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Paula hat zwei Mamas

Strategische Prozessführung für ein neues Abstammungsrecht

Lucy Chebout

Darf ich Ihnen drei meiner Mandantinnen vorstellen? Das sind Dr. Gesa Teichert-Akkermann und Verena Akkermann sowie ihre knapp dreijährige Tochter Paula. Gesa und Verena sind seit Ewigkeiten ein Paar. Sie sind verheiratet und hatten schon lange einen gemeinsamen Kinderwunsch. Als Gesa mit Paula schwanger war, war die »Ehe für alle« schon ein paar Jahre alt. Gesa und Verena gingen deshalb davon aus, dass sie als werdende Zwei-Mütter-Familie keine rechtliche Diskriminierung mehr erfahren würden. Sie fielen sprichwörtlich aus allen Wolken, als sie erfuhren, dass mit Paulas Geburt jedoch nur Gesa die rechtliche Mutter werden würde – nämlich gemäß § 1591 BGB als die Frau, die das Kind geboren hat.

Zwar sieht das geltende Abstammungsrecht in § 1592 Nr. 1 BGB vor, dass zweiter Elternteil des Kindes wird, wer zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist. Ausweislich seines Wortlauts gilt dieser Paragraf aber nur für einen Mann als Vater. Der Bundesgerichtshof hat 2018 entschieden, dass diese Norm nicht analog auf eine Ehefrau angewendet werden könne und sah in dieser Ungleichbehandlung von Kindern und Eheleuten auch kein verfassungs- oder konventionsrechtliches Problem.[1]
Dabei ist es keine Lappalie, wenn einem Kind die Zuordnung zu einem zweiten Elternteil versagt wird. An die rechtliche Eltern-Kind-Zuordnung sind zahlreiche fundamentale Rechte und Ansprüche des Kindes geknüpft: Wessen Namen und Staatsangehörigkeit erhält das Kind? Gegen wen hat es einen Unterhaltsanspruch? Wer hat das Sorgerecht und trifft sämtliche alltäglichen sowie langfristig prägenden Entscheidungen für das Kind? Wer ist informationsberechtigt gegenüber Ärzt*innen, Lehrer*innen usw.? Und nicht zuletzt: Wer vermittelt im schlimmsten Fall der Fälle dem Kind ein Erbrecht oder eine Hinterbliebenenversorgung, etwa in Form der Halbwaisenrente? – All dies hängt davon ab, wer der rechtliche Elternteil des Kindes ist.

VERWEHRUNG DER HÄLFTE DER RECHTLICHEN ABSICHERGUNG

Dabei geht es nicht um die genetischen Abstammungsverhältnisse, die in heteronormativen Familienkonstellationen auch an keiner Stelle überprüft oder unter Beweis gestellt werden müssen. Das Kind wird der Frau, die es geboren hat, auch dann zugeordnet, wenn die Eizelle von einer anderen Person stammt. Der Ehemann der Mutter wird auch dann rechtlicher Vater, wenn das Kind etwa mittels Samenspende eines Dritten gezeugt wurde, wobei auch nicht danach unterschieden wird, ob es sich um einen privaten oder anonymen Samenspender handelt. Das Abstammungsrecht will mit der Eltern-Kind-Zuordnung direkt nach der Geburt des Kindes dem Kind anhand einfach feststellbarer Kriterien möglichst schnell diejenigen Personen als Eltern zuordnen, die die Elternverantwortung voraussichtlich zuverlässig und dauerhaft ausüben wollen und werden.[2]
Wenn Kinder, die in eine gleichgeschlechtliche Ehe zweier fürsorgebereiter Eltern hineingeboren werden, qua Geburt nur einen rechtlichen Elternteil haben und ihnen allein auf Grund des Geschlechts der Eltern die Hälfte der rechtlichen Absicherung verwehrt wird, dann ist das ein handfestes Problem.
Gesa und Verena hätten die rechtliche Situation hinnehmen und den für sie gesetzlich vorgesehenen Weg der sogenannten ›Stiefkindadoption‹ einschlagen können. Dann hätten beide Mütter frühestens acht Wochen nach Paulas Geburt einen notariell beurkundeten Adoptionsantrag beim Familiengericht einreichen müssen, woraufhin das Gericht allerlei persönliche bis intime Informationen von ihnen gefordert hätte, mit denen sie ihre Erziehungseignung für Paula hätten nachweisen sollen. Je nach richterlichem Ermessen sind das etwa Gehaltsnachweise, Schufa-Auskünfte, ein polizeiliches Führungszeugnis, Gesundheitszeugnisse, wahlweise auch ein handschriftlicher Lebenslauf, der alle Intimbeziehungen auflistet, um die Bindungsfähigkeit der aufschreibenden Person festzustellen. Sie hätten als nächstes Besuch vom Jugendamt oder der Adoptionsvermittlungsstelle bekommen, bei denen sie sich als Familie gegenüber der staatlichen Behörde hätten präsentieren und unter Beweis stellen müssen.
Der Behördenmitarbeiter hätte im Anschluss einen ausführlichen Bericht verfasst, in dem er vielleicht Rückschlüsse vom Ordnungszustand der Wohnung oder der Einrichtungsart auf die Elterneignung der beiden Mütter gezogen hätte und aller Wahrscheinlichkeit nach zu dem Schluss gekommen wäre, dass Paula in ihrer Herkunftsfamilie gut aufgehoben ist. Das Gericht hätte einen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt, zu dem die Familie voller Anspannung gegangen wäre, nichtwissend, ob es aus Sicht des Gerichts am Ende doch ein Hindernis gibt, das der Adoption im Weg stehen könnte.

