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„Straßenblockierer und Museumsrandalierer härter bestrafen - Menschen und Kulturgüter vor radikalem Protest schützen"

RAV-Stellungnahme zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion anlässlich der Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 18. Januar 2023.

Verfasser: Adrian Furtwängler, Rechtsanwalt

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Vorbemerkung

Die CDU/CSU-Fraktion fordert in dem hier zu besprechenden Antrag, der Bundestag möge zunächst feststellen, dass sich die Aktionen der Klimagerechtigkeitsbewegung innerhalb der letzten Monate zu einem radikalen und aggressiven Protest gewandelt habe, welcher kriminelle Mittel nicht scheue und dabei auch Leib und Leben von Menschen gefährde. Durch die Aktionen seien Rettungsfahrzeuge im Einsatz behindert, Historische Kunstwerke mutwillig beschädigt und das nationale Kulturgut absichtlich angegriffen worden. Die Aktionen seien nicht durch Art. 8 des Grundgesetzes gedeckt und bewegten sich außerhalb der demokratischen Ordnung. Aufbauend hierauf beantragt die CDU/CSU- Fraktion verschiedener Straftatbestände im StGB, sowie eine schwerwiegende Veränderung der Regelung zur Strafaussetzung zur Bewährung. Einen im konkreten Beschlussantrag nahezu wortgleich übernommenen Antrag der dortigen AfD-Fraktion[1] hat der Landtag von NRW mit den Stimmen der übrigen Fraktionen vollumfänglich abgelehnt.[2]

Die Stellungnahme widmet sich zunächst den unter Punkt I aufgeführten Grundannahmen des Antrages, ehe hierauf aufbauend eine Stellungnahme zu den einzelnen konkreten Forderungen unter Ziffer II des Antrages erfolgt.

I. Zu den Grundannahmen des Antrages

Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Antrag der CDU/CSU-Fraktion im Hinblick auf die dort angeführte vermeintliche Problemlage im Zusammenhang mit den Aktionen der Klimagerechtigkeitsbewegung[3] bedauerlicherweise keine überprüfbaren Quellen aufweist. Hinsichtlich der im Antrag enthaltenen Annahme, dass Historische Kunstwerke mutwillig beschädigt worden sein sollen, sei zur Vollständigkeit darauf hingewiesen, dass an den Gemälden selbst im Museum Barberini, der Alten Pinakothek München und der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister jeweils keine Schäden entstanden sind.[4] Mit der Einschätzung der Antragsteller*innen, dass sich der Protest außerhalb der demokratischen Grundordnung verorte, widersprechen sie jedenfalls der Einschätzung des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der feststellte, dass die Aktionen gerade zum Ausdruck brächten, wie sehr die Aktivist*innen das demokratische System respektieren.[5] Einer ausführlichen Betrachtung bedarf die im Antrag enthaltene Grundannahme, die Aktionen seien nicht durch Art. 8 GG gedeckt, es handele sich um Straftaten statt demokratischer Mittel und „der Rechtsstaat“ erfordere eine schnelle und harte Bestrafung der Aktionen. Diese Grundannahmen sind zum einen mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unvereinbar und zeugen darüber hinaus von einem autoritären und im Kern antidemokratischen Rechtsstaatsverständnis.

1. Zur rechtlichen Bewertung der Sitzblockaden

Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion nimmt im Hinblick auf die Strafbarkeit der Sitzblockaden von Klimaaktivist*innen eine Wertung vor, die in einem Rechtsstaat zunächst unabhängigen Gerichten obliegt und von diesen bislang nicht abschließend beurteilt wurde. Es ist insofern vorab darauf hinzuweisen, dass der weit überwiegende Teil der diesbezüglichen Verfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen ist und insbesondere höchstrichterliche Entscheidungen bislang nicht vorhanden sind. Auch erstinstanzlich kann jedoch angesichts mehrerer Entscheidungen, die eine Strafbarkeit der Aktivist*innen nicht gegeben sehen[6] von einer einhelligen Rechtsprechung nicht gesprochen werden.

Es ist darauf hinzuweisen, dass von den im Antrag der CDU/CSU-Fraktion enthaltenen Strafnormen lediglich die Nötigung gem. § 240 StGB in den Verfahren eine praktische Rolle spielt.

Die grundsätzlichen rechtlichen Rahmenbedingungen diesbezüglich sind durch die Rechtsprechung des Bundverfassungsgerichts gesetzt und sprechen – soweit man diese Rechtsprechung ernstnimmt – gegen eine Strafbarkeit eines Großteils der Aktionen. Sie erfordern jedoch in jedem Fall eine umfassende Auseinandersetzung mit allen Umständen des Einzelfalls. Zum einen erfordert der Gewaltbegriff im Tatbestand des § 240 Abs. 1 StGB angesichts der ansonsten potentiell nahezu uferlosen Strafbarkeit eine eingrenzende Auslegung.[7] Ob die zur Begründung der Strafbarkeit bislang angewandte sog. „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ langfristig weiterhin haltbar ist, wird in der neueren Rechtsprechung teilweise auch in Zweifel gezogen[8], wobei hierauf in dieser Stellungnahme nicht näher eingegangen werden soll. Zum anderen ist aufgrund des weiten Tatbestands die im Rahmen des § 240 Abs. 2 StGB vorzunehmenden Verwerflichkeitsprüfung als tatbestandsregulierendes, die handelnde Person begünstigendes strafbarkeitsbeschränkendes Korrektiv anzuwenden.[9] Im Rahmen dieser Verwerflichkeitsprüfung sind insbesondere die verfassungsrechtlich geschützten Positionen der Aktivist*innen zu berücksichtigen.

a.) Versammlungsfreiheit und Sitzblockaden.

