Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) ist bestürzt über den Umgang der Polizei mit dem weitgehend friedlichen Protest gegen den AfD-Parteitag in Essen. Anlässlich der Demonstrationen gegen die extrem rechte Partei am Wochenende (28.-30.6.24) hatten Mitglieder des RAV als Anwält*innen in einem "Legal-Team" aus insgesamt 13 Personen die Versammlungen beobachtet und begleitet.
"Bei den Demonstrationen am Samstagmorgen mussten wir ein äußerst provokantes und gewaltbereites Auftreten der Einsatzkräfte und massive Polizeigewalt beobachten", kritisiert Rechtsanwältin und RAV-Mitglied Anna Busl. Sie war Teil des Legal Teams und vor Ort dabei. "Die Kommunikation mit uns als Legal-Team wurde größtenteils verweigert. Ein lösungsorientiertes, deeskalierendes Handeln der Polizei konnten wir leider kaum feststellen", so Busl.
Stattdessen kam es zu Würgegriffen von hinten durch Polizeikräfte, Tritte der Einsatzkräfte gegen am Boden liegende Menschen sowie Faustschlägen ins Gesicht. Auch kamen Pfefferspray und Schlagstöcke zum Einsatz, was sich in den vom RAV beobachteten Fällen als vollkommen unverhältnismäßiges Vorgehen der Polizei darstellte.
Mindestens eine Person, die an der Versammlung teilgenommen hatte, erlitt einen Armbruch. Hinzu kamen Schürfwunden, Prellungen und weitere Verletzungen. Mehrfach war der Einsatz von Sanitäter*innen erforderlich. In den meisten Medien sowie von der Polizei Essen wird jedoch vornehmlich erwähnt, dass Einsatzkräfte verletzt worden seien.
Polizei umzingelt Anwälte
Zeitweise wurden die anwaltlichen Mitglieder des Legalteams in einem Kessel von der Polizei umzingelt, gewaltsam daran gehindert, diesen zu verlassen und körperlich angegangen. Auch wurde eine Person durch Einsatzkräfte abtransportiert, ohne ihrem Wunsch nach anwaltlicher Unterstützung nachzukommen, obwohl dieser explizit geäußert wurde, und Anwält*innen vor Ort waren.
Nach RAV-Informationen befanden sich insgesamt 23 Personen in Gewahrsam. Die Polizei beantragte in den meisten Fällen eine Dauer bis Sonntag, 20 Uhr, doch dies wurde vom Gericht teils abgelehnt, sodass Betroffene früher freigelassen werden mussten. Auch das zeigt, dass die Polizei nicht grundrechtsschonend agierte.
Busl bemerkt: "Obwohl die Polizei monatelang Zeit hatte, sich auf den Einsatz vorzubereiten, und den Parteitag der AfD auch gründlich sicherte, wurde die anwaltliche Vertretung von Demonstrant*innen verweigert und damit grundlegende demokratische Rechte unterlaufen."
Personen in Gewahrsam wurde die telefonische Kontaktaufnahme, die gesetzlich vorgeschrieben ist, über viele Stunden verweigert. Teilweise konnten Betroffene erst nach der richterlichen Vorführung telefonieren, obwohl Anwält*innen bereit waren, den Vorführungen beizuwohnen und der Wunsch nach Vertretung geäußert wurde. "Dadurch entstand der Eindruck, dass die Anhörungen teilweise bewusst ohne anwaltliche Vertretung durchgeführt wurden", sagt Rechtsanwalt Maruks Wild. Auch er ist RAV-Mitglied und war am Samstag mit dem Legal Team in Essen im Einsatz.
Polizei missachtet Gerichtsbeschluss
Selbst richterliche Entscheidungen wurden mindestens in einem Fall nicht umgesetzt: So hielt beispielsweise die Richterin den Gewahrsam in einem Fall für unzulässig, so dass die betroffene Person unverzüglich frei zu lassen war. Die Person wurde von der Polizei dennoch weitere drei Stunden im Gewahrsam gehalten. Ein Gespräch mit dem Ermittlungsleiter, um hier auf die Durchsetzung des richterlichen Beschlusses hinzuwirken, wurde uns verweigert.
Die Umstände für die Betroffenen und für die anwaltliche Beratung und Vertretung im PP Essen waren katastrophal:
Im Polizeipräsidium mussten Personen teilweise zu siebt oder gar zu neunt in einer Zelle ausharren. Es gab dort jeweils nur eine Toilette ohne Sichtschutz. Die Luft war sehr schlecht, erst nach vielen Beschwerden wurde ein Fenster geöffnet, was die Situation allerdings nicht wesentlich verbesserte.
Teilweise wurden Ingewahrsamnahmen wegen der widrigen Umstände in den Zellen aufgehoben. Viele Betroffene klagten über Schwindel, Kopfschmerzen und Kreislaufprobleme. Ein Betroffener beklagte am Sonntag, dass in seiner Zelle die ganze Nacht das Licht gebrannt habe, obwohl er darum gebeten habe, dass dieses gedimmt werde.
