Folterverbot und Rechtsstaat in Deutschland

Jürgen Kühling

Einleitung

Folter ist verboten. Dieser Satz gehörte lange Zeit zu den wenigen Gewissheiten unserer Rechtsordnung. Der gefolterte Mensch wird seiner Würde beraubt. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Diese Sätze stehen am Anfang des Grundgesetzes. Sie sind das Fundament unserer staatlichen Ordnung. Auf legalem Wege kann es nicht geändert werden. Verletzungen der Menschenwürde können durch nichts gerechtfertigt werden. Das gilt folglich auch für das Folterverbot. In den 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde die Gewissheit in Frage gestellt, lange bevor der so genannte Krieg gegen den Terror dem Thema drängende Aktualität verlieh. Ein erster aktenkundiger Fall einer Drohung mit Folter durch unsere Polizei, der Fall Daschner, führte zu einer breiten Diskussion in den Medien und belebte auch die Fachdiskussion. Die Argumente sind inzwischen ausgetragen. Der Streit hat zwar nicht zu einer Annäherung der Positionen, wohl aber zu einem klaren Ergebnis geführt: Es bleibt dabei: Am Folterverbot wird nicht gerüttelt. Ich werde die Diskussion hier kurz referieren. Neue Gesichtspunkte kann ich dazu nicht beitragen, doch eine Vergewisserung ist angebracht. Das ethische und rechtliche Dilemma bleibt aktuell und die Auseinandersetzung darüber wird bei entsprechenden Anlässen zu Zeit wieder aufflackern. Schon deshalb ist es nützlich, sich die kontroversen Positionen noch einmal zu vergegenwärtigen.
Im Umfeld bleiben Fragen zu erörtern, etwa wie weit das Achtungs- und Schutzgebot des Art. 1 Abs. 1 GG reicht. Dort ist ja nicht von Folter die Rede, sondern von der Würde des Menschen. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention enthält ein ausdrückliches Folterverbot und formuliert es so: Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung ausgesetzt werden. Nach Art. 15 Abs. 2 EMRK darf davon „in keinem Fall“ abgewichen werden. Trifft diese Formulierung auch den Schutzumfang des Art. 1 Abs. 1 GG? Wo verläuft danach die Grenze des absoluten Eingriffsverbots? Dessen Konturen sollen im Folgenden näher nachgezeichnet werden. Schließlich möchte ich das Augenmerk auf das Schutzgebot des Art. 1 Abs. 1 GG richten. Was muss der Staat tun, um Menschenwürdeverletzungen im gesellschaftlichen Bereich zu verhindern. Erniedrigenden Behandlungen sind Mitbürger auch hier ausgesetzt, sei es in direkten Abhängigkeitsverhältnissen, sei es durch Wirtschafts- oder Meinungsmächtige, sei es im Herrschaftsbereich von Familien, ethnischen Gruppen oder anderen Zusammenschlüssen bis hin zu Sekten oder Religionsgemeinschaften.

Die Folterdebatte

Am Anfang der neuen Folterdebatte steht das Bild einer tickenden Bombe. Der Heidelberger Rechtsgelehrte Winfried Brugger hat sie als erster gezündet. Den Anstoß dazu hatte ein Vortrag von Niklas Luhmann aus dem Jahre 1992 gegeben. Luhmann hatte ein Gefahrenszenario entwickelt, in dem Folter ein plausibler Ausweg zu sein schien. In einer ironischen Wendung hatte er ihre Zulässigkeit bei telekommunikativer Überwachung durch international beaufsichtigte Gerichte erwogen. Brugger nahm sich des Problems an und bildete den folgenden Fall, der seitdem in verschiedenen Abwandlungen die Diskussion prägt: Die Stadt S wird von einem Terroristen mit einer chemischen Bombe bedroht und erpresst. Bei der Geldübergabe wird der Erpresser von der Polizei gefasst und in Gewahrsam genommen. Der Erpresser schildert der Polizei glaubhaft, dass er vor der Übergabe den Zünder der Bombe aktiviert hat. Die Bombe werde in drei Stunden explodieren und alle Bewohner der Stadt töten. Diese würden eines qualvollen Todes sterben, die schlimmste Folter sei dagegen nichts. Trotz Aufforderung gibt der Erpresser das Versteck der Bombe nicht bekannt. Androhungen aller zulässigen Zwangsmittel helfen nichts. Der Erpresser fordert eine hohe Geldsumme, die Freilassung