Auch Sitzblockaden unterliegen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem Schutz der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG. Es ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass gerade die Aktionen Zivilen Ungehorsams der Klimagerechtigkeitsbewegung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zur Entstehung der wichtigsten Rechtsprechung im Bereich des Versammlungsrechts beigetragen haben. In der Brokdorf-Entscheidung von 1985 hat das Bundesverfassungsgericht das heute grundlegende Verständnis der Versammlungsfreiheit definiert. Demnach sind Versammlungen ein „wesentliches Element demokratischer Offenheit […] Sie bieten ... die Möglichkeit zur öffentlichen Einflußnahme auf den politischen Prozeß, zur Entwicklung pluralistischer Initiativen und Alternativen oder auch zu Kritik und Protest ...; sie enthalten ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren. Namentlich in Demokratien mit parlamentarischem Repräsentativsystem und geringen plebiszitären Mitwirkungsrechten hat die Versammlungsfreiheit die Bedeutung eines grundlegenden und unentbehrlichen Funktionselementes.[…] Schon generell gewinnen die von diesen Organen auf der Grundlage des Mehrheitsprinzips getroffenen Entscheidungen an Legitimation, je effektiver Minderheitenschutz gewährleistet ist; die Akzeptanz dieser Entscheidungen wird davon beeinflußt, ob zuvor die Minderheit auf die Meinungsbildung und Willensbildung hinreichend Einfluß nehmen konnte (vgl. BVerfGE 5, 85 (198f)). Demonstrativer Protest kann insbesondere notwendig werden, wenn die Repräsentativorgane mögliche Mißstände und Fehlentwicklungen nicht oder nicht rechtzeitig erkennen oder aus Rücksichtnahme auf andere Interessen hinnehmen (vgl. auch BVerfGE 28, 191 (202)).“[10]

Eine Versammlung im Sinne des Art. 8 GG ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.[11] Dazu gehören auch solche Zusammenkünfte, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird.[12] Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden.[13] Bei einer Versammlung geht es darum, dass die Teilnehmer nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen.[14]

Eine Versammlung verliert den Schutz des Art. 8 GG grundsätzlich bei kollektiver Unfriedlichkeit. Unfriedlich ist danach eine Versammlung, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden, nicht aber schon, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen.[15] Der Schutz des Art. 8 GG besteht zudem unabhängig davon, ob eine Versammlung anmeldepflichtig und dementsprechend angemeldet ist.[16]

Die Sitzblockaden von Klimaaktivist*innen innerhalb der letzten Monate unterliegen nach diesen Kriterien dem Schutz der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG. Sie sind – wie sich den bislang veröffentlichten Entscheidungen, aber auch der Berichtserstattung entnehmen lässt – von einer absoluten Friedlichkeit der Aktivist*innen geprägt. Sie stehen zudem, wie sich anhand der zitierten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nachvollziehen lässt, in einer langen Tradition der demokratisch engagierten Zivilgesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Sie bewegen sich nicht außerhalb der demokratischen Ordnung, sondern sind wesentliches Element einer lebhaften Demokratie. Aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ist daher diese grundlegende Bedeutung auch im Strafrecht zu beachten und ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit nur zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt.

Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, hat das Bundesverfassungsgericht festgehalten, dass im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung des § 240 Abs. 2 StGB eine umfassende Abwägung gegenüberstehender Rechtsgüter erfolgen muss. Wichtige Abwägungselemente sind hierbei die (a) Dauer und die Intensität der Aktion, (b) deren vorherige Bekanntgabe, (c) Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, (d) die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch (e) der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand. Das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Strafgericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben.[17]

b) Sachbezug der Aktionen

Es besteht gleich in mehrerlei Hinsicht ein Sachbezug zwischen dem Anliegen der Aktivist*innen und den konkret gewählten Aktionsorten und betroffenen Personen. Eine besondere Bedeutung entfaltet jedoch die in diesen Verfahren besondere Konstellation, dass die von den Aktionen zuvorderst angesprochene Thematik der Klimakrise und insbesondere der Dringlichkeit, Maßnahmen gegen diese zu ergreifen, ein Thema ist, das jeden auf diesem Planeten lebenden Menschen grundsätzlich und insbesondere auch im Hinblick auf seine zentralen Freiheitsrechte in der Zukunft betrifft.

Das Umweltbundesamt hinsichtlich der akuten Bedrohung durch die Klimakrise unter Bezugnahme auf den 6. Bericht des IPCC bekanntgegeben, dass eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad zwar noch möglich sei. Dies jedoch nur bei einer „sofortigen globalen Trendwende“ sowie „tiefgreifenden Treibhausgas-Minderungen in allen Weltregionen und allen Sektoren (d.h. in Energiesystemen, Städten, Land- und Forstwirtschaft, Landnutzung, Gebäuden, Verkehr und Industrie).“[18]

