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Berlin will eine Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen

Was sagt das Recht?

Franziska Brachthäuser

Ein Hoffnungsschimmer in düsteren Zeiten gefällig? Wir könnten Wohnungen vergesellschaften. Rechtlich wäre das jedenfalls möglich. Wie viele Wohnungen könnten so aus den Klauen des Kapitals befreit werden? Welche Unternehmen sollte es treffen? Und wie viel würde das kosten? Der RAV-Kongress widmete sich auch Rechtskämpfen und Lösungsideen auf dem Berliner Wohnungsmarkt.

In großen deutschen Städten findet kaum noch jemand bezahlbaren Wohnraum. Wer welchen hat, bleibt – auch wenn Wohnraum und Lebensverhältnisse vielleicht nicht mehr zusammenpassen, gibt sich häufig mit schlechten Vertragsleistungen seiner Vermieter*innen zufrieden, muss um den Bestand bangen.
Eine mögliche Lösung für die Wohnungskrise wird derzeit in Berlin diskutiert: Die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen. In diese Richtung hat sich die rechtliche und politische Debatte verschoben, nachdem das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel für verfassungswidrig erklärt hatte, der bis dahin für viele ein Hoffnungsschimmer gewesen war.
Der Debatte über Vergesellschaftung liegen tatsächliche Rechtskämpfe zugrunde. Aufgeworfen wurden sie von der Berliner Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen, die nach langjähriger Vorarbeit am 26. September 2021 einen Beschlussvolksentscheid über die Frage der Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen zugunsten der Berliner Stadtgesellschaft zur Abstimmung gebracht hat. Das Ergebnis: 57,6 Prozent der Berliner Bevölkerung(1) befürworteten die Einführung eines Vergesellschaftungsgesetzes.
Um die Voraussetzungen eines solchen zu erarbeiten, setzte der damals noch rot-grün-rote Berliner Senat im März 2022 eine hauptsächlich aus Rechtsprofessor*innen bestehende Expert*innenkommission ein, die – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – über die rechtlichen Voraussetzungen einer Vergesellschaftung beriet. Ihr Ergebnis präsentierte die Kommission dann Ende Juni 2023 – eine Woche nach dem Kongress des RAV: Mehrheitlich erachten die Kommissionsmitglieder eine Vergesellschaftung für mit der Verfassung vereinbar.(2)

Artikel 15 GG macht‘s möglich

Grundlage der Debatte bildet Art. 15 GG. Das Vorhaben ist nicht zuletzt von juristischer Kreativität geprägt, denn zu einer tatsächlichen Umsetzung dieses Artikels kam es in der Geschichte der Bundesrepublik bislang noch nie. Die Expert*innenkommission betrat somit ein dogmatisch weitgehend unbearbeitetes Feld.
Interessant ist hierbei der Entstehungskontext des Grundgesetzes. Art. 15 GG gelangte in den 1940er Jahren als ein politischer Kompromiss in das Grundgesetz. Wirtschaftspolitisch sollte die Verfassung verortet sein zwischen der Gewährleistung von Privateigentum (Art. 14 GG) und der Möglichkeit einer Überführung in Gemeineigentum (Art. 15 GG).
Das Grundgesetz entstand wohlgemerkt in einer Zeit, in der der Begriff »Sozialismus« noch nicht verschrien war: Selbst die CDU bekannte sich noch 1947 in ihrem Ahlener Programm zu Grundsätzen eines katholischen Sozialismus. Auch wenn sich in den Folgejahrzehnten realpolitisch die Soziale Marktwirtschaft durchsetzte, blieb die Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes offen.(3) Versuche der FDP in der Folge­zeit, Art. 15 GG aus der Verfassung zu streichen, blieben erfolglos.(4)
Und so stellt der historische Art. 15 GG eine potentielle rechtliche Lösung für die Krise auf dem Berliner Wohnungsmarkt dar. Tatsächlich entspricht dieser Ansatz Erkenntnissen der Stadtsoziologie, denen zufolge ein zentraler Faktor für die Schieflage auf dem Wohnungsmarkt in den Eigen­tümer*innenstrukturen und den dazugehörigen spezifischen Geschäftspraktiken besteht.(5)
Beim bloßen Wechsel der Eigentümer*innenstellung (von der privaten in die öffentliche Hand) bleibt das Vorhaben jedoch nicht stehen: Nicht das Land Berlin soll gestaltungsbefugt für den vergesellschafteten Wohnraum sein, sondern die Berliner Stadtgesellschaft. Vergesellschaftung soll eben auch Demokratisierung bedeuten.
Der Abschlussbericht der Expert*innenkommission bezieht umfangreich Stellung zu den verfassungs-, europa- und völkerrechtlichen Fragen. Besondere Herausforderungen an das Vergesellschaftungsvorhaben stellen Gleichheitsgrundsatz, Verhältnismäßigkeit sowie der Frage der Entschädigung. Sie seien im Folgenden kurz und sehr vereinfachend angerissen.

