Populistisches Vorhaben greift ungerechtfertigt in Grundrechte von Geflüchteten ein und ist weder sach- noch zweckgerecht.
In der vergangenen Woche beschloss das bayerische Kabinett die Einführung einer Bezahlkarte für Geflüchtete. Das Vorhaben sei ein Mittel zur Verringerung von "Zuzugsanreizen und der Finanzierung von Schlepperkriminalität". Außerdem wolle Bayern Vorreiter sein, die Beschlüsse aus dem Bund-Länder-Gipfel Anfang November umzusetzen.
Der RAV betrachtet das Vorhaben als populistische Symbolpolitik und kritisiert den erheblichen Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen. „Betroffen sei vor allem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung“, so Rechtsanwalt Yunus Ziyal von der AG Migrationsrecht Süd des RAV, „Mittels der Datenerhebung über ihre Einkäufe kann eine Kontrolle der Migrant*innen stattfinden, was auch die Erstellung von Bewegungsprofilen ermöglichen würde.“
Der Rechtsanwalt erklärt weiter: „Auch drohen erhebliche Einschränkungen in der allgemeinen Handlungsfreiheit, wenn die Sperrung bestimmter Waren und regionale Beschränkungen erfolgen, und wir befürchten schwerwiegende Verletzungen des Datenschutzes unserer Mandant*innen, insbesondere bei der übereilten Umsetzung hier in Bayern.“
Zudem ist das Vorhaben weder sach- noch zweckgerecht: In der Erfahrung der Migrationsrechtsanwält*innen würden Schleuser*innen in der Regel nicht nach der Flucht bezahlt, und die Betroffenen unterstützen ihre Verwandten im Ausland meistens erst dann, wenn sie selbst arbeiteten und Geld verdienten. Dies sei gleichzeitig ein Hauptanliegen der Betroffenen: die Unabhängigkeit von Sozialleistungen.
Zudem gibt es keine seriöse Quelle, die Bargeldauszahlung als Pullfaktor für Migration bestätigt. Die Migrationsforschung (*) zweifelt am schematischen System der Pull/Push-Faktoren als Erklärung für Fluchtentscheidungen und betont stattdessen die Bedeutung rechtsstaatlicher Garantien, die hier - zumindest auf dem Papier - für Alle gelte.
Die geplante Beschränkung führe schließlich zu Entmündigung der Betroffenen auch im Bereich Ernährung, wenn bestimmte - bspw. afrikanische - Lebensmittel bayernweit nur in München oder Nürnberg in Fachgeschäften erworben werden können, gleichzeitig Geflüchtete oft in ländlichen Kommunen untergebracht werden. Wenn Betroffene zudem an jeder Kasse als Asylbewerber*innen erkennbar sind, kein Onlinekauf möglich ist und "bestimmte Händler" ausgeschlossen sein sollen, resultiert das in weiterer Diskriminierung und Stigmatisierung der Betroffenen. Das System der Bezahlkarten hieße, dass jenseits großer Händler*innen keine Käufe getätigt werden könnten. Betroffen wären u.a. Veranstaltungen wie Weihnachtsmärkte oder Schulfeste, Käufe bei Straßenhändler*innen, private Käufe von Gebrauchtartikeln, Tickets im ÖPNV oder Toilettengebühren. Das Gegenteil von Integration wäre die Folge.
Auch wie Geldzahlungen für die Beschaffung von Personalpapieren aus der Heimat erfolgen sollen, die von den Ausländerbehörden regelmäßig gefordert werden, oder wie die Menschen ihre rechtliche Vertretung finanzieren sollen, ist nicht geklärt. Die überwiegende Zahl der asylrechtlichen Mandant*innen kommt für die Gebühren selbst auf; Prozesskostenhilfe wird regelmäßig abgelehnt.
Die massiven Eingriffe in die Rechte auf Handlungsfreiheit, informationelle Selbstbestimmung, Datenschutz und Bewegungsfreiheit halten die Rechtsanwält*innen vom RAV für ungerechtfertigt. Die bayerische Staatsregierung wird aufgefordert, von diesem populistischen Schnellschuss Abstand zu nehmen und sich stattdessen auf rechtlich und praktisch durchdachte Lösungen zu konzentrieren.
* Z.B. Oliviero Angeli, wissenschaftlicher Koordinator des Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM) an der Technischen Universität Dresden.
Kontakt:
Rechtsanwalt Yunus Ziyal, Email: yunus.ziyal@anw-nbg.de
oder Kontakt über die Geschäftsstelle des RAV
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