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Editorial

Wir müssen Abschied nehmen von unserer Kollegin und Freundin Angelika Lex. Sie ist im vergangenen Jahr am 9. Dezember nach langer Krankheit verstorben. Ihre letzte Rede zur Verleihung des Georg Elser-Preis in München veröffentlichen wir auch zu ihrem Gedenken.
Der InfoBrief beginnt aber mit vier Positionierungen zu der Frage, warum heute (und damals) eine Mitgliedschaft im RAV sinnvoll gefunden wird – vier kurze Statements, die wir auch als Aufforderung an Kolleginnen und Kollegen, Unterstützende und Studierende verstehen, sich im RAV zu engagieren und als Mitglied tätig zu werden. Damit verbunden verweisen wir auf unser neues Kursangebot, den Fachanwaltskurs ›Migrationsrecht‹, auf S. 20. Bereits für Anfang Oktober ist der Beginn des ersten Kurses geplant. »Fachanwaltliche Tätigkeit im Migrationsrecht definieren wir mit dem Ziel, die politische und menschenrechtliche Haltung mit anspruchsvoller juristischer Arbeit zu verbinden«, so Berenice Böhlo und Markus Prottung in ihrer Ankündigung.
Jutta Hermanns und Helmut Pollähne widmen sich der Frage, warum die Bundesrepublik Deutschland sich weiterhin hartnäckig weigert, das 12. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention zu unterzeichnen – und wie wir darauf reagieren können. Sönke Hilbrans berichtet – ausgehend von zwei populären Aufklebern der Jahre 2001 und 2013 – über das sich Jahre hinziehende Verfahren vor dem BVerfG zum BKA-Gesetz, dessen schlussendliches Urteil enzyklopädische Ausmaße annehmen wird.
Benjamin Hersch berichtet vom (Teil-)Erfolg gegen mehrere Räumungsversuche der von Geflüchteten genutzten Gerhart Hauptmann-Schule in Berlin, von der auch in Hamburg berichtet wurde. Dort fand im September 2015 die erste Konferenz des neu gegründeten Netzwerkes ›Mieten und Wohnen‹ statt. Der RAV ist Teil des Netzwerkes und hat die Konferenz finanziell und personell unterstützt. Zwei Tage lang wurde professionsübergreifend intensiv über neue Weichenstellungen im Mietrecht, bei der Finanzierung und der Trägerschaft von preisgünstigem Wohnraum sowie neue Beteiligungsstrukturen diskutiert. Benjamin Raabe und Henrik Solf berichten.
»Wenn die ›Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation‹ sich einerseits formal-rechtlich besser aufstellt und andererseits personell und finanziell durchhält, könnte sie dem Strafvollzug zu dem zivilisatorischem Fortschritt verhelfen, der in den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts angestrebt, aber in den über 40  Jahren seither nur in Teilaspekten erreicht wurde«. Das ist die zentrale These, die Olaf Heischel in seinem Beitrag vertritt und untermauert, der von Gründung und Forderungen der Gewerkschaft berichtet. Die Gefangenen-Gewerkschaft sowie die Nicht-Umsetzung der Strafvollzugsgrundsätze waren auch das Thema der 3. Gefangenentage 2015. Die 4. Berliner Gefangenentage sind in Planung und sollen Anfang November 2016 zum Thema ›Vollzug und vorzeitige Entlassung‹ stattfinden. Wir werden rechtzeitig darüber informieren.
In einem längeren Beitrag setzen sich Michael Plöse und Volker Eick mit einem der jüngeren Hypes im deutschen Polizeiapparat auseinander – den BodyCams für RoboCops –, deren Sinnhaftigkeit ebenso in Frage steht, wie die rechtliche Grundierung ihres Einsatzes.
Drei Beiträge schließlich setzen sich mit den Aktivitäten des RAV im bzw. zum Ausland auseinander. Wir berichten vom ›Tag des verfolgten Anwalts‹, der dieses Jahr zur Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen in Honduras stattfand (Dina Meza), vom Prozess gegen die griechische Neonazi-Organisation ›Golden Dawn‹ aus Athen (Electra Aleksandropoulou, Irini Vlachou), bei dem der RAV als Unterstützer der Prozessbeobachtung fungiert, und von einer Reise in die von Israel besetzten palästinensischen Gebiete, an der die RAV-Kollegin Simona Möbius teilgenommen hat.

