskriminierungsrecht und wenn es um Rechte von queeren Menschen geht. Solche Fälle übernehme ich immer sehr gerne. Meiner Kollegin geht das ähnlich.
Vivian: Euer Modell hat auch feministische Aspekte, oder?
Fritze: Meiner Beobachtung nach ist eine der Folgen, dass Anwältinnen oft kinderlos bleiben, nicht unbedingt, weil sie kein Kind wollen, sondern weil die Selbstständigkeit mit so einem hohen Workload und Verantwortung einfach sehr kinderfeindlich ist. Jetzt ist das heutzutage zum Glück ein Thema, das nicht nur Frauen interessiert und in die Verantwortung nimmt. Ich denke, alle, die selbstständig sind, müssen sich überlegen und in ihrer Partner*innenschaft absprechen, ob man zum Beispiel eine Fifty/Fifty-Elternzeit-Aufteilung überhaupt vereinbaren kann. Das ist in einem Kanzlei-Setting nicht so leicht umsetzbar – außer man hat den großen Vorteil, dass man eine gut laufende Kanzlei hat, die eine qualifizierte Elternzeitvertretung finanziert. Das wird aber sicherlich nicht in allen Landstrichen und nicht in allen Rechtsgebieten ohne Weiteres möglich sein. Sprich: Die Ansätze im Familienleben müssen zur Realität der Kanzlei passen. Aber wenn man sich da frühzeitig zusammensetzt, Wünsche und Bedürfnisse bespricht und das gut in dem Gesellschaftsvertrag regelt, ist man auch für die Zukunft gewappnet.
Friederike Boll, kurz Fritze, ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und arbeitet besonders gerne zum Diskriminierungsschutz queerer Menschen und zum Thema Entgelttransparenz. Seit Oktober 2024 ist sie zudem in Teilzeit festangestellte Bildungsreferentin im Bildungszentrum Sprockhövel der IG Metall.
Vivian Kube ist Rechtsanwältin in Berlin, arbeitet für FragDenStaat und ist Mitglied im RAV.