Erster Fachanwaltslehrgang ›Migrationsrecht‹ des RAV
Start im Oktober 2016
MARKUS PROTTUNG UND BERENICE BÖHLO
Grundlage des Lehrgangskonzepts ist das Verständnis anwaltlicher Tätigkeit im Migrationsrecht als engagierte, konsequente Vertretung der Rechte und Interessen von Mandantinnen und Mandanten.
TRADITION
Unsere Aufgabe ist von einer klaren Positionierung in einem seit Jahrzehnten brisanten gesellschaftlichen Konfliktfeld geprägt. Diese Positionierung ist politische Haltung und zugleich logische Konsequenz aus dem Leitbild der Berufsordnung, die anwaltliche Tätigkeit als einseitige Interessenvertretung definiert. Sie ist solidarische Parteilichkeit zu denen, die strukturell von Machtausübung, Rassismus und Ignoranz betroffen sind.
Die Anwaltschaft selbst ist Teil dieses Konfliktfeldes. So hatte die Bundesrechtsanwaltskammer noch im Frühjahr 2015 gegen das Votum des entsprechenden Fachausschusses die Einführung des Fachanwaltstitels ›Migrationsrecht‹ abgelehnt. Begründet wurde dies unter anderem damit, dass es einseitig um Sachverhalte im Zusammenhang mit Einwanderung und nicht auch um Auswanderung gehe. Die im Fachanwaltstitel zum Ausdruck kommende besondere Spezialisierung sei nicht ausreichend gegeben. Außerdem seien junge Kolleginnen und Kollegen vor der irrtümlichen Annahme zu bewahren, das Rechtsgebiet sei wirtschaftlich lukrativ. All diese wenig überzeugenden Erwägungen wurden im Sommer 2015 als Reaktion auf die ›Willkommenskultur‹ und die veränderte öffentlichen Wahrnehmung in beeindruckender Geschwindigkeit aufgegeben.
Nicht wenige derjenigen, die bereits im Migrationsrecht tätig sind, zweifeln angesichts eines im Bereich Asyl und Aufenthalt rapide voranschreitenden Abbaus von Rechten durch die Gesetzgebung daran, dass Ressourcen in einen Fachanwaltskurs sinnvoll investiert wären. Der Fachanwaltstitel nähre die Illusion, der zunehmenden Verunrechtlichung ließe sich mit Qualifizierung adäquat begegnen. Zeit und Arbeitskraft könnten besser genutzt werden, wenn nachhaltig die durch die Gesetzgebung vorgegebenen und sich verschärfenden Rahmenbedingen der unmenschlichen und rassistischen Ausgrenzung unserer Mandantinnen und Mandanten thematisiert würden und wir unseren Widerstand dagegen organisieren.
Aus Sicht der Organisatorinnen und Organisatoren des Fachanwaltskurses ›Migrationsrecht‹ ist letztlich ausschlaggebend, dass der Fachanwaltskurs in der Tradition des RAV neben der Stoffvermittlung immer auch als Plattform für intensiven kollegialen Austausch, sich intensivierende Vernetzung und auch gemeinsame Reflexion über das anwaltliche Tun und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dient und dienen soll. Zudem muss uns die Welle der Verschärfungen im Aufenthalts- und Asylrecht Anlass geben, der Verunrechtlichung umso energischer verfassungs-, unions- und konventionsrechtliche Maßstäbe entgegenzusetzen. Dabei auf das Instrument des Fachanwaltskurses (nicht: -titels) zu verzichten, wäre keine überzeugende Schlussfolgerung aus der zutreffenden Analyse der Rahmenbedingungen.
KOMPETENZ
Fachanwaltliche Tätigkeit im Migrationsrecht definieren wir mit dem Ziel, die politische und menschenrechtliche Haltung mit anspruchsvoller juristischer Arbeit zu verbinden. Über die an § 14 p FAO orientierte umfassende Vermittlung der immer wieder neu komplizierten Rechtsmaterie gehen wir inhaltlich und auch zeitlich hinaus. In dem Lehrgang wird großer Wert auf Praxisorientierung und Handlungskompetenz gelegt, die die kompetente rechtliche Analyse aufgreift, aber weit mehr umfasst. Unter den oft erschwerten Bedingungen der Kommunikation im Binnenverhältnis geht es darum, die Zielsetzungen und Bedürfnisse der Mandantinnen und Mandanten zutreffend zu erfassen, strategisch zu bewerten und sinnvoll zu ergänzen. Praxisorientierung bedeutet weiter, in den jeweiligen Teilbereichen des Migrationsrechts diejenigen Mittel zu erfassen, die für die Durchsetzung der Ziele nutzbar gemacht werden können. Neben der juristischen Kompetenz gewährleisten vor allem Kenntnisse von Strukturen und Abläufen zu allen am Verfahren Beteiligten eine sichere Navigation.
Markus Prottung (Rechtsanwalt in Hamburg) ist Mitglied im RAV, Berenice Böhlo (Rechtsanwältin in Berlin) ist Vorstandsmitglied des RAV. Die hier verfasste kurze Übersicht entstand im Namen des gesamten RAV-Vorbereitungskreises für den Fachlehrgang ›Migrationsrecht‹.