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Zeug*innen wie alle anderen?

POLIZEIBEAMT*INNEN ALS TATZEUG*INNEN

Veranstaltung zum Thema Berufszeug*innen am 7. November 2019, 18.00 Uhr im Kammergericht Berlin

Viele Strafverfahren werden von Polizeizeug*innen dominiert. Diese treten als Ermittlungsbeamt*innen, in vielen Fällen aber auch als unmittelbare Tatzeug*innen auf. Die Wahrnehmung der Verteidigung ist es regelmäßig, dass diese Zeug*innengruppe bei Staatsanwaltschaft und Gerichten als eine Art ›Zeugen 1. Klasse‹ fungieren und ihnen ein besonderer Glaubwürdigkeitsbonus zugestanden wird. Polizeizeug*innen sind stets gut vorbereitet, sie gelten bei vielen Richter*innen als neutral und allein aufgrund ihrer beruflichen Ausbildung als besonders gewissenhaft. Ihnen werden Rechte zugestanden, die andere Zeug*innen nicht genießen. Die Staatsanwaltschaft ist aus Sicht der Verteidigung wegen ihrer institutionellen Nähe zur Polizei ohnehin kaum in der Lage, einen kritischen Blick auf ihre Hilfsbeamt*innen zu werfen.
Für die Strafjustiz sind diese Berufszeug*innen insgesamt auch aufgrund ihres stringenten, von keinen Zweifeln geprägten Aussageverhaltens, wichtige Stützen bei der effektiven Fallbewältigung.
Der Versuch der Verteidigung, die Glaubwürdigkeit dieser Zeug*innen in Frage zu stellen, erweist sich regelmäßig als besonders konfliktträchtig. Eine intensive Befragung der Berufszeug*innen ist für viele Richter*innen Ausdruck von sogenannter ›Konfliktverteidigung‹.
Für die Verteidigung dagegen stellt sich die Situation so dar, dass die üblichen Glaubwürdigkeitskriterien auf Polizeibeamt*innen keine Anwendung finden, und die Strafjustiz unfähig ist, deren Aussagen einer kritischen Würdigung zu unterwerfen.
Auf der vom RAV gemeinsam mit der Vereinigung Berliner Strafverteidiger, der AG Fananwälte sowie dem Verein ›Forum Recht und Kultur am Kammergericht e.V.‹ organisierten Veranstaltung sollen die verschiedenen Blickwinkel der Verfahrensbeteiligten auf die Berufszeug*innen diskutiert werden.
Mit dem renommierten Aussagepsychologen Prof. Dr. Köhnken von der Universität Kiel wird auf dem Podium auch ein Wissenschaftler vertreten sein, der die Polizeizeug*innen unter einem Blickwinkel beurteilt, welcher der Strafjustiz bislang überwiegend fremd ist. Sind mit der polizeilichen Berufseigenschaft auch besondere Probleme verbunden, welche sich negativ auf die Glaubhaftigkeit ihrer Zeug*innenaussagen auswirkt? Sind Polizeibeamt*innen ›bessere‹ Zeug*innen, die über besondere wahrnehmerische Fähigkeiten verfügen? Was bedeutet es für die Glaubhaftigkeit der Aussagen, dass dieser Zeug*innengruppe ein umfassendes Vorbereitungsrecht zugestanden wird, und haben Berufszeug*innen – insbesondere die unmittelbaren Tatzeug*innen - möglicherweise ein eigenes Interesse an der Verurteilung? Birgt die berufliche Erfahrung auch Risiken hinsichtlich der richtigen Erfassung einer Situation? Welche Bedeutung haben polizeilicher Corpsgeist, cop culture und die gemeinsame Anfertigung von schriftlichen Aussagen?
Diese und weitere Fragen sollen im Plenarsaal des Kammergerichts aus unterschiedlichen Perspektiven mit folgenden Teilnehmer*innen diskutiert werden:
Dr. Heiko Artkämper, Staatsanwaltschaft Dortmund. Verfasser des Buches ›Die gestörte Hauptverhandlung‹ und von polizeilicher Ausbildungsliteratur.
Kristin Klimke, Vorsitzende Richterin am Landgericht Berlin.
Prof. Dr. Günter Köhnken, Institut für Psychologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Als Aussagepsychologe von der Strafjustiz regelmäßig mit der Erstellung von Glaubwürdigkeitsgutachten beauftragt.
Marco Noli, Strafverteidiger aus München, Mitglied der ›AG Fananwälte‹.
Lukas Theune, Strafverteidiger Berlin. Promovend bei Prof. Dr. Singelnstein zum Thema ›Polizeibeamte als Berufszeugen im Strafverfahren‹.
Moderiert wird die Veranstaltung von Rechtsanwältin Dr. Kersten Woweries, Vereinigung Berliner Strafverteidiger.