Sie sind hier: RAV > PublikationenInfoBriefeInfoBrief #124, 2022 > »Als Rechtsanwält*innen stehen wir ein für Menschenrechte«

»Als Rechtsanwält*innen stehen wir ein für Menschenrechte«

Redebeitrag des RAV zur Lage im Iran am 7. November 2022

Barbara Wessel

Im Iran finden gerade die längsten und umfassendsten Proteste seit 1979 statt. Angeführt von Frauen, die für ihre Freiheit und eine neue Gesellschaft kämpfen. Diesen mutigen Menschen, Euch Iraner*innen, die trotz des brutalen Vorgehens des Regimes seit dem ersten Tag, jeden Tag wieder und im ganzen Iran auf die Straße gehen und gegen das unterdrückende frauen- und menschenverachtende System kämpfen gilt unsere Solidarität, unsere Unterstützung und unser tiefer Respekt.

Das Regime reagiert nach bekanntem, menschenverachtendem Muster. Nach aktuellen Zahlen wurden bereits mindestens 300 Menschen getötet und mehr als 14.000 Menschen verhaftet. Unter ihnen zahlreiche Minderjährige. Dass in der Haft systematisch gefoltert wird, ist durch zahlreiche Berichte bekannt. Die meisten der festgenommenen Demonstrierenden hatten bislang keine Möglichkeit, anwaltlich vertreten zu werden. Berichten zufolge wurden bei einer Protestversammlung vor der Anwaltskammer in Teheran, die die mangelhaften Rechtsberatungsmöglichkeiten für verhaftete Demonstrierende kritisierte, mindestens drei Anwält*innen festgenommen. Die Polizei ging mit Tränengas gegen die demonstrierenden Kolleg*innen vor. In den vergangenen Tagen wurden gegen erste Festgenommene Gerichtsurteile gesprochen. In Scheinprozessen sind erste Demonstrierende, teils mit durch Folter erpressten Geständnissen, zum Tode verurteilt.

Internationaler Druck notwendig

Laut Mitteilungen in den sozialen Netzwerken von heute, hat gerade heute das iranische Parlament die Justiz aufgefordert Todesurteile gegen Personen zu verhängen, die während der Proteste verhaftet wurden. Ohne internationalen Druck und Konsequenzen wird dies nicht gestoppt werden können!
Das Schicksal von Jina Amini, der kurdischen Iranerin, die nach Teheran zu Besuch von Verwandten reiste und – als sie aus der U-Bahn stieg – von der Sittenpolizei angehalten, beschimpft und in einem Internierungs- und Umerziehungslager misshandelt wurde, so dass sie drei Tage später verstarb, ist das Schicksal, dass jeder Frau im Iran widerfahren kann. Jeder.
Nahezu jede Frau im Iran hatte schon ›Kontakt‹ mit der Sittenpolizei, wurde als Hure beschimpft, körperlich angegriffen. Viele wurden inhaftiert und misshandelt. Weil sie nicht aussahen wie sie auszusehen hatten, weil sie sich nicht verhalten haben, wie sie sich zu verhalten haben. Der einzige Ort, so die Journalistin Gilda Sehabi, wo eine Frau sicher ist, ist zu Hause. Wenn es denn ein sicheres Zuhause gibt. Draußen kann sie jeder Zeit, allein durch ihre Präsenz mit dem Regime in Konflikt geraten.
Eines der ersten Dinge, die Chomeini unmittelbar nach der Machtergreifung 1979 ausrief, war das Hijab-Gebot. Und schon am 8. März 1979 gab es im Iran riesige Proteste von Frauen ohne Kopftuch. Sukzessive folgten Gesetze, die Frauen* zu Personen niedriger Ordnung machten. Zuerst wurden alle Richterinnen aus dem Staatsdienst entfernt und Frauen haben in systemrelevanten Positionen nicht mitzubestimmen. Der Alltag, auch der juristische, ist geprägt von der Scharia. Im Iran herrschte eine systematische Unterdrückung von Frauen, von queeren Menschen, von allen, die in den Augen des Regimes nicht systemtreu sind. Laut eines Berichts von Amnesty International wurden in diesem Jahr 2022 schon bis Juli, also vor dem Beginn der Proteste, bereits mehr als 250 Todesurteile vollstreckt. Es gibt unzählige Berichte über Folter und extralegale Tötungen von Regimegegner*innen.