rechtskräftig verurteilter politischer Kampfgenossen sowie ein Flugzeug mit Besatzung. Als Sicherheit sollen ihn namentlich benannte Politiker begleiten. Die Polizei sieht, nachdem eine Evakuierung der Stadt nicht möglich erscheint, nur noch ein einziges Mittel der Gefahrbeseitigung, nämlich das „Herausholen“ des Verstecks der Bombe aus dem Erpresser, notfalls mit Einsatz von Gewalt. Darf sie das? Brugger konstatiert zunächst, dass die Frage nach geltendem Polizei- und Verfassungsrecht zu verneinen ist. Er erkennt aber eine „Wertungslücke“ zwischen dem absoluten Folterverbot des Grundgesetzes und der EMRK auf der einen Seite und der ebenfalls verfassungsrechtlich und menschenrechtlich begründeten Pflicht des Staates zum Schutz des Lebens der Bürger auf der anderen. Diese Wertungslücke sei in Analogie zu den konventionsrechtlich abgesicherten Regelungen über den finalen Todesschuss dahin auszufüllen, dass in extremen Gefahrensituationen Folter nicht nur zulässig, sondern sogar geboten sei. Der Staat verletze sozusagen den contract social, auf den er sein Gewaltmonopol stützt, wenn er seine Bürger aus prinzipiellen Gründen vor verbrecherischen Anschlägen nicht schütze. Dagegen werden drei Arten von Einwänden erhoben. In tatsächlicher Hinsicht könne niemals mit Gewissheit vorausgesagt werden, ob die Folter den Richtigen treffe. Wer die Folter zulasse, nehme daher unvermeidlich in Kauf, dass Unschuldige ihr unterworfen würden. Außerdem sei unsicher, ob der Gefolterte die vorausgesetzten Kenntnisse tatsächlich besitzt und ob er sie dann auch wahrheitsgemäß preisgibt. Schon aufgrund dieser Unsicherheiten werde jede Aufweichung des Folterverbots zu einer Erosion des Menschenwürdeschutzes führen. Ein Prinzipieller Einwand geht dahin, der grundlegende Unterschied zwischen einer rechtsstaatlichen Ordnung und terroristischen bzw. kriminellen Organisationen dürfe niemals aufgegeben oder verwischt werden. Das absolute Folterverbot sei ein Grundstein unserer Verfassung. Aus rechtsphilosophischer Sicht wird argumentiert, es gebe Konflikte, die allein in der persönlichen Verantwortung des Individuums gelöst werden müssten. Es sei nicht Aufgabe der Rechtsordnung, den Polizisten, Politikern oder Ärzten an der Grenze des Rechts die Verantwortung abzunehmen. Ich stehe auf der Seite der Verteidiger des absoluten Folterverbots. Sie haben sich in der Fachdiskussion und, soweit ich sehe, auch in der öffentlichen Meinung durchgesetzt. Das Bundesverfassungsgerichts hat in ständiger Rechtsprechung staatlichen Sicherheitsmaßnahmen eine unüberschreitbare Grenze gesetzt (zuletzt BVerfGE 109, 133 <149 f.> - Sicherungsverwahrung -; U. v. 15.02.2006 – 1 BvR 357/05 – EuGRZ 2006, 83 <94> - Luftsicherheitsgesetz -). Danach gilt: Art. 1 Abs. 1 GG schützt den einzelnen Menschen vor Erniedrigung, Brandmarkung Verfolgung, Ächtung und ähnlichen Handlungen. Mit der Menschenwürde ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen geschützt, der es verbietet, ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. Sie kann keinem Menschen genommen werden und geht auch durch unwürdiges Verhalten nicht verloren. Es gehört zum Wesen des Menschen, in Freiheit sich selbst zu bestimmen und sich frei zu entfalten. Der Einzelne kann verlangen, in der Gemeinschaft grundsätzlich als gleichberechtigtes Glied mit Eigenwert anerkannt zu werden. Er darf niemals zum bloßen Objekt des Staates gemacht werden. Schlechthin verboten ist jede Behandlung des Menschen durch die öffentliche Gewalt, die dessen Subjektqualität, seinen Status als Rechtssubjekt grundsätzlich in Frage stellt, indem sie die Achtung des Wertes vermissen lässt, der jedem Menschen um seiner selbst willen zukommt. Die Bundesjustizministerin hat ein Rütteln am Folterverbot kategorisch ausgeschlossen. Im Fall Daschner haben die Gerichte die unter Folterdrohung zustande gekommenen Aussagen konsequent unberücksichtigt gelassen und den