Darüber hinaus besteht der Bezug auch darin, dass gerade der Verkehrssektor einen immensen Einfluss auf die Möglichkeit hat, die Klimaziele zu erreichen. Auch hierzu hat das Umweltbundesamt ausführlich berichtet, dass gerade der Verkehrssektor für 20% der Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich ist und eine Umgestaltung für die Einhaltung der Klimaziele unerlässlich ist.[19] Dies betrifft insbesondere auch den Individualverkehr mit PKW. Der Expertenrat für Klimafragen hat im Bezug hierauf explizit festgestellt, dass im Verkehrssektor derzeit nicht einmal versucht werde, die Klimaziele tatsächlich einzuhalten. Es wäre eine 14-mal höhere Minderungsmenge der Gesamtemissionen in diesem Bereich notwendig.[20]
Ein wesentlicher Bezugspunkt ist auch, dass für die Einhaltung der Klimaziele eine unverzügliche Abkehr von fossilen Energieträgern notwendig ist. Gerade die Gewinnung von Öl erfolgt zu einem nicht unerheblichen Anteil dafür, Treibstoffe für Kraftfahrzeuge herzustellen.
Die betroffenen Autofahrer*innen sind dementsprechend als Akteur*innen des täglichen Individualverkehrs, als Adressat*innen der Aufrufe für eine Verkehrswende, als Verbraucher*innen der Treibstoffe, insbesondere aber als Teil des Prozesses der Öffentlichen Meinungsbildung unmittelbar mit der Thematik verbunden und keine Unbeteiligten. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit bereits deutlich zum Ausdruck gebracht, dass ein solcher Sachbezug nicht nur bei Versammlungen bestehe, die im direkten Umfeld von Entscheidungsträger*innen und Repräsentant*innen stattfinden.[21]

c) Die Bekämpfung der Klimakrise als Verfassungsziel aus Art. 20a GG

Eine Besonderheit der Sitzblockaden von Klimaaktivist*innen ist, dass aufgrund des wegweisenden Klima-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts[22] auch der Art. 20a GG im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung Berücksichtigung zu finden hat. Das Bundesverfassungsgericht hat insofern klargestellt, dass Art. 20a GG eine justiziable Rechtsnorm ist, „die den politischen Prozess zugunsten ökologischer Belange auch mit Blick auf die künftigen Generationen binden soll.“ Dabei erwächst aus Art. 20a GG eine objektivrechtliche Schutzpflicht des Staates, welche „auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen“ beinhaltet.
In Wahrnehmung seines Konkretisierungsauftrags und seiner Konkretisierungsprärogative hat der Gesetzgeber das Klimaschutzziel des Art. 20a GG durch § 1 Satz 3 KSG dahingehend bestimmt, dass der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen ist.[23] Das BVerfG hat im Hinblick auf die Gefahren des Klimawandels darüber hinaus jedoch auch festgehalten, dass die Folgen einer Nichteinhaltung dieser Begrenzung der globalen Durchschnittstemperatur zugleich auch eine Gefahr für das Leib und Leben der hier lebenden Menschen und für die Freiheitsrechte der folgenden Generationen darstellt, da diese bei Unterlassen notwendiger Maßnahmen zum Klimaschutz die natürlichen Lebensgrundlagen nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten und somit in ihren Grundrechtspositionen eingeschränkt sind.[24] Vor diesem Hintergrund ist eine Vereinbarkeit mit Art. 20a GG Voraussetzung für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung jedes staatlichen Eingriffs in Grundrechte.[25] Dementsprechend ist auch Art. 20a GG und somit die Dringlichkeit der Bekämpfung der Klimakrise in die im Rahmen des § 240 Abs. 2 StGB vorzunehmende Abwägung zugunsten der Aktivist*innen einzubeziehen.[26]

d) Rechtfertigender Notstand

In der Rechtsprechung bislang weitestgehend unbeachtet und daher ungeklärt ist, ob die Aktionen der Klimaaktivist*innen die Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstandes gem. § 34 StGB erfüllen und schon aus diesem Grund nicht als rechtswidrig anzusehen sind. Es sprechen jedoch wesentliche Argumente dafür, die hier lediglich kurz dargestellt werden sollen.

aa) Es ist zunächst eine Gefahr für notstandsfähige Rechtsgüter gegeben. Das OLG Naumburg hatte bereits im Bezug auf den Tierschutz festgehalten, dass drohende Gefahren für Rechtsgüter, die durch Staatszielbestimmungen verfassungsrechtlich geschützt sind, im Rahmen des § 34 StGB Berücksichtigung finden und somit einen Rechtfertigungsgrund darstellen können.[27] Die effektive Bekämpfung des Klimawandels zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen hat durch Art. 20a GG als Staatszielbestimmung verfassungsrechtlichen Rang und stellt ein Notstandsfähiges Rechtsgut dar. Auf die diesbezügliche Konkretisierung des Schutzauftrages und die ausdrücklich anerkannte unmittelbare Gefahr für verfassungsrechtlich geschützte Freiheitsrechte durch die Klimakrise durch das Bundesverfassungsgericht wurde oben bereits hingewiesen.[28] Die Konsequenzen eines über 1,5 C° hinausgehenden Temperaturanstiegs sind in ihrem Ausmaß nicht nur grundrechtseinschränkend, sondern vielmehr für eine Vielzahl von Grundrechtspositionen existentiell bedrohend.[29]

bb) Die Gefahr ist auch gegenwärtig. Gegenwärtig ist die Gefahr dann, wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr oder nur unter erheblichen Risiken abgewendet werden kann. Zwar hat die globale Erderwärmung die kritische Grenze von 1,5 Grad noch nicht überschritten – doch das steht der Gegenwärtigkeit nicht entgegen. Es kommt vorliegend vielmehr darauf an, bis wann die Gefahr eines solchen Temperaturanstiegs noch hinreichend erfolgreich abgewendet werden kann – die Gegenwärtigkeit erfordert also, dass sofortiges Handeln notwendig ist. Nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Klimawandel ist dies der Fall, da eine Einhaltung der 1,5 Grad-Grenze nur bei einer „sofortigen globalen Trendwende“ und unmittelbaren wirksamen Maßnahmen realisierbar ist.[30]