Welche Unternehmen werden vergesellschaftet, welche nicht?(6)

Gesetze arbeiten regelmäßig mit gegriffenen Zahlen und so auch die Kommission: Sie geht von einer Grenze von 3000 Wohnungen in Unternehmenseigentum aus. Eine Begründung hierfür ist die konkrete Bedarfslage, denn der Gesamtbestand der größten Wohnungsunternehmen ergibt zusammen mit den Beständen der landeseigenen, gemeinwohlorientierten und genossenschaftlichen Unternehmen ziemlich genau den Bestand, den es bräuchte, um dem Bedarf auf dem Berliner Wohnungsmarkt zu begegnen.(7)
Ein alternativer Begründungsansatz liegt in der Kapitalmarktorientierung dieser Unternehmen, denn sie vereint eine bestimmte Geschäftspraktik. Sie behandeln Wohnungen regelmäßig als bloße Vermögenstitel, umgehen gezielt das Mietrecht, der Wohnzweck tritt in den Hintergrund. Andere Unternehmen, also landeseigene, gemeinwohlorientierte und genossenschaftliche Unternehmensträger, sollen dagegen von vorneherein ausgenommen sein. Vereinfacht gesprochen: Weil sie diese Geschäftspraktiken nicht teilen, müssen sie nicht vergesellschaftet werden.

Hält die Vergesellschaftung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stand?(8)

Betrachtet man die Stellung und den geistesgeschichtlichen Hintergrund des Art. 15 GG, erscheint fraglich, ob die Verhältnismäßigkeit überhaupt geprüft werden muss. Liest man – etwa nach den Schriften von Helmut Ridder – Art. 15 GG nicht als Eingriffsnorm in Eigentum, sondern als demokratisches Grundrecht, erscheint die Prüfung überflüssig.(9)
Argumentiert man hingegen entlang der etablierten Grundrechtslogik, ist die Verhältnismäßigkeit durchaus zu prüfen. Privates Eigentum und die Ziele der Vergesellschaftung müssen abgewogen werden. Hierbei stellt sich eine Vielzahl von Fragen: Wie ist der Eigentumsentzug zu bewerten? Wie der Umstand, dass es sich um unternehmerisches Eigentum handelt? Und auf der anderen Seite: Was ist die rechtliche Bewertung von Wohnbedürfnissen, dem Zugang zu bezahlbarem Wohnraum und der Dringlichkeit auf dem Berliner Wohnungsmarkt?

Was kostet die Vergesellschaftung?(10)

Art. 15 S. 2 GG verweist auf Art. 14 Abs. 3 GG entsprechend. Die Kommission setzt für die rechtliche Klärung also bei der Entschädigungsermittlung für Enteignungen an. Aber auch hier herrscht keine Klarheit. Selbst nach Art. 14 GG muss nicht zwingend zum Verkehrswert enteignet werden und darüber hinaus gibt es zur Berechnung des Verkehrswertes eine Vielzahl an Methoden. Für die »entsprechende« Anwendung des Art. 14 GG ist zudem die spezifische Zweckmäßigkeit einer Vergesellschaftung zu beachten, die sich insofern von dem Entzug privaten Eigentums gemäß Art. 14 GG unterscheidet.
Die Kommission hat den Ball nun an den Berliner Senat gespielt. Der im April 2023 veröffentlichte Koalitionsvertrag nimmt auf die Frage der Vergesellschaftung Bezug: Es soll ein Vergesellschaftungsrahmengesetz verabschiedet werden. Nach neueren Angaben soll dieses im Sommer 2024 vorliegen.(11) Das verpflichtet den Berliner Senat keinesfalls zur Umsetzung der Erkenntnisse aus dem Kommissionsbericht. Stattdessen betonen die regierenden Politiker*innen den Bedarf von Neubau und potentielle Abschreckungseffekte auf Investor*innen.
Letztlich verweist die Diskussion über Vergesellschaftung auf dem Berliner Wohnungsmarkt auf eine fortdauernde Rechtsdebatte. Dass sie auf den Widerstand verschiedener politischer Kräfte stößt, ist wenig überraschend. Rechtliches Umdenken braucht nun einmal Zeit. Mit dem Abschlussbericht ist nun ein Rechtsdokument in der Welt, das dem Vorhaben der Vergesellschaftung Verfassungskonformität attestiert, für die Rechtsentwicklung aber noch nicht den Abschluss bedeutet. Auf seiner Grundlage kann sie vielmehr weiter voranschreiten.

Franziska Brachthäuser ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Prof. Florian Rödl am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht der Freien Universität Berlin und war an der Ausarbeitung des Abschlussberichts der Expertenkommission zum Volksentscheid »Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen« beteiligt

Endnoten
(
1)   Amtliches Ergebnis, siehe: wahlen-berlin.de. Abweichende Zahl der Initiative: 59,1 Prozent.
(2)   Expertenkommission zum Volksentscheid Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen in Berlin (Hrsg.), Abschlussbericht Juni 2023: https://www.berlin.de/kommission-vergesellschaftung/downloads/.
(3)   VerfG, Urteil vom 20. Juli 1954 – 1 BvR 459.
(4)   Durner, in: Dürig/ Scholz/Herzog, GG, Stand September 2022, Art. 15 Rn. 4.
(5)   S. Anhörung von Andrej Holm durch die Kommission zu Marktanteilen und Bewirtschaftungsstrategien großer Wohnungsunternehmen vom 9. Dezember 2022: https://www.berlin.de/kommission-vergesellschaftung/downloads/.
(6)   Abschlussbericht, S. 76. ff.
(7)   Ebd., S. 85 f. Nach Auffassung einer Mehrheit der Kommissionsmitglieder kann eine Differenzierung entlang einer Bestandsgröße alternativ oder zusätzlich darauf gestützt werden, dass dadurch allein Großunternehmen einbezogen werden sollen.
(8)   Ebd., S. 29 ff.
(9)   Ebd., S. 37 f.
(10)  Ebd., S. 60 ff.
(11)  »Das Beste für Berlin«, Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD 2023-23026, S. 50 f.