verantwortlichen Polizeibeamten mit einer angemessenen – eher symbolischen - Strafe belegt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil, leider nur aus formellen Gründen, zurückgewiesen (B. v. 14.12.2004 – 2 BvR 1249/04 -). Damit steht fest: Aussagen, die durch Folter oder unter Androhung von Folter zustande gekommen sind, dürfen im Strafverfahren weder gegen den Gefolterten selbst noch gegen andere verwertet werden. Das Folterverbot gilt selbstverständlich auch für unsere Geheimdienste. Sie dürfen nicht dazu beitragen, dass etwa terrorverdächtige Personen in anderen Ländern peinlich verhört werden. Soweit Grund für die Annahme besteht, dass dem Betroffenen die Folter droht, dürfen auch Verdachtsgründe nicht übermittelt werden. Die Bundesrepublik Deutschland darf auch verbündete Mächte beim Transport von Gefangenen in Folterländer nicht unterstützen. An Folterverhören in anderen Ländern dürfen unsere Agenten nicht teilnehmen. Sie dürfen auch den Folterern keine zweckdienlichen Fragen für ihre Verhöre an die Hand geben. Niemand darf in einen Staat abschoben werden, in dem ihm Folter oder erniedrigende Behandlung droht. Unbedenklich scheint es mir hingegen zu sein, wenn unsere Geheimdienste Informationen, die ohne ihr Zutun durch Folter zustande gekommen sind, bei der Beobachtung terroristischer oder krimineller Umtriebe verwerten. Das gilt auch, soweit dadurch der Verdacht auf bestimmte Personen gerichtet wird. Aber derartige Informationen dürfen nicht zu strafprozessualen Maßnahmen gegen Verdächtige wie etwa Durchsuchungen oder Telefonkontrollen führen. Der für solche Maßnahmen erforderliche Tatverdacht muss auf legale Weise, d.h. ohne Verletzung des Folterverbots, zustande gekommen sein. Dies alles dürfte, soweit ich sehe, dem herrschenden Meinungsstand und auch der offiziellen Praxis entsprechen. Die Frage, welchen Belastungen dieser Konsens standhält, ist indes offen. Im Fall Daschner stand die öffentliche Meinung überwiegend auf Seiten des Polizeibeamten, der eine Drohung mit Folter angeordnet hatte. Zwei Drittel der Examenskandidaten, denen Brugger den oben geschilderten Fall als Klausuraufgabe gestellt hatte, neigten zur Anwendung der Folter. Ein einziger dramatischer Terroranschlag in Deutschland, ein weiterer Fall Daschner können die Situation ändern und zu lautstarken Forderungen an Gesetzgebung und Justiz im Sinne Bruggers führen mit schwer absehbaren Konsequenzen. Ein Blick über den Atlantik zeigt die Gefahren einer solchen Entwicklung. Die USA haben im so genannten Krieg gegen den Terror das Folterverbot vielfach durchbrochen. Dies hat ihren moralischen Führungsanspruch nachhaltig geschwächt und den Hass, der den Terror nährt, verstärkt. Der Supreme Court hat dem leichtfertigen Umgang der Administration mit den Menschenrechten der Gefangenen zwar Schranken gesetzt. Aber das Folterverbot bleibt auch jetzt noch in bedenklicher Weise aufgeweicht. Nach der neuen gesetzlichen Regelung bleiben „alternative Verhörmethoden“ zulässig, können durch Folter erzwungene Aussagen verwertet werden und wird den Gefangenen Rechtsschutz gegen ihre Haftbedingungen und die Dauer der Haft versagt. Wir dürfen diesen Weg nicht einschlagen. Der Kampf gegen Terrorgruppen darf nicht zur Entgrenzung polizeilicher und geheimdienstlicher Befugnisse führen. Die Verfolgung der Täter muss strikt justizförmig bleiben. Auch ihre Menschenwürde ist unantastbar, ihre Grund- und Menschrechte sind zu wahren. Das Strafrecht darf zwischen Bürgern und Feinden nicht unterscheiden. Die vorbeugende Aufklärung muss rechtsstaatliche Standards wahren. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinen Entscheidungen zum großen Lauschangriff und zur Rasterfahndung auch hier Maßstäbe gesetzt. Mindestens ebenso wichtig ist eine Politik der Integration und der Verständigung mit den Teilen der Weltbevölkerung, aus denen der Terrorismus seine Kämpfer zu rekrutieren sucht.

