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Rechte Richter

ZWISCHEN ›III. WEG‹ UND AFD

Julius Becker und Josephine Koberling

Immer wieder – zuletzt im Zusammenhang mit Wahlplakaten der Partei Der III. Weg und der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Chemnitz – wird in öffentlichen Diskussionen über rechte Tendenzen innerhalb der Justiz gemutmaßt. Allzu häufig fehlt es der öffentlichen Diskussion jedoch an Tatsachengrundlagen, die Vermutungen übersteigende Feststellungen zulassen. Im September dieses Jahres nun erschien (endlich) eine umfangreiche Fallstudie und Analyse zu diesem Thema in Form des Buches »Rechte Richter« von Joachim Wagner.
Der Kriminologe und Journalist Joachim Wagner stellt dabei – so viel kann verraten werden – die Verschiebung in der Justiz nach rechts seit dem Auftreten der AfD in Deutschland und insbesondere seit deren Einzug in den Bundestag und die verschiedenen Länderparlamente fest. Er untersucht sowohl den Umgang des Justizapparates und seiner Funktionsträger*innen mit rechter Gesinnung und ihren Taten, als auch das öffentliche Auftreten von Richter*innen und Staatsanwält*innen mit rechter Gesinnung und/oder AfD-Zugehörigkeit.
Wagner beschreibt dabei einzelne Entscheidungen sowohl aus dem Straf-, als auch dem Verwaltungsrecht, wie z.B. zu antisemitischen und fremdenfeindlichen Wahlplakaten der Partei Die Rechte aus dem Jahr 2017 und stellt dabei einer in ihrem Umfang bisher (leider) beispiellose Fallsammlung zusammen. Er zieht dabei das Fazit, dass teilweise bewusst rechte Gesinnung in die Urteile einfließt, teilweise aber auch nur Angst vor Konfrontation oder fehlende Sensibilisierung für das Thema für die Urteile verantwortlich sind.
Weiterhin werden die Verstrickungen von Richter*innen und Staatsanwält*innen in das rechte Milieu, insbesondere zu den sog. Querdenkern beschrieben. Allerdings bleibt es hier bei Einzelfällen. Eine systematische Analyse der Fälle, ihrer Zusammenhänge und möglicher Netzwerke wird nur angedeutet.

KAUM ÜBERZEUGENDE 
LÖSUNGSVORSCHLÄGE

Der weitaus größere Teil des Buches beschäftigt sich mit der Frage, wie rechte Gesinnung in der Justiz sanktioniert werden kann. Hier wird anhand einiger Beispiele aufgezeigt, wie wenig tauglich die Sanktionsmechanismen der Justiz selbst sind, wenn eine offene rechte Gesinnung durch Richter*innen oder Staatsanwält*innen gezeigt wird. Hierbei fällt auf, dass der Autor auch die grundrechtlich geschützte richterliche Unabhängigkeit als Hindernis für schärfere und wirksamere Sanktionen, wie beispielsweise Entlassungen, identifiziert. Eine solche aber aufzuweichen sollte mit Hinblick auf fundamentale Aspekte des Rechtsstaats, wie der Gewaltenteilung, keine Antwort auf den Umgang mit Rechten in der Justiz sein.
Es wird dann über eine mögliche Selektion beim Zugang zum Rechtsreferendariat und die Herangehensweise der verschiedenen Bundesländer diskutiert. Auch hier plädiert der Autor für eine stärkere Kontrolle, insbesondere durch die Landesverfassungsschutzämter. In Anbetracht der eigenen rechten Verstrickungen dieser Sicherheitsbehörden ist die Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit einer solchen Forderung aber mehr als zweifelhaft. Und wie das Beispiel des geänderten Sächsischen Juristenausbildungsgesetzes zeigt, werden auf Basis der wissenschaftlich umstrittenen Extremismus-Theorie Verfassungsfeinde aller politischen Richtungen, so auch der politischen Linken, sanktioniert.(1) Dass gerade auch in Sachsen das linke Auge staatlicher Funktionsträger besser sieht, ist wohl kein Geheimnis.

SCHLECHTE DATENLAGE

Schließlich wird ein Feld beschrieben, das sonst eher wenig Beachtung findet: die Laienrichter*innen. Rechte Parteien und Organisationen riefen wiederholt dazu auf, sich für den Schöffendienst zu melden und so Einfluss auf Gerichtsentscheidungen zu nehmen. Auch hier moniert der Autor zu Recht, dass eine Kontrolle der Geeignetheit der Schöff*innen in den meisten Bundesländern absolut unzureichend ist. Ob und wie aber rechte Schöff*innen Einfluss auf die Justiz nehmen, ist nicht erkennbar. Es mangelt schlichtweg an empirischem Material, um dies einschätzen zu können.
Dies scheint generell ein Problem zu sein bei der Analyse, die das Buch vornehmen will. Es existiert keine Statistik über die Parteizugehörigkeit der Richter*innen und Staatsanwält*innen, über Sanktionen aufgrund von politischen Äußerungen im privaten oder im dienstlichen Kontext oder über rechtslastige und daher rechtswidrige Urteile und Anklagen. Entsprechend ist der Titel des Buches auch irreführend. Es bleibt nämlich angesichts fehlender struktureller Untersuchungen unklar, ob seit dem Einzug der AfD in die Parlamente ein Rechtsruck in der Justiz erkennbar ist, da kein Vergleich zu der Situation in der Justiz vor dem Auftreten der AfD gezogen wird oder werden kann. Schlüsse über strukturelle ideologische Verschiebungen lassen sich so nicht gewinnen.
Insofern ist es dem Buch zu Gute zu halten, dass es einen Anfang in der Dokumentation der politischen Entwicklung in der Justiz gemacht hat. Mit sicherlich großem Aufwand hat der Autor einzelne Entscheidungen zusammengetragen und analysiert. Weiterhin wurden Interviews mit Gerichtsvertreter*innen geführt, um deren Umgang mit rechten Kolleg*innen zu dokumentieren.
Das Buch vermag es also, auf ein absolut unterbelichtetes Problemfeld aufmerksam zu machen und verdeutlicht die Notwendigkeit, auch in der Justiz für rechte Gesinnungen und deren Einfluss auf Entscheidungen zu sensibilisieren. Das macht zumindest Hoffnung, dass diese Probleme auch weiter analysiert und angegangen werden.

Joachim Wagner, Rechte Richter. AfD-Richter, Staatsanwälte und -Schöffen: eine Gefahr für den Rechtsstaat? Berlin 2021

Josephine Koberling ist Rechtsanwältin in Berlin und RAV-Mitglied. Julius Becker ist Rechtsanwalt in Berlin und Mitglied im erweiterten Vorstand des RAV. Die Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion eingefügt.

 

(1)   www.revosax.sachsen.de/vorschrift/19043