Obwohl die Gefangenensammelstelle im Polizeipräsidium Essen aus mehreren Räume besteht, wurde für anwaltliche Gespräche nur ein einziger Raum zur Verfügung gestellt. Bei diesem handelte es sich um einen besonders gesicherten Haftraum. Nicht nur während der Gespräche mit den Betroffenen, sondern auch während der Wartezeiten wurden die Anwält*innen in diesen eingeschlossen, angeblich weil "kein Personal für die Sicherung" vorhanden war. Weshalb Anwält*innen "gesichert" werden müssen, erkärte die Polizei nicht. "Dass Anwält*innen - in Abwesenheit von Gefangenen - eingesperrt werden, habe ich wirklich noch nie erlebt", so Busl, die seit mehr als 10 Jahren als Anwältin tätig ist.
"Auch dort war die Luft extrem warm und stickig", bemängelt ihr Kollege Wild. "Aber weil nur ein einziger Raum zur Verfügung stand, mussten wir teils Stunden warten, um mit Betroffenen sprechen zu können", erklärt Wild. Ein Polizist habe gar zu einem Anwalt gesagt, es sei ihm "scheißegal", wie viele Anwälte unten ständen.
Die Schikanen der Polizei haben die anwaltliche Tätigkeit erheblich erschwert. Später wurde dann doch ein weiterer Raum zur Verfügung gestellt - jedoch ohne Möbel. Die Beratung musste auf dem Boden durchgeführt werden. Auf Besprechungen oder Vorführungen musste teilweise außerhalb des Gebäudes gewartet werden.
Polizei verweigert Recht auf anwaltlichen Beistand
Der Zugang zu Rechtsbeiständen wurde von einigen Beamt*innen bewusst verschleppt. Auf die Intervention der Kriminalpolizei hin wurde der Einlass zunächst gänzlich verweigert. Ebenso lehnte der Empfang des Polizeipräsidiums es ab, eingelegte Rechtsmittel anzunehmen. All dies führte zu Verzögerungen, obwohl es sich um erhebliche Grundrechtseingriffe handelte und daher das Beschleunigungsgebot zu beachten gewesen wäre.
Die Polizei zeigte insgesamt kein oder nur ein sehr begrenztes Bewusstsein für die Tragweite der Grundrechtseingriffe, die in einer Ingewahrsamnahme als freiheitsentziehende Maßnahme liegen und missachtete das fundamentale Recht auf anwaltliche Vertretung.
Eine Person im Gewahrsam berichtete, sie habe von Beginn an auf anwaltliche Vertretung bestanden. Dies lehnte die Polizei ab und behauptete, die Anwält*innen hätten gesagt, sie hätten keine Zeit. "Das ist eine blanke Lüge. Niemand aus dem Legal Team hat eine solche Aussage getätigt. Wir waren immer voll besetzt und ansprechbar", betont Busl.
Fazit
"Trotz des eskalativen Polizeieinsatzes haben wir einen bunten und erfolgreichen Protest erlebt", bilanziert Busl. Die Anreise vieler Parteitagsdelegierten wurde durch friedliche Blockaden verzögert - der lautstarke Protest hat die Delegierten erreicht. "Im Hinblick auf fundamentale, demokratische Rechte und Freiheiten müssen wir aber leider ein negatives Fazit ziehen: Die Polizei schien zahlenmäßig bestens darauf vorbereitet, legitimen Protest zu gängeln und zu verhindern, häufig völlig unverhältnismäßig." Auf die Wahrung der Grundrechte, insbesondere im Rahmen der Ingewahrsamnahmen, war die Polizei jedoch nicht vorbereitet.
"Der Freiheitsentzug stellt einen der schwerwiegendsten Grundrechtseingriffe überhaupt dar", erinnert die Rechtsanwältin. "Wenn dann noch das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK), auf Zugang zu Anwaltspersonen und zu Rechtsmitteln, und letztlich sogar die Menschenwürde beschnitten werden, zeugt das von Gleichgültigkeit gegenüber dem Grundgesetz. Das ist erschreckend", findet Rechtsanwalt Wild.
Der RAV fordert deshalb, dass das polizeiliche Vorgehen am Wochenende in Essen dringend aufgearbeitet wird und von den politisch Verantwortlichen, etwa Innenminister Herbert Reul (CDU), Konsequenzen gezogen werden.
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an:
Anna Magdalena Busl
Rechtsanwältin und Strafverteidigerin in Bonn, RAV-Regionalgruppe NRW
Telefon: 0228 949 040, Mobil: 0176-23233235
E-Mail: busl@anwaltsbuero-bonn.de
Markus Wild
Rechtsanwalt in Bochum, RAV-Regionalgruppe NRW
Telefon: 0234 60041,
E-Mail: markus@wild-markus.de