Umfang des Folterverbots: „Erniedrigende Behandlung“

Das Folterverbot verdankt seinen Absolutheitsanspruch seiner Ableitung aus dem Menschenwürdeprinzip. Seine inhaltliche Reichweite ergibt sich aus diesem Prinzip. Zu fragen ist daher, wie weit der Schutz der Menschenwürde reicht, der durch keine Abwägung mit anderen Rechtsgütern relativiert werden kann. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage generell mit der so genannten Objektformel beantwortet. Danach darf der Staat den Einzelnen nicht zum bloßen Objekt seiner Handlungen machen. Fallbezogene Konsequenzen lassen sich daraus jedoch nur schwer ableiten. Der Einzelne ist staatlichen in Eingriffen in vieler Hinsicht unterworfen, ohne dass klar erkennbar wäre, wann die Grenze überschritten ist wird, jenseits derer der Mensch als bloßes Objekt behandelt wird (BVerfGE 30, 1 bringt dies auch zum Ausdruck; dazu Häberle, HStR I, 1. Aufl. 1987, S. 822; auch BVerfGE 109, 279 <312>). Anschaulicher wird die Menschenwürdeverletzung mit dem Begriff der „Erniedrigung“ oder der erniedrigenden Behandlung umschrieben, den das Bundesverfassungsgericht bereits im ersten Band seiner Entscheidungen verwendet und der in Art. 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 sowie in Art. 3 EMRK als weiteste Umschreibung des Folterverbots verwendet wird. Dort heißt es übereinstimmend: Niemand darf der Folter oder grausamer oder erniedrigende Behandlung unterworfen werden. Der Begriff der Erniedrigung trifft den Kern des Folterverbots auch nach deutschem Verfassungsrecht. Er zielt auf die Verletzung des allgemeinen Achtungsanspruchs, der den Kern der Menschenwürde ausmacht. Das „Folterverbot“ im Sinne der Menschenrechtskonvention aber auch im Sinne des Menschwürdeprinzips reicht damit deutlich über den allgemeinen Sprachgebrauch hinaus, der Folter mit extrem schmerzhaften und bis zur Unerträglichkeit gesteigerten Qualen gleichsetzt. Er ist auch umfassender als die Definition im Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (vom 10.12.1984 BGBl.1990 II S. 246). Nach Art. 1 des Übereinkommens ist Folter „jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden“, etwa um Aussagen oder Geständnisse zu erlangen, sie zu bestrafen oder einzuschüchtern. Art. 1 Abs. 1 GG verbietet weitergehend jede vorsätzliche Herabwürdigung des Menschen durch staatliche Organe. Der Staat darf seine Bürger nicht erniedrigen. Unter keinen Umständen, ohne Ausnahme. Es gibt dafür keine Rechtfertigung. Das ist das Fundament unserer Verfassung und der Menschenrechtskonvention. Nach Art. 15 Abs. 1 EMRK darf von dem Folterverbot des Art. 3 „in keinem Fall“ abgewichen werden. Der EGMR hat den Begriff der erniedrigenden Behandlung (degrading treatment) in ständiger Spruchpraxis näher ausgeformt. Als „unmenschlich“ betrachtet er eine Behandlung, die mit Vorbedacht darauf angelegt war, Angst- und Unterlegenheitsgefühle hervorzurufen oder den Betroffenen zu demütigen und herabzuwürdigen (to debase). Eine Verletzung von Art. 3 EMRK setzt ein gewisses Minimum an Gewichtigkeit (severity) voraus, das im Einzelnen anhand aller Umstände des Einzelfalls zu bestimmen ist. Körperlicher Zwang gegenüber Gefangenen verletzt das Folterverbot der Konvention, in jedem Fall, soweit er nicht durch eigenes Verhalten des Gefangenen unabweislich gebotenen ist (z.B. Labita ./. Italien – 26772/95 v. 06.04.2002). (außerdem noch Pantea ./. Rumänien 33343/96 v. 3.06.2003). Ebenso wie das Bundesverfassungsgericht betont der EGMR in ständiger Rechtsprechung den absoluten Charakter