Nach den Beobachtungen des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) kam es während des Castortransportes zu systematischen Verletzungen der Rechte auf Versammlungsfreiheit und aufder körperlichen Unversehrtheit der Demonstrant/innen sowie weiterer Grundrechte. "Die vielfach zitierte Überforderung einzelner Beamter kann dafür nicht als Begründung herhalten", bilanziert Rechtsanwalt Martin Lemke, stellvertretender Vorsitzender es RAV.
Die Kritikpunkte im Einzelnen:
Unverhältnismäßiger Einsatz von Zwangsmitteln
In seit langem nicht erlebtem Ausmaß setzten Polizeibeamte großflächig, ohne Vorwarnung und in unverhältnismäßiger Art und Weise Zwangsmittel wie Reizgas und Schlagstöcke ein. Mitglieder des "Legal-Teams", des Komitees für Grundrechte und Demokratie und Bundestagsabgeordnete beobachteten, wie friedlichen Demonstrant/innen aus weniger als 50cm Entfernung Reizgas direkt in die Augen gesprüht wurde. Ganze Waldabschnitte wurden mit CS-Gas vernebelt, so dass sämtliche dort Anwesende unterschiedslos betroffen waren. Polizeibeamte - darunter in mindestens einem Fall sogar ein Polizeisanitäter - wurden dabei beobachtet, wie sie ohne Vorwarnung und sichtbaren Grund auf Demonstrant/innen einprügelten. Durch diese Vorgehensweise wurden insgesamt mehr als 1000 Menschen verletzt. Über 30 Demonstrant/innen erlitten zum Teil schwere Kopfverletzungen.
Schwerste Verletzungen nach CS-Gaseinsatz
Am Dienstag, den 9. November 2010, wurde ein professioneller Kletterer, der sich an einen Baum gekettet hatte, von einem Polizeibeamten ohne Vorwarnung in vier Meter Höhe mit Reizgas derart attackiert, dass er vom Baum stürzte. Der Betroffene erlitt eine Fraktur im Brustwirbelbereich und musste mit einem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus gebracht werden. Zuvor hatten ihn weitere Beamten unter Gewaltandrohung noch über 500 Meter weiter weg getrieben, obwohl seine schwere Verletzung unübersehbar war und Augenzeugen die Beamten auch darauf hinwiesen.
Unzulässiger Einsatz europäischer Polizeibeamter
Beobachter des Legal Teams stellten mehrfach den Einsatz bewaffneter Polizeibeamter aus Frankreich und die Anwesenheit weiterer Beamter aus EU-Staaten in ihren jeweiligen Landesuniformen fest. Eine hinreichende Rechtsgrundlage hierfür ist bisher von Seiten des Landes Niedersachsen und des Bundes nicht benannt worden. Fotografen dokumentierten zudem den gewalttätigen Übergriff eines französischen Beamten auf einen Protestierenden. Der RAV fordert unverzüglich eine Aufklärung dieses Falls - auch in Hinsicht auf strafrechtliche Konsequenzen.
Polizeikessel ohne Rechtsschutz
Während der Räumung der Sitzblockade in Harlingen am 8. November 2010 errichteten Polizeibeamte unter Leitung eines Hamburger Polizeiführers über einen Zeitraum von mehr als sechs Stunden einen Polizeikessel , der ebenso falsch wie beschönigend als "Freiluft-Gesa (Gefangenensammelstelle)" deklariert wurde. Unter Umgehung des verfassungsrechtlich verbürgten Richtervorbehalts bei Freiheitsentziehungen wurde keine der dort festgehaltenen Personen einem Richter des Amtsgerichts Dannenberg zugeführt und auf diese Weise Rechtsschutz verweigert und die gebotene Freilassung der Betroffenen herausgezögert.
Durchsuchungen ohne richterlichen Beschluss
Am Montag, den 8. November 2010 stürmten Polizeibeamte u.a. der Beweissicherungseinheit aus Oldenburg und der 5. Einsatzhundertschaft aus Göttingen gegen 17 Uhr drei Höfe in Grippel, Zadrau und Langendorf und durchsuchten ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss die jeweiligen Scheunengebäude. Während der Durchsuchungsmaßnahme auf dem Hof in Grippel erfolgte selbst gegenüber dort anwesenden Rechtsanwält/innen weder eine Begründung noch eine Erörterung des polizeilichen Vorgehens. Die Beamten waren vermummt und nicht gekennzeichnet.
Behinderung von Beobachter/innen.
In einer Vielzahl dokumentierter Fälle versuchten Polizeibeamte die Tätigkeit von Demonstrationsbeobachter/innen, Rechtsanwält/innen und Bundestagsabgeordneten einzuschränken oder ganz zu unterbinden.
"Nach allen uns vorliegenden Berichten sind die Grundrechtsverstöße der eingesetzten Polizeieinheiten keine Einzelfälle. Es handelt sich anscheinend vielmehr um ein systematisches Vorgehen, das nicht hinnehmbar ist. Auch die Gefahr der Begehung von Ordnungswidrigkeiten oder eventuellen Straftaten gegen Sachen etwa durch das "Schottern" kann keine Rechtfertigung für systematische gewalttätige Übergriffen und rechtsstaatswidriges Vorgehen seitens der eingesetzten Polizeieinheiten sein", kommentiert Rechtsanwalt Martin Lemke.
"Das Vorgehen der Polizei während des Castortransports lässt befürchten, dass in diesem Rahmen rechtswidrige Strategien der Eindämmung großer demokratischer Protestbewegungen, die allein mit legalen polizeilichen Mitteln nicht kontrollierbar erscheinen, geübt und durchgesetzt werden sollten", ergänzt Rechtsanwältin Britta Eder.
Ansprechpartnerin für weitere Informationen und Rückfragen: Rechtsanwältin Britta Eder 0176 - 22169938.
Pressemitteilung (PDF): RAV fordert Konsequenzen aus systematischen Rechtsbrüchen zur Durchsetzung des Castortransports