cc) Die Gefahr dürfte nicht anders abwendbar sein. Die Handlung der Blockierenden müsste daher zur Abwehr der Gefahr geeignet und erforderlich sein. Die Tathandlung selbst führt zwar nur mittelbar zu einer Reduzierung von Treibhausgasen und damit nicht unmittelbar zu einer Abwehr der Gefahren des Klimawandels insgesamt. Abwendbar sind die Gefahren des Klimawandels aufgrund der globalen Dimension von Klima und Erderwärmung nur durch internationales politisches Handeln. Das BVerfG hat hierzu ausgeführt, das Gebot des Klimaschutzes verlangt vom Staat zur Abwendung der Gefahren international ausgerichtetes Handeln zum globalen Schutz des Klimas und verpflichtet, im Rahmen internationaler Abstimmung auf Klimaschutz hinzuwirken.[31] Staatliches Handeln ist jedoch nach der grundlegenden Funktionsweise der Demokratie Ausfluss einer aus dem öffentlichen Diskurs entspringenden gesellschaftlichen politischen Meinungsbildung. Hierauf zielen die Aktionen erkennbar ab – durch ein öffentliches Aufrütteln zu dem gebotenen öffentlichen Diskurs über wirksamen Klimaschutz anzuregen und hierdurch staatliches Handeln zu fordern.[32]

Dass das zur Bekämpfung der Klimakrise notwendige staatliche Handeln seit langem unterbleibt, hat das Bundesverfassungsgericht in dem o.g. Klima-Beschluss festgestellt. Dies wird auch in der juristischen Literatur im Strafrecht inzwischen durchaus anerkannt.[33] Dass dies dazu führt, dass die Aktionen von Klimaaktivist*innen auch als erforderlich im Rechtssinne angesehen werden können, hat zuletzt auch in der Rechtsprechung Anerkennung gefunden.[34]

e) Fazit

In der Gesamtbetrachtung lässt sich mithin sagen, dass – soweit die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz des Art. 8 GG im Strafverfahren und zu Art. 20a GG ernstgenommen wird - eine Strafbarkeit der Sitzblockaden in den meisten Fällen nicht gegeben sein dürfte. Die im Antrag der CDU/CSU-Fraktion zum Ausdruck gebrachte pauschale Bewertung der Sitzblockaden als „radikale“ und „aggressive“ Protestform, welche nicht unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit stünde, zeugt von einem rechtspolitischen Willen, den durch das Bundesverfassungsgericht im Brokdorf-Beschluss begründeten weitreichenden Schutz der Versammlungsfreiheit und das rechtsstaatlich-liberale Verständnis von Versammlungen (und somit auch von Aktionen des zivilen Ungehorsams) als wesentliches Funktionselement der Demokratie einzuschränken und somit einzelne unliebsame Protestformen dem Schutzbereich zu entnehmen. Sie stellt damit den Wesensgehalt des Art. 8 GG als „Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt […und…] als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewußten Bürgers“[35] grundlegend in Frage.

2. Zur rechtlichen Bewertung der Aktionen in den Museen

Die rechtliche Bewertung der Aktionen in den Museen dürfte maßgeblich von den konkreten Umständen des Einzelfalles abhängig sein, insbesondere inwieweit überhaupt eine Beschädigung eingetreten ist, die für die handelnden Personen vorhersehbar war bzw. von diesen in Kauf genommen wurde. Auch soweit eine solche gegeben sein sollte, können auch diese Aktionen grundsätzlich unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG stehen.[36] Auch werden die o.g. Ausführungen zu einer Rechtfertigung durch § 34 StGB unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sein. Im Ergebnis verbietet sich auch diesbezüglich eine pauschale rechtliche Beurteilung ohne Bezug auf den Einzelfall, wie sie sich in dem Antrag wiederfindet. Soweit dies öffentlich nachvollziehbar ist, existiert zu den Aktionen bislang keine gerichtliche Entscheidung. Angesichts der Gesamtzahl von 3 derartigen Aktionen in Deutschland ist jedoch darüber hinaus auch nicht davon auszugehen, dass sich aus diesen Aktionen eine besondere Notwendigkeit einer Verschärfung des Strafrechts insgesamt ergibt.

II. Zu den konkreten Beschlussanträgen

Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen soll nunmehr auf die konkreten Beschlussanträge unter Punkt II. des Antrages eingegangen werden. Zu der Forderung nach einer zeitnäheren Bestrafung der Aktivist*innen lässt sich insoweit lediglich sagen, dass sich ein demokratischer Rechtsstaat gerade dadurch auszeichnet, in erster Linie an einem fairen und an verfassungsrechtlichen Grundsätzen orientierten Verfahren interessiert zu sein. Die Beschleunigung des Strafverfahrens als Selbstzweck zu sehen, ist in der Vergangenheit allzu oft mit dem Abbau von Verteidigungsrechten einhergegangen und steht daher durchaus im Widerspruch zu einer Stärkung des Rechtsstaates. Im Übrigen ist die in vielen Fällen durchaus zu bemängelnde Verzögerung von Verfahren maßgeblich darin begründet, dass alle Verfahrensbeteiligten unter einer Politik der zunehmenden Kriminalisierung bei gleichzeitiger Vernachlässigung der für ein faires Verfahren notwendigen Infrastruktur zu leiden haben. Der Antrag leistet insofern keinen Beitrag für eine tatsächliche Lösung dieses Problems.