des Folterverbotes im Umfang des Art. 3 EMRK. Diese Konventionsnorm enthalte den fundamentalsten Wert demokratischer Gesellschaften. Sie gelte uneingeschränkt auch in den schwierigsten Lagen, wie etwa im Kampf gegen Terrorismus und organisiertes Verbrechen. Es gebe keine Ausnahmen und keine Abwägung zugunsten anderer Rechtsgüter (z.B. Labita ./. Italien – 26772/95 v. 06.04.2002). Die unvermeidlichen Eingriffe des Staates in Grundrechte werden davon nicht erfasst. Repressive oder präventive Maßnahmen, die auf der Grundlage rechtsstaatlich erlassener Rechtsnormen unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ergehen, mögen von den Betroffenen als erniedrigend empfunden werden. Das gilt für Durchsuchungen der eigenen Wohnung, das Anlegen von Handschellen, den Schlag mit dem Polizeiknüppel, Untersuchungs- und Strafhaft ebenso wie für Maßnahmen der Zwangsvollstreckung, der Entziehung des Sorgerechts für die eigenen Kinder oder Abschiebungen. Diese Maßnahmen sind für sich genommen nicht Ausdruck von Missachtung. Sie zielen nicht auf Demütigung oder Herabwürdigung des Betroffenen. Die Grundrechte, in die eingegriffen wird, sind auf gesetzlicher Grundlage zum Schutz anderer Rechtsgüter in zulässiger Weise eingeschränkt. Der durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Achtungsanspruch aller Menschen bleibt darüber hinaus grundsätzlich auch gewahrt, wenn die staatlichen Organe ihre Eingriffsmöglichkeiten in rechtswidriger Weise überschreiten, etwa Untersuchungshaft zu lange aufrechterhalten, Durchsuchungen ohne hinreichenden Tatverdacht oder ausländerpolizeiliche Maßnahmen ohne hinreichenden Anlass durchführen. Verletzt wird der Achtungsanspruch aber dann, wenn staatliche Eingriffe die Achtung des Wertes vermissen lassen, der jedem Menschen um seiner selbst willen zukommt. Das kann der Fall sein, wenn die Eingriffe Ausdruck oder Folge von diskriminierenden Unwerturteilen oder allgemeiner Missachtung sind, seien sie nun ethnisch, rassistisch, sozial oder religiös begründet. Werden festgenommene Demonstranten bei Durchsuchungen unnötigerweise dazu gezwungen, sich nackt auszuziehen, liegt in der beabsichtigten Demütigung ein klarer Menschenwürdeverstoß. Eine Verletzung des Achtungsanspruchs kann sich auch aus der Art der ergriffenen Maßnahme ergeben, so etwa beim heimlichen Belauschen intimer Gespräche in der Wohnung (BVerfGE 109, 279 <312 f.>). Soldaten der Bundeswehr dürfen nicht mehr wie in früheren Zeiten durchaus üblich „gedrillt“ werden, um ihre Persönlichkeit zu brechen damit sie sich willenlos den Befehlen ihrer Vorgesetzten fügen. Das Bundesverfassungsgericht hat staatlichen Eingriffen insbesondere im Bereich des Strafrechts, der Strafvollstreckung und des Strafvollzuges Grenzen gesetzt, die ebenso wenig verletzt werden dürfen wie das Folterverbot. So hält es die lebenslange Freiheitsentziehung und eine lang andauernde Sicherungsverwahrung nur dann für zulässig, wenn die grundlegenden sozialen Wert- und Achtungsansprüche nicht verletzt werden und die Freiheitsentziehung menschenwürdig ausgestaltet wird (BVerfGE 45, 187 <238 ff.>; 64, 261 <270 ff.>; 109, 133 <150 ff.>). Dem Gefangenen muss grundsätzlich eine Chance einer Entlassung verbleiben. Diese Aussicht macht dem Vollzug der lebenslangen Strafe nach dem Verständnis der Würde der Person überhaupt erst erträglich. Der Gesetzgeber muss ein wirksames Konzept der Resozialisierung entwickeln und den Vollzug darauf aufbauen. Ein Zwang zur Selbstbezichtigung berührt die Würde des Menschen und ist deshalb schlechthin unzulässig (BVerfGE 56, 37 <42>). Beim heimlichen Belauschen von Gesprächen in der Wohnung eines Verdächtigen dürfen Informationen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht gewonnen werden (BVerfGE 109, 279 <324 ff.