Folter und Todesstrafe schon vor Protesten

Erst im September wurden Todesurteile gegen zwei LGBTI-Aktivist*innen bekannt, die sich für die Rechte queerer Menschen im Iran eingesetzt haben. Die Klarheit und Unbeirrbarkeit des Protestes der Frauen* im Iran hat inzwischen alle Bereiche der Gesellschaft erreicht. Alle Geschlechter sind auf der Straße und protestieren quer durch die gesellschaftlichen Schichten und unabhängig von den Ethnien und Religionszugehörigkeiten im ganzen Land gegen das Regime und für dessen Abschaffung. Es gibt Demonstrationen, Streiks, Basarschließungen, Fabrikblockaden, individuelle Proteste.
Dem von der kurdischen Frauenbewegung geprägten Slogan Jin Jiyan Azadi – der das Verständnis ausdrückt, dass ohne die Befreiung der Frau keine gesellschaftliche Freiheit für alle erkämpft werden kann – schließen sich die Menschen im Iran an und solidarisieren sich weltweit. Es ist eine Freiheitsbewegung mit einem dezidiert feministischen Ansatz entstanden.
Als Rechtsanwält*innen stehen wir ein für die Verteidigung der Menschenrechte. Für das Recht, gegen ein unmenschliches Regime auf die Straße zu gehen, für das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper und für das Recht auf Leben und gegen staatliches Töten. Insbesondere die Rechtsanwält*innen unter uns, die im Asylrecht tätig sind, haben seit Jahren mit unseren Mandant*innen dagegen zu kämpfen, dass ihnen nicht geglaubt wird, weil sie z.B. ihre Inhaftierungen nicht mit Dokumenten beweisen können. Dass erwartet wird, dass ihnen dieses Regime die Verfolgung bescheinigt, damit sie hier Schutz zu finden. Braucht es noch mehr Beweise, als das, was jetzt passiert?

Bundesregierung muss handeln

Wir fordern die Bundesregierung, die sich ausdrücklich einer sogenannten feministischen Außenpolitik verschrieben hat, auf, sich eindeutig auf die Seite der Protestierenden zu stellen und das brutale Handeln des iranischen Regimes unzweideutig zu verurteilen. Es ist nicht ausreichend, dass die Mitglieder des Menschenrechtsausschusses des deutschen Bundestages sich als ›bestürzt‹ ob der Verhältnisse im Iran zeigen. Die Bundesregierung muss sich klar gegenüber Iran positionieren und diesen Worten Taten folgen lassen.
Wenn die Iraner*innen formulieren, von der Weltgemeinschaft allein gelassen zu werden, haben sie recht. Zusammen mit den anderen hier versammelten Organisationen fordern wir als Rechtsanwält*innen:

  • Sofortiges Ende jeglicher Repression gegen die Protestierenden und ihre Anwält*innen in Iran und die Freilassung der politischen Gefangenen.
  • Sofortige Aufhebung der Todesurteile gegen die Aktivist*innen in Iran.
  • Keine Zusammenarbeit und Verhandlungen mit Iran vor Aufhebung der Todesurteile und vor Beendigung der Repression und Strafverfolgung gegen die Protestierenden.
     

Jin Jihan Azadi – Frau Leben Freiheit

Barbara Wessel ist Rechtsanwältin in Berlin und Mitglied im erweiterten Vorstand des RAV.

Über- und Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion eingefügt.