1. Änderung des § 240 Abs. 4 StGB

Soweit in dem Antrag gefordert wird, in § 240 Abs. 4 StGB weitere Regelbeispiele für einen besonders schweren Fall der Nötigung einzuführen, wonach Täter, die eine öffentliche Straße blockieren und billigend in Kauf nehmen, dass Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben behindert werden oder die eine große Zahl von Menschen durch ihre Blockaden nötigen – etwa dann, wenn es durch die Blockaden im Berufsverkehr zu langen Staus kommt mit einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden, gründet dies offenkundig nicht auf einer strafrechtlichen Notwendigkeit hierfür. In den zu den Sitzblockaden ergangenen Entscheidungen wurden – soweit es sich um Verurteilungen handelt – weitestgehend (Gesamt-)Geldstrafen von unter 90 Tagessätzen ausgesprochen.[37] Dies bringt schon hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass selbst die Gerichte, die die Aktionen als strafbar ansehen jedenfalls nicht von einem Unrechtsgehalt der Tat ausgehen, das eine höhere Sanktion erfordert – schon gar nicht die Verhängung einer Freiheitsstrafe, die nach Ansicht der Antragsteller*innen die Regel werden soll. Eine konkrete Behinderung von Rettungskräften ist erkennbar in keinem dieser Fälle erfolgt und könnte auch bereits nach der derzeitigen Rechtslage durch die Gerichte ausreichend berücksichtigt werden. Die Entscheidung des AG Frankfurt am Main zu einer Abseilaktion im Rahmen der Proteste gegen die Räumung des Dannenröder Forstes[38] zeigt, dass es den Gerichten schon nach der aktuellen Rechtslage frei steht, einen besonders schweren Fall nach den Umständen des Einzelfalles anzunehmen. Zugleich zeigt die Rechtsprechung des BGH, auf die sich das AG Frankfurt bezieht, dass es auch nach Ansicht des Bundesgerichtshofs keinerlei Anlass dazu gibt, davon auszugehen, dass alleine die Nötigung einer großen Zahl von Menschen – etwa durch eine Autobahnblockade – den Unrechtsgehalt derart steigert, dass ein besonders schwerer Fall anzunehmen sei.[39]

Der Vorschlag dient daher erkennbar dazu, eine Einzelfallgesetzgebung schaffen zu wollen, um mit dem Ziel der höheren Bestrafung unliebsamer Protestformen in die Rechtsprechung der unabhängigen Gerichte einzugreifen. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund, dass auch diese Protestformen unter dem besonderen Schutz der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG stehen (s.o.), aus rechtsstaatlicher Sicht äußerst gefährlich.

Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Annahme, eine Veränderung des Strafrahmens dahingehend, dass eine Tat in der Mindeststrafe mit Freiheitsstrafe bedroht ist, nach kriminologischen Erkenntnissen nicht zu einer tatsächlichen Abschreckungswirkung führt.

2. Änderung des § 315b StGB

Die CDU/CSU-Fraktion beantragt, den Straftatbestand des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b StGB) so auszugestalten, dass die Täter bereits dann bestraft werden, wenn die Blockade dazu geeignet ist, Leib und Leben eines Menschen zu gefährden und die Täter nur billigend in Kauf nehmen, dass Rettungsdienste nicht zu Unfallopfern durchkommen und den Strafrahmen auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren anzuheben. Der § 315b StGB ist derzeit grundlegend so ausgestaltet, dass es zur Erfüllung des Tatbestandes einer abstrakten Gefährdung der Verkehrssicherheit bedarf, in deren Folge es zu einer konkreten Gefährdung von Leib, Leben oder fremden Sachen von bedeutendem Wert kommt. Der Antrag zielt seiner Formulierung nach darauf ab, den grundlegenden Charakter des § 315b StGB ausschließlich im Hinblick auf Situationen, in denen das Hindernis in einer Sitzblockade besteht, dahingehend zu ändern, dass es sich nunmehr um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt und somit ausgerechnet Versammlungen, die unter dem Schutz des Art. 8 GG stehen, im Vergleich zu den übrigen abstrakten Gefährdungen der Verkehrssicherheit besonders unter Strafe zu stellen. Angesichts der mit dem Straßenverkehr grundsätzlich verbundenen vielfältigen Gefahr für Leib und Leben der Beteiligten, eröffnet eine solche Änderung eine unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten äußerst bedenkliche potentiell uferlose Strafbarkeit von Sitzblockaden im Rahmen des § 315b StGB. Es ist hierbei zu beachten, dass bei keiner Versammlung auf öffentlichem Straßenland eine Beeinträchtigung des Straßenverkehrs und somit auch eine potentielle Verlängerung von Anfahrtswegen auszuschließen ist. Es liegt dementsprechend nahe zu vermuten, dass dem Antrag die Intention zugrunde liegt, die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum Schutz der Versammlungsfreiheit im Rahmen des § 240 Abs. 2 StGB hierdurch zu umgehen und eine grundsätzliche Strafbarkeit von Sitzblockaden zu schaffen. Dies dürfte in Anbetracht der o.g. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit dem verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 8 GG unvereinbar sein und jedenfalls zu einer dann durch die Rechtsprechung vorzunehmenden verfassungskonformen Auslegung des Tatbestandes oder Annahme eines unnormierten Rechtfertigungsgrundes aus Art. 8 GG[40] führen. Es führt überdies dazu, dass gerade derartige Handlungen, die nicht grundsätzlich auf die Gefährdung der Verkehrssicherheit abzielen besonders unter Strafe stellen würde.