>). Bei der Fernsehberichterstattung über ein Verbrechen darf die Identität des Täters nach der Verbüßung der Strafe in der Regel nicht mehr offen gelegt werden (BVerfGE 35, 202 – Lebach -). Aus dem Verbot der Brandmarkung ist abzuleiten, dass in Deutschland eine Bekanntgabe der Identität von aus der Strafhaft entlassenen Sittlichkeitstätern schlechthin unzulässig ist. Grundlage für die Zumessung der Strafe ist die Schuld des Täters. Das heißt: Das Strafrecht darf nicht unterscheiden zwischen Bürgern und „Feinden“ der staatlichen Ordnung. Das Schuldprinzip gilt auch gegenüber solchen Personen, die unsere Rechtsordnung ablehnen und aktiv bekämpfen, wie etwa Terroristen, Berufsverbrecher oder Mitglieder verbrecherischer Organisationen. Ein Feindstrafrecht darf es nicht geben. Dieser Begriff taugt nur zur kritischen Kennzeichnung grenzwertiger Strafrechtsnormen, als rechtspolitische Forderung verlässt er den Rahmen rechtsstaatlicher Verbrechensbekämpfung. Um Missverständnisse zu vermeiden sei hinzugefügt: Das Folterverbot in dem dargelegten weiteren Umfang schöpft den Schutzbereich der Menschenwürde nicht aus. Dieser erstreckt sich insbesondere auch auf einen unantastbaren Kern privater Lebensgestaltung, in den auch ohne erniedrigende Tendenz oder Wirkung nicht eingegriffen werden darf (BVerfGE 109, 279 <313>). Darüber hinaus wirkt er sich verstärkend auf den Schutzbereich zahlreicher Grundrechte aus. So leitet das Bundesverfassungsgericht den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ab und stützt seine Entscheidung zum großen Lauschangriff u.a. auf den Menschenwürdegehalt des Art. 13 Abs. 1 GG (BVerfGE 109 279 <313, 318>). Die im Luftsicherheitsgesetz begründete Befugnis, ein von Terroristen gekapertes Verkehrsflugzeug abzuschießen, wehrt es unter Rückgriff auf Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ab (EuGRZ 2006, 83 <94>). Darauf ist hier nicht näher einzugehen. Abschließend noch ein Wort zu der Grundsatzfrage, ob sich der Absolutheitsanspruch des Folterverbots mit den Sicherheitsbedürfnissen der Bevölkerung verträgt. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu in seinem Urteil zur Rasterfahndung (EuGRZ 2006, 448 <458 f.>) eine grundlegende und gültige Antwort gegeben: Der Staat darf und muss terroristischen Bestrebungen mit den erforderlichen rechtsstaatlichen Mitteln wirksam entgegentreten. Auf die rechtsstaatlichen Mittel hat er sich jedoch auch zu beschränken. Daran, dass er sich diese Beschränkung auch im Umgang mit seinen Gegnern beschränkt, zeigt sich gerade die Kraft des Rechtsstaats. Die Verfassung verlangt von ihm, eine angemessene Balance zwischen Freiheit und Sicherheit herzustellen. Das schließt nicht nur die Verfolgung des Zieles absoluter Sicherheit aus, die ohnehin faktisch kaum, jedenfalls aber nur um den Preis einer Aufhebung der Freiheit zu erreichen wäre. Das Grundgesetz unterwirft auch die Verfolgung des Ziels größtmöglicher Sicherheit rechtsstaatlichen Bindungen.

Schutzgebot

Dem Folterverbot oder weiter gefasst: dem Verbot erniedrigender Behandlung durch den Staat entspricht der Schutzauftrag aus Art. 2 Abs. 2 GG: Die Menschenwürde zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das lenkt den Blick auf Verletzungen der Menschenwürde im gesellschaftlichen Bereich. (...)