›Rassismus und Recht – Mobilitätsverweigerung in Europa‹, unter diesem Titel finden sich im zweiten Heftteil rund zwanzig Beiträge, die sich mit den gegenwärtigen Zuständen in und um Europa auseinandersetzen: Aus anwaltlicher Perspektive führen sämtliche Änderungen auf nationaler und europäischer Ebene dazu, dass potentielle Mandantinnen und Mandanten, die ihre Rechte einklagen wollen, den Zugang zu ihren Rechten vollständig verlieren werden; das gilt auch für psychosoziale und gesundheitliche Betreuung, also für – ebenfalls – Menschenrechte. Der hegemonial werdende rassistische Diskurs, untermalt von rassistischer Hetze, Brandanschlägen und Mordversuchen an Geflüchteten und UnterstützerInnen tragen dazu bei, diese ›neue‹ Normalität herzustellen. Unter anderen deshalb gibt es dieses Schwerpunktheft, den SonderBrief. Das ›kopfüber‹ beginnende Heft ist auch ein Angebot, mit dem RAV die Diskussion zum Thema ›Rassismus und Recht‹ fortzuführen – oder neu zu beginnen. Damit soll und muss auch ein Beitrag geleistet werden, sich dieser ›neuen‹ Normalität entgegenzustellen, deren Exekutoren die Schreibtischtäterinnen und Schreibtischtäter im BMI und BAMF sind. Die Liquidierung von Grundrechten in einer Geschwindigkeit, die ihresgleichen sucht, rekurriert darauf, man solle die ›Ängste der Bürger‹ ernst nehmen, als seien die in Leipzig, Dresden, Köln und sonst wo in der Republik marschierenden ›besorgten Bürger‹ nicht vielmehr ein nationalistischer Mob, orchestriert von NeonationalsozialistInnen und RassistInnen, die sich als ›Bürger der Ängste‹ ganz im Sinne der Bundesregierung verkleiden. Ein Schritt (und ein Ort), sich dem entgegenzustellen, kann der vom 10. bis 12. Juni 2016 stattfindende Kongress ›Welcome2Stay‹ sein, an dem sich der RAV organisatorisch und inhaltlich beteiligt. Der RAV ist auch Teil des Bündnisses ›My Right is Your Right‹ (https://myrightisyourright.de/), das aus dem Protest der Flüchtlinge auf dem Berliner Oranienplatz und in der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule hervorgegangen ist. In diesem Bündnis haben sich Flüchtlinge mit Kulturschaffenden und Unterstützerinnen und Unterstützern zusammen getan, um auf eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse hin- und des Rechtsausschlusses einer Gruppe von Menschen entgegenzuwirken. Am 20. März 2016 wird anlässlich des ›Internationalen Tags gegen Rassismus‹ eine große Demonstration dieses Bündnisses in Berlin stattgefunden haben. Das Inhaltsverzeichnis zum Schwerpunktheft findet sich am ›Heftende‹.

Hinweisen möchten wir schließlich auf eine längere rechtliche Kontroverse, an deren Austragung auch RAV-Kolleginnen und -kollegen für die Betroffenen beteiligt sind und die sich bis zum Europäischen Gerichtshof hinziehen dürfte: 761 Abmahnungen hatte die Geschäftsleitung bei Mercedes Bremen Beschäftigten dafür erteilt, dass sie sich gegen Planungen der Werksleitung zu Fremdvergabe und Leiharbeit zur Wehr setzten. Am 16. Februar 2016 fand der Kammertermin über die Klage von 30 Kolleginnen und Kollegen gegen die Abmahnung von Mercedes und gegen die restriktive Auslegung des Streikrechts statt, wonach nur Gewerkschaften für tariflich regelbare Ziele zum Streik aufrufen dürfen. Gleich zu Verhandlungsbeginn weigerte sich das Gericht, über die Frage des Streikrechts überhaupt zu verhandeln und entsprechend war das noch an diesem Tag verkündete Urteil: Die 761 Abmahnungen waren rechtens, alles andere, auch die Argumentation der vier Anwältinnen und Anwälte der Klägerinnen und Kläger (Gabriele Heinecke, Benedikt Hopmann, Reinhold Niemerg, Helmut Platow) konnten nicht überzeugen, weil das Gericht es nicht wagte, über den begrenzten Horizont der Rechtssprechung der 1960er Jahre hinaus zu denken. Die anwesenden Kolleginnen und Kollegen quittierten das mit Zwischenrufen und betonten auf der anschließenden Pressekonferenz ihre Entschlossenheit, in die nächste Instanz und bis zum Europäischen Gerichtshof ebenso zu gehen, wie in den öffentlichen Kampf um ein Streikrecht, das diesen Namen verdient.
Und auch in der Geschäftsstelle hat sich etwas getan: Wir freuen uns, dass Katrin Voß seit Mitte September 2015 als neue Mitarbeiterin für den RAV tätig ist und die Bereiche Mitgliederverwaltung, Buchhaltung und Betreuung des Fachlehrgangs ›Strafverteidigung‹ verantwortet. Zusammen mit Sigrid von Klinggräff bildet sie in der Geschäftsstelle das Team, das stets ein offenes Ohr für die Anliegen unserer Mitglieder hat und – neben diversen anderen Aufgaben – uns alle mit aktuellen Informationen zu RAV-Aktivitäten und Angeboten versorgt. Dabei freut sich die Geschäftsstelle und freuen wir uns, wenn wir diese Diskussionen fortsetzen und die politischen Aktivitäten dann im Kreis auch neuer Mitglieder umsetzen können – im Sinne nicht nur (rechts-)politischer Erfolge!

Die REDAKTION. Volker Eick, Carsten Gericke, Ursula Groos, Gabriele Heinecke, Peer Stolle