DAS RECHT, DAS UNRECHT TUT, VERÄNDERN

Die Eheleute Teichert-Akkermann entschieden sich für einen anderen Weg: Sie wollten das Recht, das ihnen Unrecht tut, nicht hinnehmen, sondern verändern. Wenn es sein muss, würden sie dafür bis nach Karlsruhe oder auch Straßburg ziehen. Ich habe das große Glück, sie auf diesem Weg juristisch beraten und vertreten zu dürfen. Zusammen mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) entschieden wir im Jahr 2020, die abstammungsrechtliche Diskriminierung der Familie als Grundsatzfrage aufzugleisen und sie im Wege einer strategischen Prozessführung durch die Instanzen zum Bundesverfassungsgericht zu bringen. Statt eines Adoptionsverfahrens leiteten wir ein familiengerichtliches Statusverfahren ein und beantragten die gerichtliche Feststellung, dass zwischen Paula und ihrer zweiten Mutter ein rechtliches Eltern-Kind-Verhältnis besteht. Dazu müsste das Gericht den besagten § 1592 Nr. 1 BGB verfassungskonform anwenden oder alternativ das Verfahren aussetzen und nach Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorlegen. Denn durch die gegenwärtige Rechtslage sind Grundrechte aller Familienmitglieder verletzt.
Allen voran wird Paula ungleich behandelt gegenüber Kindern, die mittels Keimzellenbeitrag einer dritten Person gezeugt und in eine Ehe von Mann und Frau hineingeboren wurden.[3] Im Gegensatz zu Paula haben diese Kinder qua Geburt zwei rechtliche Eltern. Diese Ungleichbehandlung betrifft das Familienleben und verletzt das Grundrecht des Kindes auf staatliche Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung.[4] Zudem knüpft die Ungleichbehandlung an das Geschlecht und die sexuelle Orientierung der Eltern an, mithin an Merkmale, an die der Staat keine Benachteiligung knüpfen darf.
In Anbetracht des sich daraus ergebenden strengen Rechtfertigungsmaßstabs ist die gesetzliche Ungleichbehandlung von Kindern queerer Eltern nicht zu begründen. Es gibt zum einen keine zwingend biologistischen Gründe, nach denen nur ein Mann zweiter rechtlicher Elternteil sein könnte. Im Gegenteil, zeigt doch gerade § 1592 Nr. 1 BGB mit seiner Anknüpfung an die Ehe, dass die rechtliche Abstammung ein Konstrukt ist, das aus der Ehe folgt und nicht aus dem Zeugungsnachweis. Zum anderen gibt es keine entgegenstehenden Verfassungsgüter Dritter, die die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. Insbesondere gibt es keinen »biologischen Vater«, der durch die Zuordnung der Ehefrau in seinen Rechten verletzt wäre.
Einen Vater mit Elternintention gibt es für Kinder wie Paula regelmäßig nicht. Es gibt einen Samenspender, dessen Beitrag zum Kind sich auf die Hergabe von Keimzellen beschränkt. Er unterfällt aber nicht dem Schutzbereich des Elterngrundrechts, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt dies zwingend voraus, für das Kind auch Pflichten übernehmen zu wollen.[5] Jedenfalls für den Samenspender, der über eine Samenbank spendet und im Spenderregister registriert ist, schließt das Gesetz eine Pflichtentragung aber aus – er kann gemäß § 1600d Abs. 4 BGB unter keinen Umständen als rechtlicher Vater des Kindes festgestellt werden und dadurch auch in keine rechtliche Pflichtenposition (insbesondere unterhaltsrechtlicher Natur) einrücken. Auch das Grundrecht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung ist nicht beeinträchtigt, da dieses nicht durch die Eintragung im Geburtenregister gewährleistet wird.[6]