Auch eine grundsätzliche Veränderung des § 315b StGB zu einem abstrakten Gefährdungsdelikt wäre rechtspolitisch abzulehnen, da sie eine schwerwiegende systematische Verwerfung im Hinblick auf die übrigen Verkehrsdelikte mit sich bringen würde.

3. Änderung des § 323c StGB

Die CDU/CSU-Fraktion fordert in ihrem Antrag, das Strafmaß für die Behinderung von hilfeleistenden Personen (§ 323c Absatz 2 StGB) auf bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe anzuheben, um die Behinderung von Rettungskräften als besonders verwerfliches Tun schwerer zu bestrafen. Angesichts dessen, dass - soweit dies bekannt ist - in keinem der Verfahren im Zusammenhang mit den Aktionen von Klimaaktivist*innen der Tatbestand des § 323c Abs. 2 StGB erfüllt gewesen ist, liegt die Vermutung nahe, dass diese Forderung im Wesentlichen deshalb in den Antrag aufgenommen wurde, um eine andere Faktenlage zu suggerieren. Im Übrigen ist die Behinderung von Rettungskräften mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt bereits nach § 115 Abs. 3 S. 1 StGB i.V.m. § 113 StGB mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren, in besonders schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren bedroht. Es besteht mithin keinerlei Anlass für eine Neuregelung.

4. Änderung des § 304 StGB

Die CDU/CSU-Fraktion fordert in ihrem Antrag die Gemeinschädliche Sachbeschädigung gem. § 304 StGB dergestalt neu zu regeln, dass die Beschädigung oder Zerstörung solcher Gegenstände von bedeutendem finanziellen und/oder kunsthistorischen Wert als besonders schwerer Fall definiert und ein erhöhtes Strafmaß mit einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Monaten eingeführt wird. Für diese Änderungen gibt es keinerlei rechtspolitische Notwendigkeit. Kunstgegenstände sind bereits nach der jetzigen Rechtslage vom Tatbestand des § 304 StGB umfasst und im Vergleich zu einer einfachen Sachbeschädigung gem. § 303 StGB ist die Beschädigung von Kunstgegenständen schon jetzt mit einer höheren Strafe bedroht. Eine zusätzliche Einführung des Tatbestandsmerkmals der Beschädigung von Gegenständen von bedeutendem finanziellem Wert verkennt den Schutzzweck des § 304 StGB, welcher gerade auf den Nutzen der Sache für die Allgemeinheit und nicht das individuelle finanzielle Interesse des Eigentümers ausgerichtet ist. Der Schadenssumme kann auch nach der jetzigen Rechtslage bereits durch die Gerichte im Rahmen der Strafzumessung Rechnung getragen werden. Die beabsichtigte Mindeststrafe von 3 Monaten zeugt auch in diesem Kontext von der Absicht der Antragsteller*innen mittels einer Einzelfallgesetzgebung auf die Rechtsprechung der unabhängigen Gerichte mit dem Ziel Einfluss zu nehmen, die Verhängung von Freiheitsstrafen im Bezug auf unliebsame Aktionsformen herbeizuführen.

5. Änderung des § 56 StGB

Die CDU/CSU-Fraktion fordert in dem Antrag, die Regelung zur Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 StGB) so auszugestalten, dass bei Personen, gegen die innerhalb einer laufender Bewährungszeit erneut eine Freiheitsstrafe aufgrund einer vorsätzlichen Straftat verhängt wird, künftig keine erneute Strafaussetzung zur Bewährung erfolgen kann. Dieser Reformvorschlag ist im Kontext der o.g. Beschlussanträge nicht anders zu verstehen, als dass die Antragsteller*innen hierdurch sicherstellen wollen, dass es zur Verhängung unbedingter Freiheitsstrafen gegen Klimaaktivist*innen kommt. Der Antrag hätte jedoch weit darüber hinausgehende Folgen für alle Strafverfahren.

Die Forderung ist indes nicht neu und wurde bereits in Folge der Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister im Jahre 2019 diskutiert. Das BMJV hat in Folge dessen dargestellt, dass die sog. Kettenbewährung statistisch gesehen keine derartige Häufigkeit aufweisen, als dass der Vorwurf, dass die Gerichte hiermit leichtfertig umgehen würden.[41] Die schwerwiegenden Bedenken gegen eine solche Neuregelung wurden bereits zum damaligen Zeitpunkt in mehreren Stellungnahmen, u.a. der Neuen Richtervereinigung[42], der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer[43] und des Arbeitskreises Justiz in der Gewerkschaft ver.di[44] formuliert. Den genannten Stellungnahmen ist insoweit auch zum heutigen Zeitpunkt weiterhin zu folgen, dass ein gesetzgeberischer Eingriff dahingehend, die Möglichkeit einer erneuten Strafaussetzung zur Bewährung auszuschließen weder notwendig, noch kriminologisch sinnvoll und mit dem Resozialisierungsgedanken unvereinbar ist. Der Stellungnahme der NRV ist zuzustimmen, dass die Wiederholung der Behauptung, Gefängnisstrafen eher dazu geeignet wären, ein gesetzestreues Verhalten zu erreichen, als die Ermutigung zu einer nachhaltigen Verhaltensänderung, jeglichen kriminologischen Erkenntnissen widerspricht und von einem autoritären und im Kern antidemokratischen Weltbild zeugt. Der gesetzgeberische Eingriff in die Praxis der Rechtsprechung würde es in Zukunft verhindern, begonnenen Resozialisierungsprozessen, veränderten Lebensumständen oder Verhältnismäßigkeitserwägungen ausreichend Rechnung zu tragen. Die ADB hat in der damaligen Stellungnahme zutreffend formuliert, dass der Vorschlag als Pauschalangriff auf alle an den Strafprozessen Beteiligten zu verstehen ist, da diesen ohne eine faktenorientierte Grundlage unterstellt wird, mit der Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung leichtfertig umzugehen.