Erniedrigungen bis hin zu Quälerei und Folter sind auch in unserer Gesellschaft keine seltenen Ausnahmeerscheinungen. Besonders drastische Fallbeispiele bietet das weite Feld der Zwangsprostitution. Rohheitsverbrechen, bei denen die Menschenwürde – teilweise im Wortsinne – mit Füßen getreten wird, sind an der Tagesordnung. Auch bei uns gibt es inzwischen no-go-areas, in denen Ausländer Beschimpfungen, Drohungen und körperlichen Angriffen ausgesetzt sind. Aus den Strafanstalten wird über schwerste seelische und körperliche Verletzungen von Gefangenen durch Gefangene berichtet. Am schlimmsten trifft es die Sexualstraftäter, unter ihnen die Pädophilen. Einschlägige Verletzungen der Menschenwürde sind aber nicht auf kriminelle Milieus beschränkt. Auch in Familien gibt es Demütigung, Erniedrigung und inhumane Behandlung. Körperstrafen und Zwangsheiraten sind nur die Spitze des Eisberges. (...)
Der Staat muss sich daran messen lassen, wie weit er seiner Schutzpflicht Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG nachkommt. Justiz und Polizei schützen vor den genannten kriminellen Gefährdungen der Menschenwürde. Allerdings bleibt die Frage nach der Effektivität dieses Schutzes in einigen Zusammenhängen offen. Das gilt etwa für den Schutz von Sexualstraftätern vor Drangsalierungen durch Mitinsassen in den Strafanstalten. Solange Zwangsprostituierte vor einer Abschiebung nicht sicher sind, wenn sie Schutz bei der Polizei suchen, klafft auch hier eine Schutzlücke, die sich auch durch die jetzt beabsichtigte Pönalisierung der Freier kaum wird schließen lassen. (...) Gewiss: Schutzgebote legen den Staat nicht auf bestimmte Maßnahmen fest. Er muss dem Ziel treu bleiben, ist aber in der Wahl der Mittel frei. Ein Verfassungsverstoß liegt nur bei einer klar erkennbaren Vernachlässigung der Schutzpflicht vor. Das Bundesverfassungsgericht spricht von einem Untermaßverbot. Und: Es gibt keinen absoluten Schutz vor Erniedrigung, so wie es auch keinen absoluten Schutz vor Terroranschlägen oder Kriminalität gibt. Wohl aber verspricht das Grundgesetz im Einklang mit der EGMR absoluten Schutz vor Folter und Erniedrigung durch den Staat.

Fazit

Ich fasse zusammen: Der Staat darf nicht foltern. Er darf niemanden einer inhumanen oder erniedrigenden Behandlung aussetzen. Das Verbot gilt ausnahmslos. Es darf selbst dann nicht durchbrochen werden, wenn man hoffen kann, durch ein Foltergeständnis das Leben von Mitmenschen zu schützen. Dieses Ergebnis gehört zu den wenigen Gewissheiten unseres Rechts. Doch es ist in der Rechtswissenschaft nicht unangefochten und im Bewusstsein der Bevölkerung nicht allzu fest verankert. Seine Bewährungsprobe in innenpolitischen Krisensituationen, wie sie etwa durch dramatische Terroranschläge ausgelöst werden können, steht noch aus. Verboten ist nicht nur das Quälen von Gefangenen, um sie zu einer Aussage zu zwingen. Das absolute Folterverbot erstreckt sich auf jede unmenschliche Behandlung oder Strafe und jede Erniedrigung. In dieser Ausprägung hat es in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Spuren hinterlassen. Es setzt einem uferlosen Streben nach Sicherheit rechtsstaatliche Grenzen. Diese Rechtsprechung gehört zu den großen Verdiensten des Bundesverfassungsgerichts. Das Menschenwürdepostulat verpflichtet den Staat, die Menschen untereinander vor unwürdiger Behandlung und Erniedrigung zu schützen. Auf welchem Wege er diesen Schutz verwirklicht, schreibt ihm die Verfassung nicht vor. Verfassungswidrig handelt er nur, wenn er gegen das Untermaßverbot verstößt. Im großen Ganzen wird der Staat dieser Verpflichtung auch gerecht. Es gibt aber Bereiche, in denen Defizite nicht zu leugnen sind. Hier muss die Kritik ansetzen und die Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 GG einfordern. * Vortrag zur Konferenz: Das Folterverbot und der „Kampf gegen den Terror“ – Rechtlos im Rechtsstaat? am 13. und 14. Oktober 2006 im Preußischen Landtag in Berlin. Der Vortragsstil wurde beibehalten.
** Jürgen Kühling aus Hamburg war von 1989 bis 2001 Richter am Bundesverfassungsgericht und ist heute Rechtsanwalt in Hamburg.