FÜNF VERFAHREN VOR DEM BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

Neben den Grundrechtsverletzungen des Kindes stehen weitere Grundrechtsbeeinträchtigungen der Mütter, die ebenfalls in ihren Rechten auf Gleichbehandlung und zudem in ihren Ehe- und Familiengrundrechten verletzt werden. Auch dafür gibt es keine rechtfertigenden Gründe.
Der Fall, der unter dem Hashtag #PaulaHatZweiMamas einige mediale Aufmerksamkeit erhalten hat, liegt mittlerweile tatsächlich beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Das OLG Celle hat ihn sogar selbst im Wege eines konkreten Normenkontrollantrags vorgelegt, weil es entsprechend unserer Argumentation ebenfalls von der Grundrechtswidrigkeit des geltenden Abstammungsrechts überzeugt ist.[7] Und es ist nicht das einzige Verfahren. Nach dem Vorbild der mutigen Familie Teichert-Akkermann gründete sich die Initiative Nodoption[8], die inzwischen hunderte queerer Familien zusammengebracht hat und aus der heraus wir seit 2020 mehr als ein Dutzend weitere Anträge bei Familiengerichten in verschiedenen Bundesländern gestellt haben. Im Jahr 2021 setzten neben dem OLG Celle drei weitere Gerichte die Verfahren aus und legten dem Bundesverfassungsgericht konkrete Normenkontrollanträge vor.[9] Im September 2022 haben wir schließlich in einem fünften Fall Verfassungsbeschwerde erhoben.[10]
Eins, zwei, drei, vier, fünf Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht – und der Gesetzgeber? Der hat den Handlungsdruck erkannt und im aktuellen Koalitionsvertrag angekündigt, das Familienrecht zu modernisieren.[11] Passiert ist bislang leider nichts, was in Anbetracht der eklatanten Rechtsverstöße und der Möglichkeit einer einfachen Lösung – § 1592 BGB könnte einfach geschlechtsneutral gefasst werden – kaum mehr vermittelbar ist.
Ich teile mit meinen Mandantinnen die vage Hoffnung, dass jedenfalls bis zu Paulas Schulanmeldung beide Mütter in ihrer Geburtsurkunde eingetragen sind. Über welche rechtlichen Wege wir dahin kommen und insbesondere, ob das Bundesverfassungsgericht oder der Gesetzgeber schneller eine akzeptable Lösung für Paula und all die anderen Kinder findet, bleibt spannend. Wir halten Sie auf dem Laufenden.

Lucy Chebout ist Rechtsanwältin in Berlin und Mitglied im Deutschen Juristinnenbund (djb).

Die Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion eingefügt.

[1]   BGH, Beschluss v. 10.10.2018 - XII ZB 231/18; a.A. Kiehnle, JR 2022, S. 447; Chebout/Xylander, NJW 2021, S. 2472; Kaulbach/Pickenhahn/von Scheliha, FamRZ 2019, S. 768; Kiehnle, JURA 2019, S. 563; Löhnig, NZFam 2017, S. 643.
[2]   Vgl. nur Arbeitskreis Abstammungsrecht 2017, S. 24.
[3]   Das, was ich hier am Beispiel eines ehelich geborenen Kindes zweier Mütter darstelle, ist übertragbar auf jedes Kind queerer Eltern – unabhängig von der Art der Zeugung und unabhängig vom Geschlecht und der Beziehungsform der Eltern.
[4]   Vgl. BVerfG, Urteil v. 19.02.2013, 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09 = BVerfGE 133, 59-100 und BVerfG, Beschluss v. 26.03.2019, 1 BvR 673/17 = BVerfGE 151, 101-151.
[5]   BVerfG, Beschluss v. 09.04.2003, 1 BvR 1493/96, 1 BvR 1724/01 = BVerfGE 108, 82-122.
[6]   Zuletzt BGH, Beschluss v. 12.01.2022, XII ZB 142/20.
[7]   OLG Celle, Beschluss v. 24.03.2021 - 21 UF 146/20.
[8]   https://www.nodoption.de/.
[9]   KG, Beschluss v. 24.03.2021 - 3 UF 1122/20; AG Brandenburg an der Havel, Beschluss v. 27.09.2021 - 41 F 132/21 und AG München, Beschluss v. 11.11.2021 - 542 F 6701/21.
[10] https://www.nodoption.de/_files/ugd/9eb76e_e080b3eaa7f24f299cab3c7b96b03e51.pdf.
[11] Koalitionsvertrag von SPD, GRÜNEN und FDP 2021, S. 101, 119.