6. Abschließende Bemerkungen

Der Antrag zeugt von einem grundlegenden Missverständnis der Antragsteller*innen im Hinblick auf die Rolle des Zivilen Ungehorsams in einer lebendigen Demokratie. Der Zivile Ungehorsam ist nicht nur in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine wichtige Triebfeder in der Entwicklung der Freiheitsrechte. Im Bezug hierauf formulierte Jürgen Habermas: „Jede rechtsstaatliche Demokratie, die ihrer selbst sicher ist, betrachtet den Zivilen Ungehorsam als normalisierten, weil notwendigen Bestandteil ihrer politischen Kultur“[45] und weiter „der Zivile Ungehorsam bezieht seine Würde aus diesem hochgesteckten Legitimitätsanspruch des demokratischen Rechtsstaats. Wenn Staatsanwälte und Richter diese Würde nicht respektieren, den Regelverletzer als Kriminellen verfolgen und mit den üblichen Strafen belegen, verfallen sie einem autoritären Legalismus“[46]. In diesem Sinne bedeutet den Rechtsstaat zu stärken, die Versammlungsfreiheit gegen Bestrebungen der Kriminalisierung von Protestformen zu verteidigen. Im Lichte der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung wäre es zur Stärkung des Rechtsstaates und zur Entlastung der Justiz vielmehr geboten, in den § 240 Abs. 2 StGB aufzunehmen, dass eine Nötigung grundsätzlich dann nicht als verwerflich anzusehen ist, soweit die handelnden Personen lediglich ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen.

Endnoten

[1] „Straßenblockierer und Museumsrandalierer härter bestrafen – Menschen und Kulturgüter vor radikalem Protest schützen“, Antrag der AfD-Fraktion im Landtag des Landes NRW vom 29.11.2022, Drucksache 18/1859, abrufbar unter: https://opal.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD18-1859.pdf.
[2] Landtag des Landes NRW, Plenarprotokoll 18/18 vom 09.12.2022, S.52-59, abrufbar unter: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument?Id=MMP18%2F18|52|59.
[3] Wobei sich der Antrag angesichts der aufgeführten Aktionsformen im Wesentlichen konkret auf die Aktionen der Letzten Generation (https://letztegeneration.de/) und/oder Scientist Rebellion (https://scientistrebellion.com/) bezieht.
[4] Vgl. https://taz.de/Letzte-Generation-bewirft-Monet-Bild/!5886956/,https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/klimaaktivisten-beschadigen-rahmen-von-rubens-gemalde-8594470.html,https://www.rnd.de/panorama/dresden-sixtinische-madonna-bei-attacke-durch-letzte-generation-beschaedigt-SZJDLAKUGN6SQ4YAFKUAPPR4VQ.html.
[5] Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hr. Thomas Haldenwang im Demokratie-Forum im Hambacher Schloss, SWR, 16.12.2022, abrufbar unter:https://www.swr.de/unternehmen/organisation/standorte/demokratieforum-102.html.
[6] Vgl. u.a. AG Freiburg (Breisgau), Urteil v. 21.11.2022, 24 Cs 450 Js 18098/22, juris; AG Tiergarten, Beschluss v. 23.11.2022, 362 Cs 167/22; AG Tiergarten, Beschluss v. 10.11.2022, 343 Cs 166/22; AG Tiergarten, Beschluss v. 05.10.2022, 303 Cs 202/22, BeckRS 2022, 31817.
[7] vgl. hierzu u.a. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, Rn. 31 – 35.
[8] Vgl. AG Tiergarten, Urteil vom 24. November 2022 – 261b Cs 237/22.
[9] vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, Rn. 36.
[10] BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 – 1 BvR 233/81 –, BVerfGE 69, 315-372, Rn. 66.
[11] BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, Rn. 41.
[12] BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 – 1 BvR 233/81 –, BVerfGE 69, 315-372, Rn. 60.
[13] BVerfG, Urteil vom 11. November 1986 – 1 BvR 713/83 –, BVerfGE 73, 206-261, Rn. 88; BVerfG, Beschluss vom 1. Dezember 1992 – 1 BvR 88/91 –, BVerfGE 87, 399-413, Rn. 44; BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, Rn. 39; BVerfG, Beschluss vom 7. März 2011 – 1 BvR 388/05 –, BVerfGK 18, 365-377, Rn. 32.
[14] BVerfG, Stattgebender Beschluss vom 7. März 2011 – 1 BvR 388/05 –, BVerfGK 18, 365-377, Rn. 32.
[15] BVerfG, Urteil vom 11. November 1986 – 1 BvR 713/83 –, BVerfGE 73, 206-261, Rn. 88; BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, Rn. 47; BVerfG, Beschluss vom 7. März 2011 – 1 BvR 388/05 –, BVerfGK 18, 365-377, Rn. 33.
[16] BVerfG, Beschluss vom 7. März 2011 – 1 BvR 388/05 –, BVerfGK 18, 365-377, Rn. 33
[17] BVerfG, Beschluss vom 7. März 2011 – 1 BvR 388/05 –, BVerfGK 18, 365-377, Rn. 39.
[18] vgl. https://www.umweltbundesamt.de/themen/ipcc-bericht-sofortigeglobaletrendwende-noetig
[19] vgl. https://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr-laerm/klimaschutz-imverkehr#rolle
[20] Expertenrat für Klimafragen, Zweijahresgutachten 2022, S. 15, abrufbar unter: https://expertenrat-klima.de/content/uploads/2022/11/ERK2022_Zweijahresgutachten.pdf.
[21] BVerfG, Beschluss vom 7. März 2011 – 1 BvR 388/05 –, BVerfGK 18, 365-377, Rn. 43.
[22] BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 –, BVerfGE 157, 30-177.
[23] BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 –, BVerfGE 157, 30-177, Rn. 208.
[24] BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 –, BVerfGE 157, 30-177, Rn. 117,147-148, 183, 184, 193, 194.
[25] BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 –, BVerfGE 157, 30-177, Rn. 190.
[26] Vgl. AG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 21. November 2022 – 24 Cs 450 Js 18098/22 –, Rn. 67 - 71, juris; AG Tiergarten, Beschluss vom 10. November 2022 – 343 Cs 166/22.
[27] Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 22. Februar 2018 – 2 Rv 157/17 –, juris.
[28] BVerfG, s. Fn. 21 u. 22.
[29] vgl. aus wissenschaftlicher Perspektive zu den drohenden Konsequenzen des Klimawandels: L. Kemp et al., Climate Endgame: Exploring catastrophic climate change scenarios, Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), USA, 119, e2108146119 (2022), abrufbar unter: https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2214975119.
[30] Unter Verweis auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse ist dies ausführlich ausgeführt bei: Bönte, Mathis: Ziviler Ungehorsam im Klimanotstand, HRRS, 4/2021, 164-172, S. 166ff.
[31] BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 –, BVerfGE 157, 30-177.
[32] Zur Wirksamkeit der Aktionen der Letzten Generation aus sozialwissenschaftlicher Sicht insoweit: Karig, Friedemann, Wirkungsvolle Protestformen: Warum die „Letzte Generation“ alles richtig macht, Über Medien, 24. November 2022, abrufbar unter: https://uebermedien.de/79076/warum-die-letzte-generation-alles-richtig-macht/ .
[33] vgl. im Bezug auf die strafrechtliche Rechtfertigung: Satzger/von Maltitz, Das Klimastrafrecht – ein Rechtsbegriff der Zukunft, ZStW 2021, 1, 31 m.w.N. insbesondere auch Beispielen aus der Internationalen Rechtsprechung, ausführlich hierzu auch: Bönte, Mathis: Ziviler Ungehorsam im Klimanotstand, HRRS, 4/2021, 164-172, S. 169f.; Klein, Francesca Mascha: Die Rechtfertigung von Straftaten angesichts der Klimakrise, VerfBlog, 2022/3/04, https://verfassungsblog.de/die-rechtfertigung-vonstraftaten-angesichts-der-klimakrise/, DOI: 10.17176/20220305-001155-0.
[34] Vgl. AG Flensburg, Urteil vom 07. November 2022 – 440 Cs 107 Js 7252/22, juris; systematisch anders verortet: AG Mönchengladbach-Rheydt, Urteil vom 14. März 2022 – 21 Cs - 721 Js 44/22 - 69/22 –, juris; ablehnend insoweit: AG Frankfurt, Urteil vom 13. Mai 2022 – 901 Ds 6120 Js 248353/20 –, Rn. 113, juris.
[35] BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 – 1 BvR 233/81 –, BVerfGE 69, 315-372, Rn. 61.
[36] Grundlegend zum Schutz je nach öffentlicher Zugänglichkeit BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 – 1 BvR 699/06 –, BVerfGE 128, 226-278.
[37] Vgl. u.a. AG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 22. November 2022 – 28 Cs 450 Js 23773/22 –, juris
[38] AG Frankfurt, Urteil vom 13. Mai 2022 – 901 Ds 6120 Js 248353/20 –, Rn. 122, juris.
[39] BGH, Urteil vom 29. Oktober 1996 – 1 StR 562/96 –, Rn. 13, juris.
[40] Vgl. zur Rechtfertigung unmittelbar aus den Grundrechten: AG Mönchengladbach-Rheydt, Urteil vom 14. März 2022 – 21 Cs - 721 Js 44/22 - 69/22 –, juris.
[41] Vgl. hierzu: LTO, Justiz: Sind Kettenbewährungen ein Problem?, 28.06.2021, abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/justiz/j/kettenbewaehrungen-bewaehrungsstrafe-bmjv-bericht-jumiko-rueckfallquote/.
[42] Abrufbar unter: https://www.neuerichter.de/fileadmin/user_upload/fg_strafrecht/2019_07_FG_StrR_Mannheimer_Appell.pdf.
[43] Abrufbar unter: https://www.bewaehrungshilfe.de/wp-content/uploads/2020/03/2020-01-18-Stellungnahme-Kettenbew%C3%A4hrungen.pdf
[44] Abrufbar unter: https://bund-laender.verdi.de/fachgruppen/justiz/++co++d395305e-5ee5-11ea-b1e2-001a4a160100.
[45] Jürgen Habermas, Ziviler Ungehorsam - Testfall für den demokratischen Rechtsstaat, in: Die Neue Unübersichtlichkeit. Kleine Politische Schriften V. Frankfurt am Main, Suhrkamp 1985, S. 81.
[46] Habermas, Fn. 44 , S. 91.

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Berlin, 15.01.2023